Meine Freundin fand ich zu Hauſe.
Gräfin Lori Griesbach war in mehr als einer Hinſicht meine Schickſalsgenoſſin, Generalstochter, wie ich, kurze Zeit an einen Offizier verheiratet, wie ich, und — wie ich — Strohwitwe. In einem übertrumpfte ſie mich: ſie hatte nicht nur ihren Mann, ſondern auch noch zwei Brüder im Krieg. Aber Lori war keine ängſtliche Natur; ſie war vollkommen überzeugt, daß ihre Lieben unter dem beſonderen Schutze eines von ihr ſehr verehrten Heiligen ſtanden, und ſie rechnete zuverſichtlich auf deren Wiederkehr.
Sie empfing mich mit offenen Armen.
„Ach, grüß’ Dich Gott, Martha — das iſt wunderhübſch von Dir, daß Du mich aufſuchſt. — Aber Du ſiehſt gar ſo bleich und gedrückt aus … doch keine ſchlimme Nachricht vom Kriegsſchauplatze?“
„Nein, Gott ſei Dank. Aber das Ganze iſt doch ſo traurig —“
„Ja ſo — Du meinſt die Niederlage? Da mußt Du Dir nichts daraus machen, die nächſten Berichte können einen Sieg vermelden.“
„Siegen oder beſiegt werden — der Krieg an und für ſich iſt ſchon ſchrecklich … Wäre es nicht beſſer, wenn es gar keinen ſolchen gäbe?“
„Wozu wäre denn da das Militär da?“
„Ja, wozu?“ Ich ſann nach. „Dann gäb’ es keins.“
„Was Du für Unſinn ſprichſt! Das wäre eine ſchöne Exiſtenz — lauter Civiliſten — mir ſchaudert! Das iſt zum Glück unmöglich.“
„Unmöglich? Du mußt recht haben. Ich will es glauben — ſonſt könnte ich nicht faſſen, daß es nicht ſchon längſt geſchehen.“
„Was geſchehen?“
„Die Abſchaffung des Krieges. Doch nein: ebenſogut könnte ich ſagen, man ſolle das Erdbeben abſchaffen …“
„Ich weiß nicht, was Du meinſt. Was mich anbelangt, ſo bin ich froh, daß dieſer Krieg ausgebrochen, weil ich hoffe, daß ſich mein Ludwig auszeichnen wird. Auch für meine Brüder iſt es eine gute Sache. Das Avancement ging ſchon ſo langſam von ſtatten, jetzt haben ſie doch eine Chance —“
„Haſt Du kürzlich Nachricht erhalten,“ unterbrach ich. „Sind die Deinen alle heil?“
„Eigentlich ſchon ziemlich lange nicht. Aber Du weißt, wie der Poſtverkehr oft unterbrochen iſt, und wenn man von einem heißen Marſch- oder Schlachttag ſo recht müde geworden, hat man auch nicht viel Luſt zum Schreiben. Ich bin ganz ruhig. Sowohl Ludwig als meine Brüder tragen geweihte Amulette — Mama hat ſie ihnen ſelber umgehängt“ …
„Wie ſtellſt Du Dir denn einen Krieg vor, Lori, wo in beiden Heeren jeder Mann ein Amulett trüge? Wenn da die Kugeln hin und her fliegen, werden ſie ſich harmlos in die Wolken zurückziehen?“
„Ich verſteh’ Dich nicht. Du biſt ſo lau im Glauben. Das klagt mir öfters Deine Tante Marie.“
„Warum beantworteſt Du meine Frage nicht?“
„Weil in ihr ein Spott auf eine Sache liegt, die mir heilig iſt.“
„Spott? Nicht doch … Einfach eine vernünftige Erwägung.“
„Du weißt doch, daß es Sünde iſt, der eigenen Vernunft die Kraft zuzutrauen, in Dingen urteilen zu wollen, die über ſie erhaben ſind.“
„Ich ſchweige ſchon, Lori. Du kannſt recht haben: das Nachdenken und Grübeln taugt nicht … Seit einiger Zeit ſteigen mir ſo allerlei Zweifel an meinen älteſten Überzeugungen auf, und ich empfinde dabei nur Qual. Wenn ich die Überzeugung verlöre, daß es unbedingt notwendig und gut war, dieſen Krieg zu beginnen, ſo könnte ich jenen nicht verzeihen, welche —“
„Du meinſt Louis Napoleon? Das iſt freilich ein Intrigant.“
„Ob dieſer oder andere — ich wollte unerſchüttert glauben, daß es überhaupt keine Menſchen waren, die den Krieg veranlaßt haben, ſondern, daß er von ſelber „ausgebrochen“ — ausgebrochen wie das Nervenfieber, wie das Veſuvfeuer —“
„Wie Du exaltirt biſt, mein Schatz. Laß uns doch vernünftig reden. Alſo hör’ mich an. In kurzem wird die Campagne ein Ende haben und unſere beiden Männer kommen als Rittmeiſter zurück … Ich werde den meinen dann zu bewegen trachten, daß er einen vier- oder ſechswöchentlichen Urlaub nehme, um mit mir ins Bad zu reiſen. Es wird ihm gut thun nach ſeinen ausgeſtandenen Strapazen und auch mir, nach der ausgeſtandenen Hitze, Langeweile und Bangigkeit. Denn Du mußt nicht glauben, daß ich gar keine Angſt habe … Es könnte doch Gottes Wille ſein, daß einer meiner Lieben den Soldatentod finde — und wenn es auch ein ſchöner, beneidenswerter Tod iſt … auf dem Felde der Ehre … für Kaiſer und Vaterland —“
„Du ſprichſt ja wie der erſte beſte Armeebefehl.“
„Es wäre doch ſchrecklich … die arme Mama, wenn Guſtav oder Karl etwas zuſtoßen würde … Reden wir nicht davon! Alſo, um uns von all dem Schreck zu erholen, gilt es, eine amüſante Badeſaiſon durchmachen … Am liebſten in Karlsbad — dort bin ich einmal als Mädchen geweſen und habe mich göttlich unterhalten.“
„Und ich war in Marienbad … Dort habe ich Arno kennen gelernt … Aber warum ſitzen wir ſo müßig da? Haſt Du nicht etwas Leinwand zur Hand, daß wir Charpie zupfen? Ich war heute im „patriotiſchen Hilfsverein“ und da kam — rate wer?“
Hier wurden wir unterbrochen. Ein Diener brachte einen Brief herein.
„Von Guſtav!“ rief Lori freudig, indem ſie das Siegel brach.
Nachdem ſie ein paar Zeilen geleſen, ſtieß ſie einen Schrei aus; das Blatt entfiel ihren Händen und ſie warf ſich an meinen Hals.
„Lori — mein armes Herz, was iſt’s?“ fragte ich tief ergriffen — „Dein Mann? …“
„O Gott, o Gott,“ ſtöhnte ſie. „Lies ſelber …“
Ich hob das Blatt vom Boden auf und begann zu leſen. Ich kann den Wortlaut genau wiedergeben, denn in der Folge habe ich den Brief von Lori mir erbeten, um deſſen Inhalt in mein Tagebuch zu übertragen.
„Lies laut,“ bat ſie — „ich habe nicht zu Ende kommen können.“
Ich that nach ihrem Wunſche.
„Liebſte Schweſter! Geſtern hatten wir eine heiße Schlacht — das wird eine große Verluſtliſte geben. Damit Du — damit unſere arme Mutter nicht aus dieſer das Unglück erfährt und damit Du ſie langſam vorbereiten könnteſt (ſag’, er ſei ſchwer verwundet) ſchreibe ich Dir lieber gleich, daß zu den für das Vaterland gefallenen Kriegern auch unſer tapferer Bruder Karl zählt.“ Ich unterbrach mich, um die Freundin zu umarmen.
„Bis dahin war ich gekommen,“ ſagte ſie leiſe.
Mit thränenerſtickter Stimme las ich weiter.
„Dein Mann iſt unverſehrt und ſo auch ich. Hätte die feindliche Kugel doch lieber mich getroffen: ich beneide Karl um ſeinen Heldentod — er fiel zu Anfang der Schlacht, und weiß nicht, daß dieſe wieder — verloren iſt. Das iſt gar zu bitter. Ich habe ihn fallen geſehen, denn wir ritten nebeneinander. Ich ſprang gleich ab, um ihn aufzuheben — nur noch einen Blick und er war tod. Die Kugel muß ihm durch Herz oder Lunge gedrungen ſein! es war ein ſchnelles, ſchmerzloſes Ende. Wie viele andere mußten ſtundenlang leiden und mitten im Toben der Schlacht hilflos daliegen, bis ſie der Tod erlöſte. Das war ein mörderiſcher Tag — mehr als tauſend Leichen — Freund und Feind — bedeckten die Wahlſtatt. Ich habe unter den Toten ſo manches liebe, bekannte Geſicht erkannt — das iſt unter anderen auch der arme — (hier mußte die Seite umgewendet werden) der arme Arno Dotzky —“ Ich fiel ohnmächtig zu Boden.