„O Monſieur, o Madame — welches Glück, welche große Nachricht!“ Mit dieſen Worte ſtürzten eines Tages Friedrichs Kammerdiener und hinter ihm der Koch in unſer Zimmer. Es war am Tage von Wörth.
„Was gibt’s?“
„An der Börſe iſt eine Depeſche angeſchlagen: wir haben geſiegt. Die Armee des Königs von Preußen iſt ſo gut wie vernichtet … Die Stadt ſchmückt ſich mit dreifarbigen Fahnen — es ſoll heute Abend illuminiert werden.“
Im Laufe des Nachmittags ſtellt ſich jedoch heraus, daß die Nachricht eine falſche — ein Börſenmanöver — war. Ollivier hält von ſeinem Balkon aus eine Anſprache an die Menge.
Nun — deſto beſſer. Wenigſtens würde man nicht beleuchten müſſen. Dieſe Freudenkundgebungen anläßlich „vernichteter Armeen“ — d. h. anläßlich zahlloſer zerriſſener Leben und gebrochener Herzen — das hätte in mir auch wieder den Flaubertſchen Wunſch erweckt: „Ach wär’ ich doch bei den Beduinen!“
Am 7. Auguſt Unglücksbotſchaft. Der Kaiſer eilt aus St. Cloud nach dem Kriegsſchauplatz. Der Feind iſt ins Land gedrungen. Die Blätter können ihrer Entrüſtung über die „Invaſion“ nicht heftig genug Ausdruck geben. Der Ruf „à Berlin!“ — däuchte mir — bedeutete doch auch beabſichtigten Einfall — doch daran war nichts entrüſtendes; — daß aber die öſtlichen Barbaren in das ſchöne, gottgeliebte Frankreich einzufallen ſich unterſtanden: das war ſchier Wildheit, Frevel — dem mußte raſch geſteuert werden.
Der interimiſtiſche Kriegsminiſter erläßt ein Dekret, daß alle rüſtigen Bürger von dreißig bis vierzig Jahren, welche der Nationalgarde noch nicht angehören, derſelben ſofort einverleibt werden müſſen. Es bildet ſich ein Miniſterium der Landesverteidigung. Die bewilligte Kriegsanleihe von fünfhundert wird auf tauſend Millionen erhöht. Ganz herzerfriſchend iſt es, wie opferfähig die Leute über das Geld und das Leben der Anderen ſtets verfügen. Eine kleine finanzielle Unannehmlichkeit macht ſich dem Publikum zwar ſogleich fühlbar: wenn man Banknoten wechſeln will, muß man dem Wechsler zehn Prozent zahlen — es iſt nicht ſo viel Gold vorhanden, als die Bank von Frankreich Noten ausgeben darf.
Und jetzt, deutſcherſeits Sieg auf Sieg …
Die Phyſiognomie der Stadt Paris und ihrer Einwohner verändert ſich. Statt der ſtolzen, prahleriſchen kampfesfrohen Laune tritt Beſtürzung und grimmiger Zorn ein. Immer mehr verbreitet ſich das Gefühl, daß eine Vandalenhorde über das Land niedergegangen — etwas Schreckhaftes, Unerhörtes, wie etwa eine Heuſchreckenwolke oder ſonſt eine Naturplage. Daß ſie mit ihrer Kriegserklärung dieſe Plage ſelber heraufbeſchworen, daß ſie dieſelbe für unerläßlich hielten, — damit ja nicht etwa ein Hohenzollern in ferner Zukunft auf die Idee kommen könne, um den ſpaniſchen Thron zu werben — das hatten ſie vergeſſen. Über den Feind kommen entſetzliche Märchen in Umlauf. „Die Ulanen, die Ulanen“: das hat einen phantaſtiſch-dämoniſchen Klang, beinahe als hieße es „das wilde Heer“. In der Einbildung der Leute nimmt dieſe Truppengattung ein teufliſches Weſen an. Wo immer von der deutſchen Kavallerie ein kühner Streich ausgeführt wird, wird er den Ulanen zugeſchrieben — eine Art Halbmenſchen, ohne Sold, darauf angewieſen, von Beute zu leben. Neben den Schauergerüchten entſtehen aber auch wieder Triumphgerüchte. Das Erfolgvorlügen gehört mit zu den Chauviniſtenpflichten. Natürlich: der Mut muß aufrecht erhalten werden. Das Gebot der Wahrhaftigkeit — wie ſo viele andere Sittengebote — verliert ſeine Gültigkeit im Kriege. Aus der Zeitung Le Volontaire diktierte mir Friedrich folgende Stelle für meine roten Hefte:
„Bis zum 16. Auguſt haben die Deutſchen ſchon 144 000 Mann verloren, der Reſt iſt dem Verhungern nahe. Aus Deutſchland ziehen die letzten Reſerven herbei, „la landwehr et la landsturm“; alte Männer von 60 Jahren mit Feuerſteingewehren, an der rechten Seite eine ungeheure Tabaksdoſe, an der linken eine noch größere Schnapsflaſche, im Munde eine lange thönene Pfeife; keuchend unter der Laſt des Torniſters, auf welchem die Kaffeemühle und in welchem der Fliederthee nicht fehlen darf, ziehen ſie huſtend und ſich ſchneuzend vom rechten an das linke Rheinufer, Diejenigen verfluchend, welche ſie den Umarmungen ihrer Enkel entriſſen haben, um ſie dem ſicheren Tode entgegen zu führen.“ — „Was die deutſcherſeits gebrachten Siegesnachrichten anbelangt — ſo ſind dies die bekannten preußiſchen Lügen.“
Am 20. Auguſt verkündet Graf Palikao in der Kammer, daß drei gegen Bazaine vereinte Armeekorps in die Steinbrüche von Jaumont geworfen wurden. (Sehr gut! Sehr gut!) Zwar weiß niemand, was das für Steinbrüche ſeien, und wo ſelbe gelegen ſind; und wie ſich die drei Armeekorps darin verhalten, das macht ſich auch niemand klar; aber von Mund zu Mund geht die frohe Botſchaft: „Sie wiſſen ſchon? … In den Steinbrüchen …“ — „Ja, ja, von Jaumont.“ Keiner äußert einen Zweifel oder eine Frage; es iſt, als ob Alle aus der Gegend von Jaumont gebürtig wären und die armeeverſchlingenden Steinbrüche ſo gut kennten, wie ihre Taſche. Um dieſe Zeit tauchte auch das Gerücht auf, der König von Preußen ſei aus Verzweiflung über den Zuſtand ſeines Heeres verrückt geworden.
Man hört nur noch Ungeheuerlichkeiten. Die Aufregung, das Fieber der Bevölkerung nimmt ſtündlich zu. Der Krieg „là-bas“ hat aufgehört, als Waffenſpaziergang betrachtet zu werden; man fühlt, daß die losgelaſſenen Gewalten jetzt Furchtbares über die Welt bringen — es iſt nur noch von vernichteten Heeren, von wahnſinnigen Führern, von teufliſchen Horden, von Kampf bis aufs Meſſer die Rede. Ich höre es donnern und grollen — was ſich da erhebt, iſt der Sturm der Wut und der Verzweiflung. Der Kampf um Bazeilles bei Sedan wird geſchildert, als wären dort von den Bayern die unmenſchlichſten Greuel verübt worden.
„Glaubſt Du das,“ fragte ich Friedrich, „glaubſt Du das von den gutmütigen Bayern?“
„Es mag ja ſein. Ob Bayer oder Turko, ob Deutſcher, Franzoſe oder Indianer: der ſich ſeines Lebens wehrende und zum töten ausholende Krieger hat allemal aufgehört „menſchlich zu“ ſein. Was in ihm geweckt und gewaltſam aufgeſtachelt worden, iſt ja eben die Beſtie.