Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 47. Viertes Buch. 1866. // 2. Abſchnitt Der erſte Zuſammenſtoß unſerer in Böhmen befindlichen Truppen mit dem Feinde fand am 25. Juni in Liebenau ſtatt. Dieſe Nachricht brachte uns mein Vater mit ſeiner gewohnten triumphierenden Miene: „Das iſt ein prächtiger Anfang!“ ſagte er. „Man ſieht es: der Himmel iſt mit uns. Es hat was zu bedeuten, daß die erſten, mit welchen dieſe Windbeutel zu thun bekommen, die Leute unſerer berühmten ‚eiſernen Brigade‘ waren … ihr wißt doch: die Brigade Poſchacher, welche den Königsberg in Schleſien ſo tapfer verteidigt hat. Die wird’s ihnen gehörig geben! (Die nächſten Nachrichten vom Kriegsſchauplatze aber ergaben, daß nach fünfſtündigem Gefecht dieſe in der Avantgarde Clam-Gallas befindliche Brigade ſich nach Podol zurückzog. Daß Friedrich dabei war — ich wußte es nicht, und daß in derſelben Nacht das verbarrikadierte Podol vom General Horn angegriffen und dort bei hellem Mondſchein der Kampf fortgeführt ward — das hab’ ich auch erſt ſpäter erfahren.) „Aber herrlicher noch als im Norden“, fuhr mein Vater fort, „geſtaltet ſich der Anfang im Süden. Bei Cuſtozza iſt ein Sieg errungen worden, Kinder — ſo glänzend wie nur einer … Ich habe es immer geſagt: die Lombardei muß unſer werden! … Freut ihr euch denn nicht? Ich betrachte den Krieg als ſchon entſchieden; denn wenn man mit den Italienern fertig geworden, welche doch ein regelmäßiges und geſchultes Heer uns gegenüberſtellen, da wird es uns mit den ‚Schneidergeſellen‘ weiter nicht ſchwer fallen. Dieſe Landwehr — es iſt eine wahre Frechheit — und es gehört nur die ganze preußiſche Selbſtüberhebung dazu, um {damit} gegen richtige Armeen ausziehen zu wollen. Da werden die Leute von der Werkſtatt, vom Schreibtiſch hinweggerufen — ſind an keinerlei Strapazen gewöhnt, können alſo unmöglich als blut- und eiſenfeſte Soldaten im Felde ſtehen. Da ſeht einmal her, was die wiener Zeitung in einer Originalkorreſpondenz unterm 24. Juni ſchreibt. Das ſind doch gute Nachrichten: „In preußiſch Schleſien iſt die Rinderpeſt ausgebrochen und wie man vernimmt in äußerſt bedrohlicher Art —“ „Rinderpeſt“ — „bedrohliche Art“ — „erfreuliche Nachrichten“ ſagte ich mit leiſem Kopfſchütteln. „Hübſche Dinge, über welche man zu Kriegszeiten Vergnügen haben ſoll … Es iſt nur gut, daß ſchwarzgelbe Schlagbäume an der Grenze ſtehen — da kann die Peſt nicht herüber“ … Aber mein Vater hörte nicht und las das erfreuliche weiter: „Unter den preußiſchen Truppen aus Neiße herrſcht das Fieber. Das ungeſunde Sumpfland, die ſchlechte Verpflegung und die miſerable Unterkunft der in den umliegenden Ortſchaften aufgehäuften Truppen mußten ſolche Erſcheinungen zur Folge haben. Von der Verpflegung der preußiſchen Soldaten macht ſich der Öſterreicher keinen Begriff. Die Junker glauben dem „Volk“ eben Alles bieten zu können. Sechs Lot Schweinefleiſch für den Mann, der an die forcierten Märſche und ſonſtigen Strapazen nicht gewöhnt worden, der Alles, nur kein abgehärteter Soldat iſt.“ „Die Blätter ſind überhaupt voll prächtiger Nachrichten. — Vor Allem die Berichte vom glorreichen Cuſtozza-Tage — Du ſollteſt Dir dieſe Zeitungen aufheben, Martha.“ Und ich {habe} ſie aufgehoben. Das ſollte man immer thun; und wenn ein neuer Völkerzwiſt heranzieht, dann leſe man nicht die neueſten Zeitungen, ſondern die, welche von vorigem Kriege datieren, und man wird ſehen, was all den Prophezeiungen und Prahlereien und auch den Berichten und Nachrichten für Wahrheitswert beizumeſſen iſt. {Das} iſt lehrreich. Vom nördlichen Kriegsſchauplatz. Aus dem Hauptquartier der Nord-Armee wird unterm 25 Juni über den Feldzugsplan (!) der Preußen geſchrieben: „Nach den neueſten Nachrichten hat die preußiſche Armee ihr Hauptquartier nach dem öſtlichen Schleſien verlegt. (Folgt in dem gewöhnlichen taktiſchen Stile eine längere Aufzählung der von dem Feinde projektierten Bewegungen und Stellungnahmen, von welchen der Herr Berichterſtatter gewiß ein klareres Bild vor Augen hatte, als Moltke und Roon). Es ſcheint demnach in der Abſicht der Preußen zu liegen, hierdurch dem Vormarſch unſerer Armee gegen Berlin durch den eigenen zuvorzukommen, was ihnen jedoch bei den getroffenen Vorkehrungen (welche „unſer Spezial-Korreſpondent“ ebenfalls genauer kennt, als Benedek) ſchwerlich gelingen dürfte. Mit vollſtem Vertrauen kann man günſtigen Berichten von der Nord-Armee entgegen ſehen, die, wenn ſie auch nicht ſo ſchnell, als die Sehnſucht des Volkes ſie erwartet, einlaufen, dafür aber um ſo bedeutender und inhaltsreicher ſein werden.“ „… Einen hübſchen Zwiſchenfall bei dem Durchmarſch öſterreichiſcher Truppen italieniſcher Nationalität durch München, erzählt die Neue Frankfurter Zeitung wie folgt: Unter den durch München gekommenen Truppen befinden ſich Linienbataillone, ſie wurden wie die übrigen durch die bayeriſche Hauptſtadt gekommenen Truppen, in einem dem Bahnhof nahegelegenen Wirtſchaftsgarten bewirtet. Jedermann konnte ſich überzeugen, daß dieſe Venezianer unter Jubel ihre Kampfesluſt gegen die Feinde Öſterreichs kundgaben. (Vielleicht hätte auch „Jedermann“ denken können, daß betrunkene Soldaten ſich willig für das begeiſtern, was ihnen zur Begeiſterung angeboten wird.) In Würzburg war der Bahnhof angefüllt mit der Mannſchaft eines öſterreichiſchen Linien-Infanterieregiments. So viel wahrnehmbar, beſtand die ganze Mannſchaft aus Venezianern. Gleichfalls freundlich aufgenommen (das heißt gleichfalls betrunken), konnten die Leute nicht Ausdruck finden, ihre Freude und ihre Abſicht, gegen die Friedensbrecher (von zwei kriegführenden Parteien iſt die friedensbrechende ſtets die {andere}) zu kämpfen, aufs lebhafteſte kund zu geben. Die Evivas nahmen kein Ende.“ (Sollte der auf den Bahnhöfen ſich herumtreibende, von Soldatengeſchrei ſo erbaute „Herr von Jedermann“ nicht wiſſen, daß es nichts Anſteckenderes gibt als Vivat-Rufen; — daß tauſend miteinander brüllende Stimmen nicht den Ausdruck von tauſend einmütigen Geſinnungen, ſondern einfach die Bethätigung des natürlichen Nachahmungstriebes bedeuten?) In {Böhmiſch-Trübau} hat der Feldzeugmeiſter Ritter von Benedek die drei Bulletins über den Sieg der Süd-Armee der Nord-Armee bekannt gegeben und daran nachſtehenden Tagesbefehl geknüpft: „Im Namen der Nord-Armee habe ich folgendes Telegramm an das Kommando der Süd-Armee abgeſendet: „Feldzeugmeiſter Benedek und die geſamte Nord-Armee dem glorreichen durchlauchtigſten Kommandanten der tapferen Süd-Armee mit freudiger Bewunderung herzlichſte Glückwünſche zum neuen ruhmvollen Tage von Cuſtozza. Mit einem neuen glorreichen Siege unſerer Waffen iſt der Feldzug im Süden eröffnet. Das glorreiche Cuſtozza prangt auf dem Ehrenſchild des kaiſerlichen Heeres.“ Soldaten der Nord-Armee! Mit Jubel werdet ihr die Nachricht begrüßen, mit erhöhter Begeiſterung in den Kampf ziehen, daß auch wir ſehr bald ruhmvolle Schlachtennamen auf jenes Schild verzeichnen und dem Kaiſer auch aus dem Norden einen Sieg melden, nach dem eure Kampfbegierde brennt, den eure Tapferkeit und Hingebung erringen wird, mit dem Rufe: Es lebe der Kaiſer! Benedek.“ Auf obiges Telegramm iſt folgende Antwort aus Verona telegraphiſch in Böhmiſch-Trübau angelangt: „Der Süd-Armee und ihres Kommandanten gerührten Dank ihrem geliebten frühern Feldherrn und ſeiner braven Armee. Ueberzeugt, daß auch wir bald zu ſolchen Siegen werden Glück wünſchen können.“ ‚Überzeugt‘ — ‚überzeugt‘ … „Lacht euch nicht das Herz im Leibe, Kinder, wenn ihr derlei Sachen leſet?“ rief mein Vater entzückt. „Könnt ihr euch nicht zu genügendem patriotiſchen Hochgefühle aufſchwingen, um angeſichts ſolcher Triumphe eure eigenen Angelegenheiten in den Hintergrund zu drängen — um zu vergeſſen, Du, Martha, daß Dein Friedrich, Du, Lilli, daß Dein Konrad einigen Gefahren ausgeſetzt ſind? Gefahren, welchen ſie wahrſcheinlich heil entkommen und denen ſelbſt zu unterliegen — ein Los, das ſie mit den beſten Söhnen des Vaterlandes teilen — ihnen nur zu Ruhm und Ehre gereicht. Es gibt keinen Soldaten, der mit dem Rufe ‚Für das Vaterland!‘ nicht gern ſtürbe.“ „Wenn einer nach verlorener Schlacht mit zerſchmetterten Gliedern auf dem Felde liegen bleibt“ — entgegnete ich — „und da ungefunden durch vier oder fünf Tage und Nächte an Durſt, Hunger, unter unſäglichen Schmerzen, lebendig verfaulend, zu Grunde geht — dabei wiſſend, daß durch ſeinen Tod dem beſagten Vaterlande nichts geholfen, ſeinen Lieben aber Verzweiflung gebracht worden — ich möchte wiſſen, ob der die ganze Zeit über mit jenem Rufe gern ſtirbt.“ „Du frevelſt … Du ſprichſt zudem in ſo grellen Worten — für eine Frau ganz unanſtändig.“ „Ja, ja, das wahre Wort — die aufgedeckte Wirklichkeit iſt frevelhaft, iſt ſchamlos … Nur die Phraſe, die durch tauſendfältige Wiederholung ſanktionierte Phraſe, ‚anſtändig‘. Ich aber verſichere Dich, Vater — dieſes naturwidrige ‚Gern-ſterben‘, welches da allen Männern zugemutet wird, ſo heldenhaft es dem Ausſprechenden auch dünken mag — mir klingt es wie {geſprochener Totſchlag.}“ 48. Viertes Buch. 1866. // 3. Abſchnitt