Am 1. Juni erklärt Preußen dem Bundestage, es werde ſofort abrüſten, wenn Oſterreich und Sachſen das Beiſpiel geben. Dagegen erfolgt von Wien geradeheraus die Anſchuldigung, daß Preußen ſchon lange mit Italien einen Angriff auf Öſterreich geplant habe, weshalb Letzteres ſich nunmehr ganz dem deutſchen Bund in die Arme werfen wolle, um dieſen aufzufordern, die Entſcheidung in Sachen der Elbherzogtümer zu übernehmen. Gleichzeitig wolle es die holſteiniſchen Stände einberufen.
Gegen dieſe Erklärung legte Preußen Proteſt ein, weil dieſelbe gegen den Gaſteiner Vertrag verſtoße. Damit ſei zum wiener Vertrag zurückgekehrt, nämlich zum gemeinſchaftlichen Condominat; folglich habe Preußen auch das Recht, Holſtein zu beſetzen, wie es ſeinerſeits den Öſterreichern den Beſitz Schleswigs nicht verwehre. Und zugleich rücken die Preußen in Holſtein ein. Gablenz weicht ohne Schwertſtreich, aber unter Proteſt zurück.
Vorher hat Bismarck in einem Rundſchreiben geſagt: Von Wien hatten wir gar kein Entgegenkommen gefunden. Im Gegenteil: es waren dem Könige von authentiſcher Quelle Auslaſſungen von öſterreichiſchen Staatsmännern und Ratgebern des Kaiſers zu Ohren gekommen (Tritſchtratſch), welche beweiſen, daß die Miniſter den Krieg um jeden Preis wünſchen (Völkermord wünſchen: welche furchtbare Verbrechensanklage!), teils auf Erfolg im Felde hoffend, teils, um über innere Schwierigkeiten hinwegzukommen und um den eigenen zerrütteten Finanzen durch preußiſche Kontribution aufzuhelfen. (Staatsklugheit.)
Unterm 9. Juni erklärt Preußen dem Bundestag, derſelbe habe kein Recht zur alleinigen Entſcheidung in der ſchleswig-holſteiniſchen Frage. Ein neuer Bundesreformplan wird vorgelegt, nach welchem die Niederlande und Öſterreich ausgeſchloſſen bleiben ſollen.
Die Preſſe iſt nunmehr ganz kriegeriſch und zwar, wie dies patriotiſche Sitte iſt, ſiegesgewiß. Die Möglichkeit einer Niederlage muß für den loyalen Unterthan, den ſein Fürſt zum Kampfe ruft, völlig ausgeſchloſſen ſein. Verſchiedene Leitartikel malen den bevorſtehenden Einzug Benedeks in Berlin aus, ſowie die Plünderung dieſer Stadt durch die Kroaten. Einige empfehlen auch, Preußens Hauptſtadt dem Erdboden gleich zu machen. „Plünderung“, „Erdboden gleich machen“, „über die Klinge ſpringen laſſen“ — dieſe Worte entſprechen zwar nicht mehr dem neuzeitlichen Völkerrechtsbewußtſein, ſie ſind aber, von den Schulſtudien der alten Kriegsgeſchichte her, an den Leuten hängen geblieben; derlei ward in den auswendig gelernten Schlachtberichten ſo oft hergeſagt, in den deutſchen Aufſätzen ſo oft niedergeſchrieben, daß, wenn nun über das Thema Krieg Zeitungsartikel verfaßt werden ſollen, ſolche Worte von ſelber in die Feder fließen. Die Verachtung des Feindes kann nicht draſtiſch genug ausgedrückt werden; für die preußiſchen Truppen haben die wiener Zeitungen keine andere Bezeichnung mehr, als „die Schneidergeſellen“. General-Adjutant Graf Grünne hat geäußert: „Dieſe Preußen werden wir mit naſſen Fetzen verjagen“. Mit derlei macht man einen Krieg eben „populär“. So etwas kräftigt das nationale Selbſtgefühl.
11. Juni. Öſterreich beantragt, der Bund ſolle gegen die preußiſche Selbſthilfe in Holſtein einſchreiten und das ganze Bundesheer mobil machen. Am 14. Juni wird über dieſen Antrag abgeſtimmt und mit neun gegen ſechs Stimmen — angenommen. O, dieſe drei Stimmen! Wie viel Jammer- und Wehgeheul hat dieſen drei Stimmen als Echo nachgedröhnt!
Es iſt geſchehen. Die Geſandten erhalten ihre Päſſe. Am 16. fordert der Bund Öſterreich und Bayern auf, den Hannoveranern und Sachſen, welche bereits von Preußen angegriffen ſeien, zu Hilfe zu kommen.
Am 18. ergeht das preußiſche Kriegsmanifeſt. Zu gleicher Zeit das Manifeſt des Kaiſers von Öſterreich an ſein Volk und die Proklamation Benedeks an ſeine Truppen. Am 22. erläßt Prinz Friedrich Karl einen Armeebefehl und eröffnet damit den Krieg. Ich habe die vier Urkunden zur Zeit abgeſchrieben; hier ſind ſie:
König Wilhelm ſagt:
„Öſterreich will nicht vergeſſen, daß ſeine Fürſten einſt Deutſchland beherrſchten, will im jungen Preußen keinen Bundesgenoſſen, ſondern nur einen feindlichen Nebenbuhler erkennen. Preußen, meint es, ſei in allen ſeinen Beſtrebungen zu bekämpfen, weil, was Preußen frommt, Öſterreich ſchade. Alte, unſelige Eiferſucht iſt in hellen Flammen wieder aufgelodert; Preußen ſoll geſchwächt, vernichtet, entehrt werden. Ihm gegenüber gelten keine Verträge mehr. Wohin wir in Deutſchland ſchauen, ſind wir von Feinden umgeben und deren Kampfgeſchrei iſt Erniedrigung Preußens. Bis zum letzten Augenblick habe ich die Wege zu gütigem Ausgleich geſucht und offen gehalten — Öſterreich wollte nicht.“
Dagegen läßt ſich Kaiſer Franz Joſeph alſo vernehmen:
„Die neueſten Ereigniſſe erweiſen es unwiderleglich, daß Preußen nun offen Gewalt an Stelle des Rechtes ſetzt. So iſt der unheilvollſte Krieg — ein Krieg Deutſcher gegen Deutſche — unvermeidlich geworden! Zur Verantwortung all des Unglücks, das er über einzelne, Familien, Gegenden und Länder bringen wird, rufe ich diejenigen, welche ihn herbeigeführt, vor den Richterſtuhl der Geſchichte und des ewigen allmächtigen Gottes.“
Immer der „Andere“ iſt der Kriegwünſchende. Immer dem „Anderen“ wird vorgeworfen, daß er Gewalt an Stelle des Rechtes ſetzen will. Warum iſt es denn überhaupt noch völkerrechtlich möglich, daß dies geſchehe? Ein „unheilvoller Krieg“, weil „Deutſche gegen Deutſche“. Ganz richtig: es iſt ſchon ein höherer Standpunkt, der über „Preußen“ und „Öſterreich“ den weiteren Begriff „Deutſchland“ erhebt — aber nur noch einen Schritt: und es wäre jene noch höhere Einheit erreicht, in deren Licht jeder Krieg — Menſchen gegen Menſchen, namentlich civiliſierte gegen civiliſierte — als unheilvoller Bruderkrieg erſcheinen müßte. Und vor den „Richterſtuhl der Geſchichte“ rufen — was nützt das? Die Geſchichte, wie ſie bisher geſchrieben wurde, hat noch niemals anders gerichtet, als daß ſie dem Erfolge huldigte. Derjenige, der aus dem Kriege als Sieger hervorgeht, vor dem fällt die hiſtorienſkribbelnde Gilde in den Staub und preiſt ihn als den Erfüller einer „Kulturmiſſion“. Und „vor dem Richterſtuhl Gottes, des Allmächtigen“? Ja, iſt es denn dieſer ſelber nicht, der ſtets als der Lenker der Schlachten hingeſtellt wird — geſchieht denn mit dem Ausbruch ſowohl als mit dem Ausgang jedes Krieges nicht eben dieſes Allmächtigen unverrückbarer Wille? O Widerſpruch über Widerſpruch! Ein ſolcher muß ſich eben überall einſtellen, wo unter Phraſen die Wahrheit verſteckt werden ſoll, wo man zwei einander aufhebende Prinzipien — wie Krieg und Gerechtigkeit, wie Völkerhaß und Menſchlichkeit, wie Gott der Liebe und Gott der Schlachten — nebeneinander gleich heilig halten will.
Und Benedek ſagt:
„Wir ſtehen einer Streitmacht gegenüber, die aus zwei Hälften zuſammengeſetzt iſt: Linie und Landwehr. Erſtere bilden lauter junge Leute, die, weder an Strapazen und Entbehrungen gewöhnt, niemals eine bedeutende Campagne mitgemacht haben. Letztere beſteht aus jetzt unzuverläſſigen, mißvergnügten Elementen, die lieber die eigene mißliebige Regierung ſtürzen, als gegen uns kämpfen möchten. Der Feind hat infolge langer Friedensjahre auch nicht einen einzigen General, der Gelegenheit gehabt hätte, ſich auf den Schlachtfeldern heranzubilden. Veteranen von Mincio und Paleſtro, ich denke, ihr werdet unter euren alten bewährten Führern es euch zur beſonderen Ehre rechnen, einem ſolchen Gegner auch nicht den leiſeſten Vorteil zu geſtatten. Der Feind prahlt ſeit langer Zeit mit ſeinem ſchnellen Kleingewehrfeuer — aber, Leute, ich denke, das ſoll ihm wenig Nutzen bringen. Wir werden ihm wahrſcheinlich keine Zeit dazu laſſen, ſondern ungeſäumt ihm mit Bajonett und Kolben auf den Leib gehen. Sobald mit Gottes Hilfe der Gegner geſchlagen und zum Rückzug gezwungen ſein wird, werden wir ihm auf dem Fuße verfolgen und ihr werdet in Feindesland euch ausraſten und diejenigen Erholungen im reichlichſten Maße in Anſpruch nehmen, die ſich eine ſiegreiche Armee mit vollſtem Rechte verdient haben wird.“
Prinz Friedrich Karl endlich ſpricht:
Soldaten! Das treuloſe und bundesbrüchige Öſterreich hat ohne Kriegserklärung ſchon ſeit einiger Zeit die preußiſchen Grenzen in Oberſchleſien nicht reſpektiert. Ich hätte alſo ebenfalls ohne Kriegserklärung die böhmiſche Grenze überſchreiten dürfen. Ich habe es nicht gethan. Heute habe ich eine betreffende Kundgebung überreichen laſſen und heute betreten wir das feindliche Gebiet, um unſer eigenes Land zu ſchonen. Unſer Anfang ſei mit Gott. (Iſt das derſelbe Gott, mit deſſen Hilfe Benedek verſprochen hat, den Feind mittels Bajonett und Kolben zurückzuſchlagen? …) Auf ihn laßt uns unſere Sache ſtellen, der die Herzen der Menſchen lenkt, der die Schickſale der Völker und den Ausgang der Schlachten entſcheidet. Wie in der heiligen Schrift geſchrieben ſteht: Laßt eure Herzen zu Gott ſchlagen und eure Fäuſte auf den Feind. In dieſem Kriege handelt es ſich — ihr wißt es — um Preußens heiligſte Güter und um das Fortbeſtehen unſeres teuren Preußens. Der Feind will es ausgeſprochenermaßen zerſtückeln und erniedrigen. Die Ströme von Blut, welche eure und meine Väter unter Friedrich dem Großen und wir jüngſt bei Düppel und auf Alſen vergoſſen haben, ſollten ſie umſonſt vergoſſen ſein? Nimmermehr! Wir wollen Preußen erhalten wie es iſt, und durch Siege kräftiger und mächtiger machen. Wir werden uns unſerer Väter würdig zeigen. Wir bauen auf den Gott unſerer Väter, der uns gnädig ſein und Preußens Waffen ſegnen möge. Und nun vorwärts mit unſerem alten Schlachtruf: Mit Gott für König und Vaterland. Es lebe der König!
Ende des erſten Bandes.