Gnädige Frau!
Ein Freund — vielleicht auch ein Feind gleichviel — ein Wiſſender, der ſich nicht nennen will, benachrichtigt Sie hierdurch, daß Sie betrogen werden. Auf die verräteriſchſte Weiſe betrogen. Ihr ſcheinheiliger Mann und Ihre unſchuldigthuende Freundin lachen Sie aus ob Ihres gutmütigen Vertrauens, Sie arme, verblendete Frau. Ich habe meine Gründe, den Beiden die Maske vom Geſicht zu reißen. Nicht aus Wohlwollen für Sie handle ich da, denn ich kann mir denken, daß dieſe Entlarvung zweier geliebter Weſen Ihnen eher Schmerz als Gewinn bringen wird — aber ich bin Ihnen nicht wohlwollend geſinnt. Vielleicht bin ich ſogar ein verſtoßener Anbeter, der ſich rächt … Was liegt am Motiv? Die Thatſache iſt da, und wenn Sie Beweiſe wollen, ſo kann ich Ihnen dieſelben liefern. Ohne Beweiſe würden Sie einem anonymen Brief ohnehin keinen Glauben ſchenken. Beifolgendes Billet hat Gräfin Gr*** verloren.“
Dieſe überraſchende Epiſtel lag eines ſchönen Frühlingsmorgen auf unſerem Frühſtückstiſch. Friedrich ſaß mir gegenüber, mit ſeiner Poſt beſchäftigt, während ich Obiges las und zehnmal wiederlas. Das dem verräteriſchen Schreiben beigelegte Billet war in einen Extra-Umſchlag verſchloſſen und ich zögerte, denſelben aufzureißen.
Ich ſchaute zu Friedrich auf. Er war in ein Morgenblatt vertieft, doch mußte er meinen auf ihn gerichteten Blick gefühlt haben, denn er ließ die Zeitung ſinken und mit ſeinem gewohnten lieben, lächelnden Ausdruck wandte er den Kopf zu mir:
„Nun, was gibt’s, Martha? Warum ſtarrſt Du mich ſo an?“
„Ich möchte wiſſen, ob Du mich noch lieb haſt?“
„Schon lange nicht mehr,“ ſcherzte er. „Eigentlich habe ich Dich nie recht leiden können.“
„Das glaube ich nicht.“
„Aber jetzt ſehe ich erſt — Du biſt ja ganz blaß! Haſt Du eine böſe Nachricht erhalten?“
Ich ſchwankte. Sollte ich ihm den Brief zeigen? Sollte ich vorher das Beweisſtück beſehen, welches ich noch immer unerbrochen in der Hand hielt? Die Gedanken ſchwirrten mir im Kopfe … Mein Friedrich, mein alles, mein Freund und Gatte, mein Vertrauter und Geliebter — könnte er mir verloren ſein? Untreu — er? Ach, ein momentaner Sinnentaumel, weiter nichts … War da in meinem Herzen nicht Nachſicht genug, um das zu verzeihen, zu vergeſſen, als nicht geſchehen zu betrachten? … Aber die Falſchheit! Wie, wenn auch ſein Herz ſich von mir abwendete, wie, wenn er die verführeriſche Lori lieber hatte als mich? …
„So ſprich doch — Du biſt ja ganz verſtummt … Zeige mir den Brief, der Dich ſo erſchreckt hat.“ Er ſtreckte die Hand darnach aus.
„Da haſt Du.“ Ich überließ ihm das ſchon geleſene Blatt; die Einlage behielt ich zurück.
Er überflog die angeberiſchen Zeilen. Mit einem zornigen Fluche zerknitterte er das Blatt und ſprang von ſeinem Sitze auf.
„Eine Infamie!“ rief er. „Und wo iſt das vermeintliche Beweisſtück?“
„Hier — noch uneröffnet. Friedrich, ſag’ nur ein Wort und ich werfe das Ding ins Feuer. — Ich will keine Beweiſe, daß Du mich betrogen haſt.“
„O Du meine Einzige!“ … Er war jetzt an meiner Seite und umſchlang mich ſtürmiſch — „mein Kleinod! Sieh mir in die Augen — zweifelſt Du an mir? Beweis, oder kein Beweis — genügt Dir mein Wort?“
„Ja,“ ſagte ich und warf das Papier in den Kamin.
„Es fiel aber nicht in die Flammen, ſondern blieb neben dem Roſte liegen. Friedrich hatte ſich darauf hingeſtürzt und hob es auf.
„Nein, nein, das dürfen wir nicht vernichten — ich bin zu neugierig … wir wollen es zuſammen anſehen. Ich erinnere mich nicht, je Deiner Freundin etwas geſchrieben zu haben, was auf ein Verhältnis ſchließen ließe — welches nie beſtanden hat.“
„Aber Du gefällſt ihr, Friedrich … Du brauchſt nur Dein Taſchentuch hinzuwerfen —“
„Glaubſt Du? … Komm, laß uns dieſes Dokument beſichtigen. — Richtig: meine Schrift! Ah, ſieh her, es ſind ja die zwei Zeilen, die Du mir ſelber vor einigen Wochen diktiert hatteſt, als Deine rechte Hand verwundet war:
„Meine Lori, komm, ich erwarte Dich mit Sehnſucht heute um 5 Uhr Nachmittag.
Martha (noch immer Krüppel).“
„Die Bedeutung der Klammer nach der Unterſchrift hat der Finder des Billets nicht verſtanden … Das iſt wirklich ein komiſches Quiproquo. Gottlob, daß dieſes prächtige Beweismaterial nicht verbrannt iſt — jetzt iſt meine Unſchuld am Tage. Oder haſt Du noch immer Verdacht?“
„Schon ſeitdem Du mir ins Auge geſehen haſt — nicht mehr. — Weißt Du, Friedrich, daß ich ſehr unglücklich geweſen wäre — Dir aber doch verziehen hätte. Lori iſt kokett, ſehr hübſch … Sag’ — hat ſie Dir nicht Avancen gemacht? — Du ſchüttelſt den Kopf … Nun freilich: hierin hätteſt Du ein Recht ja beinah’ die Pflicht, ſogar mich anzulügen — ein Mann darf weder angenommene noch verſchmähte Frauengunſt verraten.“
„Du würdeſt mir alſo eine Verirrung verzeihen? Biſt Du nicht eiferſüchtig?“
„Doch — auf herzquäleriſche Weiſe … Wenn ich Dich mir vorſtelle, einer Anderen zu Füßen, von den Lippen einer anderen Seligkeit nippend … gegen mich erkaltet — jedes Begehren erſtorben — das iſt mir ſchrecklich. Dennoch — das Erſterben Deiner Liebe fürchte ich nicht — Dein Herz wird unter keinen Umſtänden mehr gegen mich erkalten, deſſen fühle ich mich ſicher — unſere Seelen ſind ja ſo verſchlungen, aber —“
„Ich verſtehe. Du brauchſt mir aber durchaus nicht zuzumuten, daß ich für Dich fühle wie ein Ehemann nach der ſilbernen Hochzeit. Dazu ſind wir doch noch zu jung verheiratet — ſo weit das Feuer der Jugend (ich bin freilich ſchon vierzig Jahre alt) noch in mir lodert, brennt es für Dich. Du biſt mir das einzige Weib auf Erden. Und ſollte in der That noch einmal eine andere Verſuchung an mich herankommen — ich habe den feſten Willen, ſie von mir abzuwehren. Das Glück, welches in dem Bewußtſein liegt, den Treueſchwur bewahrt zu haben; die ſtolze Gewiſſensruhe, mit der man ſich ſagen kann, daß man den feſtgeſchlungenen Lebensbund in jeder Beziehung heilig gehalten — das alles finde ich zu ſchön, um es durch einen vorübergehenden Sinnentaumel vernichten zu laſſen. Du haſt überhaupt einen ſo vollſtändig glücklichen Menſchen aus mir gemacht, meine Martha daß ich über alles, was Berauſchung, was Luſt, was Vergnügen iſt, ſo erhaben bin, wie der Beſitzer von Goldbarren über den Gewinn von Kupfermünzen.“
Wie wonnig mir ſolche Worte ins Herz fielen. Ich war dem anonymen Briefſchreiber förmlich dankbar, daß er mir zu dieſem ſüßen Auftritt verholfen. Auch habe ich jedes Wort in die roten Hefte geſetzt. Hier kann ich die Eintragung noch nachleſen, unter dem Datum 1/4. 1865. Ach wie weit — wie weit liegt das alles zurück!
Friedrich hingegen war gegen den Verleumder höchlichſt aufgebracht. Er ſchwor, herauszubringen, wer das Machwerk verfaßt, um den Thäter gehörig zu ſtrafen.
Ich erfuhr noch am ſelben Tage, was Urſprung und Zweck des Schriftſtücks geweſen; den Erfolg desſelben — nämlich, daß Friedrich und ich uns nunmehr noch ein wenig näher gekommen — hatte der Urheber ſchwerlich vorausgeſehen.
Am Nachmittage ging ich zu meiner Freundin Lori, um ihr den Brief zu zeigen. Ich wollte ſie aufmerkſam machen, daß ſie einen Feind habe, von welchem ſie fälſchlich verdächtigt wurde, und wollte mit ihr über den Fall lachen, daß mein diktiertes Billet ſo mißdeutet worden.
Sie lachte mehr als ich geglaubt.
„Alſo biſt Du über den Brief erſchrocken?“
„Ja, tödlich. Und doch hätte ich beinahe das inliegende Billet ungeleſen verbrannt.“
„Da wäre ja der ganze Spaß mißlungen —“
„Welcher Spaß?“
„Du hätteſt am Ende noch geglaubt, daß ich Dich wirklich betrüge. Laß mich bei dieſer Gelegenheit Dir beichten, daß ich in einer verrückten Stunde — es war nach dem Diner bei Deinem Vater, wo ich neben Tilling ſaß, und weil ich zu viel Champagner getrunken hatte — daß ich da wirklich mein Herz ſo zu ſagen auf einem Präſentierteller ihm antrug —“
„Und er?“
„Und er mir noch rechtzeitig ſagte, daß er Dich über alles liebe und feſt entſchloſſen ſei, Dir bis zum Tode treu zu bleiben. Damit Du nun dieſes Phänomen deſto beſſer ſchätzen lernen mögeſt, iſt der ganze Spaß gemacht worden.“
„Von welchem Spaß redeſt Du nur immer?“
„Du weißt doch: nachdem der Brief ſamt Einlage von mir kommt —“
„Von Dir? … Ich weiß nichts.“
„Haſt Du denn das Begleitſchreiben nicht umgewendet? Sieh her: hier ſteht ja auf der Kehrſeite der Name und das Datum: Erſter April.