Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 31. Drittes Buch. 1864. // 5. Abſchnitt Es war ein herzzerreißender Abſchied, der dieſe letzten vierundzwanzig Stunden füllte … Das war nun das zweite Mal im Leben, daß ich einen teuren Gatten zu Felde ziehen ſah. Doch unvergleichlich ſchwerer war dieſe zweite Losreißung, als die erſte. Damals war meine und beſonders Arnos Auffaſſung eine ganz andere, primitivere geweſen: ich hatte das Ausrücken als eine alle perſönlichen Gefühle überwiegende Naturnotwendigkeit — er ſogar als eine freudige Ruhmesexpedition betrachtet. Er ging mit Begeiſterung, ich blieb ohne Murren. Noch haftete etwas von der Kriegsbewunderung an mir, die ich in meiner Jugenderziehung eingeſogen; noch fühlte ich dem Hinausſtürmenden etwas von dem Stolze nach, welchen er Angeſichts der großen Unternehmung empfand. Aber jetzt wußte ich, daß der Scheidende eher mit Abſcheu, denn mit Jubel an die Mordarbeit ging; ich wußte, daß er das Leben liebte, welches er auf’s Spiel ſetzen mußte; daß ihm über alles — ja, {alles}, auch über die Rechtsanſprüche des Auguſtenburgers — ſein Weib teuer war, ſein Weib, das in wenigen Tagen Mutter werden ſollte. Während ich bei Arno die Überzeugung gehabt, daß er mit Gefühlen ſchied, um die er immerhin zu beneiden war, erkannte ich, daß bei dieſer zweiten Trennung wir beide gleiches Mitleid verdienten. Ja, wir litten in gleichem Maße und wir ſagten und klagten es einander. Keine Heucheleien, keine leeren Troſtphraſen, keine Prahlworte. Wir waren ja eins und keines ſuchte das andere zu betrügen. Es war noch unſer beſter Troſt, daß jedes ſeine Troſtloſigkeit vom andern voll verſtanden wußte. Die Größe des über uns hereingebrochenen Unglückes ſuchten wir durch keine konventionellen, patriotiſchen und heroiſchen Mäntelchen und Lärvchen zu verhüllen. Nein — die Ausſicht, auf Dänen ſchießen und hauen zu dürfen, war ihm keine, gar keine Wettmachung des Leides, mich verlaſſen zu müſſen; im Gegenteile — eher eine Verſchärfung: denn Töten und Zerſtören widert jeden „Edelmenſchen“ an. Und mir war es kein, gar kein Erſatz für {mein} Leid, daß der Vielgeliebte etwa um eine Rangſtufe vorrücken könnte. Und falls das Unglück der gefährlichen Trennung noch zum Unglück der ewigen Trennung ſich ſteigerte — ſollte Friedrich fallen — ſo war mir die Staatsraiſon, wegen welcher dieſer Krieg geführt werden mußte, nicht im entfernteſten erhaben und heilig dünkend genug, um ſolches Opfer aufzuwiegen. — Vaterlandsverteidiger: das iſt der ſchön klingende Titel, mit welchem der Soldat geſchmückt wird. Und in der That: was kann es für die Glieder des Gemeinweſens für eine edlere Pflicht geben, als die, die bedrohte Gemeinſchaft zu {verteidigen}? Warum aber bindet dann den Soldaten ſein Fahneneid zu hundert anderen Kriegspflichten, als die der Schutzwehr? Warum muß er angreifen gehen, warum muß er — wo dem Vaterlande nicht der mindeſte Einfall droht — wegen der bloßen Beſitz- und Ehrgeizſtreitigkeiten einzelner fremder Fürſten, dieſelben Güter — Leben und Herd — einſetzen, als ob es ſich, wie es doch zur Rechtfertigung des Krieges heißt, um die Verteidigung des gefährdeten Lebens und Herdes handelte? Warum mußte hier zum Beiſpiel das öſterreichiſche Heer ausziehen, um den Auguſtenburger auf das fremde Thrönchen zu ſetzen? Warum — warum? — das iſt ein Fragwort, welches an Kaiſer oder Papſt zu richten, an ſich ſchon hochverräteriſch und läſterlich iſt, welches dort als Irreligioſität und hier als Illoyalität gilt und welches nie beantwortet zu werden braucht … Um zehn Uhr morgens ſollte das Regiment ausrücken. Wir waren die ganze Nacht aufgeblieben. Nicht eine Minute des uns noch beſchiedenen Zuſammenſeins hatten wir verlieren wollen. Es war ſo viel, was wir uns noch zu ſagen hatten, und doch ſprachen wir nur wenig. Küſſe und Thränen waren es zumeiſt, welche beredter als alle Worte ſagten: Ich hab’ Dich lieb und muß Dich laſſen. Dazwiſchen fiel auch wieder ein hoffnungsvolles Wort: „Wenn Du wiederkommſt“ … Es war ja möglich … es kommen ja ſo viele heim. Doch ſonderbar! ich wiederholte: „Wenn Du wiederkommſt“ und bemühte mich, mir das Entzückende dieſer Eventualität vorzuſtellen, aber vergebens: meine Einbildungskraft vermochte kein anderes Bild zu ſchaffen, als des Gatten Leiche auf der Wahlſtatt oder mich ſelber auf der Bahre mit einem toten Kind im Arm … Friedrich war von ähnlichen trüben Vermutungen erfüllt; denn ſein „Wenn ich wiederkomme“ klang nicht aufrichtig, und häufiger ſprach er von dem, was geſchehen ſollte, „wenn ich bleibe“. „Heirate kein drittes Mal, Martha! Verwiſche nicht durch neue Liebeseindrücke die Erinnerungen dieſes herrlichen Jahres … nicht wahr, es iſt eine glückliche Zeit geweſen?“ Wir ließen nun hundert kleine Einzelheiten, welche von unſerer erſten Begegnung bis zu dieſer Stunde ſich uns eingeprägt hatten, an unſerem Gedächtnis vorüberziehen. „Und mein Kleines, mein armes Kleines, das ich wohl nie an mein Herz drücken werde — wie ſoll es getauft werden? „Friedrich oder Friederike.“ „Nein — Martha iſt ſchöner. Wenn es ein Mädchen iſt, ſo nenne ich es mit dem Namen, den ſein ſterbender Vater zuletzt —“ „Friedrich — warum ſprichſt Du immer vom Sterben? Wenn Du wiederkommſt …“ „{Wenn} …“ wiederholte er. Als der Tag zu grauen begann, fielen mir die thränenmüden Augen zu. Ein leichter Schlummer ſenkte ſich auf uns beide; mit verſchlungenen Armen lagen wir da, ohne das Bewußtſein zu verlieren, daß dies unſere Scheideſtunde war. Plötzlich fuhr ich auf und brach in lautes Stöhnen aus. Friedrich erhob ſich raſch. „Um Gotteswillen, Martha, was iſt Dir? … Doch nicht? … So ſprich … Etwa? …“ Ich nickte bejahend. War es ein Schrei, oder ein Fluch, oder ein Stoßgebet, das ſich ſeinen Lippen entrang? Er riß die Glocke und gab Alarm: „Augenblicklich zum Arzt, zur Wärterin!“ rief er der herbeigeeilten Dienerin zu. Dann warf er ſich an meine Seite knieend nieder und küßte meine herabhängende Hand: „Mein Weib, mein alles! … Und jetzt — {jetzt} muß ich fort!“ Ich konnte nicht ſprechen. Der heftigſte phyſiſche Schmerz, den man ſich vorſtellen kann, wand und krümmte meinen Leib und dabei war das Seelenweh doch noch entſetzlicher, daß er „jetzt, jetzt fort mußte“ und daß er darüber ſo unglücklich war … Bald kamen die Gerufenen herbei und machten ſich um mich zu ſchaffen. Zu gleicher Zeit mußte Friedrich die letzte Vorbereitung zum Abmarſch treffen. Nachdem er damit fertig geworden: „Doktor, Doktor,“ rief er, den Arzt bei beiden Händen faſſend, „nicht wahr — Sie verſprechen mir — Sie bringen ſie durch? Und Sie telegraphieren mir heute noch dort- und dahin? Er nannte die Stationen, welche er auf der Reiſe berühren ſollte. „Und wenn eine Gefahr wäre … Ach, was hilft’s? unterbrach er ſich ſelber — „wenn auch die Gefahr die äußerſte wäre, könnte ich denn zurück?“ „Es iſt hart, Herr Baron,“ beſtätigte der Arzt. „Aber ſeien Sie unbeſorgt — die Patientin iſt jung und kräftig … heut’ abend iſt alles überſtanden und Sie erhalten beruhigende Depeſchen.“ „Ja, Sie werden mir auf jeden Fall günſtig berichten, da ja das Gegenteil nichts nützen könnte … Ich {will} aber die Wahrheit! Hören Sie, Doktor, ich verlange Ihren heiligſten Ehreneid darauf: die {ganze} Wahrheit! Nur unter dieſer Vorausſetzung kann eine beruhigende Nachricht mich wirklich beruhigen — ſonſt halte ich alles für Lüge. Alſo ſchwören Sie.“ Der Arzt leiſtete das verlangte Verſprechen. „O, mein armer, armer Mann“ — ſchnitt es mir durch die Seele. — „Wie, wenn du heute noch die Nachricht erhältſt, deine Martha liege im Sterben und darfſt nicht umkehren, ihr die Augen zuzudrücken … Du haſt wichtigeres zu thun: es gilt des Auguſtenburgers Thronanſprüche. — Friedrich!“ rief ich laut. Er flog an meine Seite. Im ſelben Augenblick ſchlug die Uhr. Wir hatten nur noch ein paar Minuten Zeit. Aber auch um dieſe letzte Friſt wurden wir betrogen, denn wieder erfaßte mich ein Anfall, und ſtatt der Abſchiedsworte konnte ich nur Schmerzenslaute ausſtoßen. „Gehen Sie, Herr Baron, brechen Sie dieſen Auftritt ab,“ ſagte der Arzt. „Solche Erregung iſt für die Kranke gefährlich.“ Noch ein Kuß und er ſtürzte hinaus … mein Wimmern und des Doktors letztes nachklingendes Wort „gefährlich“ gaben ihm das Geleite. In welcher Stimmung mag er wohl geſchieden ſein? Darüber gab das Olmützer Lokalblättchen am nächſten Tage Beſcheid: Geſtern verließ das —te Regiment unter klingendem Spiel und mit flatternden Fahnen unſere Stadt, um ſich in den meerumſchlungenen Bruderlanden grüne Lorbeeren zu holen. Helle Begeiſterung erfüllte die Reihen, man ſah den Leuten die Kampfesfreude aus den Augen leuchten u.ſ.w., u.ſ.w. … 32. Drittes Buch. 1864. // 6. Abſchnitt