Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 28. Drittes Buch. 1864. // 2. Abſchnitt Am 10. Januar kehrten wir nach Olmütz zurück. Niemand zweifelte mehr an dem Ausbruch des Krieges. In Wien hatte ich noch vereinzelte Stimmen vernommen, welche meinten, daß die däniſch-holſteiniſche Frage vielleicht doch noch auf diplomatiſchem Wege beigelegt werden könne; aber in den militäriſchen Kreiſen unſerer Feſtungsbeſatzung galt die Friedensmöglichkeit für ausgeſchloſſen. Unter den Offizieren und ihren Frauen herrſchte eine aufgeregte, aber zumeiſt freudig aufgeregte Stimmung: Gelegenheit zu Auszeichnung und Avancement in Sicht — zur Befriedigung des Thatendurſtes des einen, des Ehrgeizes des zweiten, des Gage-Erhöhungsbedürfniſſes des dritten. „Das iſt ein famoſer Krieg, der ſich da vorbereitet,“ ſagte der Oberſt, bei dem wir nebſt mehreren anderen Offizieren ſamt Gemahlinnen zu Tiſche geladen waren, „ein famoſer Krieg, der auch ungeheuer populär ſein wird. Keine Gefahr für unſer Territorium — auch der Landbevölkerung erwächſt kein Schaden, denn der Kriegsſchauplatz liegt auf fremdem Gebiet. Unter ſolchen Umſtänden iſt es wirklich eine doppelte Luſt ſich zu ſchlagen.“ „Was mich daran begeiſtert,“ ſagte ein junger Oberlieutenant, „iſt das edle Motiv: unterdrückte Rechte unſerer Brüder verteidigen. Daß die Preußen mit uns gehen, oder vielmehr wir mit ihnen, das ſichert erſtens den Sieg und zweitens wird es die nationalen Bande noch enger verknüpfen. Die Nationalitätsidee —“ „Reden Sie lieber nichts von der,“ unterbrach der Regimentschef etwas ſtrenge. „Für einen Öſterreicher ſchickt ſich dieſer Schwindel nicht wohl. Der war’s, der uns den 59er Krieg heraufbeſchworen hat, denn auf dieſem Steckenpferd, „ein italieniſches Italien“, iſt ja Louis Napoleon ſtets herumgeritten. Und überhaupt paßt dieſes ganze Prinzip nicht für Öſterreich; Böhmen, Ungarn, Deutſche, Kroaten — wo iſt da das Nationalitätsband? Wir kennen nur ein Prinzip, das uns vereint, das iſt die loyale Liebe zu unſerer Dynaſtie. Was uns alſo begeiſtern ſoll, wenn wir zu Felde ziehen, iſt nicht der Umſtand, daß wir für Deutſche und mit Deutſchen kämpfen, ſondern daß wir unſerem erhabenen und geliebten Kriegsherrn Heeresfolge leiſten dürfen. {Es lebe der Kaiſer!}“ Alle erhoben ſich und thaten ſtehend Beſcheid. Ein Funken Begeiſterung fiel auch mir ins Herz und erfüllte es — einen Augenblick aufflammend — mit wohlthuender Wärme. Eine und dieſelbe Sache, eine und dieſelbe Perſon lieben, wenn man Tauſend iſt, das gibt eine eigentümliche, vertauſendfachte Hingebungsluſt … Das iſt’s, was als Loyalität, als Patriotismus, als Korpsgeiſt die Herzen ſchwellt. Es iſt nichts anderes als Liebe, und die wirkt ſo mächtig, daß einem das in ihrem Namen gebotene Werk des Haſſes — das allerſcheußlichſte Werk des tödlichſten Haſſes, der Krieg — als erfüllte Liebespflicht erſcheint. Aber nur einen Augenblick hatte es in meinem Herzen ſo geglüht, denn eine ſtärkere Liebe als die zu allen erdenklichen Vaterländern und Landesvätern ruhte in deſſen Grunde — die Liebe zu meinem Mann. {Sein} Leben war mir doch das höchſte aller Güter, und wenn dieſes aufs Spiel geſetzt werden ſollte, konnte ich die Partie — gelte es nun Schleswig-Holſtein oder Japan — nur verwünſchen. Die jetzt folgende Zeit lebte ich in unerhörtem Bangen. Am 16. Januar ſtellten die Bundesmächte an Dänemark das Anſinnen, ein gewiſſes Geſetz, gegen welches die holſteiniſche Ständeverſammlung und Ritterſchaft den Schutz des Bundes anrief, aufzuheben, und zwar innerhalb vierundzwanzig Stunden. Dänemark verweigerte dies. Wer wird auch ſo ſich befehlen laſſen? Dieſe Weigerung war natürlich vorausgeſehen worden, denn ſchon ſtanden preußiſche und öſterreichiſche Truppen an den Grenzen poſtiert, und am 1. Februar überſchritten ſie die Eider. So waren denn die blutigen Würfel wieder gefallen — die Partie begann. Dies veranlaßte meinen Vater einen Gratulationsbrief an uns zu richten. „Freut Euch, Kinder,“ ſchrieb er. „Jetzt haben wir doch Gelegenheit, die erhaltenen Schläge von 59 wieder gut zu machen, indem wir den Dänen Schläge geben. Wenn wir von Norden ſiegreich heimkehren, ſo können wir uns auch wieder nach Süden wenden: die Preußen bleiben unſere Alliirten, und dann können uns die ſchäbigen Italiener ſamt ihrem intriganten Louis Napoleon nicht mehr aufkommen.“ Friedrichs Regiment, zur großen Enttäuſchung des Oberſten und des Offizierkorps, war nicht zur Grenze entſendet worden. Dies brachte uns ein väterliches Kondolenzſchreiben ein: „Ich bedaure aufrichtig, daß Tilling das Pech hat, gerade bei einem Regiment zu dienen, welches nicht berufen war, den ſo glorreich ſich anlaſſenden Feldzug zu eröffnen; übrigens beſteht ja immer noch die Möglichkeit, daß es zum Nachrücken beſtimmt werde, Martha wird der Sache freilich die gute Seite abgewinnen und ſich freuen, daß ihr die Angſt um den geliebten Mann erſpart bleibt, und auch Friedrich iſt eingeſtandenermaßen ſelber kein Freund des Krieges; aber ich denke, er iſt nur im Prinzip dagegen, das heißt: es wäre ihm aus ſogenannten ‚humanitären‘ Gründen lieber, wenn es zu keiner Schlacht käme; {iſt} es aber einmal dazu gekommen, ſo wollte er wohl auch lieber dabei ſein, da regt ſich wohl die männliche Kampfesluſt. Es ſollte wirklich immer die {ganze} Armee gegen den Feind geſchickt werden; in ſolchen Zeiten zu Hauſe bleiben zu müſſen, iſt für den Soldaten doch gar zu hart.“ „Trifft es Dich hart, mein Friedrich, bei mir zu bleiben?“ fragte ich, nachdem ich den Brief geleſen. Er drückte mich an ſein Herz. Dieſe ſtumme Antwort genügte mir. Aber was half’s? Um meine Ruhe war es doch geſchehen. Jeden Tag konnte der Marſchbefehl kommen. Würde der unſelige Krieg nur ſchnell zu Ende geführt! … Mit größtem Eifer las ich in den Zeitungen die Berichte vom Kriegsſchauplatz und wünſchte heiß, daß die Verbündeten raſche und entſcheidende Siege erföchten. Ich geſtehe es, der Wunſch war nicht vor allem ein patriotiſcher. Lieber war es mir immerhin, wenn der Sieg auf unſerer Seite blieb; aber was ich von dieſem erhoffte, war die Beendigung des Kampfes, ehe mein Alles in der Welt dahin entſendet werde, in zweiter Linie erſt der Triumph meiner Landsleute und in allerletzter Linie die Intereſſen des „meerumſchlungenen“ Stück Landes. Ob nun Schleswig zu Dänemark gehörte, oder nicht, was in aller Welt konnte mich das anfechten? Und ſchließlich — was focht es die Dänen und die Schleswig-Holſteiner ſelber an? Sahen denn die beiden Völker nicht ein, daß es nur ihre Lenker waren, welche um Land- und Machtbeſitz ſich ſtritten, daß es in dieſem Falle zum Beiſpiel nicht um ihr Wohl und Wehe, ſondern um die Gelüſte des Protokoll-Prinzen und des Auguſtenburgers ſich handelte? Wenn mehrere Hunde um ein paar Knochen ſich raufen, ſo zerfleiſchen einander doch nur die Hunde; in der Völkergeſchichte ſind es aber meiſt die dummen Knochen ſelber, welche auf einander losſchlagen und ſich gegenſeitig zertrümmern, um für die Rechte der ſie begehrenden Streiter zu kämpfen. „Mich will Azor haben“ — und „Auf mich hat Pluto Anſpruch“ — „Ich proteſtiere gegen Karo’s Fänge“ und „Ich rechne es mir zur Ehre, von Minka gefreſſen zu werden,“ ſagen die Knochen. „Dänemark bis zur Eider,“ riefen die däniſchen Patrioten. „Wir wollen Friedrich von Auguſtenburg zum Herzog,“ riefen die Loyalen von Holſtein. Unſere Zeitungsartikel und Geſpräche unſerer Kannegießer waren natürlich alle von dem Grundſatz durchdrungen, daß die Sache für welche „Wir“ eingetreten, die gerechtere, die einzig „hiſtoriſch entwickelte“, die einzig für Erhaltung des „europäiſchen Gleichgewichts“ erforderliche war. Natürlich wurde in den Leitartikeln und den politiſchen Unterhaltungen in Kopenhagen das gegenteilige Prinzip mit gleichem Nachdruck verfochten. Warum nicht gegenſeitig die Rechte abwägen, um ſich zu verſtändigen, und wenn dies nicht gelingt, eine dritte Macht zum Schiedsrichter machen? Warum nur immer beiderſeitig ſchreien. „Ich — {ich} bin im Rechte.“ So gar gegen die eigene Überzeugung ſchreien, ſo lange, bis man ſich heiſer geſchrien, und losſchlägt — die Entſcheidung der {Gewalt} überlaſſend? Iſt das nicht Wildheit? Und wenn nun eine dritte Macht ſich in den Streit miſcht, ſo thut auch ſie es nicht mit Rechtserwägung und Urteilsſpruch, ſondern gleichfalls mit Dreinſchlagen? … Und das nennen die Leute „äußere Politik?“ Äußere und innere Rohheit iſt es — ſtaatskluge Schildbürgerei — internationale Barbarei — — — 29. Drittes Buch. 1864. // 3. Abſchnitt