Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 27. Drittes Buch. 1864. // 1. Abſchnitt Wir blieben noch vierzehn Tage in Wien. Es war aber keine fröhliche Urlaubszeit für mich. Dieſes fatale „Krieg in Sicht“, welches nunmehr alle Zeitungen und alle Geſpräche ausfüllte, benahm mir jede Lebensfreudigkeit. So oft mir etwas von den Dingen einfiel, aus welchen mein Glück zuſammengeſetzt war — vor allem der Beſitz des mir täglich teurer werdenden Gatten, — ſo oft mußte ich auch an die Unſicherheit denken, an die unmittelbare Gefahr, welche der in Ausſicht ſtehende Krieg über mein Glück verhängte. Ich konnte desſelben, wie man zu ſagen pflegt, „nicht froh werden.“ Der Zufälligkeiten von Krankheit und Tod, von Feuersbrunſt und Überſchwemmungen — kurz, der Natur- und Elementardrohungen giebt es genug; aber man hat ſich gewöhnt, nicht mehr daran zu denken, und lebt trotz dieſer Gefahren in einem gewiſſen Stabilitätsbewußtſein. Doch wozu haben die Menſchen ſich auch noch willkürlich ſelbſt verhängte Gefahren geſchaffen, und ſo den ohnehin vulkaniſchen Boden, auf den ihr Erdenglück gebaut iſt, noch eigenmächtig und mutwillig in künſtliches Schwanken verſetzt! Zwar haben ſich die Leute daran gewöhnt, auch den Krieg als Naturereignis zu betrachten und ihn als vertragsaufhebend in einer Linie mit Erdbeben und Waſſernot zu nennen — daher auch ſo wenig als möglich daran zu denken. Aber ich konnte mich in dieſe Auffaſſung nicht mehr finden. Jene Frage: „Muß es denn ſein?“ von welcher einſt Friedrich geſprochen, die hatte ich mir mit Bezug auf den Krieg oft mit „nein“ beantwortet; und ſtatt Reſignation empfand ich dann Schmerz und Groll — ich hätte ihnen allen zurufen wollen: „Thut es nicht! — thut es nicht!“ Dieſes Schleswig-Holſtein und die däniſche Verfaſſung — was ging denn das uns an? Ob der „Protokoll-Prinz“ die Grundgeſetze vom 13. November 1863 aufhob oder beſtätigte — was war denn das uns? Aber da waren alle Blätter und Geſpräche nur immer voll von Erörterungen über dieſe Frage, als wäre das das Wichtigſte, Entſcheidendſte, Weltumwälzendſte, was ſich denken läßt, ſodaß die Frage: „Sollen unſere Männer und Söhne totgeſchlagen werden oder nicht?“ daneben gar nicht aufkommen durfte. Nur einigermaßen verſöhnen, wenn mir nämlich der Begriff „Pflicht“ ſo recht vor die Seele trat. Nun ja: — wir gehörten zum deutſchen Bunde und mit den verbündeten deutſchen Brüdern im Verein mußten wir für die Rechte unterdrückter deutſcher Brüder kämpfen. Das Nationalitätsprinzip war vielleicht doch etwas, das mit elementarer Kraft Bethätigung erheiſchte — von dieſem Standpunkte aus alſo {mußte} es ſein … Beim Anklammern an dieſe Idee ließ der ſchmerzliche Groll in meiner Seele ein wenig nach. Hätte ich vorausſehen können, wie zwei Jahre ſpäter dieſe ganze deutſche Verbrüderung in bitterſte Feindſchaft ſich auflöſen ſollte; wie dann der Preußenhaß in Öſterreich noch viel wütender angefacht würde, als jetzt der Dänenhaß — ſo hätte ich damals ſchon erkannt, wie ich das ſeither erkennen gelernt, daß die Motive, die als Rechtfertigung der Feindſeligkeiten angeführt werden, nichts als Phraſen ſind, Phraſen und Vorwände. Den Sylveſterabend verbrachten wir wieder im Hauſe meines Vaters. Mit dem Schlage zwölf erhob dieſer ſein Punſchglas: „Möge der Feldzug, welcher uns in dem neugeborenen Jahre bevorſteht, ein für unſere Waffen glorreicher werden“ — ſprach er feierlich; — ich ſtellte mein ſchon erhobenes Glas auf den Tiſch zurück — „und mögen unſere Lieben uns erhalten bleiben!“ beſchloß er. Jetzt erſt that ich Beſcheid. „Warum haſt Du bei der erſten Hälfte meines Toaſtes nicht angeſtoßen, Martha?“ „Weil ich von einem Feldzug nichts anderes wünſchen kann, als daß er — unterbleibe.“ Als wir ins Hotel und in unſer Schlafzimmer zurückgekehrt waren, warf ich mich Friedrich um den Hals. „Mein Einziger! Friedrich! Friedrich!!“ Er drückte mich ſanft an ſich: „Was haſt Du, Martha? Du weinſt … heute in der Neujahrsnacht? Warum denn das junge 1864 mit Thränen einweihen, mein Liebling? Biſt Du denn nicht glücklich? Habe ich Dich irgendwie gekränkt?“ „Du? O nein, nein, — nur zu glücklich machſt Du mich, viel zu glücklich — und deshalb iſt mir bang.“ „Abergläubiſch, meine Martha? Stellſt Du Dir auch neidiſche Götter vor, welche zu ſchönes Menſchenglück zerſtören?“ „Nicht die Götter — die unſinnigen Menſchen ſelber beſchwören das Unglück auf ſich herab.“ „Du ſpielſt auf den möglichen Krieg an? Es iſt ja noch nichts entſchieden, wozu denn der frühzeitige Kummer? Wer weiß, ob es zum Kampfe kommt, wer weiß, ob ich mitgehen muß? … Komm her, mein Liebling, ſetzen wir uns“ — er zog mich neben ſich auf das Sofa — „verſchwende Deine Thränen nicht an eine bloße Möglichkeit.“ „Schon die Möglichkeit iſt mir ſchmerzlich. Wäre es Gewißheit, Friedrich, ich würde nicht ſanft und ſtill an Deiner Schulter weinen — ich müßte laut aufſchreien und aufjammern … Aber die Möglichkeit, die Wahrſcheinlichkeit, daß in dem anbrechenden Jahre Du mir durch Armeebefehl aus den Armen geriſſen würdeſt — die genügt ſchon, mich in Bangen und Trauer zu verſetzen.“ „Bedenke, Martha, Du gehſt ja auch ſelber einer Gefahr entgegen — wie mir dies Dein Weihnachtsgeſchenk ſo lieb verkündet hat — und doch denken wir beide nicht an die grauſe Möglichkeit, die jeder Frau im Wochenbette beinahe ebenſo häufig droht, wie jedem Manne auf dem Schlachtfelde … Freuen wir uns des Lebens und denken wir nicht an den über unſer aller Häupter ſchwebenden Tod.“ „Du ſprichſt ja wie Tante Marie, Liebſter — als ob unſer Loos nur von der „Beſtimmung“ abhinge und nicht von den Unvorſichtigkeiten, Grauſamkeiten, Wildheiten und Dummheiten unſerer eigenen Mitmenſchen. Wo liegt die unabwendbare Notwendigkeit dieſes Krieges mit Dänemark?“ „Noch iſt derſelbe nicht ausgebrochen, noch —“ „Ich weiß, ich weiß: — noch können Zufälligkeiten das Übel verhüten. Aber nicht der Zufall, nicht politiſche Ränke und Launen ſollten über eine ſolche Schickſalsfrage entſcheiden, ſondern der feſte, aufrichtige {Wille} der Menſchen. Doch was nützt mein „es ſollte nicht“ und „es ſollte“ — ich kann die Ordnung der Dinge nicht ändern, nur darüber klagen. Aber darin hilf mir, Friedrich — verſuche nicht, mit den landläufigen leeren Ausflüchten mich zu tröſten! Du glaubſt ſelber nicht daran — Du ſelbſt erbebſt vor edlem Widerwillen … Nur darin finde ich Genugthuung, wenn Du mit mir verdammſt und beklagſt, was mich und unzählige Andere ſo unglücklich machen ſoll.“ „Ja, mein Herz, wenn es hereinbricht, das Verhängnis, dann will ich Dir recht geben; dann will ich Dir den Schauder und den Haß nicht verhehlen, den mir der anbefohlene Völkermord einflößt … Aber heute laß uns noch des Lebens froh ſein … Wir haben einander ja — nichts trennt uns … nicht die geringſte Schranke zwiſchen unſeren Seelen! Laß uns dieſes Glück genießen — ſo lange es unſer iſt — mit Inbrunſt genießen … Denken wir nicht an die angedrohte Zerſtörung desſelben … Ewig kann ja keine Freude dauern. In hundert Jahren iſt’s doch einerlei, ob wir lang oder ob wir kurz gelebt. Auf die Zahl der ſchönen Tage kommt es ſchließlich nicht an, ſondern auf den Grad ihrer Schönheit. Die Zukunft bringe was ſie wolle, mein vielgeliebtes Weib — unſere Gegenwart iſt ſo ſchön, ſo ſchön, daß ich jetzt nichts fühlen mag, als ſeliges Entzücken.“ Während er ſo ſprach, ſchlang er ſeinen Arm um mich und küßte mein an ſeiner Bruſt ruhendes Haupt. Da ſchwand auch mir die drohende Zukunft aus dem Bewußtſein und auch ich verſenkte mich in den ſüßen Frieden des Augenblickes. 28. Drittes Buch. 1864. // 2. Abſchnitt