Einen Augenblick noch blieb Harda wie betäubt ſitzen. Dann war es ihr klar, was das bedeutete, nur bedeuten konnte. Die Stimmen rührten von andern Idonen her, die jetzt im Laboratorium entdeckt hatten, was Eynitz geſtern getan, um Material für ſeinen Bericht zu ſichern. Sie kamen zu ihrem Verſammlungsplatze, zur Stammutter Bio, um den Genoſſen zu melden, was geſchehen. Es war natürlich, daß ſie die Menſchen für ihre tätlichen Feinde halten mußten, für Verbrecher. Werner Eynitz ein Verbrecher! Und ſie ſelbſt, Harda! Und ſie konnten doch nicht anders handeln. Aber was würden die Idonen tun, was wollten ſie? Sich rächen? Fürchterlich! Sie konnten es, gewiß, die Unſichtbaren. Wo waren ſie?
Harda ſprang entſetzt empor. Die Gefährlichkeit der Lage war ihr auf einmal klar geworden. Sie blickte ängſtlich um ſich her — — Rings alles ſo ſtill, ſo friedlich. Kein Laut als das leiſe Summen der Inſekten. Die hohe Buche ſtand vom Efeu umſchlungen in milder Ruhe, freundlich blitzte durch ihr grünes Laub hie und da der lichte Himmel herein. Und hier, zwiſchen den Äſten, auf dem Platze umher, da ſollte ein rachſüchtiger Feind lauern und beratſchlagen, was er jetzt gegen ſie, gegen ihn, vielleicht gegen die Menſchen überhaupt Verderbliches unternehmen könne? War denn das wirklich? War das nicht nur eine Ausgeburt ihrer erregten Phantaſie?
So ſprich doch, Efeu, ſprich weiter, ſage mir, was du wollteſt, was die — die Idonen — Ja, das Wort war ihr deutlich im Gedächtnis! Idonen und Bio und Ebah, wie der Efeu hieß! Das alles ſollte ſie auch geträumt haben? Wenn doch der Efeu noch einmal reden wollte, ſie würde ihn nach einer Auskunft fragen, die ſie, Harda, ſich unmöglich ſelbſt geben konnte, und wenn dann die Antwort zuträfe, ſo wäre ja die Realität bewieſen. Aber freilich die Antwort des Efeus konnte ſie nur verſtehen, wenn ein Idone auf ihrem Haupte ſaß. Sollte ſie das nochmals verſuchen?
Schon machte ſie eine Bewegung, um ſich wieder vor ihren Brief zu ſetzen. Aber nein! Das ging ja nicht. Das hieße ſich den Idonen geradezu ausliefern, wenn ſie wirklich hier herumſchwärmten. Und nach allem, was ſie erlebt hatte, konnte ſie doch gar nicht an der Exiſtenz dieſer intelligenten Weſen zweifeln. Höchſtens die Übermittlung der Pflanzenſprache mochte ſubjektive Täuſchung ſein, obgleich ſie an der Fähigkeit der Idonen, auf ihr Gehirn zu wirken, nicht zweifelte; das Daſein der Idonen dagegen war objektiv bewieſen, ſelbſt von Werner! Sie durfte ſich dieſe Weſen nicht nahe kommen laſſen, wie verlockend auch der Gedanke war, etwas über ihre Pläne zu erfahren. Aber dieſe würden ſie ihr doch nicht verraten.
Noch ſtand ſie unentſchloſſen, als ſich vor ihren Augen der Briefbogen auf dem Tiſche zu bewegen begann. Nicht wie von einem Windhauch, — es war vollſtändig windſtill — ſondern ganz langſam hob ſich die eine Ecke wie von unſichtbaren Fingern erfaßt, während das Blatt auf dem Tiſche nachſchleifte.
Starr vor Schreck blickte Harda auf die Erſcheinung. Da ſah ſie, daß auch die Bogen unter ihrem Hute auf der Bank ſich vorſchoben, und zugleich ſchien es ihr, als ob ihr Haar geſtreift würde. Jetzt raffte ſie ſich zuſammen, ſie ergriff das ſchon ſchwebende Blatt auf dem Tiſche und zog es raſch an ſich, wobei die obere Ecke abriß, in der freien Luft zurückblieb und dann langſam herabflatterte. Zugleich ſtürzte ſie ſich auf die Bogen, die auf der Bank lagen, und die ſie ebenfalls mit einiger Kraftanſtrengung einem unbekannten Weſen entreißen mußte, warf alles in ihre Schreibmappe, die ſie zuklappte, und entfloh, alles andere im Stich laſſend, mit ſchnellen Schritten dem gefährlichen Orte. Sie ſprang den Weg nach dem Stege hinab, nur in dem Gefühl, den unheimlichen Unſichtbaren entrinnen zu müſſen, und erſt kurz vor der Brücke hielt ſie an, um ſich erſchöpft auf einen Stein zu ſetzen. Nun erſt begann ſie nachzudenken.
Was ſollte ſie tun? Wo war ſie überhaupt vor dieſem Feinde ſicher? Wohin fliehen? Nach ihrem Zimmer? Dort hatte ſie den erſten Anfall gehabt. Unter Menſchen? Das konnte ſie jetzt nicht. O Gott! Sie mußte zunächſt zu ihm, dem die größte Gefahr drohte, ſie mußte ihn benachrichtigen. Aber wie? Würde er noch im Laboratorium ſein? Sie mußte nachſehen. Dort war er jetzt vielleicht am ſicherſten, denn die Idonen ſchienen ja dieſe ihnen gefährliche Stätte verlaſſen zu haben. Mit der Mappe in der Hand, ohne Hut, machte ſie ſich auf den Weg, durch den Park und hinter dem Hauſe herum, in dem Wunſche, möglichſt jeder Begegnung auszuweichen.
Sie wurde auch vom Hauſe aus gar nicht bemerkt, nur in der Fabrik begegnete ihr der Poſtbote, der ſich dieſes abgekürzten Weges bedienen durfte, um die Privatkorreſpondenz in der Villa abzugeben.
„Schon die zweite Poſt?“ ſagte ſich Harda. „Iſt es wirklich ſchon ſo ſpät?“
Der Briefträger blieb ſtehen, als er ſie erblickte, und ſuchte aus den Briefſchaften, die er in der Hand hielt, einige Druckſachen und einen Brief heraus, die er ihr entgegenhielt.
„Etwas für Sie, Fräulein Kern,“ ſagte er.
„Danke ſchön, Herr Beck!“
In ihrer Eile nahm ſich Harda gar nicht Zeit, nach den Poſtſachen zu ſehen, ſie ſteckte ſie in ihre Mappe und lief nach dem Laboratorium. Der Diener ſah ſie kommen und hielt ſchon den Schlüſſel bereit.
„Der Herr Doktor iſt nicht mehr da,“ ſagte er. „Aber er hat eine Nachricht oben für das gnädige Fräulein zurückgelaſſen.“
Harda nickte, ſprang die Treppe hinauf und öffnete die Tür. Sie legte ihre Mappe auf den nächſten Tiſch und ſah zunächſt nach, ob alle Fenſter geſchloſſen ſeien — nein, eines ſtand auf, ſie verriegelte es. Die Furcht vor den Idonen beherrſchte ſie. Dann erſt ergriff ſie den an auffallender Stelle liegenden Brief von Eynitz und riß ihn auf. Sie las:
„Hochverehrtes Fräulein. Zu meinem großen Bedauern iſt es mir nicht möglich, Ihr Eintreffen abzuwarten, da ich fürchte, daß ich heute überhaupt nicht mehr die Freude werde haben können, Sie zu ſprechen. Ich werde zu einer Frau gerufen, wo ich wahrſcheinlich bis über Mittag zu tun habe, dann hat ſich eine ſchwere Operation im ſtädtiſchen Krankenhauſe und nachher eine gerichtliche Sektion in Moosdorf nötig gemacht, alles Dinge, von denen ich geſtern nichts wiſſen konnte. Nehmen Sie dazu, daß ich dann noch meine geſamte Privatpraxis zu erledigen habe, ſo werden Sie begreifen, daß ich erſt am ſpäten Abend zu unſerer Arbeit zurückkehren kann. Ich habe aber heute ſchon das Wichtigſte getan. Der Bericht iſt bis auf die Begleitſchreiben fertig und liegt im Schrank. Haben Sie doch die Güte, ihn durchzuleſen. Morgen früh kann dann alles expediert werden.
Im Laboratorium iſt alles in Ordnung, die Gefangenen ſind noch da, und über die Sporangien, deren Entwicklung im Laufe der nächſten vierundzwanzig Stunden zu erwarten iſt, habe ich die Fangapparate angebracht.
Auf Wiederſehen, wie ich hoffe, morgen früh. In aufrichtigſter Ergebenheit Ihr Werner Eynitz.“
Harda ſeufzte leiſe. Es war ja doch eine Enttäuſchung, daß ſie ihn heute nicht ſehen ſollte. Das wollte ſie ſich gar nicht verhehlen. Und über das letzte Abenteuer mit den Idonen hätte ſie ſo gern ſeine Anſicht vernommen. Sie ängſtigte ſich vor ihrer Rache. Schon einmal hatten ſie ihn durch ihren beizenden Saft verletzt, konnten ſie ihn nicht im Schlafe — o Gott, ſie ſchauderte in dem Gedanken. Aber er würde ſie wahrſcheinlich ausgelacht haben.
Immerhin durfte ſie etwas ruhiger ſein. Vorläufig hatte er nichts zu befürchten. Und hier im Laboratorium ſchienen ſich gegenwärtig keine freien Idonen zu befinden. Hier war ſie wohl auch ſelbſt am ſicherſten und am wenigſten geſtört. Nun hatte ſie noch Zeit, ſich zu überlegen, wieviel ſie von ihrer Unterredung mit Ebah mitteilen ſollte. Und der Brief an Geo, der mußte poſtfertig gemacht werden.
Schon halb elf? Nun, noch zwei Stunden, da konnte noch viel getan werden. Wenn der Brief bis ein Uhr in den Kaſten kam, ſo erhielt ihn Geo noch heute mit der letzten Poſt.
Harda holte zunächſt den Bericht aus dem Schranke und dann aus ihrer Taſche ihr Frühſtücksbrötchen.
Sie begann zu lesen. Die Handſchrift lieſt ſich ſo nett, dachte ſie, dabei gruben ſich ihre weißen Zähne in das knusprige Brötchen. Ja, ſie war hungrig, erſt jetzt merkte ſie es. Die erſte Seite des Quartbogens war beendet. Nun umblättern, aber vorſichtig, daß kein Fettfleck hineinkommt! Da beißen wir erſt noch einmal ab und legen das Frühſtück beiſeite. So, nun weiter. Die zweite, die dritte, die vierte Seite —
Das Frühſtück war vergeſſen. Die ganze Entwicklung der letzten Wochen ſtieg wieder vor ihren Augen auf. Wie klar war das alles — und ſo ruhig. Und wie überlegt, kühl, folgerecht. Sie hörte ihn ſprechen, und es war ihr, als ſähe er ſie dazwiſchen durch die goldene Brille mit ſeinen treuen, offenen Augen an. Der Bericht war zu Ende, aber ſie ſah noch den Verfaſſer vor ſich, als müßte ſie ihm zunicken. Sie ſaß noch eine Weile ſtill und blickte ins Weite. Dann fuhr ſie auf und warf den Bericht auf den Tiſch.
„Ich bin doch ein dummes Mädel,“ ſagte ſie halblaut, „ich glaube gar, ich ſehne mich nach — nach — ja was denn? Nach dem Frühſtück!?“ Sie ergriff den Reſt des Brötchens und verzehrte ihn. Dabei fiel ihr Blick auf die Schreibmappe.
„Nun aber zu dir, mein Guter,“ dachte ſie. „Was mag ich nur da zuſammengeſchrieben haben!“
Sie öffnete. „So ein Haufen! — Richtig — da iſt ja noch die Poſt! Was iſt denn das? Aus Berlin? Das iſt doch Frickhoffs Handſchrift?“
Harda ſchnitt den Brief langſam mit dem Papiermeſſer auf und entfaltete den Bogen. Das war ein langes Schreiben. Das Herz klopfte ihr, aber ſie zwang ſich, ruhig zu leſen. Bis zu Ende.
Da war es alſo! Ein Heiratsantrag in aller Form. Es war ein liebenswürdiger, warmgehaltener, herzlicher Brief, der ſie nur ehren konnte. Sie verſtand die zarte Rückſicht, daß er ihr ſchrieb, aus der Ferne, jetzt ſchrieb, und ihr ſo Zeit gab, mit ſich zu Rate zu gehen; ſie verſtand auch, warum er nicht länger zögern wollte, nicht zögern zu dürfen glaubte.
Lange ſaß ſie in ſich verloren und ſchüttelte nur manchmal leiſe den Kopf. Ihre Blicke wanderten zwiſchen den Schriftſtücken auf dem Tiſche hin und her.
Wenn ſie jetzt Ja ſagte? Dann war ihr Leben entſchieden. Glücklich, nach Anſicht der Welt. Ein angeſehener, einflußreicher, innerlich tüchtiger und gediegener Mann, nicht unſympathiſch, der ſie ehrlich liebte und ihr äußerlich alles bieten konnte, was Reichtum vermag.
Warum ſeufzte ſie doch wieder?
Dann griff ſie nach dem Briefe an Geo. Sie ordnete und numerierte die Bogen ohne ſie ganz zu durchleſen. Unter den Klecks, den die fortgeworfene Feder gemacht hatte, ſchrieb ſie.
„Sei nicht böſe, du Lieber, hier hat mich wieder eine Elfe überfallen, und ich habe ſchreckliche Dinge gehört, ſie haben uns Rache geſchworen. Ich war nicht imſtande weiter zu ſchreiben, bin es auch jetzt noch nicht. Halte mich aber nicht für verdreht, ich bin ganz ruhig, ich überlege nur. Inzwiſchen bekam ich einen herzlichen Brief vom Kommerzienrat Frickhoff, worin er mir ſeine Hand anbietet. Ich ſchreibe im Laboratorium, ich bin allein, Werner kann erſt morgen herkommen. Verzeihe die Eile, ich konnte den Brief nicht mehr durchleſen, du wirſt ſchon das Fehlende finden. Ich muß überlegen und ſchreibe bald wieder. Was rätſt du mir? Antworte mir recht bald. Es küßt dich von Herzen deine Harda.“
Dann ſetzte ſie noch darunter: Ich mußte den Brief einer unſichtbaren Idone — Elfe — aus der Hand(?) reißen, daher die fehlende Ecke. Es iſt wirklich wahr. H.
Sie kuvertierte und adreſſierte den Brief.
Hierauf nahm ſie eine kleine weiße Briefkarte und ſchrieb:
„Seien Sie auf der Hut vor den „Elfen“, ſie wollen ſich rächen. Ich hoffe Sie morgen früh zu ſprechen.“
Ohne Unterſchrift. Auf der Karte oben in der Ecke ſtand das Monogramm „H. K.“ So auch auf dem Umſchlag. Adreſſe: Herrn Dr. Eynitz, Wiesberg, Wilhelmſtraße 4.
Harda packte ihre Mappe zuſammen, die beiden poſtfertigen Briefe nahm ſie in die Hand. Es war halb ein Uhr.
Jetzt ging ſie den Hauptweg zurück, um die Briefe beim Portier in den Poſtkaſten zu ſtecken. Ihr Schritt wurde zögernder, je näher ſie dem Hauſe kam.
Sigi ſtand in der Veranda und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Geländer. Als ſie Harda kommen ſah, ſetzte ſie ſich an den gedeckten Tiſch, faltete die Hände vor ihrem Teller und blickte Harda ſtumm und ſtreng an.
„Guten Morgen, Kleine!“ rief Harda, ihre Mappe auf den Nebentiſch legend.
„Wir warten,“ ſagte Sigi, ohne ihre ſteife Haltung zu ändern.
„Wer „wir“ auf „wen“?“
„Wir, die Familie Kern, auf unſre älteſte Tochter.“
„Was iſt denn los?“ fragte Harda erſtaunt. Jetzt erſt bemerkte ſie, daß nur zwei Gedecke aufgelegt waren.
„Herr Kern belieben verreiſt zu ſein. Fräulein Blattner liegen in ihrem Zimmer, und wir geſtatten unſrer Schweſter Harda, ſich zu ſetzen. Jetzt aber etwas ſchleunig, denn wir hungern.“ Sie klingelte. „Wo haſt du denn bloß den ganzen Morgen geſteckt? Wieder bei deinem Sternentau oder bloß bei deinem Sterne?“ fuhr Sigi fort.
„Benimm dich, Kleine,“ drohte Harda. „Ich bin jetzt Familienoberhaupt. Sag' einmal ernſthaft, was iſt mit der Tante?“
„Sie hat Migräne. Ich kam aus der Stadt, da ſtand ſchon der Wagen vor der Tür und der Vater kam herunter. Er ſagte nur, daß er plötzlich nach Berlin müſſe, ich ſoll dich grüßen und dir die Depeſche geben. Ich werde nicht klug daraus, denn ich kann den Aufſichtsrat und die Nordbank und den Zentralausſchuß und den Pech-Abſchluß oder wie es heißt, nicht auseinanderhalten.“
Harda ſtudierte die Depeſche. Sie war von Frickhoff, aber ſie enthielt nur geſchäftliche Auseinanderſetzungen, weshalb Kerns Anweſenheit in Berlin ſofort und unbedingt notwendig ſei. Sie nahm das Papier an ſich.
„Und die Tante?“ fragte ſie.
„Ich weiß weiter nichts, ſie läßt vorläufig niemand hinein. Vielleicht brummt ſie bloß. Ich weiß ja nicht, warum ſie bei Vaters Reiſen immer wütig iſt, ſie könnte ſich doch endlich dran gewöhnt haben. Du — ja, wo warſt du denn? — wir haben das Feuerwerk beſtellt, großartig. Schlußtableau — aber was machſt du heute für ein weinſteinſaures Geſicht? Iſt dir was paſſiert? Iſt dir 'ne unſichtbare Frucht auf die Naſe gefallen?“
„Vielleicht mehr wie eine,“ ſagte Harda ſeufzend.
„Na?“ rief Sigi und blickte die Schweſter fragend an. „Soll ich mir dabei etwas denken?“
„Ach, dummes Zeug! Es ging mir nur allerlei durch den Kopf. Erzähl' mir noch was vom Feuerwerk.“
Sigi plauderte, aber Harda faßte nicht viel auf. Sie war in Sorgen. Einen Augenblick hatte ſie wirklich überlegt, ob ſie nicht Sigi in irgend einer Form vor den Idonen warnen könne. Aber ſie ſah keinen Weg. Den eigentlichen Sachverhalt durfte ſie nicht darlegen, ſie wäre auch von Sigi verhöhnt worden. Und über Frickhoffs Antrag konnte ſie unmöglich ſprechen — das mußte ſie doch erſt mit ſich ſelbſt abmachen. Es war eigentlich ganz gut, daß der Vater nicht da war, ſo brauchte ſie nichts zu verbergen. Nach der Tante mußte ſie freilich einmal ſehen, davor fürchtete ſie ſich. Das Ganze aber ſtand unter der Sorge, daß die Idonen irgend etwas gegen die Menſchen unternehmen könnten. Das alles bedrückte ſie.
„Du ſchläfſt ja,“ ſagte Sigi. „Steck wenigſtens noch die Kirſchen in den Mund.“
„Ja, ich bin müde. Ich bin früh aufgeſtanden — Mahlzeit, Kleine! Ich geh' auf mein Zimmer.“
Sie ergriff ihre Mappe und ging hinaus. In ihrem Zimmer verdunkelte ſie alle Fenſter aufs Tiefſte, und als ſie nirgends etwas Leuchtendes entdecken konnte, taſtete ſie ſich nach dem Diwan. Ermattet ſank ſie in die Kiſſen.
Wo waren jetzt ihre Briefe? Sie folgte ihnen in Gedanken. Aber wie ſeltſam! Die ſtiegen ja aus dem Briefkaſten wieder in die Höhe, in den ſie ſelbſt ſie geworfen hatte! Kein Wunder, an jedem zog ein ſchwebendes Figürchen mit zwei Armen und hatte doch noch drei Arme übrig, um in der Luft herum zu fuchteln und ihr etwas zuzuwinken. Die Menſchen hätten überhaupt keine Briefe mehr zu ſchreiben. Wenn ſie etwas wünſchten, ſo müßten ſie ſich an den Efeu wenden. Da kam auch ſchon der Efeu herangewachſen, er wuchs ſo ſchnell, daß ihm Harda gar nicht entgehen konnte, nun legte er ſich um ſie, er hielt ſie feſt, aber die Zweige waren wieder Elfen, nur daß ſie gerade wie Frickhoff ausſahen — nein, ihre Köpfe waren lauter Goldſtücke mit Frickhoffs Bildnis — oder war es das von Eynitz? Wie kamen nur die Goldſtücke alle in ihren Hut? Der mußte ja zerreißen! Richtig, da fielen ſie ſchon heraus, mehr und mehr, ein ganzer Strom — aber es klang nicht wie Metall, es war ganz ſtill — ganz ſtill — nun ſah man's auch nicht mehr — —
Harda ſchlummerte.