Kurd Laßwitz: Sternentau. Die Pflanze vom Neptunsmond 11. Unſichtbare Früchte Sigi hatte den Vater verabredetermaßen in der Weinſtube von Borninger abgeholt. Eigentlich ſollte Harda ſie begleiten, aber die hatte ſich noch gar nicht gezeigt, als Sigi das Haus verließ. Sie traf den Vater dort mit Frickhoff und zwei fremden Herrn, dem Vertreter von Hildenführ und deſſen Patentanwalt, und mußte notgedrungen ein Glas und noch ein Glas mittrinken. Gleich ſah ſie dem Vater an, daß er alles durchgeſetzt hatte, was er wollte; ſie ſah auch, daß die beiden fremden Herren Pommery nicht vertrugen. Das teilte ſie Harda noch in Kürze unmittelbar vor Tiſche mit. Kern war in vorzüglicher Laune. Er erzählte allerlei luſtige Epiſoden aus ſeinen Verhandlungen mit den Vertretern von Hildenführ. In der Familie pflegte er ſich ſehr offen auszuſprechen, das gehörte eben mit zu ſeiner Erholung. Anna Reiner ſtörte dabei nicht, ſie war wie ein Kind im Hauſe, wußte, daß nichts ausgeplaudert werden durfte, und hatte auch nicht einmal ein genügendes Verſtändnis und Intereſſe dafür. Minna hatte nach dem nächtlichen Ausbruch wieder ihren liebenswürdigen Tag. Innerlich war ſie von Herzen froh über Hermanns Erfolg und ſeine Heiterkeit, denn ſie hing ebenſo mit inniger Liebe an ihm, wie ſie ihn dadurch unter Umſtänden quälte. Ihre ſchönen Augen glänzten heute in ruhiger Freude. Sie lobte ehrlich die Tätigkeit des Doktor Eynitz, nach deſſen Beſuch Hermann gefragt hatte. „Dem wird der Abſchluß „H“ auch gut tun,“ lachte Kern gutmütig. „Die Nordbank kommt nun ſicher, dafür wird Frickhoff ſorgen. Im nächſten Jahr werden wir wohl fünfhundert Mann mehr haben. Möglich, daß wir dann unſer geſamtes Krankenweſen in eigne Verwaltung nehmen. Das wäre eine Stellung für ihn. Natürlich muß er dann einen Aſſiſtenten bekommen.“ Harda beſchloß, die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen. Der Vater ſo wohlgemut, die ganze Familie zuſammen, da konnte ſie die Sache auf einmal abmachen und brauchte ſich nicht den einzelnen zu erklären. Was ſie etwa noch vom Vater ſpeziell haben wollte, das würde ſie ſchon zur rechten Zeit ſagen. „Weißt du,“ knüpfte ſie an, „daß der Doktor Werner Eynitz urſprünglich Botanik ſtudieren wollte?“ „Alſo ſeid ihr Kollegen?“ ſcherzte der Vater. „Da ſiehſt du, daß einem das Abſpringen recht gut ausſchlagen kann. Nimm dir ein Beiſpiel.“ „Höre nur erſt mal, ob du nicht Reſpekt vor mir bekommſt. Ich habe nämlich eine neue Pflanze entdeckt.“ „Hoho! Du! Na, hoffentlich einen neuen Salat!“ „Wer weiß, was noch daraus wird. Der Doktor ſagte, daß ſie noch vollſtändig unbekannt ſei. Und weißt du, was es iſt? Das blaue Blümchen —“ „Die blaue Blume der Romantik,“ parodierte Sigi ſentimental mit verſtellter Stimme. „Du, das iſt aber ein alter Zauber!“ ſagte der Vater. „Erlaube!“ rief Harda. „Ganz neu! Ros stellarius Kern. Sternentau, entdeckt von Harda Kern. Noch niemals auf dieſer Erde geſehen!“ „Donnerwetter! Alle Achtung!“ Kern amüſierte ſich über Hardas luſtige Grandezza. Sigi ſtand ſchweigend auf und machte einen tiefen Knix vor ihrer Schweſter. Alle brachen in ein herzliches Gelächter aus. Nun erzählte Harda ganz kurz, wie Eynitz zur Unterſuchung der Pflanze gekommen ſei und wie ſich die Eigentümlichkeit gezeigt hätte, daß die Früchte der Pflanze ganz ſpurlos verſchwänden. Der Einfachheit wegen bezeichnete ſie die Gametophyten ſchlechthin als Früchte, denn eine nähere Erklärung hielt ſie nicht für nötig. Der Vater neckte ſie hartnäckig. „Das iſt ausgezeichnet. Und jetzt glaube ich, daß die Pflanze von dir entdeckt iſt, wenn die Früchte verſchwinden. Weißt du, das war früher an deinen Aprikoſenbäumen auch immer ſo. Nu ſag' aber mal, Mädel, nimmt denn der Doktor die Sache wirklich ernſt?“ „Ja,“ ſagte Harda. „Es handelt ſich nämlich dabei um ganz eigenartige Vorgänge in den Blüten, die nur mikroſkopiſch zu verfolgen ſind. Und da möchte er gern einige Studien darüber machen. Er ſagte auch, daß chemiſch ganz neue Stoffe aufzutreten ſcheinen.“ Sie hatte ſich erlaubt, Eynitz Worte ein wenig anders auszudrücken. Aber ſie hatte den gewünſchten Erfolg. Der Vater bemerkte ſogleich etwas ernſthafter: „Das ſoll er ja mal gründlich unterſuchen. Es kommen da manchmal in kleinſten Mengen Stoffe von größter Wichtigkeit zu Tage. Läßt ſich deine Pflanze vielleicht anbauen? Hoffentlich kommt es dabei nicht auf die Früchte an. Das wäre fatal. Aber vielleicht gibt das Kraut ein gutes Viehfutter. Das ſoll er nur ſtudieren. Sag mal im Ernſte, Harda — der — wie nannteſt du das Ding?“ „Sternentau.“ „Der Sternentau ſoll nur hier bei uns vorkommen? Das iſt ſeltſam. Da wird es jedenfalls nicht lange dauern, und man wird ihn auch anderweitig auffinden. Wenn die Früchte wirklich verſchwinden, ſo muß irgend ein unbekannter Prozeß zugrunde liegen. Wir wollen mal die Sache im Auge behalten. Der Doktor iſt doch ein zuverläſſiger Mann. Was ſtellt er ſich denn darunter vor, daß die Früchte verſchwinden? Es wird ſich wohl um ein Zerſtäuben in ſo kleine Körnchen handeln, daß man nichtſ davon merkt.“ „Es ſcheint doch nicht, ſonſt hätten ſich mit dem Mikroſkop irgend welche Spuren finden laſſen müſſen. Der Doktor glaubt eher, daß ſich ein außerordentlich feines Geſpinſt bilde, das bei Tageslicht durchſichtig wie die Luft iſt und davongetragen wird. Übrigens ſoll das eben erſt näher erforſcht werden.“ „Na, na,“ ſagte Minna. „Das ſchmeckt ein wenig nach dem Märchen von den unſichtbaren Kleidern des Königs“ „Und mir iſt die Sache noch zu luftig,“ lachte der Vater. „Aber ich werde mir mal den Doktor anhören. Wenn ihr etwa unſichtbare Gewebe fertig bringt, ſo kaufe ich euch das Patent ab. Na, Sigi, du biſt wohl übergeſchnappt?“ Sigi experimentierte nämlich aufs Komiſchſte mit ihren Händen. „Seht ihr denn nicht,“ fragte ſie ernſthaft, „was für wunderbar durchſichtige Handſchuhe ich habe? Da kann man ſämtliche Ringe darunter bewundern.“ „Amüſiert euch nur,“ ſagte Harda. „Es kann doch Stoffe geben, die während der Bearbeitung durch irgend ein Verfahren ſichtbar gemacht werden können, dann aber wieder —“ „Verſchwinden!“ rief Sigi. „Abwarten, Kleine!“ drohte Harda. „Na, dann ſchlaft wohl inzwiſchen!“ ſagte Kern, ſich erhebend. „Das heißt, ich für mich wünſche wohl zu ſchlafen. Um vier Uhr den Landauer.“ Die Spazierfahrt war bei ſchönem Wetter das ſtehende Sonntagnachmittag-Programm. Harda huſchte hinauf in des Vaters Zimmer, wo ſie noch vor ihm ankam. Hier ließ ſie es ſich nicht nehmen, ihm die Decke zu ſeinem Nachmittagsſchläfchen zurecht zu rücken. „Du, Vater,“ ſagte ſie ſchmeichelnd, „ich brauche doch heute nachmittag nicht mit euch zu fahren.“ „Was haſt du denn wieder ausgeklügelt, Herzel?“ „Ich möchte mal nach meinem Sternentau ſehen, drüben auf dem Friedhof; ich bin die letzte Woche nicht hingekommen, und dort iſt wahrſcheinlich allerlei aufgeblüht. Ich habe nämlich dem Doktor verſprochen, ihm etwas Material zu beſorgen.“ Kern hatte eine Zeitung in die Hand genommen. Aber die Augen fielen ihm zu. „Mach's nur, wie du willſt,“ ſagte er müde. „Wir ſind ſo ſchon vier im Wagen. Übrigens — ja — klingele doch hernach mal bei Eynitz an, ich ließe ihn fragen, ob er nicht heute abend bei uns — ich möchte doch — zum Abendeſſen —“ Mit der Zeitung in der Hand ſchlief er ein. * Der Wagen war fortgefahren. Harda beeilte ſich, das Haus zu verlaſſen, um nicht durch irgend eine Störung abgehalten zu werden. Den Auftrag des Vaters hatte ſie ausgeführt; es war ihr ſehr angenehm, daß ihre perſönliche Einladung noch dieſe offizielle Form erhalten hatte. Überhaupt war ſie mit dem Verlauf des Tages ſehr zufrieden. Das Rätſel des Sternentaus hatte eine greifbarere Geſtalt angenommen, es war zu einer Aufgabe geworden. Sie beſtrebte ſich beſtimmte Fragen zu ſtellen, deren Antwort zu ſuchen war. Was iſt aus den entſchwundenen „Elfen“ geworden? Wie kann man ihrer habhaft werden? Nur fort mit den myſtiſchen Phantaſieen! Hübſch nüchtern, wie der Doktor. Sicherlich handelt es ſich um ſogenannte Vorkeime, die dann die Sporen der neuen Generation entwickeln; im vorliegenden Falle löſen ſie ſich von der Pflanze und werden durch Gasblaſen, die leichter als die Luft ſind und im Dunkeln leuchten, aufs Ungewiſſe hinausgetrieben. Soviel wird an ihren Beobachtungen richtig ſein. Was ſie ſonſt geſehen und erlebt zu haben glaubte, das wird ſie wohl in ihrer Erregung hinzugeträumt haben. In ſolchen Gedanken ſchritt ſie in den ſchönen, nicht zu heißen Junitag hinein unter dem Schatten der hohen Bäume, die an der Straße zwiſchen dem Park und dem Friedhof ſtanden. Sie ſuchte zunächſt die Stelle zu finden, wo ſie in der Nacht die Blüten des Goldregens geſehen hatte, die der Wächter Gelimer für Geſpenſter erklärte. Es ſtanden ja dadrüben auf dem Friedhof mehrere Sträucher. Aber ein Teil der goldenen Blütentrauben hatte ſchon abgeblüht, ein anderer hatte durch den Regen gelitten. Die Verteilung der hellen Stellen, die ſie in der Nacht ſich einzuprägen verſucht hatte, konnte ſie nicht mehr zuſtandebringen. Es ſchien ihr doch zweifelhaft, ob ſie damals wirklich dieſe Blüten geſehen habe. Und da an der Exiſtenz der leuchtenden „Elfen“ des Sternentaus nicht zu zweifeln war, da doch vermutlich auch hier viele dieſer Sendlinge des Pflänzchens ſich entwickelt hatten, ſo mochten es wirklich dieſe geweſen ſein, die Gelimer in Aufregung verſetzt hatten. Aber das waren ja ganz harmloſe Pflanzenprodukte. Doch halt! Eines fiel ihr an dieſer Stelle wieder ein. Das ſeltſame Verhalten des Hundes. Es war kein Zweifel, daß er einen Gegenſtand gewittert hatte, den ſie ſelbſt nicht wahrnehmen konnte. Aber warum nicht? Dieſe „Elfen“, die ja, ſobald ſie nicht im Eigenlicht ſchimmerten, unſichtbar waren, konnten ſehr wohl irgend einen ſchwachen Geruch ausſtrömen, der dem Menſchen entging, der feinen Naſe des Hundes aber bemerklich und verdächtig war. Das mußte ſie doch Eynitz gelegentlich noch mitteilen. Harda durchſchritt nun das Tor des einſamen Friedhofs und ſuchte das Grab ihrer Mutter auf. Sie brauchte kaum die Efeublätter zurückzubiegen, ſo ſah ſie ſchon eine reichliche Anzahl der blauen Sterne leuchten, die ſich hier beſonders günſtig entwickelt hatten. Vermutlich war eben hier Lage und Boden viel zuträglicher als auf dem Berge unter der Buche, geſchweige denn als in ihrem Zimmer. Und als ſie nun niederkniete und unter dem Efeu näher Umſchau hielt, fand ſie zahlreiche Reſte eingetrockneter Sporenkapſeln. Es mußten alſo von hier aus eine ganze Schar Sternentau-Elfen in die Welt hinaus geflogen ſein. Irgend etwas Neues vermochte ſie nicht zu entdecken. Jetzt löſte ſie vorſichtig eine größere Zahl der Pflänzchen mit geöffneten Sporenkapſeln ab und pflanzte ſie zugleich mit den Efeuzweigen, denen ſie ſich dicht angeſchmiegt hatten, in das Erdreich, mit dem ſie eine flache Schüſſel am Boden des mitgebrachten Korbes bedeckt hatte. Er war dadurch ziemlich ſchwer geworden. Sie hob ihn auf die Bank, die in der Nähe des Grabes angebracht war, legte ihren Hut ab, und ſetzte ſich ausruhend daneben. Es herrſchte völliges Schweigen. Kein Menſch war in der Nähe. Nur die Inſekten ſummten um die blühenden Sträucher. Harda ſaß in ſtiller Andacht. Ihre erſte Jugend zog an ihrem Auge vorüber, manche Erinnerung an ihre ſchöne, ſanfte, gütige Mutter mit dem bleichen Antlitz. Wie ſchwer hatte ſie gearbeitet, oft bis ſpät in die Nacht noch gerechnet und geſchrieben, unermüdlich mit tätig am Werke und an den Sorgen des Gatten. Nun die glänzenden Früchte des Lebens reiften, war ihr nicht mehr beſchieden, ſich ihrer zu erfreuen. Zu erfreuen? Dieſe haſtende Form des Erfolgs, wäre ſie der Mutter, der ſtillen, ſinnenden, wäre ſie ihr reine Freude geweſen? Wäre es ihr nicht ergangen, wie es jetzt Harda ſelbſt erging? Ein Tragen aus Pflicht mit einem Sehnen nach Freiheit? Freiheit! Natürlich mußte ſie in Pflichterfüllung beſtehen. Alſo andere Pflichten! Eine Pflicht, wie ſie dem eignen Weſen entſpricht. Nicht dieſes Hin- und Herwerfen von Moment zu Moment. Eine ſolche Aufgabe hatte ſie jetzt, im Augenblick, aber wie lange? Was fand ſie vielleicht ſchon zu Hauſe vor? Doch der Nachmittag gehörte ihr noch, vielleicht der Abend. Da würde vielleicht — Was kam da für ein kühler Hauch von oben? Das war ja wieder das ſeltſame Gefühl wie neulich — Nein, ſie wollte nicht träumen! Die Hand aber, die ſie nach dem Kopfe erhob, fiel zurück in ihren Schoß. Wie ein ſanfter, wohltätiger Dämmerzuſtand legte es ſich über ſie. Und vor ihren Augen ſtand wieder der Efeu um die Buche am Rieſengrab. Wie man hinter der Spiegelſcheibe eines Schaufenſters mitten unter den Gegenſtänden der Auslage das Bild der Straße erblickt, bald das eine, bald das andre deutlicher je nach der Anpaſſung des Auges, ſo ſah ſie die Buche zwiſchen der Szenerie des Friedhofs, zugleich mit dem Efeu des Grabhügels. Es fiel ihr auch gar nicht ein, ſich dagegen zu wehren, denn all ihre Aufmerkſamkeit war gefangen genommen von den Vorſtellungen, die ſich wie die Worte eines Zwiegeſprächs in ihrer Seele entwickelten. „Harda iſt bei dir, liebe Hedo? Wie bin ich froh, ich ſorgte mich um ſie. Zwei Viertel des Mondes ſind vergangen, ohne daß ich von ihr erfuhr. Warum ſprachſt du nicht zu mir? Warum haſt du mir nicht geantwortet?“ Harda wußte beſtimmt, daß dies eine Äußerung des Efeus unter der Buche an dieſen ſeinen Ableger war, den ſie hier auf dem Friedhof von ihm gezogen hatte. Auch ein Gefühl der Verwunderung ſtieg in ihr auf, daß der Efeu ſprechen ſollte. Aber das hatte keine weiteren Folgen, ſie kam nicht zu ſelbſtändiger Überlegung. Ihr Gehirn ſtand ganz unter dem Einfluſſe einer Macht, die ihr das Geſpräch der Pflanzen zum Bewußtſein brachte. Dem mußte ſie ſich hingeben. „Ich konnte nicht ſprechen,“ antwortete der Efeu auf dem Grabhügel, „bis zu dieſer Stunde nicht. Die fremde Pflanze mit den blauen Blüten verhinderte mich, ſie hat ſich mit ganz feinen Kletterfaſern an mich geklammert. Sie ſprach nicht, aber auch ich vermochte es nicht. Da kam Harda und ſchnitt viele der Blümchen ab und die Zweige, die ſie umſponnen hatten. So wurde ich wieder freier, aber nur teilweiſe, ich fühle es. Mit der Pflanze iſt etwas ganz Ungewöhnliches vorgegangen. O, ſie beginnt wieder, mich zu hemmen, ich ſoll es nicht ſagen.“ „Seltſam. Bei mir hat die fremde Pflanze noch nicht geſprochen. Es wird wohl mit ihr ſein wie mit den ausländiſchen Sträuchern, von denen mir meine Freunde im Park erzählten. Den fremden Pflanzen, die manchmal von den Menſchen hergeſetzt werden, iſt im Anfang der Boden ungewohnt. Sie haben Mühe, überhaupt ihre Nahrung zu gewinnen, dann erſt lernen ſie das Erdreich kennen und die feinen Pilzfaſern, denen ſie ſich anzupaſſen haben. Nachher beginnen ſie zu ſprechen und uns zu verſtehen. Ähnlich wird es wohl mit der fremden Pflanze auch noch kommen. Wir ſind hier oben in der Entwicklung zurück gegen euch in eurer geſchützten Lage. So lehrte mich die Schattende, an der ich hafte. Kannſt du mir nicht ſagen, was mit der fremden Pflanze geſchah?“ Es kam keine Antwort. Noch einmal begann der alte Efeu: „Ich möchte ſo gern von dir wiſſen, ob Harda froh iſt. Ich wünſchte, daß ſie hier wäre. Ich werde blühen. Ich bin aufgenommen in die große Gemeinſchaft des Waldes. Ach, wenn Harda wüßte, wie ſchön es iſt, zu blühen ſtill für ſich und doch zu wurzeln —“ Ganz plötzlich wich der Traumzuſtand von Harda. Es war, als ob ſich etwas von ihrer Stirn löſte, der kühle Hauch war verſchwunden, verſchwunden das Bild der Buche mit dem Efeu, unterbrochen die Rede, die ſie zu vernehmen glaubte. Der helle Sommertag lag über den dicht umbuſchten Grabſteinen mit ihrem Blumenſchmuck, neben ihr ſtand der Korb mit Sternentau. Harda ſtrich ſich mit den Händen über das Haar und ſetzte ihren Hut auf. Sie ſchüttelte den Kopf. „Das iſt doch toll!“ dachte ſie. „Schlafe ich denn wirklich ſo ruckweiſe ein? Aber das war ja ein ganz deutliches Geſpräch, als ob ſich wirklich zwei Pflanzen unterhalten könnten, und es käme irgend etwas zu mir, das mir ihre Sprache in Menſchenworte überſetzte. Es iſt ja Unſinn! Natürlich Traumzuſtand! Zentrale Reize! Aber ich fühle mich ganz geſund. Soll ich etwa mal den Doktor fragen? Damit er mich auslacht?“ Sie hob den Korb auf. Eigentlich wollte ſie ihn nach Hauſe tragen. Aber es war ihr doch beſchwerlich. Sie brachte ihn nur bis an das Häuschen des Friedhofswärters, deſſen Frau ſie zu Hauſe fand. Dort ſtellte ſie ihn ein. Gelimer würde ihn abholen. Auf dem Heimwege fiel ihr ein, daß ſie jetzt ſehr gut einmal nach dem Sternentau am Rieſengrab ſehen könne. Ob die Kapſeln dort wirklich noch ſo unentwickelt waren, wie der Efeu in ihrem Traume angedeutet hatte? Sie mußte darüber lächeln, aber hin wollte ſie doch. Zu Hauſe lief ſie immer Gefahr, von einem Beſuche geſtört zu werden. Zum Tennis? Mochten die ſich behelfen! Wenn ſie Luſt dazu bekam, blieb noch Zeit genug. Sie holte ſich in ihrem Zimmer den Schlüſſel zum Gatter, ergriff ein Buch von Solves und machte ſich auf den Weg. Ja, dort oben war der richtige Platz für ihre Stimmung. Dort wohnten die guten Geiſter ihres Lebens. Willkommen, alte Buche! Alſo drüben mit deinem Ableger auf dem Friedhofe kannſt du dich unterhalten, mein getreuer Efeu? Wie nannteſt du ihn doch? Ich habe ſicher einen Namen gehört. War's nicht Hedo? Vielleicht auch gar mit dem Efeu in meinem Zimmer ſtehſt du in Verbindung? Dieſe unterirdiſche Fernſprecherei iſt etwas indiskret. Und du möchteſt wiſſen, was dem Sternentau Abſonderliches paſſiert iſt? Ich will dir's ſagen. Seine Kapſeln ſind ins Schleierhafte gegangen, unſichtbare Elfen ſind herausgeflogen. Ja, jetzt habt ihr fliegende Pflanzen, die euch umſchweben. Ach, das ſollte dir Hedo gewiß nicht verraten? Na, da weißt du's jetzt. Haſt du mich verſtanden? Der Efeu antwortete nicht. Er wußte kaum, daß Harda überhaupt ſprach, nur daß ſie da war, bemerkte er. Aber die Menſchenſprache war für ihn ſo fremd wie ihr die Pflanzenſprache. Und ein Dolmetſcher war nicht da. Harda ſah nach dem Sternentau. Wirklich, die Pflänzchen waren nur wenig ſtärker entwickelt als vor vierzehn Tagen. Und leere Kapſeln fand ſie trotz allen Suchens nicht. Hier waren noch keine Elfen ausgeflogen. Sie ließ ſich auf der Bank nieder und ſchlug ihr Buch auf. 12. Pflanzenſeele