Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden // Ein Roman von übermorgen 16. Abſchnitt Herr Zwickerl war ſchlechter Laune und ſtocherte wütend in ſeinem Kirſchenſtrudel umher, der auf dem Teller vor ihm lag. Frau Zwickerl ſah Sturm kommen und beugte vor. „Anton, was is dir denn wieder über die Leber gelaufen? Geht das Geſchäft nicht?“ Das war für Herrn Zwickerl zu viel. Er ſchob den Kirſchenſtrudel fort, wurde röter im Geſicht als die Kirſchen im Strudel und brüllte: „Oh ja, das G'ſchäft geht! Zum Teufel nämlich geht es! Damit du nur weißt, Konkurs muß ich anſagen!“ „Jeſſasmariandjoſef!“ kreiſchte Frau Zwickerl auf. „Wie iſt denn das möglich?! Es iſt doch immer g'ſteckt voll im Laden und alle Leut' glauben, daß du eine Goldgruben von dem Juden, dem Leßner, übernommen haſt!“ „Ja,“ höhnte Zwickerl, „eine Goldgruben voll mit Dreck! Je mehr die Leut' kaufen, deſto mehr verlier' ich! Weißt was? Daran ſan die verfluchten Valuten ſchuld! Kronen, ſchäbige Kronen krieg' ich herein und Mark und tſchechiſche Kronen und Franken fliegen hinaus. Zehntauſend Meter Batiſt kauf' ich in Reichenberg und nach acht Tagen kommt der Verkäufer von der Abteilung und ſtrahlt über das ganze blöde Geſicht und ſagt: „Herr Zwickerl, die Ware fliegt einem nur ſo aus der Hand! Morgen haben wir nicht mehr einen Meter im Haus!“ „Schön, denk' ich mir und geh' in die Buchhaltung, und wie wir nachrechnen, ſehen wir, daß ich, weil die tſchechiſche Krone wieder geſtiegen iſt, bei jedem Meter tauſend Kronen verloren hab'. Und das iſt nur ein Beiſpiel von hunderten. Ich ſchlag' eh' bei jeder War' ſchon dreihundert Prozent auf und trotzdem, die Krone fällt raſcher, als ich aufſchlagen kann, Verluſte, nichts als Verluſte, und die Länderbank, die mir das Kapital zur Uebernahme gegeben hat, fordert Rückzahlung und ich kann nicht zahlen, weil ich ein rieſiges Defizit habe. Im Gegenteil, ich brauche wieder hundert Millionen, weil ich ſonſt nicht einkaufen kann!“ Herr Zwickerl hatte ſich Luft gemacht und war beſänftigt. Er zog den Kirſchenſtrudel an ſich heran und machte ein pfiffiges Geſicht: „Weißt, Alte, wir braucheten einfach ein paar jüdiſche Banken, das iſt alles! Früher, als ich noch mein kleines Geſchäft in der Stumpergaſſen gehabt habe, da bin ich alleweil, wenn ich im Ausland kaufen mußte, zum krummen Kohn von der Hermesbank gegangen, wo mein Konto war, und der hat geſagt: Herr Zwickerl, hat er geſagt, Sie müſſen ſich jetzt mit Mark eindecken, weil die Mark ſteigen wird; oder: die Krone wird feſter kommen, hat er geſagt, kaufen Sie Kronen. Und immer iſt es richtig ſo geweſen und ich hab' nicht nur an der Ware, ſondern auch noch an der Valuta verdient! Aber jetzt — die Affen, die jetzt in der Bank beieinanderſitzen, kennen ſich ſelber net aus und i kenn' mi' auch net aus und alles geht kaput, ſag' ich dir!“ Herr Zwickerl gehörte zu den vielen kleinen Geſchäftsleuten, die durch das Antijudengeſetz mächtig in die Höhe gekommen waren. Mit Hilfe der urchriſtlich gewordenen Länderbank hatte er, der kleine Dutzendkaufmann, das große Warenhaus in der Mariahilferſtraße an ſich bringen können, und das erſte Halbjahr war alles eitel Wonne geweſen. Wenn Herr Zwickerl auf der Galerie des Kaufhauſes ſtand und auf den Menſchenſchwarm hinabſah, kam er ſich wie ein kleiner König vor und er berauſchte ſich ordentlich an dem Klingeln der Regiſtrierkaſſen, dem Kniſtern der Seide und dem Stimmengewirr. Und allabendlich leerte er beim Nachteſſen ſein Weinglas auf das Wohl des Schwertfeger, und immer wieder ſagte er zu ſeiner Frau, die jetzt nur mehr in Glacéhandſchuhen kochte: „Alte, da ſieht man es am beſten, wie uns die Juden ausgeſaugt haben! Die Juden haben die großen Geſchäfte gehabt und wir Chriſten konnten im finſteren Laden ſchuften und darben. Gottlob, daß das aufgehört hat!“ Aber ſchon die erſte Semeſtralbilanz brachte dem Herrn Zwickerl arge Enttäuſchung. Trotz der enormen Umſätze und des gefüllten Kaufhauſes war von einem Gewinn keine Rede, immer wieder hatte man ſich beim Einkauf im Ausland ſo oder ſo verſpekuliert. Und mehr als einmal hatte Herr Zwickerl in ſich hineingeſeufzt: An ordentlichen Juden, wenn ich hätt', der was mich beraten tät'! Herr Zwickerl mußte tatſächlich Konkurs anmelden, das Geſchäft wurde geſchloſſen und von einem Grundbeſitzer aus der Gumpoldskirchner Gegend übernommen, der aus dem großen Haus eine rieſige Stehweinhalle machte. In den Jahren, die dem Kriegsende und dem Umſturz gefolgt waren, hatte ſich Wien immer mehr zur Zentrale des mitteleuropäiſchen Luxus entwickelt und das Leben gewiſſer Schichten eine Ueppigkeit angenommen, die in der ganzen Welt als beiſpiellos beſprochen wurde. Die breiten Maſſen der Wiener Bevölkerung aber, nicht nur die Arbeiter, ſondern auch das mittlere Bürgertum, hatten zähneknirſchend geſehen, wie ſich die fremden Elemente, vor allem die Juden aus Galizien, Rumänien und Ungarn, als Herren Wiens aufſpielten, mit dem für ſie faſt wertloſen öſterreichiſchen Geld um ſich warfen, Champagner tranken, wo der kleine Mann kaum noch das Glas Bier zahlen konnte, ihre Weiber mit Perlen und Pelzen behängten, während die wirklich gute Geſellſchaft den alten Familienſchmuck ſtückweiſe verkaufen mußte, in prachtvollen Luxusautomobilen durch die Straßen raſten, den bodenſtändigen Wienern die Wohnungen wegnahmen und mit ihrem lärmenden protzigen Gehaben die alte kultivierte Stadt erfüllten. Als die Juden fortgetrieben waren, änderte ſich das alles von Tag zu Tag auf das gründlichſte. Der ſinnbetörende Luxus verſchwand, der Wiener Ausverkauf ſtockte, man mußte ſich nicht mehr anſtellen, um einen Platz im Opernhaus zu ergattern, das Leben wurde ſtiller, ſolider, einfacher. Bis es ſich zeigte, daß eine Stadt wie Wien ohne Luxus nicht leben kann. Zuerſt hatten die chriſtlichen Geſchäftsleute, die die Kaufläden der Juden übernahmen, ſich auch deren Automobile bemächtigt, es ſchien der Wohlſtand derſelbe geblieben zu ſein und nur eine Umgruppierung erfahren zu haben, und der Jubel, mit dem die Wiener es begrüßten, daß ſie nicht bei jedem Schritt auf jüdiſche Schieber ſtoßen mußten, war ebenſo ehrlich als begreiflich. Als dann aber bald die Krone wieder ins Uferloſe fiel und die Teuerung neue Wellen zog, als alles das, was eben auf äußerſten Luxus eingeſtellt war, wie die vornehmen Geſchäfte, die Kabaretts, die Theater, die fürſtlichen Reſtaurants und Bars, einging, als die Arbeitsloſigkeit um ſich griff und der Export nach dem Ausland immer geringer wurde, da begann auch das äußere Leben flügellahm zu werden. Die Zehntauſende von Automobilen, die aus jüdiſchen Händen in chriſtliche übergegangen waren, wurden für eine Handvoll Lire oder Franken ins Ausland verkauft, weil bei dem ſchlechten Geſchäftsgang das Benzin unerſchwinglich wurde, die Kunſthändler klagten über völlige Geſchäftsloſigkeit, das Defizit der Staatstheater wuchs rieſenhaft, chriſtliche Künſtler und Gelehrte von Ruf, vor allem aber die großen Aerzte, zogen ins Ausland, weil das Inland ihnen nicht mehr die Honorare bezahlen konnte und wollte, die ſie von den jüdiſchen Zeiten her gewohnt waren. Und unaufhaltſam griffen Mißmut, Unzufriedenheit und die Erkenntnis, auf einer abſchüſſigen Bahn zu gehen, um ſich. 17. Abſchnitt