Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden // Ein Roman von übermorgen 11. Abſchnitt Herr Habietnik ging düſter, ſchweigend, mit gerunzelter Stirne durch die prunkvollen Verkaufsräume des großen Modehauſes in der Kärntnerſtraße, das einſt Zwieback geheißen und jetzt den Namen Wilhelm Habietnik trug. Herr Habietnik war der erſte Verkäufer in der Damenmaßabteilung geweſen, und mit Hilfe der Mittelbank deutſcher Sparkaſſen war es ihm gelungen, bei der großen Judenvertreibung das Haus an ſich zu bringen. Herr Habietnik ging nun, wie geſagt, von Saal zu Saal, wechſelte in jedem ein paar Worte mit dem Rayonchef, ſein Antlitz wurde immer finſterer und er ſtieß unwillige Rufe aus. Durch die ganz in Weiß und Roſa gehaltene Abteilung für Babywäſche ſchritt er, ohne ſich aufzuhalten, in den entzückenden Konditoreiſalon, der vollſtändig leer war, warf er nur einen ſchiefen Blick, dann ſtürmte er in ſein Privatkontor und ließ ſich den Prokuriſten Smetana kommen. „Sie, Herr Smetana, ſo geht das nicht weiter, da muß etwas geſchehen! Wir ſtehen vor Oſtern, früher war das die Hochſaiſon und man konnte vor Gedränge gar nicht durch das Haus gehen, und jetzt habe ich auf meinem Rundgang drei alte Weiber gefunden, von denen zwei zuſammen eine Chenillepelerine, wie ſie gar nicht mehr exiſtieren, kaufen wollten und eine einen Barchentunterrock. Wenn wir ſo weitermachen, können wir ſperren. Sagen Sie, wie groß iſt das Betriebsdefizit, ſeitdem ich die Firma übernommen habe?“ Der Prokuriſt Smetana lächelte ſauer: „Na, ſo an die hundert Millionen, das wird wohl reichen!“ Herr Habietnik ging aufgeregt auf und ab. „Ich verſteh' das nicht! Wir haben früher, wie die Juden noch da waren, doch auch eine Menge chriſtliche Käuferinnen gehabt! Wo ſind denn die hingekommen?“ Smetana, der früher in der Buchhaltung geſeſſen und die Rechnungen ausgeſchrieben hatte, lächelte. „Herr Habietnik, mit den chriſtlichen Kundſchaften war es nie weit her, und wenn es ſchon Chriſtinnen waren, ſo hatte ihr Chriſtentum doch irgendwo ein Klampferl. Entweder ſie waren die Frauen oder die Maitreſſen von Juden. Bitt' Sie, da erinnere ich mich an die ſchöne Gräfin Wurmdorf, die was zuletzt noch eine Redoutentoilette für eineinhalb Millionen bei uns hat machen laſſen. Na, wer aber hat ſie gezahlt? Der Herr Gemahl vielleicht? Keine Spur! Der reiche Eisler von der Firma Eisler und Breisler! Und die Manoni von der Oper, die was die Tochter von einer waſchechten chriſtlichen Waſchfrau iſt und zehn gute Millionen im Jahr bei uns gelaſſen hat? Na, bei der hat die ganze israelitiſche Kultusgemeinde herhalten müſſen! Und die_—“ Herr Habietnik winkte ab. „Trotzdem, es gab genug Damen ohne Liebhaber, die ganz ſchön eingekauft haben. Ich weiß das beſſer, weil ich doch gerade die Maßabteilung unter mir hatte.“ „Ja, ſehen Sie, Herr Habietnik, wenn es ſchon keine Jüdinnen waren, ſo war es eben die Konkurrenz der Judenfrauen, die uns geholfen hat. Wenn die Jüdinnen fein und elegant gekleidet waren, ſo wollten die chriſtlichen Damen der guten Geſellſchaft nicht zurückſtehen.“ „Da können Sie recht haben“, meinte der Chef nachdenklich. „Neulich habe ich ſelbſt gehört, wie die Frau Artander die Preiſe bekrittelte und ohne zu beſtellen mit den Worten wegging: „Ach was, heutzutage hat man es ja gottlob nicht mehr notwendig, ſich ſo aufzutackeln und jede Modedummheit mitzumachen. Ich werde eben die alten Sachen herrichten laſſen.“ Herr Habietnik bekam einen roten Kopf und ſchlug mit der Hand auf den Tiſch. „Ich habe Sie aber nicht gerufen, um mit Ihnen zu ſchmuſen, ſondern weil ich einen Rat von Ihnen will! Dazu zahl' ich Ihnen ja den hohen Gehalt!“ Smetana knickte zuſammen. „Eine Idee hätt' ich ſchon, Herr von Habietnik. Die Leut' tragen jetzt ſo viel Loden und andere ſolide Sachen. Sie haben es ja ſelbſt geſehen, ſogar nach Barchent iſt Nachfrage. Wie wäre es, wenn wir ein paar Fenſter mit Lodenſtoffen, Lodenröcken, Barchent- und Flanellwäſche füllen würden? Und dazu eine ſchöne Tafel und viel Inſerate mit der Ankündigung: Loden, Barchent, Baumwolle und Flanell — die hohe Pariſer Mode!“ Herr Habietnik bekam einen Lachkrampf und krümmte ſich ſo lange, bis ihm die Tränen über die Backen liefen. „Flanell und Loden — die große Pariſer Mode! Sie, wenn das die Frau Ella Zwieback, die jetzt in Brüſſel lebt, erfährt, ſo glaubt ſie, daß wir in Wien alle zuſammen verrückt geworden ſind! Aber meinethalben, mich ekelt die ganze Geſchichte ſchon an, ich bekomme Platzangſt, wenn ich durch das leere Haus gehe! Gut, machen Sie Lodenfenſter! Und Steirerhüteln dazu nicht vergeſſen und genagelte Schuhe! Und die Konditorei verwandeln wir langſam, aber ſicher in eine Stehbierhalle mit heißen Würſteln. Mir iſt ſchon alles egal, ſo kapores oder ſo!“ Zehn Tage ſpäter ſah man richtig hinter einem der Fenſter rote, blaue und gemuſterte Flanellröcke, Hoſen, geſtrickte Miederleibchen, hinter einem anderen Baumwollſtrümpfe und ſolides Schuhzeug und in einer der Auslagen türmten ſich Lodenſtoffe in Braun, Grau und Schwarz zu Bergen. Und die Verkaufsräume füllten ſich, bis der Bedarf der weiteſten Kreiſe gedeckt war und die Verkäuferinnen wieder verſtohlen hinter ihren ſchwarzen Seidenſchürzen gähnten oder Engelhornromane laſen. 12. Abſchnitt