Ich ſaß da ohne Schatten und ohne Geld; aber ein ſchweres Gewicht war von meiner Bruſt genommen, ich war heiter. Hätte ich nicht auch meine Liebe verloren, oder hätt' ich mich nur bei deren Verluſt vorwurfsfrei gefühlt, ich glaube, ich hätte glücklich ſeyn können — ich wußte aber nicht, was ich anfangen ſollte. Ich durchſuchte meine Taſchen und fand noch einige Goldſtücke darin; ich zählte ſie, und lachte. — Ich hatte meine Pferde unten im Wirthshauſe, ich ſchämte mich, dahin zurückzukehren, ich mußte wenigſtens den Untergang der Sonne erwarten; ſie ſtand noch hoch am Himmel: Ich legte mich in den Schatten der nächſten Bäume und ſchlief ruhig ein.
Anmuthige Bilder verwoben ſich mir im luftigen Tanze zu einem gefälligen Traum. Mina, einen Blumenkranz in den Haaren, ſchwebte an mir vorüber, und lächelte mich freundlich an. Auch der ehrliche Bendel war mit Blumen bekränzt, und eilte mit freundlichem Gruße vorüber. Viele ſah' ich noch, und wie mich dünkt, auch Dich, Chamiſſo, im fernen Gewühl; ein helles Licht ſchien, es hatte aber Keiner einen Schatten, und was ſeltſamer iſt, es ſah nicht übel aus, — Blumen und Lieder, Liebe und Freude, unter Palmenhainen. – – – Ich konnte die beweglichen, leicht verwehten, lieblichen Geſtalten weder feſthalten noch deuten; aber ich weiß, daß ich gerne ſolchen Traum träumte und mich vor dem Erwachen in Acht nahm; ich wachte wirklich ſchon, und hielt noch die Augen zu, um die weichenden Erſcheinungen länger vor meiner Seele zu behalten.
Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne ſtand noch am Himmel, aber im Oſten; ich hatte die Nacht verſchlafen. Ich nahm es für ein Zeichen, daß ich nicht nach dem Wirthshauſe zurückkehren ſollte. Ich gab leicht, was ich dort noch beſaß, verloren, und beſchloß, eine Nebenſtraſſe, die durch den waldbewachſenen Fuß des Gebirges führte, zu Fuße einzuſchlagen, dem Schikſal es anheim ſtellend, was es mit mir vor hatte, zu erfüllen. Ich ſchaute nicht hinter mich zurück, und dachte auch nicht daran, an Bendel, den ich reich zurück gelaſſen hatte, mich zu wenden, welches ich allerdings gekonnt hätte. Ich ſah mich an auf den neuen Charakter, den ich in der Welt bekleiden ſollte: Mein Anzug war ſehr beſcheiden. Ich hatte eine alte ſchwarze Kurtka an, die ich ſchon in Berlin getragen, und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieſer Reiſe erſt wieder in die Hand gekommen war. Ich hatte ſonſt eine Reiſemütze auf dem Kopf und ein Paar alte Stiefeln an den Füßen. Ich erhob mich, ſchnitt mir an ſelbiger Stelle einen Knotenſtock zum Andenken, und trat ſogleich meine Wanderung an.
Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich freundlich begrüßte, und mit dem ich mich in Geſpräch einließ. Ich erkundigte mich, wie ein wißbegieriger Reiſender, erſt nach dem Wege, dann nach der Gegend und deren Bewohner, den Erzeugniſſen des Gebirges und derlei mehr. Er antwortete verſtändig und redſelig auf meine Fragen. Wir kamen an das Bette eines Bergſtromes, der über einen weiten Strich des Waldes ſeine Verwüſtung verbreitet hatte. Mich ſchauderte innerlich vor dem ſonnenhellen Raum, ich ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber mitten im gefährlichen Orte ſtill, und wandte ſich zu mir, um mir die Geſchichte dieſer Verwüſtung zu erzählen. Er bemerkte bald, was mir fehlte, und hielt mitten in ſeiner Rede ein: „Aber wie geht denn das zu, der Herr hat ja keinen Schatten.“ — „Leider! leider!“ erwiederte ich ſeufzend. „Es ſind mir während einer böſen langen Krankheit, Haare, Nägel und Schatten ausgegangen. Seht, Vater, in meinem Alter, die Haare, die ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel ſehr kurz, und der Schatten, der will noch nicht wieder wachſen.“ — „Ei! ei!“ verſetzte der alte Mann kopfſchüttelnd, „keinen Schatten, das iſt bös! das war eine böſe Krankheit, die der Herr gehabt hat.“ Aber, er hub ſeine Erzählung nicht wieder an, und bei dem nächſten Querweg, der ſich darbot, ging er, ohne ein Wort zu ſagen, von mir ab. — Bittere Thränen zitterten aufs Neue in meinen Wangen und meine Heiterkeit war hin.
Ich ſetzte traurigen Herzens meinen Weg fort, und ſuchte ferner keines Menſchen Geſellſchaft. Ich hielt mich im dunkelſten Wald, und mußte manchmal, um über einen Strich, wo die Sonne ſchien, zu kommen, Stundenlang darauf warten, daß mir keines Menſchen Aug' den Durchgang verbot. Am Abende ſuchte ich Herberge in den Dörfern zu nehmen. Ich ging eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirg, wo ich Arbeit unter der Erde zu finden gedachte; denn, davon abgeſehen, daß meine jetzige Lage mir gebot, für meinen Lebensunterhalt ſelbſt zu ſorgen, hatte ich dieſes wohl erkannt, daß mich allein angeſtrengte Arbeit gegen meine zerſtörenden Gedanken ſchützen könnte.
Ein Paar regnichte Tage förderten mich leicht auf den Weg, aber auf Koſten meiner Stiefeln, deren Solen für den Grafen Peter und nicht für den Fußknecht berechnet worden. Ich trat ſchon auf den bloßen Füßen. Ich mußte ein Paar neue Stiefeln anſchaffen. Am nächſten Morgen beſorgte ich dieſes Geſchäft mit vielem Ernſt in einem Flecken, wo Kirmes war, und wo in einer Bude alte und neue Stiefeln zu Kauf ſtanden.
Ich wählte und handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich gerne gehabt hätte, Verzicht leiſten; mich ſchreckte die unbillige Forderung. Ich begnügte mich alſo mit alten, die noch gut und ſtark waren, und die mir der ſchöne blondlockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich baare Bezahlung, freundlich lächelnd einhändigte, indem er mir Glück auf den Weg wünſchte. Ich zog ſie gleich an, und ging zum nördlich gelegenen Thor aus dem Ort.
Ich war in meinen Gedanken ſehr vertieft, und ſah kaum, wo ich den Fuß hinſetzte, denn ich dachte an das Bergwerk, wo ich auf den Abend noch anzulangen hoffte, und wo ich nicht recht wußte, wie ich mich ankündigen ſollte. Ich war noch keine zweihundert Schritte gegangen, als ich bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war; ich ſah mich darnach um, ich befand mich in einem wüſten uralten Tannenwald, woran die Axt nie gelegt worden zu ſeyn ſchien. Ich drang noch einige Schritte vor, ich ſah mich mitten unter öden Felſen, die nur mit Moos und Steinbrucharten bewachſen waren, und zwiſchen welchen Schnee und Eisfelder lagen. Die Luft war ſehr kalt, ich ſah mich um, der Wald war hinter mir verſchwunden. Ich machte noch einige Schritte — um mich herrſchte die Stille des Todes, unabſehbar dehnte ſich das Eis, worauf ich ſtand, und worauf ein dichter Nebel ſchwer ruhte; die Sonne ſtand blutig am Rande des Horizontes. Die Kälte war unerträglich. Ich wußte nicht, wie mir geſchehen war, der erſtarrende Froſt zwang mich, meine Schritte zu beſchleunigen, ich vernahm nur das Gebrauſe ferner Gewäſſer, ein Schritt, und ich war am Eisufer eines Ozeans. Unzählbare Heerden von Seehunden ſtürzten ſich vor mir rauſchend in die Fluth. Ich folgte dieſem Ufer, ich ſah wieder nackte Felſen, Land, Birken- und Tannenwälder, ich lief noch ein Paar Minuten gerade vor mir hin. Es ward erſtickend heiß, ich ſah mich um, ich ſtand zwiſchen ſchön gebauten Reisfeldern unter Maulbeerbäumen, ich ſetzte mich in deren Schatten, ich ſah nach meiner Uhr, ich hatte vor nicht einer Viertelſtunde den Marktflecken verlaſſen, — ich glaubte zu träumen, ich biß mich in die Zunge, um mich zu erwecken; aber ich wachte wirklich. — Ich ſchloß die Augen zu, um meine Gedanken zuſammen zu faſſen. — Ich hörte vor mir ſeltſame Sylben durch die Naſe zählen; ich blickte auf: zwei Chineſen, an der aſiatiſchen Geſichtsbildung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung keinen Glauben beimeſſen wollte, redeten mich mit landesüblichen Begrüſſungen in ihrer Sprache an; ich ſtand auf und trat zwei Schritte zurück. Ich ſah ſie nicht mehr, die Landſchaft war ganz verändert: Bäume, Wälder, ſtatt der Reisfelder. Ich betrachtete dieſe Bäume und die Kräuter, die um mich blühten; die ich kannte, waren ſüdöſtlich aſiatiſche Gewächſe; ich wollte auf den einen Baum zugehen, ein Schritt — und wiederum Alles verändert. Ich trat nun an, wie ein Rekrut, der geübt wird, und ſchritt langſam, geſetzt einher. Wunderbar veränderliche Länder, Fluren, Auen, Gebirge, Steppen, Sandwüſten, entrollen ſich vor meinem ſtaunenden Blick: es war kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenſtiefeln an den Füßen.