Adelbert von Chamiſſo: Peter Schlemihl's wunderſame Geſchichte 6. Kapitel Allein zurückgeblieben auf der öden Haide, ließ ich unendlichen Thränen freien Lauf, mein armes Herz von namenloſer banger Laſt erleichternd. Aber ich ſah meinem unüberſchwänglichen Elend keine Grenzen, keinen Ausgang, kein Ziel, und ich ſog beſonders mit grimmigem Durſt an dem neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wunden gegoſſen. Als ich Minas Bild vor meine Seele rief, und die geliebte, ſüße Geſtalt bleich und in Thränen mir erſchien, wie ich ſie zuletzt in meiner Schmach geſehen, da trat frech und höhnend Rascal's Schemen zwiſchen ſie und mich, ich verhüllte mein Geſicht, und floh durch die Einöde, aber die ſcheußliche Erſcheinung gab mich nicht frei, ſondern verfolgte mich im Laufe, bis ich athemlos an den Boden ſank, und die Erde mit erneuertem Thränenquell befeuchtete. Und alles um einen Schatten! und dieſen Schatten hätte mir ein Federzug wieder erworben. Ich überdachte den befremdenden Antrag und meine Weigerung. Es war wüſt in mir, ich hatte weder Urtheil noch Faſſungsvermögen mehr. Der Tag verging. Ich ſtillte meinen Hunger mit wilden Früchten, meinen Durſt im nächſten Bergſtrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem ſchweren Schlaf, in dem ich mich ſelber wie im Tode röcheln hörte. Bendel mußte meine Spur verloren haben, und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter die Menſchen zurückkehren, vor welchen ich ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Gebirges. So verlebte ich drei bange Tage. Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer ſandigen Ebene, welche die Sonne beſchien, und ſaß auf Felſentrümmern in ihrem Stral, denn ich liebte jetzt ihren lang' entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte ſtill mein Herz mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich ein leiſes Geräuſch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich ſah Niemand: aber es kam auf dem ſonnigen Sande an mir vorbei geglitten ein Menſchenſchatten, dem meinigen nicht unähnlich, welcher, allein daher wandelnd, von ſeinem Herrn abgekommen zu ſeyn ſchien. Da erwachte in mir ein mächtiger Trieb: Schatten, dacht' ich, ſuchſt du deinen Herrn? der will ich ſeyn. Und ich ſprang hinzu, mich ſeiner zu bemächtigen; ich dachte nemlich, daß, wenn es mir glückte, in ſeine Spur zu treten, ſo, daß er mir an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben würde, und ſich mit der Zeit an mich gewöhnen. Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir die Flucht, und ich mußte auf den leichten Flüchtling eine angeſtrengte Jagd beginnen, zu der mich allein der Gedanke, mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu retten, mit hinreichenden Kräften ausrüſten konnte. Er floh einem freilich noch entfernten Walde zu, in deſſen Schatten ich ihn nothwendig hätte verlieren müſſen, — ich ſah’s, ein Schreck durchzuckte mir das Herz, fachte meine Begierde an, beflügelte meinen Lauf — ich gewann ſichtbarlich auf den Schatten, ich kam ihm nach und nach näher, ich mußte ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an, und kehrte ſich nach mir um. Wie der Löwe auf ſeine Beute, ſo ſchoß ich mit einem gewaltigen Sprunge hinzu, um ihn in Beſitz zu nehmen — und traf unerwartet und hart auf körperlichen Widerſtand. Es wurden mir unſichtbar die unerhörteſten Rippenſtöße ertheilt, die wohl je ein Menſch gefühlt hat. Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme krampfhaft zuzuſchlagen und feſt zu drücken, was ungeſehen vor mir ſtand. Ich ſtürzte in der ſchnellen Handlung vorwärts geſtreckt auf den Boden: rückwärts aber unter mir ein Menſch, den ich umfaßt hielt, und der jetzt erſt ſichtbar erſchien. Nun ward mir auch das ganze Ereigniß ſehr natürlich erklärbar. Der Mann mußte das unſichtbare Vogelneſt, welches den, der es hält, nicht aber ſeinen Schatten, unſichtbar macht, erſt getragen und jetzt weggeworfen haben. Ich ſpähete mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den Schatten des unſichtbaren Neſtes ſelbſt, ſprang auf und hinzu, und verfehlte nicht den theuern Raub. Ich hielt unſichtbar, ſchattenlos das Neſt in Händen. Der ſchnell ſich aufrichtende Mann, ſich ſogleich nach ſeinem beglückten Bezwinger umſehend, erblickte auf der weiten ſonnigen Ebene weder ihn noch deſſen Schatten, nach dem er beſonders ängſtlich umherlauſchte. Denn daß ich an und für mich ſchattenlos war, hatte er vorher nicht Muße gehabt zu bemerken, und konnte es nicht vermuthen. Als er ſich überzeugt’, daß jede Spur verſchwunden, kehrte er in der höchſten Verzweiflung die Hand gegen ſich ſelber und raufte ſich das Haar aus. Mir aber gab der errungene Schatz die Möglichkeit und die Begierde zugleich, mich wieder unter die Menſchen zu miſchen. Es fehlte mir nicht an Vorwand gegen mich ſelber, meinen ſchnöden Raub zu beſchönigen, oder vielmehr, ich bedurfte ſolcher nicht, und jedem Gedanken der Art zu entweichen, eilte ich hinweg, nach dem Unglücklichen nicht zurückſchauend, deſſen ängſtliche Stimme ich mir noch lange nachſchallen hörte. So wenigſtens kamen mir damals alle Umſtände dieſes Ereigniſſes vor. Ich brannte nach dem Förſtergarten zu gehen, und durch mich ſelbſt die Wahrheit deſſen zu erkennen, was mir jener Verhaßte verkündigt hatte; ich wußte aber nicht, wo ich war, ich beſtieg, um mich in der Gegend um zu ſchauen, den nächſten Hügel, ich ſah von ſeinem Gipfel das nahe Städtchen und den Förſtergarten zu meinen Füßen liegen. — Heftig klopfte mir das Herz, und Thränen einer andern Art, als die ich bis dahin vergoſſen, traten mir in die Augen, ich ſollte ſie wiederſehen. — Bange Sehnſucht beſchleunigte meine Schritte auf dem richtigſten Pfad hinab. Ich kam ungeſehen an einigen Bauern vorbei, die aus der Stadt kamen. Sie ſprachen von mir, Rascal’n und dem Förſter; ich wollte nichts anhören, ich eilte vorüber. Ich trat in den Garten, alle Schauer der Erwartung in der Bruſt — mir ſchallte es wie ein Lachen entgegen, mich ſchauderte, ich warf einen ſchnellen Blick um mich her; ich konnte Niemanden entdecken. Ich ſchritt weiter vor, mir war's, als vernähme ich neben mir ein Geräuſch wie von Menſchentritten; es war aber nichts zu ſehen: ich dachte mich von meinem Ohre getäuſcht. Es war noch früh, Niemand in Graf Peter's Laube, noch leer der Garten; ich durchſchweifte die bekannten Gänge, ich drang bis nach dem Wohnhauſe vor. Daſſelbe Geräuſch verfolgte mich vernehmlicher. Ich ſetzte mich mit angſtvollem Herzen auf eine Bank, die im ſonnigen Raume der Hausthür gegen über ſtand. Es ward mir, als hörte ich den ungeſehenen Kobold ſich hohnlachend neben mich ſetzen. Der Schlüſſel ward in der Thür gedreht, ſie ging auf, der Forſtmeiſter trat heraus, mit Papieren in der Hand. Ich fühlte mir wie Nebel über den Kopf zieh'n, ich ſah mich um, und — Entſetzen! — der Mann im grauen Rock ſaß neben mir, mit ſataniſchem Lächeln auf mich blickend. — Er hatte mir ſeine Tarnkappe mit über den Kopf gezogen, zu ſeinen Füßen lagen ſein und mein Schatten friedlich neben einander; er ſpielte nachläßig mit dem bekannten Pergament, das er in der Hand hielt, und, indem der Forſtmeiſter mit den Papieren beſchäftigt im Schatten der Laube auf- und abging — beugte er ſich vertraulich zu meinem Ohr und flüſterte mir die Worte: „So hätten Sie denn doch meine Einladung angenommen, und da ſäßen wir einmal zwei Köpfe unter einer Kappe! — Schon recht! ſchon recht! Nun geben Sie mir aber auch mein Vogelneſt zurück, Sie brauchen es nicht mehr, und ſind ein zu ehrlicher Mann, um es mir vorenthalten zu wollen — doch keinen Dank dafür, ich verſichere Sie, daß ich es Ihnen von Herzen gern geliehen habe.“ — Er nahm es unweigerlich aus meiner Hand, ſteckte es in die Taſche und lachte mich abermals aus, und zwar ſo laut, daß ſich der Forſtmeiſter nach dem Geräuſch umſah. — Ich ſaß wie verſteinert da. „Sie müſſen mir doch geſtehen,“ fuhr er fort, „daß ſo eine Kappe viel bequemer iſt. Sie deckt doch nicht nur ihren Mann, ſondern auch ſeinen Schatten mit, und noch ſo viele andere, als er mit zu nehmen Luſt hat. Sehen Sie, heute führ' ich wieder ihrer zwei. —“ Er lachte wieder. „Merken Sie Sich's, Schlemihl, was man Anfangs mit Gutem nicht will, das muß man am Ende doch gezwungen. Ich dächte noch, Sie kauften mir das Ding ab, nehmen die Braut zurück, (denn noch iſt es Zeit) und wir ließen den Rascal am Galgen baumeln, das wird uns ein Leichtes, ſo lange es am Stricke nicht fehlt — Hören Sie, ich gebe Ihnen noch meine Mütze in den Kauf.“ Die Mutter trat heraus und das Geſpräch begann. — „Was macht Mina? —“ „Sie weint.“ — „Einfältiges Kind! es iſt doch nicht zu ändern!“ — „Freilich nicht; aber ſie ſo früh einem Andern zu geben – – – O Mann, Du biſt grauſam gegen Dein eigenes Kind.“ — „Nein, Mutter, das ſiehſt Du ſehr falſch. Wenn ſie, noch bevor ſie ihre doch kindiſchen Thränen ausgeweint hat, ſich als die Frau eines ſehr reichen und geehrten Mannes findet, wird ſie getröſtet aus ihrem Schmerze wie aus einem Traum erwachen, und Gott und uns danken, das wirſt Du ſehen!“ — „Gott gebe es!“ — „Sie beſitzt freilich jetzt ſehr anſehnliche Güter; aber nach dem Aufſehen, das die unglückliche Geſchichte mit dem Abentheurer gemacht hat, glaubſt Du, daß ſich ſobald eine andere, für ſie ſo paſſende Partie, als der Herr Rascal, finden möchte? Weißt Du, was für ein Vermögen er beſitzt, der Herr Rascal? Er hat für ſechs Millionen Güter hier im Lande, frei von allen Schulden, baar bezahlt. Ich habe die Dokumente in Händen gehabt; er war's, der mir überall das Beſte vorweg genommen hat; und außerdem im Porte feuille Papiere auf Thomas John für circa viertehalb Millionen.“ — „Er muß ſehr viel geſtolen haben.“ — „Was ſind das wieder für Reden! Er hat weislich geſpart, wo verſchwendet wurde.“ — „Ein Mann, der die Livree getragen hat!“ — „Dummes Zeug! er hat doch einen untadlichen Schatten.“ — „Du haſt Recht, aber – – –“ Der Mann im grauen Rock lachte und ſah mich an. Die Thüre ging auf, und Mina trat heraus. Sie ſtützte ſich auf den Arm einer Kammerfrau, ſtille Thränen floſſen auf ihren ſchönen blaſſen Wangen. Sie ſetzte ſich in einen Seſſel, der für ſie unter den Linden bereitet war, und ihr Vater nahm einen Stuhl neben ihr. Er faßte zärtlich ihre Hand, und redete ſie, die heftiger zu weinen anfing, mit zarten Worten an: „Du biſt mein gutes, liebes Kind, Du wirſt auch vernünftig ſeyn, wirſt nicht Deinen alten Vater betrüben wollen, der nur Dein Glück will; ich begreife es wohl, liebes Herz, daß es Dich ſehr erſchüttert hat, Du biſt wunderbar Deinem Unglück entkommen! Bevor wir den ſchändlichen Betrug entdeckt, haſt Du dieſen Unwürdigen ſehr geliebt; ſiehe Mina, ich weiß es, und mache Dir keine Vorwürfe darüber. Ich ſelber, liebes Kind, habe ihn auch geliebt, ſo lange ich ihn für einen großen Herrn angeſehen habe. Nun ſiehſt Du ſelber ein, wie anders Alles geworden. Was! ein jeder Pudel hat ja ſeinen Schatten, und mein liebes einziges Kind ſollte einen Mann – – – Nein, Du denkſt auch gar nicht mehr an ihn. — Höre, Mina, nun wirbt ein Mann um Dich, der die Sonne nicht ſcheut, ein geehrter Mann, der freilich kein Fürſt iſt, aber zehn Millionen, zehnmal mehr als Du in Vermögen beſitzt, ein Mann, der mein liebes Kind glücklich machen wird. Erwiedere mir nichts, widerſetze Dich nicht, ſei meine gute gehorſame Tochter, laß Deinen liebenden Vater für Dich ſorgen, Deine Thränen trocknen. Verſprich mir, dem Herrn Rascal Deine Hand zu geben. — Sage, willſt Du mir dies verſprechen?“ — Sie antwortete mit erſtorbener Stimme: „Ich habe keinen Willen, keinen Wunſch fürder auf Erden. Geſchehe mit mir, was mein Vater will.“ Zugleich ward Herr Rascal angemeldet, und trat frech in den Kreis. Mina lag in Ohnmacht. Mein verhaßter Gefährte blickte mich zornig an und flüſterte mir die ſchnellen Worte: „Und das konnten Sie erdulden! was fließt Ihnen denn ſtatt des Blutes in den Adern?“ Er ritzte mir mit einer raſchen Bewegung eine leichte Wunde in die Hand, es floß Blut, er fuhr fort: „Wahrhaftig! rothes Blut! — So unterſchreiben Sie!“ Ich hatte das Pergament und die Feder in Händen. 7. Kapitel