: Das Nibelungenlied 5. Fünftes Abenteuer. // Wie Siegfried Kriemhilden zuerſt erſah. Man ſah die Helden täglich · nun reiten an den Rhein, // Die bei dem Hofgelage · gerne wollten ſein // Und den Königen zu Liebe · kamen in das Land. // Man gab ihrer Vielen · beides, Roſs und Gewand. // Es war auch das Geſtühle · allen ſchon bereit, // Den Höchſten und den Beſten, · ſo hörten wir Beſcheid, // Zweiunddreißig Fürſten · zu dem Hofgelag: // Da zierten um die Wette · ſich die Frauen für den Tag. // Gar geſchäftig ſah man · Geiſelher das Kind. // Die Heimiſchen und Fremden · empfieng er holdgeſinnt // Mit Gernot ſeinem Bruder · und beider Mannen da. // Wohl grüßten ſie die Degen, · wie es nach Ehren geſchah. // Viel goldrother Sättel · führten ſie ins Land, // Zierliche Schilde · und herrlich Gewand // Brachten ſie zu Rheine · bei dem Hofgelag. // Mancher Ungeſunde · hieng der Freude wieder nach. // Die wund zu Bette liegend · vordem gelitten Noth, // Die durften nun vergeßen, · wie bitter ſei der Tod; // Die Siechen und die Kranken · vergaß man zu beklagen. // Es freute ſich ein Jeder · entgegen feſtlichen Tagen: // Wie ſie da leben wollten · in gaſtlichem Genuß! // Wonnen ohne Maßen, · der Freuden Ueberfluß // Hatten alle Leute, · ſo viel man immer fand: // Da hub ſich große Wonne · über Gunthers ganzes Land. // An einem Pfingſtmorgen · ſah man ſie alle gehn // Wonniglich gekleidet, · viel Degen auserſehn, // Fünftauſend oder drüber, · dem Hofgelag entgegen. // Da hub um die Wette · ſich viel Kurzweil allerwegen. // Der Wirth hatt im Sinne, · was er ſchon längſt erkannt, // Wie von ganzem Herzen · der Held von Niederland // Seine Schweſter liebe, · ſah er ſie gleich noch nie, // Der man das Lob der Schönheit · vor allen Jungfrauen lieh. // Er ſprach: „Nun rathet Alle, · Freund oder Unterthan, // Wie wir das Hofgelage · am beſten ſtellen an, // Daß man uns nicht ſchelte · darum nach dieſer Zeit; // Zuletzt doch an den Werken · liegt das Lob, das man uns beut.“ // Da ſprach zu dem Könige · von Metz Herr Ortewein: // „Soll dieß Hofgelage · mit vollen Ehren ſein, // So laßt eure Gäſte · die ſchönen Kinder ſehn, // Denen ſo viel Ehren · in Burgundenland geſchehn. // „Was wäre Mannes Wonne, · was freut' er ſich zu ſchaun, // Wenn nicht ſchöne Mägdelein · und herrliche Fraun? // Drum laßt eure Schweſter · vor die Gäſte gehn.“ // Der Rath war manchem Helden · zu hoher Freude geſchehn. // „Dem will ich gerne folgen,“ · der König ſprach da ſo. // Alle, die's erfuhren, · waren darüber froh. // Er entbot es Frauen Uten · und ihrer Tochter ſchön, // Daß ſie mit ihren Maiden · hin zu Hofe ſollten gehn. // Da ward aus den Schreinen · geſucht gut Gewand, // So viel man eingeſchlagen · der lichten Kleider fand, // Der Borten und der Spangen; · des lag genug bereit. // Da zierte ſich gar minniglich · manche waidliche Maid. // Mancher junge Recke · wünſchte heut ſo ſehr, // Daß er wohlgefallen · möchte den Frauen hehr, // Das er dafür nicht nähme · ein reiches Königsland: // Sie ſahen die gar gerne, · die ſie nie zuvor gekannt. // Da ließ der reiche König · mit ſeiner Schweſter gehn // Hundert ſeiner Recken, · zu ihrem Dienſt erſehn // Und dem ihrer Mutter, · die Schwerter in der Hand: // Das war das Hofgeſinde · in der Burgunden Land. // Ute die reiche · ſah man mit ihr kommen, // Die hatte ſchöner Frauen · ſich zum Geleit genommen // Hundert oder drüber, · geſchmückt mit reichem Kleid. // Auch folgte Kriemhilden · manche waidliche Maid. // Aus einer Kemenate · ſah man ſie alle gehn: // Da muſte heftig Drängen · von Helden bald geſchehn, // Die alle harrend ſtanden, · ob es möchte ſein, // Daß ſie da fröhlich ſähen · dieſes edle Mägdelein. // Da kam die Minnigliche, · wie das Morgenroth // Tritt aus trüben Wolken. · Da ſchied von mancher Noth, // Der ſie im Herzen hegte, · was lange war geſchehn. // Er ſah die Minnigliche · nun gar herrlich vor ſich ſtehn. // Von ihrem Kleide leuchtete · mancher edle Stein; // Ihre roſenrothe Farbe · gab wonniglichen Schein. // Was Jemand wünſchen mochte, · er muſte doch geſtehn, // Daß er hier auf Erden · noch nicht ſo Schönes geſehn. // Wie der lichte Vollmond · vor den Sternen ſchwebt, // Des Schein ſo hell und lauter · ſich aus den Wolken hebt, // So glänzte ſie in Wahrheit · vor andern Frauen gut: // Das mochte wohl erhöhen · den zieren Helden den Muth. // Die reichen Kämmerlinge · ſchritten vor ihr her; // Die hochgemuthen Degen · ließen es nicht mehr: // Sie drängten, daß ſie ſähen · die minnigliche Maid. // Siegfried dem Degen · war es lieb und wieder leid. // Er ſann in ſeinem Sinne: · „Wie dacht ich je daran, // Daß ich dich minnen ſollte? · das iſt ein eitler Wahn; // Soll ich dich aber meiden, · ſo wär ich ſanfter todt.“ // Er ward von Gedanken · oft bleich und oft wieder roth. // Da ſah man den Sigelindenſohn · ſo minniglich da ſtehn, // Als wär er entworfen · auf einem Pergamen // Von guten Meiſters Händen: · gern man ihm zugeſtand, // Daß man nie im Leben · ſo ſchönen Helden noch fand. // Die mit Kriemhilden giengen, · die hießen aus den Wegen // Allenthalben weichen: · dem folgte mancher Degen. // Die hochgetragnen Herzen · freute man ſich zu ſchaun: // Man ſah in hohen Züchten · viel der herrlichen Fraun. // Da ſprach von Burgunden · der König Gernot: // „Dem Helden, der ſo gütlich · euch ſeine Dienſte bot, // Gunther, lieber Bruder, · dem bietet hier den Lohn // Vor allen dieſen Recken: · des Rathes ſpricht man mir nicht Hohn. // „Heißet Siegfrieden · zu meiner Schweſter kommen, // Daß ihn das Mägdlein grüße: · das bringt uns immer Frommen: // Die niemals Recken grüßte, · ſoll ſein mit Grüßen pflegen, // Daß wir uns ſo gewinnen · dieſen zierlichen Degen.“ // Des Wirthes Freunde giengen dahin, · wo man ihn fand; // Sie ſprachen zu dem Recken · aus dem Niederland: // „Der König will erlauben, · ihr ſollt zu Hofe gehn, // Seine Schweſter ſoll euch grüßen: · die Ehre ſoll euch geſchehn.“ // Der Rede ward der Degen · in ſeinem Muth erfreut: // Er trug in ſeinem Herzen · Freude ſonder Leid, // Daß er der ſchönen Ute · Tochter ſollte ſehn. // In minniglichen Züchten · empfieng ſie Siegfrieden ſchön. // Als ſie den Hochgemuthen · vor ſich ſtehen ſah, // Ihre Farbe ward entzündet; · die Schöne ſagte da: // „Willkommen, Herr Siegfried, · ein edler Ritter gut.“ // Da ward ihm von dem Gruße · gar wohl erhoben der Muth. // Er neigte ſich ihr minniglich, · als er den Dank ihr bot. // Da zwang ſie zu einander · ſehnender Minne Noth; // Mit liebem Blick der Augen · ſahn einander an // Der Held und auch das Mägdelein; · das ward verſtohlen gethan. // Ward da mit ſanftem Drucke · geliebkoſt weiße Hand // In herzlicher Minne, · das iſt mir unbekannt. // Doch kann ich auch nicht glauben, · ſie hättens nicht gethan. // Liebebedürftige Herzen · thäten Unrecht daran. // Zu des Sommers Zeiten · und in des Maien Tagen // Durft er in ſeinem Herzen · nimmer wieder tragen // So viel hoher Wonne, · als er da gewann, // Da die ihm an der Hand gieng, · die der Held zu minnen ſann. // Da gedachte mancher Recke: · „Hei! wär mir ſo geſchehn, // Daß ich ſo bei ihr gienge, · wie ich ihn geſehn, // Oder bei ihr läge! · das nähm ich willig hin.“ // Es diente nie ein Recke · ſo gut noch einer Königin. // Aus welchen Königs Landen · ein Gaſt gekommen war, // Er nahm im ganzen Saale · nur dieſer beiden wahr. // Ihr ward erlaubt zu küſſen · den waidlichen Mann: // Ihm ward in ſeinem Leben · nie ſo Liebes gethan. // Von Dänemark der König · hub an und ſprach zur Stund: // „Des hohen Grußes willen · liegt gar Mancher wund, // Wie ich wohl hier gewahre, · von Siegfriedens Hand: // Gott laß ihn nimmer wieder · kommen in der Dänen Land.“ // Da hieß man allenthalben · weichen aus den Wegen // Kriemhild der Schönen; · manchen kühnen Degen // Sah man wohlgezogen · mit ihr zur Kirche gehn. // Bald ward von ihr geſchieden · dieſer Degen auserſehn. // Da gieng ſie zu dem Münſter · und mit ihr viel der Fraun. // Da war in ſolcher Zierde · die Königin zu ſchaun, // Daß da hoher Wünſche · mancher ward verloren; // Sie war zur Augenweide · viel der Recken auserkoren. // Kaum erharrte Siegfried, · bis ſchloß der Meſsgeſang; // Er mochte ſeinem Heile · des immer ſagen Dank, // Daß ihm ſo gewogen war, · die er im Herzen trug: // Auch war er der Schönen · nach Verdienſten hold genug. // Als ſie aus dem Münſter · nach der Meſſe kam, // Lud man wieder zu ihr · den Helden lobeſam. // Da begann ihm erſt zu danken · die minnigliche Maid, // Daß er vor allen Recken · ſo kühn gefochten im Streit. // „Nun lohn euch Gott, Herr Siegfried,“ · ſprach das ſchöne Kind, // „Daß ihr das verdientet, · daß euch die Recken ſind // So hold mit ganzer Treue, · wie ſie zumal geſtehn.“ // Da begann er Frau Kriemhilden · minniglich anzuſehn. // „Stäts will ich ihnen dienen,“ · ſprach Stegfried der Degen, // „Und will mein Haupt nicht eher · zur Ruhe niederlegen, // Bis ihr Wunſch geſchehen, · ſo lang mein Leben währt: // Das thu ich, Frau Kriemhild, · daß ihr mir Minne gewährt.“ // Innerhalb zwölf Tagen, · ſo oft es neu getagt, // Sah man bei dem Degen · die wonnigliche Magd, // So ſie zu Hofe durfte · vor ihren Freunden gehn. // Der Dienſt war dem Recken · aus großer Liebe geſchehn. // Freude und Wonne · und lauten Schwerterſchall // Vernahm man alle Tage · vor König Gunthers Saal, // Davor und darinnen · von manchem kühnen Mann. // Von Ortwein und Hagen · wurden Wunder viel gethan. // Was man zu üben wünſchte, · dazu ſah man bereit // In völligem Maße · die Degen kühn im Streit. // Da machten vor den Gäſten · die Recken ſich bekannt; // Es war eine Zierde · König Gunthers ganzem Land. // Die lange wund gelegen, · wagten ſich an den Wind: // Sie wollten kurzweilen · mit des Königs Ingeſind, // Schirmen mit den Schilden · und ſchießen manchen Schaft. // Des halfen ihnen Viele; · ſie hatten größliche Kraft. // Bei dem Hofgelage · ließ ſie der Wirth verpflegen // Mit der beſten Speiſe; · es durfte ſich nicht regen // Nur der kleinſte Tadel, · der Fürſten mag entſtehn; // Man ſah ihn jetzo freundlich · hin zu ſeinen Gäſten gehn. // Er ſprach: „Ihr guten Recken, · bevor ihr reitet hin, // So nehmt meine Gaben: · alſo fleht mein Sinn, // Ich will euch immer danken; · verſchmäht nicht mein Gut: // Es unter euch zu theilen · hab ich willigen Muth.“ // Die vom Dänenlande · ſprachen gleich zur Hand: // „Bevor wir wieder reiten · heim in unſer Land, // Gewährt uns ſtäten Frieden: · das iſt uns Recken noth; // Uns ſind von euern Degen · viel der lieben Freunde todt.“ // Geneſen von den Wunden · war Lüdegaſt derweil; // Der Vogt des Sachſenlandes · war bald vom Kampfe heil. // Etliche Todte · ließen ſie im Land. // Da gieng der König Gunther · hin, wo er Siegfrieden fand. // Er ſprach zu dem Recken: · „Nun rath mir, wie ich thu. // Unſre Gäſte wollen · reiten morgen fruh // Und gehn um ſtäte Sühne · mich und die Meinen an: // Nun rath, kühner Degen, · was dich dünke wohlgethan. // „Was mir die Herrn bieten, · das will ich dir ſagen: // Was fünfhundert Mähren · an Gold mögen tragen, // Das bieten ſie mir gerne · für ihre Freiheit an.“ // Da ſprach aber Siegfried: · „Das wär übel gethan. // „Ihr ſollt ſie beide ledig · von hinnen laßen ziehn; // Nur daß die edeln Recken · ſich hüten fürderhin // Vor feindlichem Reiten · her in euer Land, // Laßt euch zu Pfande geben · der beiden Könige Hand.“ // „Dem Rathe will ich folgen.“ · So giengen ſie hindann. // Seinen Widerſachern · ward es kundgethan, // Des Golds begehre Niemand, · das ſie geboten eh. // Daheim den lieben Freunden · war nach den heermüden weh. // Viel Schilde ſchatzbeladen · trug man da herbei: // Das theilt' er ungewogen · ſeinen Freunden frei, // An fünfhundert Marken · und Manchem wohl noch mehr; // Gernot rieth es Gunthern, · dieſer Degen kühn und hehr. // Um Urlaub baten alle, · ſie wollten nun hindann. // Da kamen die Gäſte · vor Kriemhild heran // Und dahin auch, wo Frau Ute · ſaß, die Königin. // Es zogen nie mehr Degen · ſo wohl beurlaubt dahin. // Die Herbergen leerten ſich, · als ſie von dannen ritten. // Doch verblieb im Lande · mit herrlichen Sitten // Der König mit den Seinen · und mancher edle Mann: // Die giengen alle Tage · zu Frau Kriemhild heran. // Da wollt auch Urlaub nehmen · Siegfried der gute Held, // Verzweifelnd zu erwerben, · worauf ſein Sinn geſtellt. // Der König hörte ſagen, · er wolle nun hindann: // Geiſelher der junge · ihn von der Reiſe gewann. // „Wohin, edler Siegfried, · wohin reitet ihr? // Hört meine Bitte, · bleibt bei den Recken hier, // Bei Gunther dem König · und bei ſeinem Lehn: // Hier ſind viel ſchöne Frauen, · die läßt man euch gerne ſehn.“ // Da ſprach der ſtarke Siegfried: · „So laßt die Roſſe ſtehn. // Von hinnen wollt ich reiten, · das laß ich mir vergehn. // Tragt auch hinweg die Schilde: · wohl wollt ich in mein Land: // Davon hat mich Herr Geiſelher · mit großen Treuen gewandt.“ // So verblieb der Kühne · dem Freund zu Liebe dort. // Auch wär ihm in den Landen · an keinem andern Ort // So wohl als hier geworden: · daher es nun geſchah, // Daß er alle Tage · die ſchöne Kriemhild erſah. // Ihrer hohen Schönheit willen · der Degen da verblieb. // Mit mancher Kurzweile · man nun die Zeit vertrieb; // Nur zwang ihn ihre Minne, · die ſchuf ihm oftmals Noth; // Darum hernach der Kühne · lag zu großem Jammer todt. // 6. Sechstes Abenteuer. // Wie Gunther um Brunhild gen Iſenland fuhr.