: Das Nibelungenlied 22. Zweiundzwanzigſtes Abenteuer. // Wie Kriemhild bei den Heunen empfangen ward. Sie blieb zu Traiſenmauer · bis an den vierten Tag. // Der Staub in den Straßen · derweil nicht ſtille lag: // Aufſtob er allenthalben · wie in hellem Brand. // Da ritten Etzels Leute · durch das Oeſterreicherland. // Es war dem König Etzel · gemeldet in der Zeit, // Daß ihm vor Gedanken · ſchwand ſein altes Leid, // Wie herrlich Frau Kriemhild · zöge durch das Land. // Da eilte hin der König, · wo er die Minnigliche fand. // Von gar manchen Sprachen · ſah man auf den Wegen // Vor König Etzeln reiten · viel der kühnen Degen, // Von Chriſten und von Heiden · manches breite Heer. // Als ſie die Herrin fanden, · ſie zogen fröhlich einher. // Von Reußen und von Griechen · ritt da mancher Mann; // Die Polen und Walachen · zogen geſchwind heran // Auf den guten Roſſen, · die ſie herrlich ritten. // Da zeigte ſich ein Jeder · in ſeinen heimiſchen Sitten. // Aus dem Land zu Kiew · ritt da mancher Mann // Und die wilden Peſchenegen. · Mit Bogen hub man an // Zu ſchießen nach den Vögeln, · die in den Lüften flogen; // Mit Kräften ſie die Pfeile · bis zu des Bogens Ende zogen. // Eine Stadt liegt an der Donau · im Oeſterreicherland, // Die iſt geheißen Tulna. · Da ward ihr bekannt // Manche fremde Sitte, · die ſie noch niemals ſah. // Da empfiengen ſie gar Viele, · denen noch Leid von ihr geſchah. // Es ritt dem König Etzel · ein Ingeſind voran, // Fröhlich und prächtig, · höfiſch und wohlgethan, // Wohl vierundzwanzig Fürſten, · mächtig und hehr: // Ihre Königin zu ſchauen, · ſie begehrten ſonſt nichts mehr. // Ramung, der Herzog · aus Walachenland, // Mit ſiebenhundert Mannen · kam er vor ſie gerannt. // Wie fliegende Vögel · ſah man ſie alle fahren. // Da kam der Fürſt Gibeke · mit viel herrlichen Scharen. // Hornbog der ſchnelle · ritt mit tauſend Mann // Von des Königs Seite · zu ſeiner Fraun heran. // Sie prangten und ſtolzierten · nach ihres Landes Sitten. // Von den Heunenfürſten · ward auch da herrlich geritten. // Da kam vom Dänenlande · der kühne Hawart // Und Iring der ſchnelle, · vor allem Falſch bewahrt; // Von Thüringen Irnfried, · ein waidlicher Mann: // Sie empfiengen Kriemhilden, · daß ſie viel Ehre gewann, // Mit zwölfhundert Mannen, · die zählte ihre Schar. // Da kam der Degen Blödel · mit dreitauſend gar, // König Etzels Bruder · aus dem Heunenland: // Der ritt in ſtolzem Zuge, · bis er die Königin fand. // Da kam der König Etzel · und Herr Dieterich // Mit ſeinen Helden allen. · Da ſah man ritterlich // Manchen edeln Ritter · bieder und auch gut. // Davon ward Kriemhilden · gar wohl erhoben der Muth. // Da ſprach zu der Königin · der edle Rüdiger: // „Frau, euch will empfangen · hier der König hehr. // Wen ich euch küſſen heiße, · dem ſei der Kuſs gegönnt: // Wißt, daß ihr Etzels Recken · nicht alle gleich empfangen könnt.“ // Da hob man von der Mähre · die Königin hehr. // Etzel der reiche · nicht ſäumt' er länger mehr: // Er ſchwang ſich von dem Roſſe · mit manchem kühnen Mann; // Voller Freuden kam er · zu Frau Kriemhilden heran. // Zwei mächtige Fürſten, · das iſt uns wohlbekannt, // Giengen bei der Frauen · und trugen ihr Gewand, // Als der König Etzel · ihr entgegen gieng // Und ſie den edlen Fürſten · mit Küſſen gütlich empfieng. // Sie ſchob hinauf die Binden: · ihre Farbe wohlgethan // Erglänzt' aus dem Golde. · Da ſagte mancher Mann, // Frau Helke könne ſchöner · nicht geweſen ſein. // Da ſtand in der Nähe · des Königs Bruder Blödelein. // Den rieth ihr zu küſſen · Rüdiger der Markgraf reich // Und den König Gibeke, · Dietrichen auch zugleich: // Zwölf der Recken küſſte · Etzels Königin; // Da blickte ſie mit Grüßen · noch zu manchem Ritter hin. // Während König Etzel · bei Kriemhilden ſtand, // Thaten junge Degen · wie Sitte noch im Land: // Waffenſpiele wurden · ſchön vor ihr geritten; // Das thaten Chriſtenhelden · und Heiden nach ihren Sitten. // Wie ritterlich die Degen · in Dietrichens Lehn // Die ſplitternden Schäfte · in die Lüfte ließen gehn // Hoch über Schilde · aus guter Ritter Hand! // Vor den deutſchen Gäſten · brach da mancher Schildesrand. // Von der Schäfte Krachen · vernahm man lauten Schall. // Da waren aus dem Lande · die Recken kommen all // Und auch des Königs Gäſte, · ſo mancher edle Mann: // Da gieng der reiche König · mit der Königin hindann. // Sie fanden in der Nähe · ein herrlich Gezelt. // Erfüllt war von Hütten · rings das ganze Feld; // Da war nach den Beſchwerden · Raſt für ſie bereit. // Da geleiteten die Helden · darunter manche ſchöne Maid // Zu Kriemhild der Königin, · die dort darnieder ſaß // Auf reichem Stuhlgewande; · der Markgraf hatte das // So prächtig ſchaffen laßen, · ſie fandens ſchön und gut. // Da ſtand dem König Etzel · in hohen Freuden der Muth. // Was ſie zuſammen redeten, · das iſt mir unbekannt; // In ſeiner Rechten ruhte · ihre weiße Hand. // So ſaßen ſie in Minne, · als Rüdiger der Degen // Dem König nicht geſtattete, · Kriemhildens heimlich zu pflegen. // Da ließ man unterbleiben · das Kampfſpiel überall; // Mit Ehren ward beendet · der laute Freudenſchall. // Da giengen zu den Hütten · Die Etzeln unterthan; // Herberge wies man ihnen · ringsum allenthalben an. // Den Abend und nachtüber · fanden ſie Ruhe da, // Bis man den lichten Morgen · wieder ſcheinen ſah. // Da kamen hoch zu Roſſe · viel Helden auserſehn; // Hei! was ſah man Kurzweil · zu des Königs Ehren geſchehn! // Nach Würden es zu ſchaffen · der Fürſt die Heunen bat. // Da ritten ſie von Tulna · gen Wien in die Stadt. // In ſchönem Schmucke fand man · da Frauen ohne Zahl. // Sie empfiengen wohl mit Ehren · König Etzels Gemahl. // In Ueberfluß und Fülle · war da für ſie bereit, // Wes ſie nur bedurften. · Viel Degen allbereit // Sahn froh dem Feſt entgegen. · Herbergen wies man an; // Die Hochzeit des Königs · mit hohen Freuden begann. // Man mochte ſie nicht alle · herbergen in der Stadt: // Die nicht Gäſte waren, · Rüdiger die bat, // Daß ſie Herberge · nahmen auf dem Land. // Wohl weiß ich, daß man immer · den König bei Kriemhilden fand. // Dietrich der Degen · und mancher andre Held // Die hatten ihre Muße · mit Arbeit eingeſtellt, // Auf daß ſie den Gäſten · tröſteten den Muth; // Rüdger und ſeine Freunde · hatten Kurzweile gut. // Die Hochzeit war gefallen · auf einen Pfingſtentag, // Wo der König Etzel · bei Kriemhilden lag // In der Stadt zu Wiene. · Fürwahr ſo manchen Mann // Bei ihrem erſten Manne · ſie nicht zu Dienſten gewann. // Durch Gabe ward ſie Manchem, · der ſie nicht kannte, kund. // Darüber zu den Gäſten · hub Mancher an zur Stund: // „Wir wähnten, Kriemhilden · benommen wär ihr Gut, // Die nun mit ihren Gaben · hier ſo große Wunder thut.“ // Dieſe Hochzeit währte · ſiebzehn Tage lang. // Von keinem andern König · weiß der Heldenſang, // Der ſolche Hochzeit hielte: · es iſt uns unbekannt. // Alle, die da waren, · die trugen neues Gewand. // Sie hatte nie geſeßen · daheim in Niederland // Vor ſo manchem Recken; · auch iſt mir wohlbekannt, // War Siegfried reich an Schätzen, · ſo hatte er doch nicht // So viel der edeln Recken, · als ſie hier ſah in Etzels Pflicht. // Wohl gab auch nie ein König · bei ſeiner Hochzeit // So manchen reichen Mantel, · lang, tief und weit, // Noch ſo gute Kleider, · als man hier gewann, // Die Kriemhildens willen · alle wurden vertan. // Ihre Freunde wie die Gäſte · hatten Einen Muth: // Sie dachten nichts zu ſparen, · und wärs das beſte Gut. // Was Einer wünſchen mochte, · man war dazu bereit; // Da Standen viel der Degen · vor Milde bloß und ohne Kleid. // Wenn ſie daran gedachte, · wie ſie am Rheine ſaß // Bei ihrem edeln Manne, · ihre Augen wurden naß; // Doch hehlte ſie es immer, · daß es Niemand ſah, // Da ihr nach manchem Leide · ſo viel der Ehren geſchah. // Was Einer that aus Milde, · das war doch gar ein Wind // Gegen Dietrichen: · was Botlungens Kind // Ihm gegeben hatte, · das wurde gar verwandt. // Da begieng auch große Wunder · des milden Rüdiger Hand. // Auch aus Ungarlande · der Degen Blödelein // Ließ da ledig machen · manchen Reiſeſchrein // Von Silber und von Golde: · das ward dahin gegeben. // Man ſah des Königs Helden · ſo recht fröhlich alle leben. // Des Königs Spielleute, · Werbel und Schwemmelein, // Wohl an tauſend Marken · nahm Jedweder ein // Bei dem Hofgelage · (oder mehr als das), // Als die ſchöne Kriemhild · bei Etzeln unter Krone ſaß. // Am achtzehnten Morgen · von Wien die Helden ritten. // In Ritterſpielen wurden · der Schilde viel verſchnitten // Von Speren, ſo da führten · die Recken an der Hand: // So kam der König Etzel · mit Freuden in der Heunen Land. // In Heimburg der alten · verblieb man über Nacht. // Da konnte Niemand wißen · recht des Volkes Macht, // Mit welchen Heerkräften · ſie ritten durch das Land. // Hei! was ſchöner Frauen · man in ſeiner Heimat fand! // In Miſenburg der reichen · fieng man zu ſegeln an. // Verdeckt ward das Waſſer · von Roſs und auch von Mann, // Als ob es Erde wäre, · was man doch fließen ſah. // Die wegemüden Frauen · mochten ſich wohl ruhen da. // Zuſammen war gebunden · manches Schifflein gut, // Daß ihnen wenig ſchaden · Woge mocht und Flut; // Darüber ausgebreitet · manch köſtlich Geleit, // Als ob ſie noch immer · beides hatten, Land und Feld. // Nun ward auch in Etzelnburg · die Märe kund gethan: // Da freute ſich darinnen · beides, Weib und Mann. // Etzels Ingeſinde, · des einſt Frau Helke pflag, // Erlebte bei Kriemhilden · noch manchen fröhlichen Tag. // Da ſtand ihrer harrend · gar manche edle Maid, // Die ſeit Helkens Tode · getragen Herzeleid. // Sieben Königstöchter · Kriemhild noch da fand; // Durch die ſo ward gezieret · König Etzels ganzes Land. // Herrat die Jungfrau · noch des Geſindes pflag, // Helkens Schweſtertochter, · in der viel Tugend lag, // Dietrichs Verlobte, · eines edeln Königs Sproß, // Die Tochter Nentweinens, · die noch viel Ehren genoß. // Auf der Gäſte Kommen · freute ſich ihr Muth; // Auch war dazu verwendet · viel koſtbares Gut. // Wer könnt euch des beſcheiden, · wie der König ſaß ſeitdem? // Den Heunen ward nicht wieder · eine Königin ſo genehm. // Als der Fürſt mit ſeinem Weibe · geritten kam vom Strand, // Wer eine Jede führte, · das ward da wohl benannt // Kriemhild der edeln: · ſie grüßte deſto mehr. // Wie ſaß an Helkens Stelle · ſie bald gewaltig und hehr! // Getreulichen Dienſtes · ward ihr viel bekannt. // Die Königin vertheilte · Gold und Gewand, // Silber und Geſteine: · was ſie des überrhein // Zum Heunenlande brachte, · das muſte gar vergeben ſein. // Auch wurden ihr mit Dienſten · ergeben allzumal // Die Freunde des Königs · und denen er befahl, // Daß Helke nie die Königin · ſo gewaltiglich gebot, // Als ſie ihr dienen muſten · bis an Kriemhildens Tod. // Da ſtand in ſolchen Ehren · der Hof und auch das Land, // Daß man zu allen Zeiten · die Kurzweile fand, // Wonach einem Jeden · verlangte Herz und Muth; // Das ſchuf des Königs Liebe, · dazu der Königin Gut. // 23. Dreiundzwanzigſtes Abenteuer. // Wie Kriemhild ihr Leid zu rächen gedachte.