Gottfried Auguſt Bürger u.a.: Des Freyherrn von Münchhauſen Wunderbare Reiſen 7. Sechſtes und letztes See-Abentheuer. Nach Endigung des vorigen Abentheuers, ließ ſich der Baron nicht länger halten, ſondern brach wirklich auf, und verließ die Geſellſchaft in der beſten Laune. Als ſich nun Jedermann nach ſeiner Weiſe über die Unterhaltung herausließ, die er ſo eben verſchafft hatte, ſo bemerkte einer von der Geſellſchaft, ein Partiſan des Barons, der ihn auf ſeiner letzten Reiſe in die Türkey begleitet hatte, daß ohnweit Conſtantinopel ein ungeheuer großes Geſchütz befindlich ſey, deſſen der Baron Tott in ſeinen neulich herausgekommenen Denkwürdigkeiten ganz beſonders erwähnet. Was er davon meldet, iſt, ſo viel ich mich erinnere, folgendes: „Die Türken hatten ohnweit der Stadt über der Citadelle auf dem Ufer des berühmten Fluſſes Simois, ein ungeheueres Geſchütz aufgepflanzt. Dasſelbe war ganz aus Kupfer gegoſſen, und ſchoß eine Marmorkugel wenigſtens {elfhundert Pfund} an Gewicht. Ich hatte große Luſt, ſagt Tott, es abzufeuern, um erſt aus ſeiner Wirkung gehörig zu urtheilen. Alles Volk um mich her zitterte und bebte, weil es ſich verſichert hielt, daß Schloß und Stadt davon übern Haufen ſtürzen würden. Endlich ließ doch die Furcht ein wenig nach, und ich bekam Erlaubniß, das Geſchütz abzufeuern. Es wurden nicht weniger, als {Dreyhundert und dreyßig Pfund} Pulver dazu erfodert, und die Kugel wog, wie ich vorhin ſagte, {Elfhundert Pfund}. Als der Kanonier mit dem Zünder ankam, zog ſich der Haufen, der mich umgab, ſo weit zurück, als er konnte. Mit genauer Noth überredete ich den Baſſa, der aus Beſorgniß herzukam, daß keine Gefahr zu beſorgen ſey. Selbſt dem Kanonier, der es nach meiner Anweiſung abfeuern ſollte, klopfte vor Angſt das Herz. Ich nahm meinen Platz in einer Mauerſchanze hinter dem Geſchütze, gab das Zeichen und fühlte einen Stoß, wie von einem Erdbeben. In einer Entfernung von dreyhundert Klaftern zerſprang die Kugel in drey Stücke; dieſe flogen über die Meerenge, prallten von dem Waſſer empor an die gegenſeitigen Berge und ſetzten den ganzen Canal, ſo breit er war, in Einen Schaum.“ Dieß, meine Herren, iſt, ſoviel ich mich erinnere, {Baron Totts Nachricht} von der größten Kanone in der bekannten Welt. Als nun der Herr von Münchhauſen und ich jene Gegend beſuchten, wurde die Abfeuerung dieſes ungeheuern Geſchützes durch den Baron Tott uns als ein Beiſpiel der außerordentlichen Herzhaftigkeit dieſes Herren erzählt. Mein Gönner, der es durchaus nicht vertragen konnte, daß ein Franzoſe ihm etwas zuvorgethan haben ſollte, nahm eben dieſes Geſchütz auf ſeine Schulter, ſprang, als ers in ſeine eigentliche wagrechte Lage gebracht hatte, gerades Weges ins Meer, und ſchwamm damit an die gegenſeitige Küſte. Von dort aus verſuchte er unglücklicher Weiſe die Kanone auf ihre vorige Stelle zurück zu werfen. Ich ſage, unglücklicher Weiſe! denn ſie glitt ihm ein wenig zu früh aus der Hand, gerade als er zum Wurf aushohlte. Hierdurch geſchah es denn, daß ſie mitten in den Kanal fiel, wo ſie nun noch liegt, und wahrſcheinlich bis an den jüngſten Tag liegen bleiben wird. Dieß, meine Herren, war es eigentlich, womit es der Herr Baron bey dem Großſultan ganz und gar verdarb. Die Schatz-Hiſtorie, der er vorhin ſeine Ungnade beymaß, war längſt vergeſſen. Denn der Großſultan hat ja genug einzunehmen, und konnte ſeine Schatzkammer bald wieder füllen. Auch befand der Herr Baron, auf eine eigenhändige Wiedereinladung des Großſultans, die er zu Rom erhielt, ſich erſt jetzt zum letzten Male in der Türkey; und wäre vielleicht wohl noch da, wenn der Verluſt dieſes berüchtigten Geſchützes den grauſamen Türken nicht ſo aufgebracht hätte, daß er nun unwiederruflich den Befehl gab, dem Baron den Kopf abzuſchlagen. Eine gewiſſe Sultaninn aber, von welcher er ein großer Liebling geworden war, gab ihm nicht nur unverzüglich von dieſem blutgierigen Vorhaben Nachricht, ſondern verbarg ihn auch ſo lange in ihrem eigenen Gemache, als der Officier, dem die Execution aufgetragen war, mit ſeinen Helfershelfern nach ihm ſuchte. In der nächſtfolgenden Nacht flüchteten wir an den Bord eines nach Venedig beſtimmten Schiffes, welches gerade im Begriffe war unter Segel zu gehen, und kamen glücklich davon. Dieſer Begebenheit erwähnt der Baron nicht gern, weil ihm da ſein Verſuch mißlang und er noch dazu um ein Haar ſein Leben oben drein verlohren hätte. Da ſie gleichwohl ganz und gar nicht zu ſeiner Schande gereicht, ſo pflege ich ſie wohl bisweilen hinter ſeinem Rücken zu erzählen. * * * Nun, meine Herren, kennen Sie insgeſamt den Herren Baron von Münchhauſen, und werden hoffentlich an ſeiner Wahrhaftigkeit im mindeſten nicht zweifeln. Damit Ihnen aber auch kein Zweifel gegen die Meinige zu Kopfe ſteige, ein Umſtand, den ich ſo ſchlechtweg eben nicht vorausſetzen mag, ſo muß ich Ihnen doch ein wenig ſagen, wer ich bin. Mein Vater, oder wenigſtens derjenige, welcher dafür gehalten wurde, war von Geburt ein Schweizer, aus Bern. Er führte daſelbſt eine Art von Oberaufſicht über Straßen, Alle’en, Gaſſen und Brücken. Dieſe Beamten heißen dort zu Lande — hm! — {Gaſſenkehrer}. Meine Mutter war aus den Savoyſchen Gebirgen gebürtig, und trug einen überaus ſchönen großen Kropf am Halſe, der bey den Damen jener Gegend etwas ſehr gewöhnliches iſt. Sie verließ ihre Eltern ſehr jung, und ging ihrem Glücke in eben der Stadt nach, wo mein Vater das Licht der Welt erblickt hatte. So lange ſie noch ledig war, gewann ſie ihren Unterhalt durch allerley Liebeswerke an unſerm Geſchlechte. Denn man weiß, daß ſie es niemals abſchlug, wenn man ſie um eine Gefälligkeit anſprach und beſonders ihr mit gehöriger Höflichkeit in der Hand zuvorkam. Dieſes liebenswürdige Paar begegnete einander von ohngefähr auf der Straße, und da ſie beyderſeits ein wenig berauſcht waren, ſo taumelten ſie gegen einander, und taumelten ſich alle beyde über den Haufen. Wie ſich nun bey dieſer Gelegenheit ein Theil immer noch unnützer machte als der andere, und das Ding zu laut wurde, ſo wurden ſie alle beyde erſt in die Schaarwache, hernach aber in das Zuchthaus geſchleppt. Hier ſahen ſie bald die Thorheit ihrer Zänkerey ein, machten alles wieder gut, verliebten ſich und heuratheten einander. Da aber meine Mutter zu ihren alten Streichen zurückkehrte, ſo trennte mein Vater, der gar hohe Begriffe von Ehre hatte, ſich ziemlich bald von ihr, und wies ihr die Revenüen von einem Tragkorbe zu ihrem künftigen Unterhalte an. Sie vereinigte ſich hierauf mit einer Geſellſchaft, die mit einem Puppenſpiel umherzog. Mit der Zeit führte ſie das Schickſal nach Rom, wo ſie eine Auſter-Bude hielt. Sie haben ohnſtreitig insgeſamt von dem Papſt Ganganelli, oder Clemens ⅩⅣ., und wie gern dieſer Herr Auſtern aß, gehört. Eines Freytags, als derſelbe in großem Pompe nach der St. Peters Kirche zur hohen Meſſe durch die Stadt zog, ſah er meiner Mutter Auſtern (welche, wie ſie mir oft erzählt hat, ausnehmend ſchön und friſch waren) und konnte unmöglich vorüberziehen, ohne ſie zu verſuchen. Nun waren zwar mehr als fünftauſend Perſonen in ſeinem Gefolge; nichts deſtoweniger aber ließ er ſogleich alles ſtill halten und in die Kirche ſagen, er könnte vor Morgen das Hochamt nicht halten. Sodann ſprang er vom Pferde — denn die Päbſte reiten allemal bey ſolchen Gelegenheiten — ging in meiner Mutter Laden, aß erſt alles auf, was von Auſtern daſelbſt vorhanden war, und ſtieg hernach mit ihr in den Keller hinab, wo ſie noch mehr hatte. Dieſes unterirdiſche Gemach war meiner Mutter Küche, Viſitenſtube und Schlafkammer zugleich. Hier gefiel es ihm ſo wohl, daß er alle ſeine Begleiter fortſchickte. Kurz, Seine Heiligkeit brachten die ganze Nacht dort mit meiner Mutter zu. Ehe Dieſelben am andern Morgen wieder fortgingen, ertheilten Sie ihr vollkommenen Ablaß, nicht allein für jede Sünde, die ſie ſchon auf ſich hatte, ſondern auch für alle diejenigen, womit ſie ſich etwa künftig noch zu befaſſen Luſt haben möchte. Nun, meine Herren, habe ich darauf das Ehrenwort meiner Mutter — und wer könnte wohl eine ſolche Ehre bezweifeln? — daß ich die Frucht jener Auſternacht bin.