Gottfried Auguſt Bürger u.a.: Des Freyherrn von Münchhauſen Wunderbare Reiſen 5. Viertes See-Abentheuer. Da wir noch Zeit haben, meine Herren, eine friſche Flaſche auszutrinken, ſo will ich Ihnen noch eine andere ſehr ſeltſame Begebenheit erzählen, die mir wenige Monathe vor meiner letzten Rückreiſe nach Europa begegnete. Der Großherr, welchem ich durch die Römiſch- und Ruſſiſch-Kaiſerlichen, wie auch franzöſiſchen Botſchafter vorgeſtellet worden war, bediente ſich meiner, ein Geſchäft von großer Wichtigkeit zu Großkairo zu betreiben, welches zugleich ſo beſchaffen war, daß es immer und ewig ein Geheimniß bleiben mußte. Ich reiſete mit großem Pompe in einem ſehr zahlreichen Gefolge zu Lande ab. Unterweges hatte ich Gelegenheit, meine Dienerſchaft mit einigen ſehr brauchbaren Subjecten zu vermehren. Denn als ich kaum einige Meilen weit von Conſtantinopel entfernt ſeyn mochte, ſah ich einen kleinlichen ſchmächtigen Menſchen mit großer Schnelligkeit queerfeldein daher laufen, und gleichwohl trug das Männchen an jedem Beine ein bleyernes Gewicht, an die funfzig Pfund ſchwehr. Verwunderungsvoll über dieſen Anblick rief ich ihn an und fragte: „Wohin, wohin ſo ſchnell, mein Freund? Und warum erſchwehrſt du dir deinen Lauf durch eine ſolche Laſt?“ — „Ich lief, verſetzte der Läufer, ſeit einer halben Stunde aus Wien, wo ich bisher bey einer vornehmen Herrſchaft in Dienſten ſtand, und heute meinen Abſchied nahm. Ich gedenke nach Conſtantinopel, um daſelbſt wieder anzukommen. Durch die Gewichte an meinen Beinen habe ich meine Schnelligkeit, die jetzt nicht nöthig iſt, ein wenig mindern wollen. Denn [moderata durant], pflegte weiland mein Präceptor zu ſagen.“ — Dieſer Aſahel gefiel mir nicht übel; ich fragte ihn, ob er bey mir in Dienſt treten wollte, und er war dazu bereit. Wir zogen hierauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land. Nicht fern vom Wege auf einem ſchönen Gras-Rein lag mäußchen ſtill ein Kerl, als ob er ſchliefe. Allein das that er nicht. Er hielt vielmehr ſein Ohr ſo aufmerkſam zur Erde, als hätte er die Einwohner der unterſten Hölle behorchen wollen. — „Was horchſt du da, mein Freund?“ — „Ich horche da zum Zeitvertreibe auf das Gras, und höre, wie es wächſt.“ — „Und kannſt du das?“ — „O Kleinigkeit!“ — „So tritt in meine Dienſte, Freund, wer weiß, was es bisweilen nicht zu horchen geben kann.“ — Mein Kerl ſprang auf und folgte mir. Nicht weit davon auf einem kleinen Hügel ſtand mit angelegtem Gewehr ein Jäger und knallte in die blaue leere Luft. — „Glück zu, Glück zu, Herr Waidmann! Doch wonach ſchießeſt du? Ich ſehe nichts, als blaue leere Luft.“ — „O ich verſuchte nur dieß neue Kuchenreuterſche Gewehr. Dort auf der Spitze des Münſters zu Straßburg ſaß ein Sperling. Den ſchoß ich eben jetzt herab.“ Wer meine Paſſion für das edle Waid- und Schützenwerk kennt, den wird es nicht Wunder nehmen, daß ich dem vortreflichen Schützen ſogleich um den Hals fiel. Daß ich nichts ſparte, auch ihn in meine Dienſte zu ziehen, verſteht ſich von ſelbſt. Wir zogen darauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land, und kamen endlich vor dem Berge Libanon vorbey. Daſelbſt vor einem großen Cedernwalde ſtand ein derber unterſetzter Kerl und zog an einem Stricke, der um den ganzen Wald herum geſchlungen war. „Was ziehſt du da, mein Freund?“ fragte ich den Kerl. — „O ich ſoll Bauholz hohlen, und habe meine Axt zu Hauſe vergeſſen. Nun muß ich mir ſo gut helfen, als es angehen will.“ Mit dieſen Worten zog er in einem Ruck den ganzen Wald, bey einer Quadratmeile groß, wie einen Schilfbuſch vor meinen Augen nieder. Was ich that, das läßt ſich rathen. Ich hätte den Kerl nicht fahren laſſen, und hätte er mir meinen ganzen Ambaſſadeur-Gehalt gekoſtet. Als ich hierauf fürbaß und endlich auf ägyptiſchen Grund und Boden kam, erhob ſich ein ſo ungeheuerer Sturm, daß ich mit allen meinen Wagen, Pferden und Gefolge ſchier umgeriſſen und in die Luft davon geführt zu werden fürchtete. Zur linken Seite unſeres Weges ſtanden ſieben Windmühlen in einer Reihe, deren Flügel ſo ſchnell um ihre Achſen ſchwirrten, als eine Rockenſpindel der ſchnellſten Spinnerinn. Nicht weit davon zur Rechten ſtand ein Kerl, von Sir John Falſtafs Corpulenz, und hielt ſein rechtes Naſenloch mit ſeinem Zeigefinger zu. Sobald der Kerl unſere Noth und uns ſo kümmerlich in dieſem Sturme haſpeln ſah, drehte er ſich halb um, machte Fronte gegen uns, und zog ehrerbietig, wie ein Musquetier vor ſeinem Oberſten, den Huth vor mir ab. Auf einmal regte ſich kein Lüftchen mehr und alle ſieben Windmühlen ſtanden plötzlich ſtill. Erſtaunt über dieſen Vorfall, der nicht natürlich zuzugehen ſchien, ſchrie ich dem Unhold zu: „Kerl, was iſt das? Sitzt dir der Teufel im Leibe, oder biſt du der Teufel ſelbſt?“ — „Um Vergebung, Ihro Excellenz!“ antwortete mir der Menſch; „ich mache da nur meinem Herrn, dem Windmüller, ein wenig Wind. Um nun die ſieben Windmühlen nicht ganz und gar umzublaſen, mußte ich mir wohl das eine Naſenloch zuhalten.“ — Ey, ein vortrefliches Subject! dachte ich in meinem ſtillen Sinn. Der Kerl läßt ſich gebrauchen, wenn du dereinſt zu Hauſe kommſt und dirs an Athem fehlt, alle die Wunderdinge zu erzählen, die dir auf deinen Reiſen zu Land und Waſſer aufgeſtoßen ſind. Wir wurden daher bald des Handels eins. Der Windmacher ließ ſeine Mühlen ſtehn und folgte mir. Nach gerade wars nun Zeit in Großkairo anzulangen. Sobald ich daſelbſt meinen Auftrag nach Wunſch ausgerichtet hatte, gefiel es mir, mein ganzes unnützes Geſandten-Gefolge, außer meinen neuangenommenen nützlichern Subjecten zu verabſchieden, und mit dieſen als ein bloßer Privatmann zurück zu reiſen. Da nun das Wetter gar herrlich und der berufene Nilſtrom über alle Beſchreibung reizend war, ſo gerieth ich in Verſuchung eine Barke zu miethen und bis Alexandrien zu Waſſer zu reiſen. Das ging nun ganz vortreflich, bis in den dritten Tag. Sie haben, meine Herren, vermuthlich ſchon mehrmals von den jährlichen Ueberſchwemmungen des Nils gehört. Am dritten Tage, wie geſagt, fing der Nil ganz unbändig an zu ſchwellen, und am folgenden Tage war links und rechts das ganze Land viele Meilen weit und breit überſchwemmet. Am fünften Tage nach Sonnen-Untergang verwickelte ſich meine Barke auf einmal in etwas, das ich für Ranken und Strauchwerk hielt. Sobald es aber am nächſten Morgen heller ward, fand ich mich überall von Mandeln umgeben, welche vollkommen reif und ganz vortreflich waren. Als wir das Senkbley auswarfen, fand ſich, daß wir wenigſtens ſechzig Fuß hoch über dem Boden ſchwebten, und ſchlechterdings weder vor noch rückwärts konnten. Ohngefähr gegen acht oder neun Uhr, ſoviel ich aus der Höhe der Sonne abnehmen konnte, erhob ſich plötzlicher Wind, der unſere Barke ganz auf eine Seite umlegte. Hierdurch ſchöpfte ſie Waſſer, ſank unter, und ich hörte und ſah in langer Zeit nichts wieder davon, wie Sie gleich vernehmen werden. Glücklicher Weiſe retteten wir uns insgeſamt, nähmlich acht Männer und zwey Knaben, indem wir uns an den Bäumen feſthielten, deren Zweige zwar für uns, allein nicht für die Laſt unſerer Barke hinreichten. In dieſer Situation verblieben wir drey Wochen und drey Tage und lebten ganz allein von Mandeln. Daß es am Trunke nicht fehlte, verſtehet ſich von ſelbſt. Am zwey und zwanzigſten Tage unſers Unſterns fiel das Waſſer wieder eben ſo ſchnell, als es geſtiegen war; und am ſechs und zwanzigſten konnten wir wieder auf [Terra firma] fußen. Unſere Barke war der erſte angenehme Gegenſtand, den wir erblickten. Sie lag ohngefähr zweyhundert Klafter weit von dem Orte, wo ſie geſunken war. Nachdem wir nun alles, was uns nöthig und nützlich war, an der Sonne getrocknet hatten, ſo verſahen wir uns mit den Nothwendigkeiten aus unſerm Schiffsvorrath, und machten uns auf, unſere verlohrne Straße wieder zu gewinnen. Nach der genaueſten Berechnung fand ſich, daß wir an die hundert und funfzig Meilen weit über Gartenwände und mancherley Gehäge hinweggetrieben waren. In ſieben Tagen erreichten wir den Fluß, der nun wieder in ſeinem Bette ſtrömte, und erzählten unſer Abentheuer einem Bey. Liebreich half dieſer allen unſern Bedürfniſſen ab, und ſendete uns in einer von ſeinen eigenen Barken weiter. In ohngefähr ſechs Tagen langten wir zu Alexandrien an, allwo wir uns nach Conſtantinopel einſchifften. Ich wurde von dem Großherrn überaus gnädig empfangen, und hatte die Ehre ſeinen Harem zu ſehen, wo ſeine Hoheit ſelbſt mich hineinzuführen und ſo viele Damen, ſelbſt die Weiber nicht ausgenommen, anzubieten geruheten, als ich mir nur immer zu meinem Vergnügen ausleſen wollte. Mit meinen Liebes-Abentheuern pflege ich nie groß zu thun, daher wünſche ich Ihnen, meine Herren, jetzt insgeſamt eine angenehme Ruhe. 6. Fünftes See-Abentheuer.