Gottfried Auguſt Bürger u.a.: Des Freyherrn von Münchhauſen Wunderbare Reiſen 2. Des Freyherrn von Münchhauſen See-Abentheuer. Im Jahr 1766 ſchiffte ich mich zu Portsmouth auf einem engliſchen Kriegsſchiffe erſter Ordnung, mit hundert Kanonen und vierzehnhundert Mann, nach Nord-America ein. Ich könnte hier zwar erſt noch allerley, was mir in England begegnet iſt, erzählen; ich verſpare es aber auf ein anderes Mal. Eins jedoch, welches mir überaus artig vorkam, will ich nur noch im Vorbeygehn mitnehmen. Ich hatte das Vergnügen den König mit großem Pompe in ſeinem Staatswagen nach dem Parlament fahren zu ſehen. Ein Kutſcher mit einem ungemein reſpectablen Barte, worein das engliſche Wapen ſehr ſauber geſchnitten war, ſaß gravitätiſch auf dem Bocke und klatſchte mit ſeiner Peitſche ein eben ſo deutliches als künſtliches GR. [[Georg Rex]] Anlangend unſere Seereiſe, ſo begegnete uns nichts merkwürdiges, bis wir ohngefähr noch dreyhundert Meilen von dem St. Lorenzfluſſe entfernt waren. Hier ſtieß das Schiff mit erſtaunlicher Gewalt gegen etwas an, das uns wie ein Fels vorkam. Gleichwohl konnten wir, als wir das Senkbley auswarfen, mit fünfhundert Klaftern noch keinen Grund finden. Was dieſen Vorfall noch wunderbarer und beynahe unbegreiflich machte, war, daß wir unſer Steuerruder verlohren, das Bogſpriet mitten entzweybrachen und alle unſere Maſten von oben bis unten aus zerſplitterten, wovon auch zwey über Bord ſtoben. Ein armer Teufel, welcher gerade oben das Hauptſegel beylegte, flog wenigſtens drey Meilen weit vom Schiffe weg, ehe er zu Waſſer fiel. Allein er rettete noch dadurch glücklich ſein Leben, daß er, während er in der Luft flog, den Schwanz einer Rothgans ergriff, welches nicht nur ſeinen Sturz in das Waſſer milderte, ſondern ihm auch Gelegenheit gab, auf ihrem Rücken, oder vielmehr zwiſchen Hals und Fittigen, ſo lange nach zu ſchwimmen, bis er endlich wieder an Bord genommen werden konnte. Ein anderer Beweis von der Gewalt des Stoßes war dieſer, daß alles Volk zwiſchen den Verdecken empor gegen die Kopfdecke geſchnellt ward. Mein Kopf ward dadurch ganz in den Magen hinabgepufft, und es dauerte wohl einige Monathe, ehe er ſeine natürliche Stellung wieder bekam. Noch befanden wir uns insgeſamt in einem Zuſtande des Erſtaunens und einer allgemeinen unbeſchreiblichen Verwirrung, als ſich auf einmal alles durch Erſcheinung eines großen Wallfiſches aufklärte, welcher an der Oberfläche des Waſſers, ſich ſömmernd, eingeſchlafen war. Dieß Ungeheuer war ſo übel damit zufrieden, daß wir es mit unſerm Schiffe geſtört hatten, daß es nicht nur mit ſeinem Schwanze die Gallerie und einen Theil des Oberlofs einſchlug, ſondern auch zu gleicher Zeit den Hauptanker, welcher, wie gewöhnlich, am Steuer aufgewunden war, zwiſchen ſeine Zähne packte, und wenigſtens ſechzig Meilen weit, ſechs Meilen auf eine Stunde gerechnet, mit unſerm Schiffe davon eilte. Gott weiß, wohin wir gezogen ſeyn würden, wenn nicht noch glücklicher Weiſe das Ankertau zerriſſen wäre, wodurch der Wallfiſch unſer Schiff, wir aber auch zugleich unſern Anker verlohren. Als wir aber ſechs Monathe hierauf wieder nach Europa zurückſegelten, ſo fanden wir eben denſelben Wallfiſch, in einer Entfernung weniger Meilen von eben der Stelle, todt auf dem Waſſer ſchwimmen, und er maß ungelogen der Länge nach wenigſtens eine halbe Meile. Da wir nun von einem ſo ungeheuern Thiere nur wenig an Bord nehmen konnten, ſo ſetzten wir unſre Boote aus, ſchnitten ihm mit großer Mühe den Kopf ab, und fanden zu unſerer großen Freude nicht nur unſern Anker, ſondern auch über vierzig Klafter Tau, welches auf der linken Seite ſeines Rachens in einem hohlen Zahne ſteckte. Dieß war der einzige beſondere Umſtand, der ſich auf dieſer Reiſe zutrug. Doch halt! Eine Fatalität hätte ich beynahe vergeſſen. Als nehmlich das erſte Mal der Wallfiſch mit dem Schiffe davon ſchwamm, ſo bekam das Schiff einen Leck und das Waſſer drang ſo heftig herein, daß alle unſere Pumpen uns keine halbe Stunde vor dem Sinken hätten bewahren können. Zum guten Glücke entdeckte ich das Unheil zuerſt. Es war ein großes Loch, ohngefähr einen Fuß im Durchmeſſer. Auf allerley Weiſe verſuchte ich es, das Loch zu verſtopfen, allein umſonſt. Endlich rettete ich dieß ſchöne Schiff und alle ſeine zahlreiche Mannſchaft durch den glücklichſten Einfall von der Welt. Ob das Loch gleich ſo groß war, ſo füllte ichs dennoch mit meinem Liebwertheſten aus, ohne meine Beinkleider abzuziehen; und ich würde ausgelanget haben, wenn auch die Oeffnung noch viel größer geweſen wäre. Sie werden ſich darüber nicht wundern meine Herren, wenn ich Ihnen ſage, daß ich auf beyden Seiten von holländiſchen, wenigſtens weſtphäliſchen Vorfahren abſtamme. Meine Situation, ſo lange ich auf der Brille ſaß, war zwar ein wenig kühl, indeſſen ward ich doch bald durch die Kunſt des Zimmermannes erlöſet. 3. Zweytes See-Abentheuer.