Gottfried Auguſt Bürger u.a.: Des Freyherrn von Münchhauſen Wunderbare Reiſen 1. Des Freyherrn von Münchhauſen Eigene Erzählung. Ich trat meine Reiſe nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig ſchloß, daß Froſt und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutſchland, Pohlen, Kur- und Liefland, welche jeder Reiſende, als faſt noch elender, wie die nach dem Tempel der Tugend, beſchreibet, endlich, ohne beſondere Koſten hochpreislicher wohlfürſorgender Landes-Regierungen, ausbeſſern müßte. Ich reiſte zu Pferde, welches, wenn es ſonſt nur gut um Gaul und Reiter ſteht, die bequemſte Art zu reiſen iſt. Denn man riskirt alsdann weder mit irgend einem „höflichen“ deutſchen Poſtmeiſter eine [Affaire d’honneur] zu bekommen, noch von ſeinem durſtigen Poſtilion vor jede Schenke geſchleppt zu werden. Ich war nur leicht bekleidet, welches ich ziemlich übel empfand, jeweiter ich gegen Nordoſt hin kam. Nun kann man ſich einbilden, wie bey ſo ſtrengem Wetter, unter dem rauheſten Himmelsſtriche, einem armen alten Manne zu Muthe ſeyn mußte, den ich in Pohlen unter einem Haſelbuſche an der Heerſtraße antraf, wie er ſo hülflos und ſchaudernd dalag und kaum hatte, womit er ſeine Schaamblöße bedecken konnte. Der arme Teufel dauerte mich von ganzer Seele. Ob mir nun gleich ſelbſt das Herz im Leibe fror, ſo warf ich dennoch meinen Reiſemantel über ihn her. Plözlich erſcholl eine Stimme vom Himmel, die dieſes Liebeswerk ganz ausnehmend herausſtrich und mir zurief: {Hohl mich der Teufel, mein Sohn, das ſoll dir nicht unvergolten bleiben!} Ich ließ das gut ſeyn und ritt weiter, bis Nacht und Dunkelheit mich überfielen. Nirgends war ein Dorf zu hören, noch zu ſehn. Das ganze Land lag unter Schnee; und ich wußte weder Weg noch Steg. Des Reitens müde ſtieg ich endlich ab, und band mein Pferd an eine Art von ſpitzem Baumſtaken, der über dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Piſtolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder und that ein ſo geſundes Schläfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es heller lichter Tag war. Wie groß war aber mein Erſtaunen, als ich fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe lag! Mein Pferd war anfänglich nirgends zu ſehn; doch hörte ichs bald darauf irgend wo über mir. Als ich nun empor ſah, ſo wurde ich gewahr, daß es an den Wetterhahn des Kirchthurms gebunden war und von da herunter hing. Nun wußte ich ſogleich, wie ich dran war. Das Dorf war nehmlich die Nacht über ganz und gar zugeſchneyet geweſen; das Wetter hatte ſich auf einmal umgeſetzt; ich war im Schlafe nach und nach, ſo wie der Schnee zuſammen geſchmolzen war, ganz ſanft herabgeſunken; und was ich in der Dunkelheit für den Stummel eines Bäumchens, der über dem Schnee hervorragte, gehalten, und daran mein Pferd gebunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchthurmes geweſen. Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Piſtolen, ſchoß nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder an mein Pferd und verfolgte meine Reiſe. Hierauf ging alles gut, bis ich nach Rußland kam, wo es eben nicht Mode iſt, des Winters zu Pferde zu reiſen. Wie es nun immer meine Maxime iſt, mich nach dem bekannten: {ländlich ſittlich}, zu richten, ſo nahm ich dort einen kleinen Rennſchlitten auf ein einzelnes Pferd und fuhr wohlgemuth auf St. Petersburg los. Nun weiß ich nicht mehr recht, ob es in Eſthland, oder in Ingermanland war, ſo viel aber beſinne ich mich noch wohl, es war mitten in einem fürchterlichen Walde, als ich einen entſetzlichen Wolf, mit aller Schnelligkeit des gefräßigſten Winterhungers hinter mir anſetzen ſah. Er hohlte mich bald ein; und es war ſchlechterdings unmöglich, ihm zu entkommen. Mechaniſch legte ich mich platt in den Schlitten nieder und ließ mein Pferd zu unſerm beiderſeitigen Beſten ganz allein agiren. Was ich zwar vermuthete, aber kaum zu hoffen und zu erwarten wagte, das geſchah unmittelbar. Der Wolf bekümmerte ſich nicht im mindeſten um meine Wenigkeit, ſondern ſprang über mich hinweg, fiel wüthend auf das Pferd, riß ab und verſchlang auf einmal den ganzen Hintertheil des armen Thieres, welches vor Schrecken und Schmerz nur deſto ſchneller lief. Wie ich nun auf die Art ſelbſt ſo unbemerkt und gut davon gekommen war, ſo erhob ich ganz verſtohlen mein Geſicht und nahm mit Entſetzen wahr, daß der Wolf ſich beynahe über und über in das Pferd hineingefreſſen hatte. Kaum aber hatte er ſich ſo hübſch hineingezwänget, ſo nahm ich mein Tempo wahr, und fiel ihm tüchtig mit meiner Peitſchenſchnur auf das Fell. Solch ein unerwarteter Ueberfall in dieſem Futteral verurſachte ihm keinen geringen Schreck; er ſtrebte mit aller Macht vorwärts; der Leichnam des Pferdes fiel zu Boden, und ſiehe! an ſeiner Statt ſteckte mein Wolf in dem Geſchirre. Ich meines Orts hörte nun noch weniger auf zu peitſchen, und wir langten in vollem Galopp geſund und wohlbehalten in St. Petersburg an, ganz gegen unſere beiderſeitigen reſpective Erwartungen, und zu nicht geringem Erſtaunen aller Zuſchauer. Ich will Ihnen, meine Herren, mit Geſchwätz von der Verfaſſung, den Künſten, Wiſſenſchaften und andern Merkwürdigkeiten dieſer prächtigen Hauptſtadt Rußlands keine lange Weile machen; vielweniger Sie mit allen Intriguen und luſtigen Abentheuern der Geſellſchaften vom Bonton, wo die Frau vom Hauſe den Gaſt allzeit mit einem Schnaps und Schmatz empfängt, unterhalten. Ich halte mich vielmehr an größere und edlere Gegenſtände Ihrer Aufmerkſamkeit, nehmlich an Pferde und Hunde, wovon ich immer ein großer Freund geweſen bin; ferner an Füchſe, Wölfe und Bären, von welchen, ſo wie von anderm Wildprett, Rußland einen größern Ueberfluß, als irgend ein Land auf Erden hat; endlich an ſolche Luſtparthien, Ritterübungen und preisliche Thaten, welche den Edelmann beſſer kleiden, als ein Bischen muffiges Griechiſch und Latein, oder alle Riechſächelchen, Klunkern und Capriolen franzöſiſcher Schöngeiſter und — Haarkräuſeler. Da es einige Zeit dauerte, ehe ich bey der Armee angeſtellt werden konnte, ſo hatte ich ein Paar Monathe lang vollkommene Muße und Freyheit, meine Zeit ſowohl, als auch mein Geld auf die adelichſte Art von der Welt zu verjunkeriren. Sie können ſich leicht vorſtellen, meine Herren, daß ich von beiden nicht wenig außer der Stadt mit ſolchen wackern Kumpanen verthat, welche ein offenes unbeſchränktes Waldrevier gehörig zu ſchätzen wußten. Sowohl die Abwechſelung des Zeitvertreibes, welchen dieſes mir darbot, als auch das außerordentliche Glück, womit mir jeder Streich gelang, gereichen mir noch immer zur angenehmſten Erinnerung. Eines Morgens ſah ich durch das Fenſter meines Schlafgemachs, daß ein großer Teich, der nicht weit davon lag, mit wilden Enten gleichſam überdeckt war. Flugs nahm ich mein Gewehr aus dem Winkel, ſprang zur Treppe hinab, und das ſo über Hals und Kopf, daß ich unvorſichtiger Weiſe mit dem Geſichte gegen die Thürpfoſte rennte. Feuer und Funken ſtoben mir aus den Augen; aber das hielt mich keinen Augenblick zurück. Ich kam bald zum Schuß; allein wie ich anlegte, wurde ich zu meinem großen Verdruſſe gewahr, daß durch den ſo eben empfangenen heftigen Stoß ſogar der Stein von dem Flintenhahne abgeſprungen war. Was ſollte ich nun thun? Denn Zeit war hier nicht zu verlieren. Glücklicher Weiſe fiel mir ein, was ſich ſo eben mit meinen Augen zugetragen hatte. Ich riß alſo die Pfanne auf, legte mein Gewehr gegen das wilde Geflügel an und ballte die Fauſt gegen eins von meinen Augen. Von einem derben Schlage flogen wieder Funken genug heraus, der Schuß ging los, und ich traf fünf Paar Enten, vier Rothhälſe, und ein Paar Waſſerhühner. Gegenwart des Geiſtes iſt die Seele mannhafter Thaten. Wenn Soldaten und Seeleute öfters dadurch glücklich davon kommen, ſo dankt der Waidmann ihr nicht ſeltener ſein gutes Glück. So ſchwammen einſt auf einem Landſee, an welchen ich auf einer Jagdſtreiferey gerieth, einige Dutzend wilder Enten allzu weit von einander zerſtreut umher, als daß ich mehr denn eine einzige auf einen Schuß zu erlegen hoffen konnte; und zum Unglück hatte ich meinen letzten Schuß ſchon in der Flinte. Gleichwohl hätte ich ſie gern alle gehabt, weil ich nächſtens eine ganze Menge guter Freunde und Bekannten bey mir zu bewirthen Willens war. Da beſann ich mich auf ein Stückchen Schinkenſpeck, welches von meinem mitgenommenen Mundvorrath in meiner Jagdtaſche noch übrig geblieben war. Dieſes befeſtigte ich an eine ziemlich lange Hundeleine, die ich aufdrehete und ſo wenigſtens noch um viermal verlängerte. Nun verbarg ich mich im Schilfgeſträuch am Ufer, warf meinen Speckbrocken aus und hatte das Vergnügen zu ſehen, wie die nächſte Ente hurtig herbeyſchwamm und ihn verſchlang. Der erſten folgten bald alle übrigen nach, und da der glatte Brocken am Faden gar bald unverdauet hinten wieder herauskam, ſo verſchlang ihn die nächſte, und ſo immer weiter. Kurz der Brocken machte die Reiſe durch alle Enten ſamt und ſonders hindurch, ohne von ſeinem Faden loszureißen. So ſaßen ſie denn alle daran, wie Perlen an der Schnur. Ich zog ſie gar allerliebſt ans Land, ſchlang mir die Schnur ein halbes Dutzendmal um Schultern und Leib, und ging meines Weges nach Hauſe zu. Da ich noch eine ziemliche Strecke davon entfernt war, und mir die Laſt von einer ſolchen Menge Enten ziemlich beſchwerlich fiel, ſo wollte es mir faſt leid thun, ihrer allzu viele eingefangen zu haben. Da kam mir aber ein ſeltſamer Vorfall zu Statten, der mich Anfangs in nicht geringe Verlegenheit ſetzte. Die Enten waren nehmlich noch alle lebendig, fingen, als ſie von der erſten Beſtürzung ſich erhohlt hatten, gar mächtig an mit den Flügeln zu ſchlagen und ſich mit mir hoch in die Luft zu erheben. Nun wäre bey manchem wohl guter Rath theuer geweſen. Allein ich benutzte dieſen Umſtand, ſo gut ich konnte, zu meinem Vortheil, und ruderte mich mit meinen Rockſchößen nach der Gegend meiner Behauſung durch die Luft. Als ich nun gerade über meiner Wohnung angelangt war und es darauf ankam, ohne Schaden mich herunter zu laſſen, ſo drückte ich einer Ente nach der Andern den Kopf ein, ſank dadurch ganz ſanft und allmählich gerade durch den Schornſtein meines Hauſes mitten auf den Küchenherd, auf welchem zum Glück noch kein Feuer angezündet war, zu nicht geringem Schreck und Erſtaunen meines Koches. — Wie geſagt, man muß ſich nur in der Welt zu helfen wiſſen. Ein andresmal ſtieß mir in einem anſehnlichen Walde von Rußland ein wunderſchöner ſchwarzer Fuchs auf. Es wäre Jammer-Schade geweſen, ſeinen koſtbaren Pelz mit einem Kugel- oder Schrotſchuſſe zu durchlöchern. Herr Reineke ſtand dicht bey einem Baume. Augenblicklich zog ich meine Kugel aus dem Laufe, lud dafür einen tüchtigen Brettnagel in mein Gewehr, feuerte und traf ſo künſtlich, daß ich ſeine Lunte feſt an den Baum nagelte. Nun ging ich ruhig zu ihm hin, nahm mein Waidmeſſer, gab ihm einen Kreuzſchnitt übers Geſicht, griff nach meiner Peitſche und karbatſchte ihn ſo artig aus ſeinem ſchönen Pelze heraus, daß es eine wahre Luſt und ein rechtes Wunder zu ſehen war. Zufall und gutes Glück machen oft manchen Fehler wieder gut. Davon erlebte ich bald nach dieſem ein Beyſpiel, als ich mitten im tiefſten Walde einen wilden Friſchling und eine Bache dicht hinter einander hertraben ſah. Meine Kugel hatte gefehlt. Gleichwohl lief der Friſchling vorn ganz allein weg, und die Bache blieb ſtehen, ohne Bewegung, als ob ſie an den Boden feſtgenagelt geweſen wäre. Wie ich das Ding näher unterſuchte, ſo fand ich, daß es eine alte blinde Bache war, die ihres Friſchlings Schwänzlein im Rachen hielt, um von ihm aus kindlicher Pflicht fürbaß geleitet zu werden. Da nun meine Kugel zwiſchen beiden hindurchgefahren war, ſo hatte ſie dieſen Leitzaum zerriſſen, wovon die alte Bache das eine Ende noch immer kauete. Da nun ihr Leiter ſie nicht weiter vorwärts gezogen hatte, ſo war ſie ſtehen geblieben. Ich ergriff daher das übriggebliebene Endchen von des Friſchlings Schwanze, und leitete daran das alte hülfloſe Thier ganz ohne Mühe und Widerſtand nach Hauſe. So fürchterlich dieſe wilden Bachen oft ſind, ſo ſind die Keiler doch weit grauſamer und gefährlicher. Ich traf einſt einen im Walde an, als ich unglücklicher Weiſe weder auf Angriff noch Vertheidigung gefaßt war. Mit genauer Noth konnte ich noch hinter einen Baum ſchlüpfen, als die wüthende Beſtie aus Leibeskräften einen Seitenhieb nach mir that. Dafür fuhren aber auch ſeine Hauer dergeſtalt in den Baum hinein, daß er weder imſtande war, ſie ſogleich wieder heraus zu ziehen, noch den Hieb zu wiederholen. — „Ha ha! dachte ich, nun wollen wir dich bald kriegen!“ — Flugs nahm ich einen Stein, hammerte noch vollends damit drauf los und nietete ſeine Hauer dergeſtalt um, daß er ganz und gar nicht wieder loskommen konnte. So mußte er ſich denn nun gedulden, bis ich vom nächſten Dorfe Karn und Stricke herbeygehohlt hatte, um ihn lebendig und wohlbehalten nach Hauſe zu ſchaffen, welches auch ganz vortreflich von Statten ging. Sie haben unſtreitig, meine Herren, von dem Heiligen und Schutzpatron der Waidmänner und Schützen, St. Hubert, nicht minder auch von dem ſtattlichen Hirſche gehört, der ihm einſt im Walde aufſtieß, und welcher das heilige Kreuz zwiſchen ſeinem Geweyhe trug. Dieſem Sanct habe ich noch alle Jahre mein Opfer in guter Geſellſchaft dargebracht, und den Hirſch wohl tauſendmal, ſowohl in Kirchen abgemahlt, als auch in die Sterne ſeiner Ritter geſtickt, geſehen, ſo daß ich auf Ehre und Gewiſſen eines braven Waidmanns kaum zu ſagen weiß, ob es entweder nicht vor Zeiten ſolcher Kreuzhirſche gegeben habe, oder wohl gar noch heutiges Tages gebe. Doch laſſen Sie ſich vielmehr erzählen, was ich mit meinen eigenen Augen ſah. Einſt, als ich alle mein Bley verſchoſſen hatte, ſtieß mir ganz wider mein Vermuthen, der ſtattlichſte Hirſch von der Welt auf. Er blickte mir ſo, mir nichts, dir nichts, ins Auge, als ob ers auswendig gewußt hätte, daß mein Beutel leer war. Augenblicklich lud ich indeſſen meine Flinte mit Pulver und darüber her eine ganze Hand voll Kirſchſteine, wovon ich, ſo hurtig ſich das thun ließ, das Fleiſch abgeſogen hatte. Und ſo gab ich ihm die volle Ladung mitten auf ſeine Stirn zwiſchen das Geweyhe. Der Schuß betäubte ihn zwar — er taumelte — machte ſich aber doch aus dem Staube. Ein oder zwey Jahre darnach war ich in eben demſelben Walde auf der Jagd; und ſiehe! zum Vorſchein kam ein ſtattlicher Hirſch, mit einem vollausgewachſenen Kirſchbaume, mehr denn zehn Fuß hoch, zwiſchen ſeinem Geweyhe. Mir fiel gleich mein voriges Abentheuer wieder ein; ich betrachtete den Hirſch als mein längſt wohl erworbenes Eigenthum, und legte ihn mit einem Schuſſe zu Boden, wodurch ich denn auf einmal an Braten und Kirſchtunke zugleich gerieth. Denn der Baum hing reichlich voll Früchte, die ich in meinem ganzen Leben ſo delicat nicht gegeſſen hatte. Wer kann nun wohl ſagen, ob nicht irgend ein paſſionirter heiliger Waidmann, ein jagdluſtiger Abt oder Biſchoff, das Kreuz auf eine ähnliche Art durch einen Schuß auf St. Huberts Hirſch zwiſchen das Gehörne gepflanzt habe? Denn dieſe Herren waren ja von je und je wegen ihres Kreuz- und — Hörnerpflanzens berühmt, und ſind es zum Theil noch bis auf den heutigen Tag. Im Falle der Noth, und wenn es Aut oder Naut [[[Ought or naught.] — Eine wenigſtens in Niederdeutſchland in dieſer Ausſprache ſehr populär gewordene Redensart.]] gilt, welches einem braven Waidmanne nicht ſelten begegnet, greift er lieber wer weiß wozu, und verſucht eher alles, als daß er ſich die günſtige Gelegenheit entwiſchen läßt. Ich habe mich manches liebes Mal ſelbſt in einer ſolchen Lage der Verſuchung befunden. Was ſagen Sie zum Exempel von folgenden Caſus? — Mir waren einmal Tageslicht und Pulver in einem pohlniſchen Walde ausgegangen. Als ich nach Hauſe ging, fuhr mir ein ganz entſetzlicher Bär, mit offenem Rachen, bereit mich zu verſchlingen, auf den Leib. Umſonſt durchſuchte ich in der Haſt alle meine Taſchen nach Pulver und Bley. Nichts fand ich, als zwey Flintenſteine, die man auf einen Nothfall wohl mitzunehmen pflegt. Davon warf ich einen aus aller Macht in den offenen Rachen des Ungeheuers, ganz ſeinen Schlund hinab. Wie ihm nun das nicht allzuwohl deuchten mochte, ſo machte mein Bär links um, ſo daß ich den andern nach der Hinterpforte ſchleudern konnte. Wunderbar und herrlich ging alles von Statten. Der Stein fuhr nicht nur hinein, ſondern auch mit dem andern Steine im Magen dergeſtalt zuſammen, daß es Feuer gab und den Bär mit einem gewaltigen Knalle auseinander ſprengte. Man ſagt, daß ſo ein wohl applicirter Stein [a poſteriori], beſonders wenn er mit einem [a priori] recht zuſammen fuhr, ſchon manchen bärbeißigen Gelehrten und Philoſophen in die Luft ſprengte. — Ob ich nun gleich dasmal mit heiler Haut davon kam, ſo möchte ich das Stückchen doch eben nicht noch einmal machen, oder mit einem Bär, ohne andere Vertheidigungsmittel, anbinden. Es war aber gewiſſermaßen recht mein Schickſal, daß die wildeſten und gefährlichſten Beſtien mich gerade alsdann angriffen, wenn ich außer Stande war, ihnen die Spitze zu bieten, gleichſam als ob ihnen der Inſtinct meine Wehrloſigkeit verrathen hätte. So ſchoß mir einmal unverſehens ein fürchterlicher Wolf ſo nahe auf den Leib, daß mir nichts weiter übrig blieb, als ihm, dem mechaniſchen Inſtinct zufolge, meine Fauſt in den offenen Rachen zu ſtoßen. Gerade meiner Sicherheit wegen ſtieß ich immer weiter und weiter und brachte meinen Arm beynahe bis an die Schulter hinein. Was war aber nun zu thun? — Ich kann eben nicht ſagen, daß mir dieſe unbehülfliche Situation ſonderlich anſtand. — Man denke nur, Stirn gegen Stirn mit einem Wolfe! — Wir äugelten uns eben nicht gar lieblich an. Hätte ich meinen Arm zurückgezogen, ſo wäre mir die Beſtie nur deſto wüthender zu Leibe geſprungen. So viel ließ ſich klar und deutlich aus ſeinen flammenden Augen herausbuchſtabiren. Kurz, ich packte ihn beym Eingeweide, kehrte ſein äußeres zu innerſt, wie einen Handſchuh, um, ſchleuderte ihn zu Boden und ließ ihn da liegen. Dieß Stückchen hätte ich nun wieder nicht an einem tollen Hunde verſuchen mögen, welcher bald darauf in einem engen Gäßchen zu St. Petersburg gegen mich anlief. „Lauf was du kannſt!“ dachte ich. Um deſto beſſer fortzukommen, warf ich meinen Ueberrock ab, und rettete mich geſchwind ins Haus. Den Rock ließ ich hernach durch meinen Bedienten hereinhohlen und zu den andern Kleidern in die Garderobe hängen. Tages darauf gerieth ich in ein gewaltiges Schrecken durch meines Johanns Geſchrey: „Herr Gott, Herr Baron, ihr Ueberrock iſt toll!“ Ich ſprang hurtig zu ihm hinauf und fand faſt alle meine Kleider umher gezerrt und zu Stücken zerriſſen. Der Kerl hatte es auf ein Haar getroffen, daß der Ueberrock toll ſey. Ich kam gerade noch ſelbſt dazu, wie er über ein ſchönes neues Gallakleid herfiel und es auf eine gar unbarmherzige Weiſe zerſchüttelte und umherzauſte. In allen dieſen Fällen, meine Herren, wo ich freylich immer glücklich, aber doch nur immer mit genauer Noth davon kam, half mir das Ohngefähr, welches ich durch Tapferkeit und Gegenwart des Geiſtes zu meinem Vortheile lenkte. Alles zuſammen genommen macht, wie Jedermann weiß, den glücklichen Jäger, Seemann und Soldaten aus. Der aber würde ein ſehr unvorſichtiger, tadelnswerther Waidmann, Admiral und General ſeyn, der ſich überall nur auf das Ohngefähr, oder ſein Geſtirn verlaſſen wollte, ohne ſich weder um die beſonders erforderlichen Kunſtfertigkeiten zu bekümmern, noch ſich mit denjenigen Werkzeugen zu verſehen, die den guten Erfolg ſichern. Ein ſolcher Tadel trifft mich keinesweges. Denn ich bin immer berühmt geweſen, ſowohl wegen der Vortreflichkeit meiner Pferde, Hunde und Gewehre, als auch wegen der beſondern Art, das alles zu handhaben, ſo daß ich mich wohl rühmen kann, in Forſt, Wieſe und Feld meines Nahmens Gedächtniß hinlänglich geſtiftet zu haben. Ich will mich nun zwar nicht auf Particularitäten von meinen Pferd- und Hundeſtällen, oder meiner Gewehrkammer einlaſſen, wie Stall- Jagd- und Hunde-Junker ſonſt wohl zu thun pflegen; aber eines meiner Lieblingshunde muß ich doch noch Erwähnung thun. Das Thierchen war ein Windſpiel. Mein lebelang hatte, oder ſah ich kein beſſeres. Es wurde alt in meinem Dienſte, und war minder wegen ſeiner Geſtalt, als wegen ſeiner außerordentlichen Schnelligkeit merkwürdig. Mit dieſem Hunde jagte ich beſtändig Jahr aus Jahr ein. Hätten die Herren ihn geſehen, ſo würden ſie ihn gewiß bewundert, und ſich gar nicht verwundert haben, daß ich ihn ſo lieb hatte und ſo oft mit ihm jagte. Er lief ſo ſchnell, ſo oft und ſo lange in meinem Dienſte, daß er ſich die Beine ganz bis dicht unterm Leibe weglief, und ich ihn in ſeiner letzten Lebenszeit nur noch als Dachsſucher gebrauchen konnte, in welcher Qualität er mir denn ebenfalls noch manch liebes Jahr diente. Weiland noch als Windſpiel — beyläufig zu melden, es war eine Hündinn — ſetzte ſie einſt hinter einem Haſen her, der mir ganz ungewöhnlich dick vorkam. Es that mir leid um meine arme Hündinn; denn ſie war mit Jungen trächtig, und wollte doch noch eben ſo ſchnell laufen, als ſonſt. Nur in ſehr weiter Entfernung konnte ich zu Pferde nachfolgen. Auf einmal hörte ich ein Geklaffe, wie von einer ganzen Kuppel Hunde, allein ſo ſchwach und zart, daß ich nicht wußte, was ich daraus machen ſollte. Wie ich näher kam, ſah ich mein himmelblaues Wunder. Die Häſinn hatte im Laufen geſetzt, und meine Hündinn geworfen; und zwar jene gerade eben ſo viel junge Haſen, als dieſe junge Hunde. Inſtinctmäßig hatten jene die Flucht genommen, dieſe aber nicht nur gejagt, ſondern auch gefangen. Dadurch gelangte ich am Ende der Jagd auf einmal zu ſechs Haſen und Hunden, da ich doch nur mit einem einzigen angefangen hatte. Ich gedenke dieſer wunderbaren Hündinn mit eben dem Vergnügen, als eines vortreflichen Lithauiſchen Pferdes, welches nicht mit Gelde zu bezahlen war. Dieß bekam ich durch ein Ohngefähr, welches mir Gelegenheit gab, meine Reitkunſt zu meinem nicht geringen Ruhme zu zeigen. Ich war nehmlich einſt auf dem prächtigen Landſitze des Grafen [Przobofsky] in Lithauen und blieb im Staatszimmer bey den Damen zum Thee, indeſſen die Herrn hinunter in den Hof gingen, um ein junges Pferd von Geblüte zu beſehen, welches ſo eben aus der Stuterey angelangt war. Plötzlich hörten wir wie einen Nothſchrey. — Ich eilte die Treppe hinab und fand das Pferd ſo wild und unbändig, daß Niemand ſich getrauete, ſich ihm zu nähern, oder es zu beſteigen. Beſtürzt und verwirrt ſtanden die entſchloſſenſten Reiter da; Angſt und Beſorgniß ſchwebte auf allen Geſichtern, als ich mit einem einzigen Sprunge auf ſeinem Rücken ſaß, und das Pferd durch dieſe Ueberraſchung nicht nur in Schrecken ſetzte, ſondern es auch durch Anwendung meiner beſten Reiterkünſte gänzlich zu Ruhe und Gehorſam brachte. Um dieß den Damen noch beſſer zu zeigen und ihnen alle unnöthige Beſorgniß zu erſparen, ſo zwang ich den Gaul, durch eins der offenen Fenſter des Theezimmers mit mir hineinzuſetzen. Hier ritt ich nun verſchiedenemale, bald Schritt, bald Trott, bald Galopp herum, ſetzte endlich ſogar auf den Theetiſch und machte da im Kleinen überaus artig die ganze Schule durch, worüber ſich denn die Damen ganz ausnehmend ergötzten. Mein Rößchen machte alles ſo bewundernswürdig geſchickt, daß es weder Kannen noch Taſſen zerbrach. Dies ſetzte mich bey den Damen und dem Herrn Grafen ſo hoch in Gunſt, daß er mit ſeiner gewöhnlichen Höflichkeit mich bat, das junge Pferd zum Geſchenke von ihm anzunehmen, und auf ſelbigem in dem Feldzuge gegen die Türken, welcher in kurzem unter Anführung des Grafen Münnich eröffnet werden ſollte, auf Sieg und Eroberung auszureiten. Ein angenehmeres Geſchenk hätte mir nun wohl nicht leicht gemacht werden können, beſonders da es mir ſo viel gutes von einem Feldzuge weißagte, in welchem ich mein erſtes Probeſtück als Soldat ablegen wollte. Ein Pferd, ſo gefügig, ſo muthvoll und feurig — Lamm und Bucephal zugleich — mußte mich allezeit an die Pflichten eines braven Soldaten, und an die erſtaunlichen Thaten erinnern, welche der junge Alexander im Felde verrichtet hatte. Wir zogen, wie es ſcheinet, unter andern auch in der Abſicht zu Felde, um die Ehre der ruſſiſchen Waffen, welche in dem Feldzuge unter Czaar Peter am Pruth ein wenig gelitten hatte, wieder herzuſtellen. Dieſes gelang uns auch vollkommen durch verſchiedene zwar mühſelige, aber doch rühmliche Feldzüge, unter Anführung des großen Feldherrn, deſſen ich vorhin erwähnte. Die Beſcheidenheit verbietet es Subalternen, ſich große Thaten und Siege zuzuſchreiben, wovon der Ruhm gemeiniglich den Anführern, ihrer Alltagsqualitäten ungeachtet, ja wohl gar verkehrt genug Königen und Königinnen in Rechnung gebracht wird, welche niemals anderes als Muſterungs-Pulver rochen, nie außer ihren Luſtlagern ein Schlachtfeld, noch außer ihren Wachtparaden ein Heer in Schachtordnung erblickten. Ich mache alſo keinen beſondern Anſpruch an die Ehre von unſern größern Affären mit dem Feinde. Wir thaten insgeſamt unſere Schuldigkeit, welches in der Sprache des Patrioten, des Soldaten, und kurz des braven Mannes ein ſehr viel umfaſſender Ausdruck, ein Ausdruck von ſehr wichtigem Inhalt und Belang iſt, obgleich der große Haufen müſſiger Kannengießer ſich nur einen ſehr geringen und ärmlichen Begriff davon machen mag. Da ich indeſſen ein Corps Huſaren unter meinem Comando hatte, ſo ging ich auf verſchiedene Expeditionen aus, wo das Verhalten meiner eigenen Klugheit und Tapferkeit überlaſſen war. Den Erfolg hiervon, denke ich denn doch, kann ich mit gutem Fug auf meine eigene und die Rechnung derjenigen braven Gefährten ſchreiben, die ich zu Sieg und Eroberung führte. Einſt, als wir die Türken in Oczakow hineintrieben, gings bey der Avantgarde ſehr heiß her. Mein feuriger Lithauer hätte mich beynahe in des Teufels Küche gebracht. Ich hatte einen ziemlich entfernten Vorpoſten und ſah den Feind in einer Wolke von Staub gegen mich anrücken, wodurch ich wegen ſeiner wahren Anzahl und Abſicht gänzlich in Ungewißheit blieb. Mich in eine ähnliche Wolke von Staub einzuhüllen wäre freylich wohl ein Alltagspfiff geweſen, würde mich aber eben ſo wenig klüger gemacht, als überhaupt der Abſicht näher gebracht haben, warum ich vorausgeſchickt war. Ich ließ daher meine Flanqueurs zur linken und rechten auf beyden Flügeln ſich zerſtreuen, und ſo viel Staub erregen, als ſie nur immer konnten. Ich ſelbſt aber ging gerade auf den Feind los, um ihn näher in Augenſchein zu nehmen. Dieß gelang mir. Denn er ſtand und focht nur ſo lange, bis die Furcht vor meinen Flanqueurs ihn in Unordnung zurücktrieb. Nun wars Zeit, tapfer über ihn herzufallen. Wir zerſtreueten ihn völlig, richteten eine gewaltige Niederlage an, und trieben ihn nicht allein in ſeine Feſtung zu Loche, ſondern auch durch und durch, ganz über und wider unſere blutgierigſten Erwartungen. Weil nun mein Lithauer ſo außerordentlich geſchwind war, ſo war ich der Vorderſte beym Nachſetzen, und da ich ſah, daß der Feind ſo hübſch zum gegenſeitigen Thore wieder hinausfloh, ſo hielt ichs für rathſam, auf dem Marktplatze anzuhalten, und da zum Rendezvous blaſen zu laſſen. Ich hielt an, aber ſtellt euch, ihr Herren, mein Erſtaunen vor, als ich weder Trompeter, noch irgend eine lebendige Seele von meinen Huſaren um mich ſah. — „Sprengen ſie etwa durch andere Straßen? Oder was iſt aus ihnen geworden?“ — dachte ich. Indeſſen konnten ſie meiner Meinung nach unmöglich fern ſeyn und mußten mich bald einholen. In dieſer Erwartung ritt ich meinen athemloſen Lithauer zu einem Brunnen auf dem Marktplatze und ließ ihn trinken. Er ſoff ganz unmäßig und mit einem Heißdurſte, der gar nicht zu löſchen war. Allein das ging ganz natürlich zu. Denn als ich mich nach meinen Leuten umſah, was meint Ihr wohl, Ihr Herren, was ich da erblickte? — Der ganze Hintertheil des armen Thieres, Kreuz und Lenden waren fort, und wie rein abgeſchnitten. So lief denn hinten das Waſſer eben ſo wieder heraus, als es von vorn hineingekommen war, ohne daß es dem Gaul zu gute kam, oder ihn erfriſchte. Wie das zugegangen ſeyn mochte, blieb mir ein völliges Räthſel, bis ich zum Stadtthore zurückritt. Da ſah ich nun, daß man, als ich [pêle mêle] mit dem fliehenden Feinde hereingedrungen war, das Schutzgatter, ohne daß ichs wahrgenommen, fallen gelaſſen hatte, wodurch denn der Hintertheil, der noch zuckend an der Außenſeite des Thores lag, rein abgeſchlagen war. Der Verluſt würde unerſetzlich geweſen ſeyn, wenn nicht unſer Curſchmid ein Mittel ausgeſonnen hätte, beyde Theile, ſo lange ſie noch warm waren, wieder zuſammen zu ſetzen. Er heftete ſie nehmlich mit jungen Lorbeer-Sprößlingen, die gerade bey der Hand waren, zuſammen. Die Wunde heilte zu; und es begab ſich etwas, das nur einem ſo ruhmvollen Pferde begegnen konnte. Nehmlich, die Sproſſen ſchlugen Wurzel in ſeinem Leibe, wuchſen empor und wölbten eine Laube über mir, ſo daß ich hernach manchen ehrlichen Ritt im Schatten meiner ſowohl als meines Roſſes Lorbeern thun konnte. Einer andern kleinen Ungelegenheit von dieſer Affäre will ich nur beyläufig erwähnen. Ich hatte ſo heftig, ſo lange, ſo unermüdet auf den Feind losgehauen, daß mein Arm dadurch endlich in eine unwillkührliche Bewegung des Hauens gerathen war, welcher ich nicht mehr ſteuern konnte, als der Feind ſchon längſt über alle Berge war. Um mich nun nicht ſelbſt, oder meine Leute, die mir zu nahe kamen, für nichts und wider nichts zu prügeln, und zu Ruhe und Schlaf zu gelangen, ſah ich mich genöthigt, meinen Arm in die Acht Tage lang eben ſo gut in der Binde zu tragen, als ob er mir halb abgehauen geweſen wäre. Einem Manne, meine Herren, der einen Gaul, wie mein Lithauer war, zu reiten vermochte, können Sie auch wohl noch ein anderes Voltigir- und Reiterſtückchen zutrauen, welches außerdem vielleicht ein wenig fabelhaft klingen möchte. Wir belagerten nehmlich, ich weiß nicht mehr welche Stadt, und dem Feldmarſchal war ganz erſtaunlich viel an genauer Kundſchaft gelegen, wie die Sachen in der Feſtung ſtünden. Es ſchien äußerſt ſchwehr, ja faſt unmöglich, durch alle Vorpoſten, Wachen und Feſtungswerke hinein zu gelangen, auch war eben kein tüchtiges Subject vorhanden, wodurch man ſo was glücklich auszurichten hätte hoffen können. Vor Muth und Dienſteifer faſt ein wenig allzu raſch, ſtellte ich mich neben eine der größten Kanonen, die ſo eben nach der Feſtung abgefeuert ward, und ſprang im Hui auf die Kugel, in der Abſicht, mich in die Feſtung hineintragen zu laſſen. Als ich aber halbweges durch die Luft geritten war, ſtiegen mir allerley nicht unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopfe. „Hum, dachte ich, hinein kommſt du nun wohl, allein wie hernach ſogleich wieder heraus? Und wie kanns dir in der Feſtung ergehen? Man wird dich ſogleich als einen Spion erkennen und an den nächſten Galgen hängen. Ein ſolches Bette der Ehren wollte ich mir denn doch wohl verbitten.“ Nach dieſen und ähnlichen Betrachtungen entſchloß ich mich kurz, nahm die glückliche Gelegenheit wahr, als eine Kanonenkugel aus der Feſtung einige Schritte weit vor mir vorüber nach unſerm Lager flog, ſprang von der meinigen auf dieſe hinüber, und kam, zwar unverrichteter Sache, jedoch wohlbehalten bey den lieben Unſrigen wieder an. So leicht und fertig ich im Springen war, ſo war es auch mein Pferd. Weder Graben noch Zäune hielten mich jemals ab, überall den geradeſten Weg zu reiten. Einſt ſetzte ich darauf hinter einem Haſen her, der queerfeldein über die Heerſtraße lief. Eine Kutſche mit zwey ſchönen Damen fuhr dieſen Weg gerade zwiſchen mir und dem Haſen vorbey. Mein Gaul ſetzte ſo ſchnell und ohne Anſtoß mitten durch die Kutſche hindurch, wovon die Fenſter aufgezogen waren, daß ich kaum Zeit hatte, meinen Huth abzuziehen, und die Damen wegen dieſer Freyheit unterthänigſt um Verzeihung zu bitten. Ein andres Mal wollte ich über einen Moraſt ſetzen, der mir anfänglich nicht ſo breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl ſprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Moraſt. Hier hätte ich ohnfehlbar umkommen müſſen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, ſamt dem Pferde, welches ich feſt zwiſchen meine Kniee ſchloß, wieder herausgezogen hätte. Trotz aller meiner Tapferkeit und Klugheit, trotz meiner und meines Pferdes Schnelligkeit, Gewandtheit und Stärke, gings mir in dem Türkenkriege doch nicht immer nach Wunſche. Ich hatte ſogar das Unglück, durch die Menge übermannt und zum Kriegsgefangenen gemacht zu werden. Ja, was noch ſchlimmer war, aber doch immer unter den Türken gewöhnlich iſt, ich wurde zum Sclaven verkauft. In dieſem Stande der Demüthigung war mein Tagewerk nicht ſowohl hart und ſauer, als vielmehr ſeltſam und verdrießlich. Ich mußte nehmlich des Sultans Bienen alle Morgen auf die Weide treiben, ſie daſelbſt den ganzen Tag lang hüten, und dann gegen Abend wieder zurück in ihre Stöcke treiben. Eines Abends vermißte ich eine Biene, wurde aber ſogleich gewahr, daß zwey Bären ſie angefallen hatten, und ihres Honigs wegen in Stücke zerreißen wollten. Da ich nun nichts anderes waffenähnliches in Händen hatte, als die ſilberne Axt, welche das Kennzeichen der Gärtner und Landarbeiter des Sultans iſt, ſo warf ich dieſe nach den beiden Räubern, bloß in der Abſicht, ſie damit wegzuſcheuchen. Die arme Biene ſetzte ich auch wirklich dadurch in Freyheit; allein durch einen unglücklichen allzu ſtarken Schwung meines Armes flog die Axt in die Höhe, und hörte nicht auf zu fliegen, bis ſie im Monde nieder fiel. Wie ſollte ich ſie nun wieder kriegen? Mit welcher Leiter auf Erden ſie herunterholen? Da fiel mir ein, daß die türkiſchen Bohnen ſehr geſchwind und zu einer ganz erſtaunlichen Höhe empor wüchſen. Augenblicklich pflanzte ich alſo eine ſolche Bohne, welche wirklich empor wuchs, und ſich an eines von des Mondes Hörnern von ſelbſt anrankte. Nun kletterte ich getroſt nach dem Monde empor, wo ich auch glücklich anlangte. Es war ein ziemlich mühſeliges Stückchen Arbeit, meine ſilberne Axt an einem Orte wieder zu finden, wo alle andere Dinge gleichfalls wie Silber glänzten. Endlich aber fand ich ſie doch auf einem Haufen von Spreu und Häckerling. Nun wollte ich wieder zurückkehren, aber ach! die Sonnenhitze hatte indeſſen meine Bohne aufgetrocknet, ſo daß daran ſchlechterdings nicht wieder herabzuſteigen war. Was war nun zu thun? — Ich flocht mir einen Strick von dem Häckerlinge, ſo lang ich ihn nur immer machen konnte. Dieſen befeſtigte ich an eines von des Mondes Hörnern und ließ mich daran herunter. Mit der linken Hand hielt ich mich feſt und in der rechten führte ich meine Axt. Sowie ich nun eine Strecke hinunter geglitten war, ſo hieb ich immer das überflüßige Stück über mir ab, und knüpfte dasſelbe unten wieder an, wodurch ich denn ziemlich weit herunter gelangte. Dieſes wiederhohlte Abhauen und Anknüpfen machte nun freylich den Strick eben ſo wenig beſſer, als es mich völlig herab auf des Sultans Landgut brachte. Ich mochte wohl noch ein Paar Meilen weit droben in den Wolken ſeyn, als mein Strick auf einmal zerriß und ich mit ſolcher Heftigkeit herab zu Gottes Erdboden fiel, daß ich ganz betäubt davon wurde. Durch die Schwehre meines von einer ſolchen Höhe herabfallenden Cörpers fiel ich ein Loch, wenigſtens neun Klafter tief, in die Erde hinein. Ich erhohlte mich zwar endlich wieder, wußte aber nun nicht, wie ich wieder herauskommen ſollte. Allein was thut nicht die Noth? Ich grub mir mit meinen Nägeln, deren Wuchs damals vierzigjährig war, eine Art von Treppe, und förderte mich dadurch glücklich zu Tage. Durch dieſe mühſelige Erfahrung klüger gemacht, fing ichs nachher beſſer an, der Bären, die ſo gern nach meinen Bienen und den Honigſtöcken ſtiegen, loß zu werden. Ich beſtrich die Deichſel eines Ackerwagens mit Honig und legte mich nicht weit davon des Nachts in einen Hinterhalt. Was ich vermuthete, das geſchah. Ein ungeheurer Bär, herbeygelockt durch den Duft des Honigs, kam an und fing vorn an der Spitze der Stange ſo begierig an zu lecken, daß er ſich die ganze Stange durch Schlund, Magen und Bauch bis hinten wieder hinausleckte. Als er ſich nun ſo artig auf die Stange hinauf geleckt hatte, lief ich hinzu, ſteckte vorn durch das Loch der Deichſel einen langen Pflock, verwehrte dadurch dem Naſcher den Rückzug, und ließ ihn ſitzen bis an den andern Morgen. Ueber dieß Stückchen wollte ſich der Großſultan, der von ohngefähr vorbey ſpazirte, faſt todtlachen. Nicht lange hierauf machten die Ruſſen mit den Türken Frieden und ich wurde nebſt andern Kriegsgefangenen wieder nach St. Petersburg ausgeliefert. Ich nahm aber nun meinen Abſchied und verließ Rußland um die Zeit der großen Revolution vor etwa vierzig Jahren, da der Kaiſer in der Wiege, nebſt ſeiner Mutter und ihrem Vater, dem Herzoge von Braunſchweig, dem Feldmarſchal von Münnich und vielen andern nach Sibirien geſchickt wurden. Es herrſchte damals über ganz Europa ein ſo außerordentlich ſtrenger Winter, daß die Sonne eine Art von Froſtſchaden erlitten haben muß, woran ſie ſeit der ganzen Zeit her bis auf den heutigen Tag geſiecht hat. Ich empfand daher auf der Rückreiſe in mein Vaterland weit größeres Ungemach, als ich auf meiner Hinreiſe nach Rußland erfahren hatte. Ich mußte, weil mein Lithauer in der Türkey geblieben war, mit der Poſt reiſen. Als ſichs nun fügte, daß wir an einen engen hohlen Weg zwiſchen hohen Dornhecken kamen, ſo erinnerte ich den Poſtilion, mit ſeinem Horne ein Zeichen zu geben, damit wir uns in dieſem engen Paſſe nicht etwa gegen ein anderes entgegenkommendes Fuhrwerk feſtfahren möchten. Mein Kerl ſetzte an und blies aus Leibeskräften in das Horn, aber alle ſeine Bemühungen waren umſonſt. Nicht ein einziger Ton kam heraus, welches uns ganz unerklärlich, ja in der That für ein rechtes Unglück zu achten war, indem bald eine andere uns entgegen kommende Kutſche auf uns ſtieß, vor welcher nun ſchlechterdings nicht vorbey zu kommen war. Nichts deſto weniger ſprang ich aus meinem Wagen und ſpannte zuförderſt die Pferde aus. Hierauf nahm ich den Wagen, nebſt den vier Rädern und allen Päckereyen auf meine Schultern, und ſprang damit über Ufer und Hecke, ohngefähr neun Fuß hoch, welches in Rückſicht auf die Schwere der Kutſche eben keine Kleinigkeit war, auf das Feld hinüber. Durch einen andern Rückſprung gelangte ich, die fremde Kutſche vorüber, wieder in den Weg. Darauf eilte ich zurück zu unſern Pferden, nahm unter jeden Arm eins, und hohlte ſie auf die vorige Art, nehmlich durch einen zweymaligen Sprung hinüber und herüber, gleichfalls herbey, ließ wieder anſpannen und gelangte glücklich am Ende der Station zur Herberge. Noch hätte ich anführen ſollen, daß eins von den Pferden, welches ſehr muthig und nicht über vier Jahre alt war, ziemlichen Unfug machen wollte. Denn als ich meinen zweyten Sprung über die Hecke that, ſo verrieth es durch ſein Schnauben und Trampeln ein großes Mißbehagen an dieſer heftigen Bewegung. Dieß verwehrte ich ihm aber gar bald, indem ich ſeine Hinterbeine in meine Rocktaſche ſteckte. In der Herberge erhohlten wir uns wieder von unſerm Abentheuer. Der Poſtilion hängte ſein Horn an einen Nagel beym Küchenfeuer, und ich ſetzte mich ihm gegen über. Nun hört, ihr Herren, was geſchah! Auf einmal gings: Tereng! Tereng! teng! teng! Wir machten große Augen und fanden nun auf einmal die Urſache aus, warum der Poſtilion ſein Horn nicht hatte blaſen können. Die Töne waren in dem Horne feſtgefroren und kamen nun, ſo wie ſie nach und nach aufthaueten, hell und klar, zu nicht geringer Ehre des Fuhrmanns heraus. Denn die ehrliche Haut unterhielt uns nun eine ziemliche Zeit lang mit der herrlichſten Modulation, ohne den Mund an das Horn zu bringen. Da hörten wir den preuſſiſchen Marſch — Ohne Lieb’ und ohne Wein — Als ich auf meiner Bleiche — Geſtern Abend war Vetter Michel da — nebſt noch vielen andern Stückchen, auch ſogar das Abendlied: Nun ruhen alle Wälder — Mit dieſem letzten endigte ſich denn dieſer Thauſpaß, ſo wie ich hiermit meine Ruſſiſche Reiſe-Geſchichte. * * * Manche Reiſende ſind bisweilen im Stande, mehr zu behaupten, als genau genommen wahr ſeyn mag. Daher iſt es denn kein Wunder, wenn Leſer oder Zuhörer ein wenig zum Unglauben geneigt werden. Sollten indeſſen einige von der Geſellſchaft an meiner Wahrhaftigkeit zweifeln, ſo muß ich ſie wegen ihrer Ungläubigkeit herzlich bemitleiden und ſie bitten, ſich lieber zu entfernen, ehe ich meine Schiffs-Abentheuer beginne, die zwar faſt noch wunderbarer, aber doch eben ſo authentiſch ſind. 2. Des Freyherrn von Münchhauſen See-Abentheuer.