Wunderbare Reiſen zu Waſſer und Lande, Feldzüge und luſtige Abentheuer des Freyherrn von Münchhauſen, wie er dieſelben bey der Flaſche im Cirkel ſeiner Freunde ſelbſt zu erzählen pflegt.
1786 London (eigentlich Göttingen)
Quelle: https://de.wikisource.org/wiki/Des_Freyherrn_von_M%C3%BCnchhausen_Wunderbare_Reisen
Scan: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Abentheuer_des_Freyherrn_von_Muenchhausen_(1786).djvu
Glaubt’s nur, ihr gravitätiſchen Herrn!
Geſcheidte Leute narriren gern.
Entſtehung und Publikationsgeſchichte
Bürgers „Münchhauſen“ erſchien erſtmals (anonym) 1786 als Überſetzung aus dem Engliſchen. 1785 war in London Baron Munchhausens Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia erſchienen. Autor war der etwas zwielichtige Rudolf Erich Raſpe. Das Werk Raſpes ging wiederum auf einen deutſchen Text zurück, eine Anfang der 1780er Jahre herausgegebene Sammlung von Anekdoten unter dem Titel Vade Mecum für luſtige Leute. Dieſe Sammlung enthielt 18 Münchhauſen-Geſchichten eines unbekannten Autors. Raſpe hatte die Geſchichten nicht nur überſetzt, ſondern ſie auch durch eine Rahmenhandlungen verbunden und mehrere Seegeſchichten hinzugefügt.
1786 erſchien alſo eine deutſche Überſetzung des Textes von Raſpe, d.h. eine wiederum um einige neue Geſchichten vermehrte freie Bearbeitung durch Bürger. Verlagsort war angeblich London. Tatſächlich erſchien das Buch bei dem Göttinger Verleger Johann Chriſtian Dieterich. Nachdem binnen kurzer Zeit drei Auflagen vergriffen waren, kam 1788 eine um ſieben neue Geſchichten erweiterte Ausgabe heraus. Dieſe Ausgabe „letzter Hand“ (Bürger ſtarb 1794) liegt den modernen Ausgaben zugrunde. Kurz nach Bürgers Tod wurde dieſer durch ſeinen Freund Chriſtoph Althoff als Autor des „Münchhauſen“ identifiziert.
Vorrede zur erſten Ausgabe.
Der Freyherr von Münchhauſen zu Bodenwerder, ohnweit Hameln an der Weſer, gehört zu dem edlen Geſchlechte gleiches Nahmens, welches den deutſchen Staaten des Königs von Großbritannien den verſtorbenen Premierminiſter und mehrere andere vornehme Beamten geſchenkt hat. Er iſt ein Mann von der originelleſten Laune; und da er vielleicht gefunden hat, wie ſchwer es oft hält, verſchrobenen Köpfen geraden Menſchenverſtand einzuräſoniren, und wie leicht hergegen ein dreiſter Haberecht eine ganze Verſammlung zu übertäuben und aus ihren fünf Sinnen hinauszuſchreyen vermag: ſo läßt er ſich in ſolchen Fällen niemals auf Widerlegungen ein; ſondern wendet zuerſt geſchickt die Unterredung auf gleichgültige Gegenſtände, und dann erzählt er irgend ein Geſchichtchen von ſeinen Reiſen, Feldzügen und ſchnurrigen Abentheuern in einem ihm ganz eigenthümlichen Tone, der aber gerade der rechte iſt, die Kunſt zu lügen, oder höflicher geſagt, das lange Meſſer zu handhaben, aus ihrem ruhigen Schlupfwinkel hervor zu kitzeln und blank zu ſtellen.
Da dieſes Mittel ſchon öfter von gutem Erfolge geweſen iſt, ſo ſey es uns hiermit erlaubt, dem Publikum einige von ſeinen Geſchichtchen vorzulegen, und diejenigen, die etwa unter berüchtigte Prahlhänſe gerathen, zu bitten, ſich bey jeder ſchicklichen Gelegenheit ebendesſelben zu bedienen. Gelegenheit aber wird ſeyn, ſo oft Jemand unter der Maske der Wahrheit in ganzem Ernſte falſche Dinge behauptet und auf Koſten ſeiner eigenen Ehre auch diejenigen hintergehet, die zum Unglück ſeine Zuhörer ſind.
Zur zweyten Ausgabe.
Der ſchnelle Abgang der erſten Ausgabe dieſes Werkchens beweiſet hinlänglich, daß dem Publikum ſein moraliſcher Endzweck in dem rechten Lichte erſchienen iſt. Vielleicht hätte man es noch ſchicklicher: Lügenſtrafer, betitelt, da in der That keine Unart verächtlicher iſt, als die Ohren ſeiner Freunde mit Unwahrheiten zu behelligen.
Der Baron ſelbſt iſt ein Mann von außerordentlicher Ehre, der ſein Vergnügen daran findet, diejenigen zur Schau auszuſtellen, welche zu Betrügereyen jeder Art geneigt ſind. Er thut dieſes auf eine ſehr drollige Art, wenn er in großen Geſellſchaften diejenigen Geſchichten erzählt, welche dem Publikum in dieſer kleinen Sammlung überliefert werden. Sie iſt anſehnlich durch ſeine Schiff- und See-Abentheuer vermehrt, und durch vier Vorſtellungen von ſeinem eigenen Pinſel verſchönert.
Zur deutſchen Ueberſetzung.
Dieß Büchlein iſt in der deutſchen Ueberſetzung, die ſich eben nicht ängſtlich an die Worte bindet, hier und da durch neue Einſchaltungen erweitert, und dürfte bey einer künftigen Auflage, deren es ſich nicht ganz ohne Urſache ſchmeichelt, leicht noch um ein beträchtliches vermehrt werden. Denn unſer Land iſt nicht nur voll von ähnlichen Geſchichten, ſondern auch die Quelle, woraus dieſe entſprungen ſind, wird hoffentlich noch nicht vertrocknet ſeyn. So ein Büchlein, wie dieſes, iſt freylich weder ein Syſtema, noch Tractatus, noch Commentarius, noch Synopſis, noch Compendium, und es hat keine einzige von allen Claſſen unſerer vornehmen Academien und Societäten der Wiſſenſchaften daran Antheil. Wenn es indeſſen auch weiter nichts thut, als daß es auf eine unſchuldige Art zu lachen macht, ſo braucht, deucht mich, der Vorredner eben nicht gerade in pontificalibus in Mantel, Kragen und Stutzperücke aufzutreten, um es dem geneigten Leſer ehrbarlich zu empfehlen. Denn es iſt alsdann, ſo klein und frivol es immer ſcheinen mag, leicht mehr werth, als eine ganze große Menge dickbeleibter ehrenveſter Bücher, wobey man weder lachen noch weinen kann, und worin weiter nichts ſteht, als was in hundertmal mehr andern dickbeleibten ehrenveſten Büchern längſt geſtanden hat. Auch paßt alsdann nicht übel hieher eine Stelle aus des alten ehrlichen vergeſſenen Rollenhagens Vorrede zu ſeinem Froſchmäuſeler, die ein wenig moderniſirt alſo lautet:
Der Graubart, der mit dürren Knochen
Der Lehre nichts kann, als poltern und pochen,
Und hören mag kein luſtiges Wort,
Der packe zuſammen und trolle ſich fort!
Zwar wollen wir’s gänzlich nicht veſchwören,
Ihn auf ein andres Mal zu hören,
Wenn nehmlich uns auch die Naſen blau
Und Haar und Bart ſich färben grau;
Auch ſonſt wohl zu gelegener Stund’.
Denn Wermuth iſt nicht immer geſund.
Man trinkt ja wohl auch neuen Wein,
Und tunkt in friſchen Honig ’mal ein.
Die Natur erneut ein neuer Genuß.
Stets Einerley macht Ueberdruß,
Wie alles der alten Meiſter Trutzen.
Der Wechſel nur ſchafft Luſt und Nutzen.
Man ſchilt oft ſpöttiſch Zeitvertreib,
Was ſtärkt zur Arbeit Seel’ und Leib.
Das nehmen wir nicht zu Herzen und Sinnen,
Und wollen in Gottes Nahmen beginnen.
Ich trat meine Reiſe nach Rußland von Haus ab mitten im Winter an, weil ich ganz richtig ſchloß, daß Froſt und Schnee die Wege durch die nördlichen Gegenden von Deutſchland, Pohlen, Kur- und Liefland, welche jeder Reiſende, als faſt noch elender, wie die nach dem Tempel der Tugend, beſchreibet, endlich, ohne beſondere Koſten hochpreislicher wohlfürſorgender Landes-Regierungen, ausbeſſern müßte. Ich reiſte zu Pferde, welches, wenn es ſonſt nur gut um Gaul und Reiter ſteht, die bequemſte Art zu reiſen iſt. Denn man riskirt alsdann weder mit irgend einem „höflichen“ deutſchen Poſtmeiſter eine Affaire d’honneur zu bekommen, noch von ſeinem durſtigen Poſtilion vor jede Schenke geſchleppt zu werden. Ich war nur leicht bekleidet, welches ich ziemlich übel empfand, jeweiter ich gegen Nordoſt hin kam. Nun kann man ſich einbilden, wie bey ſo ſtrengem Wetter, unter dem rauheſten Himmelsſtriche, einem armen alten Manne zu Muthe ſeyn mußte, den ich in Pohlen unter einem Haſelbuſche an der Heerſtraße antraf, wie er ſo hülflos und ſchaudernd dalag und kaum hatte, womit er ſeine Schaamblöße bedecken konnte.
Der arme Teufel dauerte mich von ganzer Seele. Ob mir nun gleich ſelbſt das Herz im Leibe fror, ſo warf ich dennoch meinen Reiſemantel über ihn her. Plözlich erſcholl eine Stimme vom Himmel, die dieſes Liebeswerk ganz ausnehmend herausſtrich und mir zurief:
Hohl mich der Teufel, mein Sohn, das ſoll dir nicht unvergolten bleiben!
Ich ließ das gut ſeyn und ritt weiter, bis Nacht und Dunkelheit mich überfielen. Nirgends war ein Dorf zu hören, noch zu ſehn. Das ganze Land lag unter Schnee; und ich wußte weder Weg noch Steg.
Des Reitens müde ſtieg ich endlich ab, und band mein Pferd an eine Art von ſpitzem Baumſtaken, der über dem Schnee hervorragte. Zur Sicherheit nahm ich meine Piſtolen unter den Arm, legte mich nicht weit davon in den Schnee nieder und that ein ſo geſundes Schläfchen, daß mir die Augen nicht eher wieder aufgingen, als bis es heller lichter Tag war. Wie groß war aber mein Erſtaunen, als ich fand, daß ich mitten in einem Dorfe auf dem Kirchhofe lag! Mein Pferd war anfänglich nirgends zu ſehn; doch hörte ichs bald darauf irgend wo über mir. Als ich nun empor ſah, ſo wurde ich gewahr, daß es an den Wetterhahn des Kirchthurms gebunden war und von da herunter hing. Nun wußte ich ſogleich, wie ich dran war. Das Dorf war nehmlich die Nacht über ganz und gar zugeſchneyet geweſen; das Wetter hatte ſich auf einmal umgeſetzt; ich war im Schlafe nach und nach, ſo wie der Schnee zuſammen geſchmolzen war, ganz ſanft herabgeſunken; und was ich in der Dunkelheit für den Stummel eines Bäumchens, der über dem Schnee hervorragte, gehalten, und daran mein Pferd gebunden hatte, das war das Kreuz oder der Wetterhahn des Kirchthurmes geweſen.
Ohne mich nun lange zu bedenken, nahm ich eine von meinen Piſtolen, ſchoß nach dem Halfter, kam glücklich auf die Art wieder an mein Pferd und verfolgte meine Reiſe.
Hierauf ging alles gut, bis ich nach Rußland kam, wo es eben nicht Mode iſt, des Winters zu Pferde zu reiſen. Wie es nun immer meine Maxime iſt, mich nach dem bekannten: ländlich ſittlich, zu richten, ſo nahm ich dort einen kleinen Rennſchlitten auf ein einzelnes Pferd und fuhr wohlgemuth auf St. Petersburg los. Nun weiß ich nicht mehr recht, ob es in Eſthland, oder in Ingermanland war, ſo viel aber beſinne ich mich noch wohl, es war mitten in einem fürchterlichen Walde, als ich einen entſetzlichen Wolf, mit aller Schnelligkeit des gefräßigſten Winterhungers hinter mir anſetzen ſah. Er hohlte mich bald ein; und es war ſchlechterdings unmöglich, ihm zu entkommen. Mechaniſch legte ich mich platt in den Schlitten nieder und ließ mein Pferd zu unſerm beiderſeitigen Beſten ganz allein agiren. Was ich zwar vermuthete, aber kaum zu hoffen und zu erwarten wagte, das geſchah unmittelbar. Der Wolf bekümmerte ſich nicht im mindeſten um meine Wenigkeit, ſondern ſprang über mich hinweg, fiel wüthend auf das Pferd, riß ab und verſchlang auf einmal den ganzen Hintertheil des armen Thieres, welches vor Schrecken und Schmerz nur deſto ſchneller lief. Wie ich nun auf die Art ſelbſt ſo unbemerkt und gut davon gekommen war, ſo erhob ich ganz verſtohlen mein Geſicht und nahm mit Entſetzen wahr, daß der Wolf ſich beynahe über und über in das Pferd hineingefreſſen hatte. Kaum aber hatte er ſich ſo hübſch hineingezwänget, ſo nahm ich mein Tempo wahr, und fiel ihm tüchtig mit meiner Peitſchenſchnur auf das Fell. Solch ein unerwarteter Ueberfall in dieſem Futteral verurſachte ihm keinen geringen Schreck; er ſtrebte mit aller Macht vorwärts; der Leichnam des Pferdes fiel zu Boden, und ſiehe! an ſeiner Statt ſteckte mein Wolf in dem Geſchirre. Ich meines Orts hörte nun noch weniger auf zu peitſchen, und wir langten in vollem Galopp geſund und wohlbehalten in St. Petersburg an, ganz gegen unſere beiderſeitigen reſpective Erwartungen, und zu nicht geringem Erſtaunen aller Zuſchauer.
Ich will Ihnen, meine Herren, mit Geſchwätz von der Verfaſſung, den Künſten, Wiſſenſchaften und andern Merkwürdigkeiten dieſer prächtigen Hauptſtadt Rußlands keine lange Weile machen; vielweniger Sie mit allen Intriguen und luſtigen Abentheuern der Geſellſchaften vom Bonton, wo die Frau vom Hauſe den Gaſt allzeit mit einem Schnaps und Schmatz empfängt, unterhalten. Ich halte mich vielmehr an größere und edlere Gegenſtände Ihrer Aufmerkſamkeit, nehmlich an Pferde und Hunde, wovon ich immer ein großer Freund geweſen bin; ferner an Füchſe, Wölfe und Bären, von welchen, ſo wie von anderm Wildprett, Rußland einen größern Ueberfluß, als irgend ein Land auf Erden hat; endlich an ſolche Luſtparthien, Ritterübungen und preisliche Thaten, welche den Edelmann beſſer kleiden, als ein Bischen muffiges Griechiſch und Latein, oder alle Riechſächelchen, Klunkern und Capriolen franzöſiſcher Schöngeiſter und — Haarkräuſeler.
Da es einige Zeit dauerte, ehe ich bey der Armee angeſtellt werden konnte, ſo hatte ich ein Paar Monathe lang vollkommene Muße und Freyheit, meine Zeit ſowohl, als auch mein Geld auf die adelichſte Art von der Welt zu verjunkeriren. Sie können ſich leicht vorſtellen, meine Herren, daß ich von beiden nicht wenig außer der Stadt mit ſolchen wackern Kumpanen verthat, welche ein offenes unbeſchränktes Waldrevier gehörig zu ſchätzen wußten. Sowohl die Abwechſelung des Zeitvertreibes, welchen dieſes mir darbot, als auch das außerordentliche Glück, womit mir jeder Streich gelang, gereichen mir noch immer zur angenehmſten Erinnerung.
Eines Morgens ſah ich durch das Fenſter meines Schlafgemachs, daß ein großer Teich, der nicht weit davon lag, mit wilden Enten gleichſam überdeckt war. Flugs nahm ich mein Gewehr aus dem Winkel, ſprang zur Treppe hinab, und das ſo über Hals und Kopf, daß ich unvorſichtiger Weiſe mit dem Geſichte gegen die Thürpfoſte rennte. Feuer und Funken ſtoben mir aus den Augen; aber das hielt mich keinen Augenblick zurück. Ich kam bald zum Schuß; allein wie ich anlegte, wurde ich zu meinem großen Verdruſſe gewahr, daß durch den ſo eben empfangenen heftigen Stoß ſogar der Stein von dem Flintenhahne abgeſprungen war. Was ſollte ich nun thun? Denn Zeit war hier nicht zu verlieren. Glücklicher Weiſe fiel mir ein, was ſich ſo eben mit meinen Augen zugetragen hatte. Ich riß alſo die Pfanne auf, legte mein Gewehr gegen das wilde Geflügel an und ballte die Fauſt gegen eins von meinen Augen. Von einem derben Schlage flogen wieder Funken genug heraus, der Schuß ging los, und ich traf fünf Paar Enten, vier Rothhälſe, und ein Paar Waſſerhühner. Gegenwart des Geiſtes iſt die Seele mannhafter Thaten. Wenn Soldaten und Seeleute öfters dadurch glücklich davon kommen, ſo dankt der Waidmann ihr nicht ſeltener ſein gutes Glück.
So ſchwammen einſt auf einem Landſee, an welchen ich auf einer Jagdſtreiferey gerieth, einige Dutzend wilder Enten allzu weit von einander zerſtreut umher, als daß ich mehr denn eine einzige auf einen Schuß zu erlegen hoffen konnte; und zum Unglück hatte ich meinen letzten Schuß ſchon in der Flinte. Gleichwohl hätte ich ſie gern alle gehabt, weil ich nächſtens eine ganze Menge guter Freunde und Bekannten bey mir zu bewirthen Willens war. Da beſann ich mich auf ein Stückchen Schinkenſpeck, welches von meinem mitgenommenen Mundvorrath in meiner Jagdtaſche noch übrig geblieben war. Dieſes befeſtigte ich an eine ziemlich lange Hundeleine, die ich aufdrehete und ſo wenigſtens noch um viermal verlängerte. Nun verbarg ich mich im Schilfgeſträuch am Ufer, warf meinen Speckbrocken aus und hatte das Vergnügen zu ſehen, wie die nächſte Ente hurtig herbeyſchwamm und ihn verſchlang. Der erſten folgten bald alle übrigen nach, und da der glatte Brocken am Faden gar bald unverdauet hinten wieder herauskam, ſo verſchlang ihn die nächſte, und ſo immer weiter. Kurz der Brocken machte die Reiſe durch alle Enten ſamt und ſonders hindurch, ohne von ſeinem Faden loszureißen. So ſaßen ſie denn alle daran, wie Perlen an der Schnur. Ich zog ſie gar allerliebſt ans Land, ſchlang mir die Schnur ein halbes Dutzendmal um Schultern und Leib, und ging meines Weges nach Hauſe zu. Da ich noch eine ziemliche Strecke davon entfernt war, und mir die Laſt von einer ſolchen Menge Enten ziemlich beſchwerlich fiel, ſo wollte es mir faſt leid thun, ihrer allzu viele eingefangen zu haben. Da kam mir aber ein ſeltſamer Vorfall zu Statten, der mich Anfangs in nicht geringe Verlegenheit ſetzte. Die Enten waren nehmlich noch alle lebendig, fingen, als ſie von der erſten Beſtürzung ſich erhohlt hatten, gar mächtig an mit den Flügeln zu ſchlagen und ſich mit mir hoch in die Luft zu erheben. Nun wäre bey manchem wohl guter Rath theuer geweſen. Allein ich benutzte dieſen Umſtand, ſo gut ich konnte, zu meinem Vortheil, und ruderte mich mit meinen Rockſchößen nach der Gegend meiner Behauſung durch die Luft. Als ich nun gerade über meiner Wohnung angelangt war und es darauf ankam, ohne Schaden mich herunter zu laſſen, ſo drückte ich einer Ente nach der Andern den Kopf ein, ſank dadurch ganz ſanft und allmählich gerade durch den Schornſtein meines Hauſes mitten auf den Küchenherd, auf welchem zum Glück noch kein Feuer angezündet war, zu nicht geringem Schreck und Erſtaunen meines Koches. — Wie geſagt, man muß ſich nur in der Welt zu helfen wiſſen.
Ein andresmal ſtieß mir in einem anſehnlichen Walde von Rußland ein wunderſchöner ſchwarzer Fuchs auf. Es wäre Jammer-Schade geweſen, ſeinen koſtbaren Pelz mit einem Kugel- oder Schrotſchuſſe zu durchlöchern. Herr Reineke ſtand dicht bey einem Baume. Augenblicklich zog ich meine Kugel aus dem Laufe, lud dafür einen tüchtigen Brettnagel in mein Gewehr, feuerte und traf ſo künſtlich, daß ich ſeine Lunte feſt an den Baum nagelte. Nun ging ich ruhig zu ihm hin, nahm mein Waidmeſſer, gab ihm einen Kreuzſchnitt übers Geſicht, griff nach meiner Peitſche und karbatſchte ihn ſo artig aus ſeinem ſchönen Pelze heraus, daß es eine wahre Luſt und ein rechtes Wunder zu ſehen war.
Zufall und gutes Glück machen oft manchen Fehler wieder gut. Davon erlebte ich bald nach dieſem ein Beyſpiel, als ich mitten im tiefſten Walde einen wilden Friſchling und eine Bache dicht hinter einander hertraben ſah. Meine Kugel hatte gefehlt. Gleichwohl lief der Friſchling vorn ganz allein weg, und die Bache blieb ſtehen, ohne Bewegung, als ob ſie an den Boden feſtgenagelt geweſen wäre. Wie ich das Ding näher unterſuchte, ſo fand ich, daß es eine alte blinde Bache war, die ihres Friſchlings Schwänzlein im Rachen hielt, um von ihm aus kindlicher Pflicht fürbaß geleitet zu werden. Da nun meine Kugel zwiſchen beiden hindurchgefahren war, ſo hatte ſie dieſen Leitzaum zerriſſen, wovon die alte Bache das eine Ende noch immer kauete. Da nun ihr Leiter ſie nicht weiter vorwärts gezogen hatte, ſo war ſie ſtehen geblieben. Ich ergriff daher das übriggebliebene Endchen von des Friſchlings Schwanze, und leitete daran das alte hülfloſe Thier ganz ohne Mühe und Widerſtand nach Hauſe.
So fürchterlich dieſe wilden Bachen oft ſind, ſo ſind die Keiler doch weit grauſamer und gefährlicher. Ich traf einſt einen im Walde an, als ich unglücklicher Weiſe weder auf Angriff noch Vertheidigung gefaßt war. Mit genauer Noth konnte ich noch hinter einen Baum ſchlüpfen, als die wüthende Beſtie aus Leibeskräften einen Seitenhieb nach mir that. Dafür fuhren aber auch ſeine Hauer dergeſtalt in den Baum hinein, daß er weder imſtande war, ſie ſogleich wieder heraus zu ziehen, noch den Hieb zu wiederholen. — „Ha ha! dachte ich, nun wollen wir dich bald kriegen!“ — Flugs nahm ich einen Stein, hammerte noch vollends damit drauf los und nietete ſeine Hauer dergeſtalt um, daß er ganz und gar nicht wieder loskommen konnte. So mußte er ſich denn nun gedulden, bis ich vom nächſten Dorfe Karn und Stricke herbeygehohlt hatte, um ihn lebendig und wohlbehalten nach Hauſe zu ſchaffen, welches auch ganz vortreflich von Statten ging.
Sie haben unſtreitig, meine Herren, von dem Heiligen und Schutzpatron der Waidmänner und Schützen, St. Hubert, nicht minder auch von dem ſtattlichen Hirſche gehört, der ihm einſt im Walde aufſtieß, und welcher das heilige Kreuz zwiſchen ſeinem Geweyhe trug. Dieſem Sanct habe ich noch alle Jahre mein Opfer in guter Geſellſchaft dargebracht, und den Hirſch wohl tauſendmal, ſowohl in Kirchen abgemahlt, als auch in die Sterne ſeiner Ritter geſtickt, geſehen, ſo daß ich auf Ehre und Gewiſſen eines braven Waidmanns kaum zu ſagen weiß, ob es entweder nicht vor Zeiten ſolcher Kreuzhirſche gegeben habe, oder wohl gar noch heutiges Tages gebe. Doch laſſen Sie ſich vielmehr erzählen, was ich mit meinen eigenen Augen ſah. Einſt, als ich alle mein Bley verſchoſſen hatte, ſtieß mir ganz wider mein Vermuthen, der ſtattlichſte Hirſch von der Welt auf. Er blickte mir ſo, mir nichts, dir nichts, ins Auge, als ob ers auswendig gewußt hätte, daß mein Beutel leer war. Augenblicklich lud ich indeſſen meine Flinte mit Pulver und darüber her eine ganze Hand voll Kirſchſteine, wovon ich, ſo hurtig ſich das thun ließ, das Fleiſch abgeſogen hatte. Und ſo gab ich ihm die volle Ladung mitten auf ſeine Stirn zwiſchen das Geweyhe. Der Schuß betäubte ihn zwar — er taumelte — machte ſich aber doch aus dem Staube. Ein oder zwey Jahre darnach war ich in eben demſelben Walde auf der Jagd; und ſiehe! zum Vorſchein kam ein ſtattlicher Hirſch, mit einem vollausgewachſenen Kirſchbaume, mehr denn zehn Fuß hoch, zwiſchen ſeinem Geweyhe. Mir fiel gleich mein voriges Abentheuer wieder ein; ich betrachtete den Hirſch als mein längſt wohl erworbenes Eigenthum, und legte ihn mit einem Schuſſe zu Boden, wodurch ich denn auf einmal an Braten und Kirſchtunke zugleich gerieth. Denn der Baum hing reichlich voll Früchte, die ich in meinem ganzen Leben ſo delicat nicht gegeſſen hatte. Wer kann nun wohl ſagen, ob nicht irgend ein paſſionirter heiliger Waidmann, ein jagdluſtiger Abt oder Biſchoff, das Kreuz auf eine ähnliche Art durch einen Schuß auf St. Huberts Hirſch zwiſchen das Gehörne gepflanzt habe? Denn dieſe Herren waren ja von je und je wegen ihres Kreuz- und — Hörnerpflanzens berühmt, und ſind es zum Theil noch bis auf den heutigen Tag. Im Falle der Noth, und wenn es Aut oder Naut [Ought or naught. — Eine wenigſtens in Niederdeutſchland in dieſer Ausſprache ſehr populär gewordene Redensart.] gilt, welches einem braven Waidmanne nicht ſelten begegnet, greift er lieber wer weiß wozu, und verſucht eher alles, als daß er ſich die günſtige Gelegenheit entwiſchen läßt. Ich habe mich manches liebes Mal ſelbſt in einer ſolchen Lage der Verſuchung befunden.
Was ſagen Sie zum Exempel von folgenden Caſus? — Mir waren einmal Tageslicht und Pulver in einem pohlniſchen Walde ausgegangen. Als ich nach Hauſe ging, fuhr mir ein ganz entſetzlicher Bär, mit offenem Rachen, bereit mich zu verſchlingen, auf den Leib. Umſonſt durchſuchte ich in der Haſt alle meine Taſchen nach Pulver und Bley. Nichts fand ich, als zwey Flintenſteine, die man auf einen Nothfall wohl mitzunehmen pflegt. Davon warf ich einen aus aller Macht in den offenen Rachen des Ungeheuers, ganz ſeinen Schlund hinab. Wie ihm nun das nicht allzuwohl deuchten mochte, ſo machte mein Bär links um, ſo daß ich den andern nach der Hinterpforte ſchleudern konnte. Wunderbar und herrlich ging alles von Statten. Der Stein fuhr nicht nur hinein, ſondern auch mit dem andern Steine im Magen dergeſtalt zuſammen, daß es Feuer gab und den Bär mit einem gewaltigen Knalle auseinander ſprengte. Man ſagt, daß ſo ein wohl applicirter Stein a poſteriori, beſonders wenn er mit einem a priori recht zuſammen fuhr, ſchon manchen bärbeißigen Gelehrten und Philoſophen in die Luft ſprengte. — Ob ich nun gleich dasmal mit heiler Haut davon kam, ſo möchte ich das Stückchen doch eben nicht noch einmal machen, oder mit einem Bär, ohne andere Vertheidigungsmittel, anbinden.
Es war aber gewiſſermaßen recht mein Schickſal, daß die wildeſten und gefährlichſten Beſtien mich gerade alsdann angriffen, wenn ich außer Stande war, ihnen die Spitze zu bieten, gleichſam als ob ihnen der Inſtinct meine Wehrloſigkeit verrathen hätte. So ſchoß mir einmal unverſehens ein fürchterlicher Wolf ſo nahe auf den Leib, daß mir nichts weiter übrig blieb, als ihm, dem mechaniſchen Inſtinct zufolge, meine Fauſt in den offenen Rachen zu ſtoßen. Gerade meiner Sicherheit wegen ſtieß ich immer weiter und weiter und brachte meinen Arm beynahe bis an die Schulter hinein. Was war aber nun zu thun? — Ich kann eben nicht ſagen, daß mir dieſe unbehülfliche Situation ſonderlich anſtand. — Man denke nur, Stirn gegen Stirn mit einem Wolfe! — Wir äugelten uns eben nicht gar lieblich an. Hätte ich meinen Arm zurückgezogen, ſo wäre mir die Beſtie nur deſto wüthender zu Leibe geſprungen. So viel ließ ſich klar und deutlich aus ſeinen flammenden Augen herausbuchſtabiren. Kurz, ich packte ihn beym Eingeweide, kehrte ſein äußeres zu innerſt, wie einen Handſchuh, um, ſchleuderte ihn zu Boden und ließ ihn da liegen.
Dieß Stückchen hätte ich nun wieder nicht an einem tollen Hunde verſuchen mögen, welcher bald darauf in einem engen Gäßchen zu St. Petersburg gegen mich anlief. „Lauf was du kannſt!“ dachte ich. Um deſto beſſer fortzukommen, warf ich meinen Ueberrock ab, und rettete mich geſchwind ins Haus. Den Rock ließ ich hernach durch meinen Bedienten hereinhohlen und zu den andern Kleidern in die Garderobe hängen. Tages darauf gerieth ich in ein gewaltiges Schrecken durch meines Johanns Geſchrey: „Herr Gott, Herr Baron, ihr Ueberrock iſt toll!“ Ich ſprang hurtig zu ihm hinauf und fand faſt alle meine Kleider umher gezerrt und zu Stücken zerriſſen. Der Kerl hatte es auf ein Haar getroffen, daß der Ueberrock toll ſey. Ich kam gerade noch ſelbſt dazu, wie er über ein ſchönes neues Gallakleid herfiel und es auf eine gar unbarmherzige Weiſe zerſchüttelte und umherzauſte.
In allen dieſen Fällen, meine Herren, wo ich freylich immer glücklich, aber doch nur immer mit genauer Noth davon kam, half mir das Ohngefähr, welches ich durch Tapferkeit und Gegenwart des Geiſtes zu meinem Vortheile lenkte. Alles zuſammen genommen macht, wie Jedermann weiß, den glücklichen Jäger, Seemann und Soldaten aus. Der aber würde ein ſehr unvorſichtiger, tadelnswerther Waidmann, Admiral und General ſeyn, der ſich überall nur auf das Ohngefähr, oder ſein Geſtirn verlaſſen wollte, ohne ſich weder um die beſonders erforderlichen Kunſtfertigkeiten zu bekümmern, noch ſich mit denjenigen Werkzeugen zu verſehen, die den guten Erfolg ſichern. Ein ſolcher Tadel trifft mich keinesweges. Denn ich bin immer berühmt geweſen, ſowohl wegen der Vortreflichkeit meiner Pferde, Hunde und Gewehre, als auch wegen der beſondern Art, das alles zu handhaben, ſo daß ich mich wohl rühmen kann, in Forſt, Wieſe und Feld meines Nahmens Gedächtniß hinlänglich geſtiftet zu haben. Ich will mich nun zwar nicht auf Particularitäten von meinen Pferd- und Hundeſtällen, oder meiner Gewehrkammer einlaſſen, wie Stall- Jagd- und Hunde-Junker ſonſt wohl zu thun pflegen; aber eines meiner Lieblingshunde muß ich doch noch Erwähnung thun. Das Thierchen war ein Windſpiel. Mein lebelang hatte, oder ſah ich kein beſſeres. Es wurde alt in meinem Dienſte, und war minder wegen ſeiner Geſtalt, als wegen ſeiner außerordentlichen Schnelligkeit merkwürdig. Mit dieſem Hunde jagte ich beſtändig Jahr aus Jahr ein. Hätten die Herren ihn geſehen, ſo würden ſie ihn gewiß bewundert, und ſich gar nicht verwundert haben, daß ich ihn ſo lieb hatte und ſo oft mit ihm jagte. Er lief ſo ſchnell, ſo oft und ſo lange in meinem Dienſte, daß er ſich die Beine ganz bis dicht unterm Leibe weglief, und ich ihn in ſeiner letzten Lebenszeit nur noch als Dachsſucher gebrauchen konnte, in welcher Qualität er mir denn ebenfalls noch manch liebes Jahr diente.
Weiland noch als Windſpiel — beyläufig zu melden, es war eine Hündinn — ſetzte ſie einſt hinter einem Haſen her, der mir ganz ungewöhnlich dick vorkam. Es that mir leid um meine arme Hündinn; denn ſie war mit Jungen trächtig, und wollte doch noch eben ſo ſchnell laufen, als ſonſt. Nur in ſehr weiter Entfernung konnte ich zu Pferde nachfolgen. Auf einmal hörte ich ein Geklaffe, wie von einer ganzen Kuppel Hunde, allein ſo ſchwach und zart, daß ich nicht wußte, was ich daraus machen ſollte. Wie ich näher kam, ſah ich mein himmelblaues Wunder. Die Häſinn hatte im Laufen geſetzt, und meine Hündinn geworfen; und zwar jene gerade eben ſo viel junge Haſen, als dieſe junge Hunde. Inſtinctmäßig hatten jene die Flucht genommen, dieſe aber nicht nur gejagt, ſondern auch gefangen. Dadurch gelangte ich am Ende der Jagd auf einmal zu ſechs Haſen und Hunden, da ich doch nur mit einem einzigen angefangen hatte.
Ich gedenke dieſer wunderbaren Hündinn mit eben dem Vergnügen, als eines vortreflichen Lithauiſchen Pferdes, welches nicht mit Gelde zu bezahlen war. Dieß bekam ich durch ein Ohngefähr, welches mir Gelegenheit gab, meine Reitkunſt zu meinem nicht geringen Ruhme zu zeigen. Ich war nehmlich einſt auf dem prächtigen Landſitze des Grafen Przobofsky in Lithauen und blieb im Staatszimmer bey den Damen zum Thee, indeſſen die Herrn hinunter in den Hof gingen, um ein junges Pferd von Geblüte zu beſehen, welches ſo eben aus der Stuterey angelangt war. Plötzlich hörten wir wie einen Nothſchrey. — Ich eilte die Treppe hinab und fand das Pferd ſo wild und unbändig, daß Niemand ſich getrauete, ſich ihm zu nähern, oder es zu beſteigen. Beſtürzt und verwirrt ſtanden die entſchloſſenſten Reiter da; Angſt und Beſorgniß ſchwebte auf allen Geſichtern, als ich mit einem einzigen Sprunge auf ſeinem Rücken ſaß, und das Pferd durch dieſe Ueberraſchung nicht nur in Schrecken ſetzte, ſondern es auch durch Anwendung meiner beſten Reiterkünſte gänzlich zu Ruhe und Gehorſam brachte. Um dieß den Damen noch beſſer zu zeigen und ihnen alle unnöthige Beſorgniß zu erſparen, ſo zwang ich den Gaul, durch eins der offenen Fenſter des Theezimmers mit mir hineinzuſetzen. Hier ritt ich nun verſchiedenemale, bald Schritt, bald Trott, bald Galopp herum, ſetzte endlich ſogar auf den Theetiſch und machte da im Kleinen überaus artig die ganze Schule durch, worüber ſich denn die Damen ganz ausnehmend ergötzten. Mein Rößchen machte alles ſo bewundernswürdig geſchickt, daß es weder Kannen noch Taſſen zerbrach. Dies ſetzte mich bey den Damen und dem Herrn Grafen ſo hoch in Gunſt, daß er mit ſeiner gewöhnlichen Höflichkeit mich bat, das junge Pferd zum Geſchenke von ihm anzunehmen, und auf ſelbigem in dem Feldzuge gegen die Türken, welcher in kurzem unter Anführung des Grafen Münnich eröffnet werden ſollte, auf Sieg und Eroberung auszureiten. Ein angenehmeres Geſchenk hätte mir nun wohl nicht leicht gemacht werden können, beſonders da es mir ſo viel gutes von einem Feldzuge weißagte, in welchem ich mein erſtes Probeſtück als Soldat ablegen wollte. Ein Pferd, ſo gefügig, ſo muthvoll und feurig — Lamm und Bucephal zugleich — mußte mich allezeit an die Pflichten eines braven Soldaten, und an die erſtaunlichen Thaten erinnern, welche der junge Alexander im Felde verrichtet hatte.
Wir zogen, wie es ſcheinet, unter andern auch in der Abſicht zu Felde, um die Ehre der ruſſiſchen Waffen, welche in dem Feldzuge unter Czaar Peter am Pruth ein wenig gelitten hatte, wieder herzuſtellen. Dieſes gelang uns auch vollkommen durch verſchiedene zwar mühſelige, aber doch rühmliche Feldzüge, unter Anführung des großen Feldherrn, deſſen ich vorhin erwähnte. Die Beſcheidenheit verbietet es Subalternen, ſich große Thaten und Siege zuzuſchreiben, wovon der Ruhm gemeiniglich den Anführern, ihrer Alltagsqualitäten ungeachtet, ja wohl gar verkehrt genug Königen und Königinnen in Rechnung gebracht wird, welche niemals anderes als Muſterungs-Pulver rochen, nie außer ihren Luſtlagern ein Schlachtfeld, noch außer ihren Wachtparaden ein Heer in Schachtordnung erblickten.
Ich mache alſo keinen beſondern Anſpruch an die Ehre von unſern größern Affären mit dem Feinde. Wir thaten insgeſamt unſere Schuldigkeit, welches in der Sprache des Patrioten, des Soldaten, und kurz des braven Mannes ein ſehr viel umfaſſender Ausdruck, ein Ausdruck von ſehr wichtigem Inhalt und Belang iſt, obgleich der große Haufen müſſiger Kannengießer ſich nur einen ſehr geringen und ärmlichen Begriff davon machen mag. Da ich indeſſen ein Corps Huſaren unter meinem Comando hatte, ſo ging ich auf verſchiedene Expeditionen aus, wo das Verhalten meiner eigenen Klugheit und Tapferkeit überlaſſen war. Den Erfolg hiervon, denke ich denn doch, kann ich mit gutem Fug auf meine eigene und die Rechnung derjenigen braven Gefährten ſchreiben, die ich zu Sieg und Eroberung führte.
Einſt, als wir die Türken in Oczakow hineintrieben, gings bey der Avantgarde ſehr heiß her. Mein feuriger Lithauer hätte mich beynahe in des Teufels Küche gebracht. Ich hatte einen ziemlich entfernten Vorpoſten und ſah den Feind in einer Wolke von Staub gegen mich anrücken, wodurch ich wegen ſeiner wahren Anzahl und Abſicht gänzlich in Ungewißheit blieb. Mich in eine ähnliche Wolke von Staub einzuhüllen wäre freylich wohl ein Alltagspfiff geweſen, würde mich aber eben ſo wenig klüger gemacht, als überhaupt der Abſicht näher gebracht haben, warum ich vorausgeſchickt war. Ich ließ daher meine Flanqueurs zur linken und rechten auf beyden Flügeln ſich zerſtreuen, und ſo viel Staub erregen, als ſie nur immer konnten. Ich ſelbſt aber ging gerade auf den Feind los, um ihn näher in Augenſchein zu nehmen. Dieß gelang mir. Denn er ſtand und focht nur ſo lange, bis die Furcht vor meinen Flanqueurs ihn in Unordnung zurücktrieb. Nun wars Zeit, tapfer über ihn herzufallen. Wir zerſtreueten ihn völlig, richteten eine gewaltige Niederlage an, und trieben ihn nicht allein in ſeine Feſtung zu Loche, ſondern auch durch und durch, ganz über und wider unſere blutgierigſten Erwartungen.
Weil nun mein Lithauer ſo außerordentlich geſchwind war, ſo war ich der Vorderſte beym Nachſetzen, und da ich ſah, daß der Feind ſo hübſch zum gegenſeitigen Thore wieder hinausfloh, ſo hielt ichs für rathſam, auf dem Marktplatze anzuhalten, und da zum Rendezvous blaſen zu laſſen. Ich hielt an, aber ſtellt euch, ihr Herren, mein Erſtaunen vor, als ich weder Trompeter, noch irgend eine lebendige Seele von meinen Huſaren um mich ſah. — „Sprengen ſie etwa durch andere Straßen? Oder was iſt aus ihnen geworden?“ — dachte ich. Indeſſen konnten ſie meiner Meinung nach unmöglich fern ſeyn und mußten mich bald einholen. In dieſer Erwartung ritt ich meinen athemloſen Lithauer zu einem Brunnen auf dem Marktplatze und ließ ihn trinken. Er ſoff ganz unmäßig und mit einem Heißdurſte, der gar nicht zu löſchen war. Allein das ging ganz natürlich zu. Denn als ich mich nach meinen Leuten umſah, was meint Ihr wohl, Ihr Herren, was ich da erblickte? — Der ganze Hintertheil des armen Thieres, Kreuz und Lenden waren fort, und wie rein abgeſchnitten. So lief denn hinten das Waſſer eben ſo wieder heraus, als es von vorn hineingekommen war, ohne daß es dem Gaul zu gute kam, oder ihn erfriſchte. Wie das zugegangen ſeyn mochte, blieb mir ein völliges Räthſel, bis ich zum Stadtthore zurückritt. Da ſah ich nun, daß man, als ich pêle mêle mit dem fliehenden Feinde hereingedrungen war, das Schutzgatter, ohne daß ichs wahrgenommen, fallen gelaſſen hatte, wodurch denn der Hintertheil, der noch zuckend an der Außenſeite des Thores lag, rein abgeſchlagen war. Der Verluſt würde unerſetzlich geweſen ſeyn, wenn nicht unſer Curſchmid ein Mittel ausgeſonnen hätte, beyde Theile, ſo lange ſie noch warm waren, wieder zuſammen zu ſetzen. Er heftete ſie nehmlich mit jungen Lorbeer-Sprößlingen, die gerade bey der Hand waren, zuſammen. Die Wunde heilte zu; und es begab ſich etwas, das nur einem ſo ruhmvollen Pferde begegnen konnte. Nehmlich, die Sproſſen ſchlugen Wurzel in ſeinem Leibe, wuchſen empor und wölbten eine Laube über mir, ſo daß ich hernach manchen ehrlichen Ritt im Schatten meiner ſowohl als meines Roſſes Lorbeern thun konnte.
Einer andern kleinen Ungelegenheit von dieſer Affäre will ich nur beyläufig erwähnen. Ich hatte ſo heftig, ſo lange, ſo unermüdet auf den Feind losgehauen, daß mein Arm dadurch endlich in eine unwillkührliche Bewegung des Hauens gerathen war, welcher ich nicht mehr ſteuern konnte, als der Feind ſchon längſt über alle Berge war. Um mich nun nicht ſelbſt, oder meine Leute, die mir zu nahe kamen, für nichts und wider nichts zu prügeln, und zu Ruhe und Schlaf zu gelangen, ſah ich mich genöthigt, meinen Arm in die Acht Tage lang eben ſo gut in der Binde zu tragen, als ob er mir halb abgehauen geweſen wäre.
Einem Manne, meine Herren, der einen Gaul, wie mein Lithauer war, zu reiten vermochte, können Sie auch wohl noch ein anderes Voltigir- und Reiterſtückchen zutrauen, welches außerdem vielleicht ein wenig fabelhaft klingen möchte. Wir belagerten nehmlich, ich weiß nicht mehr welche Stadt, und dem Feldmarſchal war ganz erſtaunlich viel an genauer Kundſchaft gelegen, wie die Sachen in der Feſtung ſtünden. Es ſchien äußerſt ſchwehr, ja faſt unmöglich, durch alle Vorpoſten, Wachen und Feſtungswerke hinein zu gelangen, auch war eben kein tüchtiges Subject vorhanden, wodurch man ſo was glücklich auszurichten hätte hoffen können. Vor Muth und Dienſteifer faſt ein wenig allzu raſch, ſtellte ich mich neben eine der größten Kanonen, die ſo eben nach der Feſtung abgefeuert ward, und ſprang im Hui auf die Kugel, in der Abſicht, mich in die Feſtung hineintragen zu laſſen. Als ich aber halbweges durch die Luft geritten war, ſtiegen mir allerley nicht unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopfe. „Hum, dachte ich, hinein kommſt du nun wohl, allein wie hernach ſogleich wieder heraus? Und wie kanns dir in der Feſtung ergehen? Man wird dich ſogleich als einen Spion erkennen und an den nächſten Galgen hängen. Ein ſolches Bette der Ehren wollte ich mir denn doch wohl verbitten.“ Nach dieſen und ähnlichen Betrachtungen entſchloß ich mich kurz, nahm die glückliche Gelegenheit wahr, als eine Kanonenkugel aus der Feſtung einige Schritte weit vor mir vorüber nach unſerm Lager flog, ſprang von der meinigen auf dieſe hinüber, und kam, zwar unverrichteter Sache, jedoch wohlbehalten bey den lieben Unſrigen wieder an.
So leicht und fertig ich im Springen war, ſo war es auch mein Pferd. Weder Graben noch Zäune hielten mich jemals ab, überall den geradeſten Weg zu reiten. Einſt ſetzte ich darauf hinter einem Haſen her, der queerfeldein über die Heerſtraße lief. Eine Kutſche mit zwey ſchönen Damen fuhr dieſen Weg gerade zwiſchen mir und dem Haſen vorbey. Mein Gaul ſetzte ſo ſchnell und ohne Anſtoß mitten durch die Kutſche hindurch, wovon die Fenſter aufgezogen waren, daß ich kaum Zeit hatte, meinen Huth abzuziehen, und die Damen wegen dieſer Freyheit unterthänigſt um Verzeihung zu bitten.
Ein andres Mal wollte ich über einen Moraſt ſetzen, der mir anfänglich nicht ſo breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größern Anlauf zu nehmen. Gleichwohl ſprang ich auch zum zweytenmale noch zu kurz, und fiel nicht weit vom andern Ufer bis an den Hals in den Moraſt. Hier hätte ich ohnfehlbar umkommen müſſen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, ſamt dem Pferde, welches ich feſt zwiſchen meine Kniee ſchloß, wieder herausgezogen hätte.
Trotz aller meiner Tapferkeit und Klugheit, trotz meiner und meines Pferdes Schnelligkeit, Gewandtheit und Stärke, gings mir in dem Türkenkriege doch nicht immer nach Wunſche. Ich hatte ſogar das Unglück, durch die Menge übermannt und zum Kriegsgefangenen gemacht zu werden. Ja, was noch ſchlimmer war, aber doch immer unter den Türken gewöhnlich iſt, ich wurde zum Sclaven verkauft. In dieſem Stande der Demüthigung war mein Tagewerk nicht ſowohl hart und ſauer, als vielmehr ſeltſam und verdrießlich. Ich mußte nehmlich des Sultans Bienen alle Morgen auf die Weide treiben, ſie daſelbſt den ganzen Tag lang hüten, und dann gegen Abend wieder zurück in ihre Stöcke treiben. Eines Abends vermißte ich eine Biene, wurde aber ſogleich gewahr, daß zwey Bären ſie angefallen hatten, und ihres Honigs wegen in Stücke zerreißen wollten. Da ich nun nichts anderes waffenähnliches in Händen hatte, als die ſilberne Axt, welche das Kennzeichen der Gärtner und Landarbeiter des Sultans iſt, ſo warf ich dieſe nach den beiden Räubern, bloß in der Abſicht, ſie damit wegzuſcheuchen. Die arme Biene ſetzte ich auch wirklich dadurch in Freyheit; allein durch einen unglücklichen allzu ſtarken Schwung meines Armes flog die Axt in die Höhe, und hörte nicht auf zu fliegen, bis ſie im Monde nieder fiel. Wie ſollte ich ſie nun wieder kriegen? Mit welcher Leiter auf Erden ſie herunterholen? Da fiel mir ein, daß die türkiſchen Bohnen ſehr geſchwind und zu einer ganz erſtaunlichen Höhe empor wüchſen. Augenblicklich pflanzte ich alſo eine ſolche Bohne, welche wirklich empor wuchs, und ſich an eines von des Mondes Hörnern von ſelbſt anrankte. Nun kletterte ich getroſt nach dem Monde empor, wo ich auch glücklich anlangte. Es war ein ziemlich mühſeliges Stückchen Arbeit, meine ſilberne Axt an einem Orte wieder zu finden, wo alle andere Dinge gleichfalls wie Silber glänzten. Endlich aber fand ich ſie doch auf einem Haufen von Spreu und Häckerling. Nun wollte ich wieder zurückkehren, aber ach! die Sonnenhitze hatte indeſſen meine Bohne aufgetrocknet, ſo daß daran ſchlechterdings nicht wieder herabzuſteigen war. Was war nun zu thun? — Ich flocht mir einen Strick von dem Häckerlinge, ſo lang ich ihn nur immer machen konnte. Dieſen befeſtigte ich an eines von des Mondes Hörnern und ließ mich daran herunter. Mit der linken Hand hielt ich mich feſt und in der rechten führte ich meine Axt. Sowie ich nun eine Strecke hinunter geglitten war, ſo hieb ich immer das überflüßige Stück über mir ab, und knüpfte dasſelbe unten wieder an, wodurch ich denn ziemlich weit herunter gelangte. Dieſes wiederhohlte Abhauen und Anknüpfen machte nun freylich den Strick eben ſo wenig beſſer, als es mich völlig herab auf des Sultans Landgut brachte. Ich mochte wohl noch ein Paar Meilen weit droben in den Wolken ſeyn, als mein Strick auf einmal zerriß und ich mit ſolcher Heftigkeit herab zu Gottes Erdboden fiel, daß ich ganz betäubt davon wurde. Durch die Schwehre meines von einer ſolchen Höhe herabfallenden Cörpers fiel ich ein Loch, wenigſtens neun Klafter tief, in die Erde hinein. Ich erhohlte mich zwar endlich wieder, wußte aber nun nicht, wie ich wieder herauskommen ſollte. Allein was thut nicht die Noth? Ich grub mir mit meinen Nägeln, deren Wuchs damals vierzigjährig war, eine Art von Treppe, und förderte mich dadurch glücklich zu Tage.
Durch dieſe mühſelige Erfahrung klüger gemacht, fing ichs nachher beſſer an, der Bären, die ſo gern nach meinen Bienen und den Honigſtöcken ſtiegen, loß zu werden. Ich beſtrich die Deichſel eines Ackerwagens mit Honig und legte mich nicht weit davon des Nachts in einen Hinterhalt. Was ich vermuthete, das geſchah. Ein ungeheurer Bär, herbeygelockt durch den Duft des Honigs, kam an und fing vorn an der Spitze der Stange ſo begierig an zu lecken, daß er ſich die ganze Stange durch Schlund, Magen und Bauch bis hinten wieder hinausleckte. Als er ſich nun ſo artig auf die Stange hinauf geleckt hatte, lief ich hinzu, ſteckte vorn durch das Loch der Deichſel einen langen Pflock, verwehrte dadurch dem Naſcher den Rückzug, und ließ ihn ſitzen bis an den andern Morgen. Ueber dieß Stückchen wollte ſich der Großſultan, der von ohngefähr vorbey ſpazirte, faſt todtlachen.
Nicht lange hierauf machten die Ruſſen mit den Türken Frieden und ich wurde nebſt andern Kriegsgefangenen wieder nach St. Petersburg ausgeliefert. Ich nahm aber nun meinen Abſchied und verließ Rußland um die Zeit der großen Revolution vor etwa vierzig Jahren, da der Kaiſer in der Wiege, nebſt ſeiner Mutter und ihrem Vater, dem Herzoge von Braunſchweig, dem Feldmarſchal von Münnich und vielen andern nach Sibirien geſchickt wurden. Es herrſchte damals über ganz Europa ein ſo außerordentlich ſtrenger Winter, daß die Sonne eine Art von Froſtſchaden erlitten haben muß, woran ſie ſeit der ganzen Zeit her bis auf den heutigen Tag geſiecht hat. Ich empfand daher auf der Rückreiſe in mein Vaterland weit größeres Ungemach, als ich auf meiner Hinreiſe nach Rußland erfahren hatte.
Ich mußte, weil mein Lithauer in der Türkey geblieben war, mit der Poſt reiſen. Als ſichs nun fügte, daß wir an einen engen hohlen Weg zwiſchen hohen Dornhecken kamen, ſo erinnerte ich den Poſtilion, mit ſeinem Horne ein Zeichen zu geben, damit wir uns in dieſem engen Paſſe nicht etwa gegen ein anderes entgegenkommendes Fuhrwerk feſtfahren möchten. Mein Kerl ſetzte an und blies aus Leibeskräften in das Horn, aber alle ſeine Bemühungen waren umſonſt. Nicht ein einziger Ton kam heraus, welches uns ganz unerklärlich, ja in der That für ein rechtes Unglück zu achten war, indem bald eine andere uns entgegen kommende Kutſche auf uns ſtieß, vor welcher nun ſchlechterdings nicht vorbey zu kommen war. Nichts deſto weniger ſprang ich aus meinem Wagen und ſpannte zuförderſt die Pferde aus. Hierauf nahm ich den Wagen, nebſt den vier Rädern und allen Päckereyen auf meine Schultern, und ſprang damit über Ufer und Hecke, ohngefähr neun Fuß hoch, welches in Rückſicht auf die Schwere der Kutſche eben keine Kleinigkeit war, auf das Feld hinüber. Durch einen andern Rückſprung gelangte ich, die fremde Kutſche vorüber, wieder in den Weg. Darauf eilte ich zurück zu unſern Pferden, nahm unter jeden Arm eins, und hohlte ſie auf die vorige Art, nehmlich durch einen zweymaligen Sprung hinüber und herüber, gleichfalls herbey, ließ wieder anſpannen und gelangte glücklich am Ende der Station zur Herberge. Noch hätte ich anführen ſollen, daß eins von den Pferden, welches ſehr muthig und nicht über vier Jahre alt war, ziemlichen Unfug machen wollte. Denn als ich meinen zweyten Sprung über die Hecke that, ſo verrieth es durch ſein Schnauben und Trampeln ein großes Mißbehagen an dieſer heftigen Bewegung. Dieß verwehrte ich ihm aber gar bald, indem ich ſeine Hinterbeine in meine Rocktaſche ſteckte. In der Herberge erhohlten wir uns wieder von unſerm Abentheuer. Der Poſtilion hängte ſein Horn an einen Nagel beym Küchenfeuer, und ich ſetzte mich ihm gegen über.
Nun hört, ihr Herren, was geſchah! Auf einmal gings: Tereng! Tereng! teng! teng! Wir machten große Augen und fanden nun auf einmal die Urſache aus, warum der Poſtilion ſein Horn nicht hatte blaſen können. Die Töne waren in dem Horne feſtgefroren und kamen nun, ſo wie ſie nach und nach aufthaueten, hell und klar, zu nicht geringer Ehre des Fuhrmanns heraus. Denn die ehrliche Haut unterhielt uns nun eine ziemliche Zeit lang mit der herrlichſten Modulation, ohne den Mund an das Horn zu bringen. Da hörten wir den preuſſiſchen Marſch — Ohne Lieb’ und ohne Wein — Als ich auf meiner Bleiche — Geſtern Abend war Vetter Michel da — nebſt noch vielen andern Stückchen, auch ſogar das Abendlied: Nun ruhen alle Wälder — Mit dieſem letzten endigte ſich denn dieſer Thauſpaß, ſo wie ich hiermit meine Ruſſiſche Reiſe-Geſchichte.
Manche Reiſende ſind bisweilen im Stande, mehr zu behaupten, als genau genommen wahr ſeyn mag. Daher iſt es denn kein Wunder, wenn Leſer oder Zuhörer ein wenig zum Unglauben geneigt werden. Sollten indeſſen einige von der Geſellſchaft an meiner Wahrhaftigkeit zweifeln, ſo muß ich ſie wegen ihrer Ungläubigkeit herzlich bemitleiden und ſie bitten, ſich lieber zu entfernen, ehe ich meine Schiffs-Abentheuer beginne, die zwar faſt noch wunderbarer, aber doch eben ſo authentiſch ſind.
Im Jahr 1766 ſchiffte ich mich zu Portsmouth auf einem engliſchen Kriegsſchiffe erſter Ordnung, mit hundert Kanonen und vierzehnhundert Mann, nach Nord-America ein. Ich könnte hier zwar erſt noch allerley, was mir in England begegnet iſt, erzählen; ich verſpare es aber auf ein anderes Mal. Eins jedoch, welches mir überaus artig vorkam, will ich nur noch im Vorbeygehn mitnehmen. Ich hatte das Vergnügen den König mit großem Pompe in ſeinem Staatswagen nach dem Parlament fahren zu ſehen. Ein Kutſcher mit einem ungemein reſpectablen Barte, worein das engliſche Wapen ſehr ſauber geſchnitten war, ſaß gravitätiſch auf dem Bocke und klatſchte mit ſeiner Peitſche ein eben ſo deutliches als künſtliches GR. [Georg Rex]
Anlangend unſere Seereiſe, ſo begegnete uns nichts merkwürdiges, bis wir ohngefähr noch dreyhundert Meilen von dem St. Lorenzfluſſe entfernt waren. Hier ſtieß das Schiff mit erſtaunlicher Gewalt gegen etwas an, das uns wie ein Fels vorkam. Gleichwohl konnten wir, als wir das Senkbley auswarfen, mit fünfhundert Klaftern noch keinen Grund finden. Was dieſen Vorfall noch wunderbarer und beynahe unbegreiflich machte, war, daß wir unſer Steuerruder verlohren, das Bogſpriet mitten entzweybrachen und alle unſere Maſten von oben bis unten aus zerſplitterten, wovon auch zwey über Bord ſtoben. Ein armer Teufel, welcher gerade oben das Hauptſegel beylegte, flog wenigſtens drey Meilen weit vom Schiffe weg, ehe er zu Waſſer fiel. Allein er rettete noch dadurch glücklich ſein Leben, daß er, während er in der Luft flog, den Schwanz einer Rothgans ergriff, welches nicht nur ſeinen Sturz in das Waſſer milderte, ſondern ihm auch Gelegenheit gab, auf ihrem Rücken, oder vielmehr zwiſchen Hals und Fittigen, ſo lange nach zu ſchwimmen, bis er endlich wieder an Bord genommen werden konnte. Ein anderer Beweis von der Gewalt des Stoßes war dieſer, daß alles Volk zwiſchen den Verdecken empor gegen die Kopfdecke geſchnellt ward. Mein Kopf ward dadurch ganz in den Magen hinabgepufft, und es dauerte wohl einige Monathe, ehe er ſeine natürliche Stellung wieder bekam. Noch befanden wir uns insgeſamt in einem Zuſtande des Erſtaunens und einer allgemeinen unbeſchreiblichen Verwirrung, als ſich auf einmal alles durch Erſcheinung eines großen Wallfiſches aufklärte, welcher an der Oberfläche des Waſſers, ſich ſömmernd, eingeſchlafen war. Dieß Ungeheuer war ſo übel damit zufrieden, daß wir es mit unſerm Schiffe geſtört hatten, daß es nicht nur mit ſeinem Schwanze die Gallerie und einen Theil des Oberlofs einſchlug, ſondern auch zu gleicher Zeit den Hauptanker, welcher, wie gewöhnlich, am Steuer aufgewunden war, zwiſchen ſeine Zähne packte, und wenigſtens ſechzig Meilen weit, ſechs Meilen auf eine Stunde gerechnet, mit unſerm Schiffe davon eilte. Gott weiß, wohin wir gezogen ſeyn würden, wenn nicht noch glücklicher Weiſe das Ankertau zerriſſen wäre, wodurch der Wallfiſch unſer Schiff, wir aber auch zugleich unſern Anker verlohren. Als wir aber ſechs Monathe hierauf wieder nach Europa zurückſegelten, ſo fanden wir eben denſelben Wallfiſch, in einer Entfernung weniger Meilen von eben der Stelle, todt auf dem Waſſer ſchwimmen, und er maß ungelogen der Länge nach wenigſtens eine halbe Meile. Da wir nun von einem ſo ungeheuern Thiere nur wenig an Bord nehmen konnten, ſo ſetzten wir unſre Boote aus, ſchnitten ihm mit großer Mühe den Kopf ab, und fanden zu unſerer großen Freude nicht nur unſern Anker, ſondern auch über vierzig Klafter Tau, welches auf der linken Seite ſeines Rachens in einem hohlen Zahne ſteckte. Dieß war der einzige beſondere Umſtand, der ſich auf dieſer Reiſe zutrug. Doch halt! Eine Fatalität hätte ich beynahe vergeſſen. Als nehmlich das erſte Mal der Wallfiſch mit dem Schiffe davon ſchwamm, ſo bekam das Schiff einen Leck und das Waſſer drang ſo heftig herein, daß alle unſere Pumpen uns keine halbe Stunde vor dem Sinken hätten bewahren können. Zum guten Glücke entdeckte ich das Unheil zuerſt. Es war ein großes Loch, ohngefähr einen Fuß im Durchmeſſer. Auf allerley Weiſe verſuchte ich es, das Loch zu verſtopfen, allein umſonſt. Endlich rettete ich dieß ſchöne Schiff und alle ſeine zahlreiche Mannſchaft durch den glücklichſten Einfall von der Welt. Ob das Loch gleich ſo groß war, ſo füllte ichs dennoch mit meinem Liebwertheſten aus, ohne meine Beinkleider abzuziehen; und ich würde ausgelanget haben, wenn auch die Oeffnung noch viel größer geweſen wäre. Sie werden ſich darüber nicht wundern meine Herren, wenn ich Ihnen ſage, daß ich auf beyden Seiten von holländiſchen, wenigſtens weſtphäliſchen Vorfahren abſtamme. Meine Situation, ſo lange ich auf der Brille ſaß, war zwar ein wenig kühl, indeſſen ward ich doch bald durch die Kunſt des Zimmermannes erlöſet.
Einſt war ich in großer Gefahr im mittelländiſchen Meere umzukommen. Ich badete mich nehmlich an einem Sommernachmittage, ohnweit Marſeille, in der angenehmen See, als ich einen großen Fiſch, mit weit aufgeſperrtem Rachen, in der größten Geſchwindigkeit auf mich daherſchießen ſah. Zeit war hier ſchlechterdings nicht zu verlieren, auch war es durchaus unmöglich, ihm zu entkommen. Unverzüglich drückte ich mich ſo klein zuſammen, als möglich, indem ich meine Füße heraufzog und die Arme dicht an den Leib ſchloß. In dieſer Stellung ſchlüpfte ich denn gerade zwiſchen ſeinen Kiefern hindurch, bis in den Magen hinab. Hier brachte ich, wie man leicht denken kann, einige Zeit in gänzlicher Finſterniß, aber doch in einer nicht unbehaglichen Wärme zu. Da ich ihm nach und nach Magendrücken verurſachen mochte, ſo wäre er mich wohl gern wieder los geweſen. Weil es mir gar nicht an Raume fehlte, ſo ſpielte ich ihm durch Tritt und Schritt, durch Hopp und He, gar manchen Poſſen. Nichts ſchien ihn aber mehr zu beunruhigen, als die ſchnelle Bewegung meiner Füße, da ichs verſuchte, einen ſchottiſchen Triller zu tanzen. Ganz entſetzlich ſchrie er auf und erhob ſich faſt ſenkrecht mit ſeinem halben Leibe aus dem Waſſer. Hierdurch ward er aber von dem Volke eines vorbeyſegelnden italiäniſchen Kauffahrtey-Schiffes entdeckt, und in wenigen Minuten mit Harpunen erlegt. Sobald er an Bord gebracht war, hörte ich das Volk ſich berathſchlagen, wie ſie ihn aufſchneiden wollten, um die größte Quantität Oehl von ihm zu gewinnen. Da ich nun Italiäniſch verſtand, ſo gerieth ich in die ſchrecklichſte Angſt, daß ihre Meſſer auch mich par Compagnie mit aufſchneiden möchten. Daher ſtellte ich mich ſo viel möglich in die Mitte des Magens, worin für mehr als ein Dutzend Mann hinlänglich Platz war, weil ich mir wohl einbilden konnte, daß ſie mit den Extremitäten den Anfang machen würden. Meine Furcht verſchwand indeſſen bald, da ſie mit Eröffnung des Unterleibes anfingen. Sobald ich nun nur ein wenig Licht ſchimmern ſah, ſchrie ich ihnen aus voller Lunge entgegen, wie angenehm es mir wäre, die Herren zu ſehen, und durch ſie aus einer Lage erlöſet zu werden, in welcher ich beynahe erſtickt wäre. Unmöglich läßt ſich das Erſtaunen auf allen Geſichtern lebhaft genug ſchildern, als ſie eine Menſchenſtimme aus einem Fiſche heraus vernahmen. Dieß wuchs natürlicher Weiſe noch mehr, als ſie lang und breit einen nackenden Menſchen herausſpazieren ſahn. Kurz, meine Herren, ich erzählte ihnen die ganze Begebenheit, ſo wie ich ſie Ihnen jetzt erzählt habe, worüber ſie ſich denn alle faſt zu Tode verwundern wollten.
Nachdem ich einige Erfriſchungen zu mir genommen hatte und in die See geſprungen war, um mich abzuſpülen, ſchwamm ich nach meinen Kleidern, welche ich auch am Ufer eben ſo wiederfand, als ich ſie gelaſſen hatte. So viel ich rechnen konnte, war ich ohngefähr drittehalb Stunden in dem Magen dieſer Beſtie eingekerkert geweſen.
Als ich noch in türkiſchen Dienſten war, beluſtigte ich mich öfters in einer Luſt-Barke auf dem Mare di Marmora, von wo aus man die herrlichſte Ausſicht auf ganz Conſtantinopel, das Seraglio des Groß-Sultans mit eingeſchloſſen, beherrſchet. Eines Morgens, als ich die Schönheit und Heiterkeit des Himmels betrachtete, bemerkte ich ein rundes Ding, ohngefähr wie eine Billard-Kugel groß, in der Luft, von welchem noch etwas anderes herunter hing. Ich griff ſogleich nach meiner beſten und längſten Vogelflinte, ohne welche, wenn ichs ändern kann, ich niemals ausgehe, oder ausreiſe, lud ſie mit einer Kugel und feuerte nach dem runden Dinge in der Luft; allein umſonſt. Ich wiederhohlte den Schuß mit zwey Kugeln, richtete aber noch nichts aus. Erſt der dritte Schuß, mit vier oder fünf Kugeln machte an einer Seite ein Loch und brachte das Ding herab. Stellen Sie ſich meine Verwunderung vor, als ein niedlich vergoldeter Wagen, hängend in einem ungeheuern Ballon, größer als die größte Thurm-Kuppel im Umfange, ohngefähr zwey Klafter weit von meiner Barke herunter ſank. In dem Wagen befand ſich ein Mann und ein halbes Schaf, welches gebraten zu ſeyn ſchien. Sobald ſich mein erſtes Erſtaunen gelegt hatte, ſchloß ich mit meinen Leuten um dieſe ſeltſame Gruppe einen dichten Kreis.
Dem Manne, der wie ein Franzoſe ausſah, welches er denn auch war, hingen aus jeder Taſche ein Paar prächtige Uhrketten mit Berlocken, worauf, wie mich dünkt, große Herren und Damen abgemahlt waren. Aus jedem Knopfloche hing ihm eine goldene Medaille, wenigſtens hundert Ducaten am Werth, und an jeglichem ſeiner Finger ſteckte ein koſtbarer Ring mit Brillanten. Seine Rocktaſchen waren mit vollen Goldbörſen beſchwehrt, die ihn faſt zur Erde zogen. Mein Gott, dachte ich, der Mann muß dem menſchlichen Geſchlechte außerordentlich wichtige Dienſte geleiſtet haben, daß die großen Herren und Damen, ganz wider ihre heutzutage ſo allgemeine Knicker-Natur, ihn ſo mit Geſchenken, die es zu ſeyn ſchienen, beſchwehren konnten. Bey allen dem befand er ſich denn doch gegenwärtig von dem Falle ſo übel, daß er kaum im Stande war, ein Wort hervorzubringen. Nach einiger Zeit erhohlte er ſich wieder, und ſtattete mir folgenden Bericht ab. „Dieſes Luftfuhrwerk hatte ich zwar nicht Kopf und Wiſſenſchaft genug ſelbſt zu erfinden, dennoch aber mehr denn überflüßige Luftſpringer- und Seiltänzer-Waghalſigkeit zu beſteigen, und darauf mehrmalen in die Luft empor zu fahren. Vor ohngefähr ſieben oder acht Tagen — denn ich habe meine Rechnung verlohren — erhob ich mich damit auf der Landſpitze von Cornwall in England und nahm ein Schaf mit, um von oben herab vor den Augen vieler tauſend Nachgaffer Kunſtſtücke damit zu machen. Unglücklicher Weiſe drehete ſich der Wind innerhalb zehen Minuten nach meinem Hinaufſteigen; und anſtatt mich nach Exeter zu treiben, wo ich wieder zu landen gedachte, ward ich hinaus nach der See getrieben, über welcher ich auch vermuthlich die ganze Zeit her in der unermeßlichſten Höhe geſchwebet habe.
Es war gut, daß ich zu meinem Kunſtſtückchen mit dem Schafe nicht hatte gelangen können. Denn am dritten Tage meiner Luftfahrt, wurde mein Hunger ſo groß, daß ich mich genöthigt ſah, das Schaf zu ſchlachten. Als ich nun damals unendlich hoch über dem Monde war, und nach einer ſechzehnſtündigen noch weitern Auffahrt endlich der Sonne ſo nahe kam, daß ich mir die Augenbrauen verſengte, ſo legte ich das todte Schaf, nachdem ich es vorher abgehäutet, an denjenigen Ort im Wagen, wo die Sonne die meiſte Kraft hatte, oder mit andern Worten, wo der Ballon keinen Schatten hinwarf, auf welche Weiſe es denn in ohngefähr drey Viertel Stunden völlig gar briet. Von dieſem Braten habe ich die ganze Zeit her gelebt“ — Hier hielt mein Mann ein, und ſchien ſich in Betrachtung der Gegenſtände um ihn her zu vertiefen. Als ich ihm ſagte, daß die Gebäude da vor uns das Seraglio des Großherrn zu Conſtantinopel wären, ſo ſchien er außerordentlich beſtürzt, indem er ſich ganz wo anders zu befinden geglaubt hatte. „Die Urſache meines langen Fluges, fügte er endlich hinzu, war, daß mir ein Faden zerriß, der an einer Klappe in dem Luftballe ſaß, und dazu diente, die inflammable Luft herauszulaſſen. Wäre nun nicht auf den Ball gefeuert und derſelbe dadurch aufgeriſſen worden, ſo möchte er wohl, wie Mahomet, bis an den jüngſten Tag zwiſchen Himmel und Erde geſchwebt haben.“ Den Wagen ſchenkte er hierauf großmüthig meinem Bootsmanne, der hinten am Steuer ſtand. Den Hamelsbraten warf er ins Meer. Was aber den Luftball anlangte, ſo war der von dem Schaden, welchen ich ihm zugefügt hatte, im herabfallen vollends ganz und gar zu Stücken zerriſſen.
Da wir noch Zeit haben, meine Herren, eine friſche Flaſche auszutrinken, ſo will ich Ihnen noch eine andere ſehr ſeltſame Begebenheit erzählen, die mir wenige Monathe vor meiner letzten Rückreiſe nach Europa begegnete.
Der Großherr, welchem ich durch die Römiſch- und Ruſſiſch-Kaiſerlichen, wie auch franzöſiſchen Botſchafter vorgeſtellet worden war, bediente ſich meiner, ein Geſchäft von großer Wichtigkeit zu Großkairo zu betreiben, welches zugleich ſo beſchaffen war, daß es immer und ewig ein Geheimniß bleiben mußte.
Ich reiſete mit großem Pompe in einem ſehr zahlreichen Gefolge zu Lande ab. Unterweges hatte ich Gelegenheit, meine Dienerſchaft mit einigen ſehr brauchbaren Subjecten zu vermehren. Denn als ich kaum einige Meilen weit von Conſtantinopel entfernt ſeyn mochte, ſah ich einen kleinlichen ſchmächtigen Menſchen mit großer Schnelligkeit queerfeldein daher laufen, und gleichwohl trug das Männchen an jedem Beine ein bleyernes Gewicht, an die funfzig Pfund ſchwehr. Verwunderungsvoll über dieſen Anblick rief ich ihn an und fragte: „Wohin, wohin ſo ſchnell, mein Freund? Und warum erſchwehrſt du dir deinen Lauf durch eine ſolche Laſt?“ — „Ich lief, verſetzte der Läufer, ſeit einer halben Stunde aus Wien, wo ich bisher bey einer vornehmen Herrſchaft in Dienſten ſtand, und heute meinen Abſchied nahm. Ich gedenke nach Conſtantinopel, um daſelbſt wieder anzukommen. Durch die Gewichte an meinen Beinen habe ich meine Schnelligkeit, die jetzt nicht nöthig iſt, ein wenig mindern wollen. Denn moderata durant, pflegte weiland mein Präceptor zu ſagen.“ — Dieſer Aſahel gefiel mir nicht übel; ich fragte ihn, ob er bey mir in Dienſt treten wollte, und er war dazu bereit. Wir zogen hierauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land. Nicht fern vom Wege auf einem ſchönen Gras-Rein lag mäußchen ſtill ein Kerl, als ob er ſchliefe. Allein das that er nicht. Er hielt vielmehr ſein Ohr ſo aufmerkſam zur Erde, als hätte er die Einwohner der unterſten Hölle behorchen wollen. — „Was horchſt du da, mein Freund?“ — „Ich horche da zum Zeitvertreibe auf das Gras, und höre, wie es wächſt.“ — „Und kannſt du das?“ — „O Kleinigkeit!“ — „So tritt in meine Dienſte, Freund, wer weiß, was es bisweilen nicht zu horchen geben kann.“ — Mein Kerl ſprang auf und folgte mir. Nicht weit davon auf einem kleinen Hügel ſtand mit angelegtem Gewehr ein Jäger und knallte in die blaue leere Luft. — „Glück zu, Glück zu, Herr Waidmann! Doch wonach ſchießeſt du? Ich ſehe nichts, als blaue leere Luft.“ — „O ich verſuchte nur dieß neue Kuchenreuterſche Gewehr. Dort auf der Spitze des Münſters zu Straßburg ſaß ein Sperling. Den ſchoß ich eben jetzt herab.“ Wer meine Paſſion für das edle Waid- und Schützenwerk kennt, den wird es nicht Wunder nehmen, daß ich dem vortreflichen Schützen ſogleich um den Hals fiel. Daß ich nichts ſparte, auch ihn in meine Dienſte zu ziehen, verſteht ſich von ſelbſt. Wir zogen darauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land, und kamen endlich vor dem Berge Libanon vorbey. Daſelbſt vor einem großen Cedernwalde ſtand ein derber unterſetzter Kerl und zog an einem Stricke, der um den ganzen Wald herum geſchlungen war. „Was ziehſt du da, mein Freund?“ fragte ich den Kerl. — „O ich ſoll Bauholz hohlen, und habe meine Axt zu Hauſe vergeſſen. Nun muß ich mir ſo gut helfen, als es angehen will.“ Mit dieſen Worten zog er in einem Ruck den ganzen Wald, bey einer Quadratmeile groß, wie einen Schilfbuſch vor meinen Augen nieder. Was ich that, das läßt ſich rathen. Ich hätte den Kerl nicht fahren laſſen, und hätte er mir meinen ganzen Ambaſſadeur-Gehalt gekoſtet. Als ich hierauf fürbaß und endlich auf ägyptiſchen Grund und Boden kam, erhob ſich ein ſo ungeheuerer Sturm, daß ich mit allen meinen Wagen, Pferden und Gefolge ſchier umgeriſſen und in die Luft davon geführt zu werden fürchtete. Zur linken Seite unſeres Weges ſtanden ſieben Windmühlen in einer Reihe, deren Flügel ſo ſchnell um ihre Achſen ſchwirrten, als eine Rockenſpindel der ſchnellſten Spinnerinn. Nicht weit davon zur Rechten ſtand ein Kerl, von Sir John Falſtafs Corpulenz, und hielt ſein rechtes Naſenloch mit ſeinem Zeigefinger zu. Sobald der Kerl unſere Noth und uns ſo kümmerlich in dieſem Sturme haſpeln ſah, drehte er ſich halb um, machte Fronte gegen uns, und zog ehrerbietig, wie ein Musquetier vor ſeinem Oberſten, den Huth vor mir ab. Auf einmal regte ſich kein Lüftchen mehr und alle ſieben Windmühlen ſtanden plötzlich ſtill. Erſtaunt über dieſen Vorfall, der nicht natürlich zuzugehen ſchien, ſchrie ich dem Unhold zu: „Kerl, was iſt das? Sitzt dir der Teufel im Leibe, oder biſt du der Teufel ſelbſt?“ — „Um Vergebung, Ihro Excellenz!“ antwortete mir der Menſch; „ich mache da nur meinem Herrn, dem Windmüller, ein wenig Wind. Um nun die ſieben Windmühlen nicht ganz und gar umzublaſen, mußte ich mir wohl das eine Naſenloch zuhalten.“ — Ey, ein vortrefliches Subject! dachte ich in meinem ſtillen Sinn. Der Kerl läßt ſich gebrauchen, wenn du dereinſt zu Hauſe kommſt und dirs an Athem fehlt, alle die Wunderdinge zu erzählen, die dir auf deinen Reiſen zu Land und Waſſer aufgeſtoßen ſind. Wir wurden daher bald des Handels eins. Der Windmacher ließ ſeine Mühlen ſtehn und folgte mir.
Nach gerade wars nun Zeit in Großkairo anzulangen. Sobald ich daſelbſt meinen Auftrag nach Wunſch ausgerichtet hatte, gefiel es mir, mein ganzes unnützes Geſandten-Gefolge, außer meinen neuangenommenen nützlichern Subjecten zu verabſchieden, und mit dieſen als ein bloßer Privatmann zurück zu reiſen. Da nun das Wetter gar herrlich und der berufene Nilſtrom über alle Beſchreibung reizend war, ſo gerieth ich in Verſuchung eine Barke zu miethen und bis Alexandrien zu Waſſer zu reiſen. Das ging nun ganz vortreflich, bis in den dritten Tag. Sie haben, meine Herren, vermuthlich ſchon mehrmals von den jährlichen Ueberſchwemmungen des Nils gehört. Am dritten Tage, wie geſagt, fing der Nil ganz unbändig an zu ſchwellen, und am folgenden Tage war links und rechts das ganze Land viele Meilen weit und breit überſchwemmet. Am fünften Tage nach Sonnen-Untergang verwickelte ſich meine Barke auf einmal in etwas, das ich für Ranken und Strauchwerk hielt. Sobald es aber am nächſten Morgen heller ward, fand ich mich überall von Mandeln umgeben, welche vollkommen reif und ganz vortreflich waren. Als wir das Senkbley auswarfen, fand ſich, daß wir wenigſtens ſechzig Fuß hoch über dem Boden ſchwebten, und ſchlechterdings weder vor noch rückwärts konnten. Ohngefähr gegen acht oder neun Uhr, ſoviel ich aus der Höhe der Sonne abnehmen konnte, erhob ſich plötzlicher Wind, der unſere Barke ganz auf eine Seite umlegte. Hierdurch ſchöpfte ſie Waſſer, ſank unter, und ich hörte und ſah in langer Zeit nichts wieder davon, wie Sie gleich vernehmen werden. Glücklicher Weiſe retteten wir uns insgeſamt, nähmlich acht Männer und zwey Knaben, indem wir uns an den Bäumen feſthielten, deren Zweige zwar für uns, allein nicht für die Laſt unſerer Barke hinreichten. In dieſer Situation verblieben wir drey Wochen und drey Tage und lebten ganz allein von Mandeln. Daß es am Trunke nicht fehlte, verſtehet ſich von ſelbſt. Am zwey und zwanzigſten Tage unſers Unſterns fiel das Waſſer wieder eben ſo ſchnell, als es geſtiegen war; und am ſechs und zwanzigſten konnten wir wieder auf Terra firma fußen. Unſere Barke war der erſte angenehme Gegenſtand, den wir erblickten. Sie lag ohngefähr zweyhundert Klafter weit von dem Orte, wo ſie geſunken war. Nachdem wir nun alles, was uns nöthig und nützlich war, an der Sonne getrocknet hatten, ſo verſahen wir uns mit den Nothwendigkeiten aus unſerm Schiffsvorrath, und machten uns auf, unſere verlohrne Straße wieder zu gewinnen. Nach der genaueſten Berechnung fand ſich, daß wir an die hundert und funfzig Meilen weit über Gartenwände und mancherley Gehäge hinweggetrieben waren. In ſieben Tagen erreichten wir den Fluß, der nun wieder in ſeinem Bette ſtrömte, und erzählten unſer Abentheuer einem Bey. Liebreich half dieſer allen unſern Bedürfniſſen ab, und ſendete uns in einer von ſeinen eigenen Barken weiter. In ohngefähr ſechs Tagen langten wir zu Alexandrien an, allwo wir uns nach Conſtantinopel einſchifften. Ich wurde von dem Großherrn überaus gnädig empfangen, und hatte die Ehre ſeinen Harem zu ſehen, wo ſeine Hoheit ſelbſt mich hineinzuführen und ſo viele Damen, ſelbſt die Weiber nicht ausgenommen, anzubieten geruheten, als ich mir nur immer zu meinem Vergnügen ausleſen wollte.
Mit meinen Liebes-Abentheuern pflege ich nie groß zu thun, daher wünſche ich Ihnen, meine Herren, jetzt insgeſamt eine angenehme Ruhe.
Nach Endigung der ägyptiſchen Reiſegeſchichte wollte der Baron aufbrechen und zu Bette gehen, gerade als die erſchlaffende Aufmerkſamkeit jedes Zuhörers bey Erwähnung des Großherrlichen Harems in neue Spannung gerieth. Sie hätten gar zu gern noch etwas von dem Harem gehört. Da aber der Baron ſich durchaus nicht darauf einlaſſen und gleichwohl der mit Bitten auf ihn losſtürmenden muntern Zuhörerſchaft nicht alles abſchlagen wollte, ſo gab er noch einige Stückchen ſeiner merkwürdigen Dienerſchaft zum Beſten und fuhr in ſeiner Erzählung alſo fort.
Bey dem Groß-Sultan galt ich ſeit meiner ägyptiſchen Reiſe alles in allem. Seine Hoheit konnten gar ohne mich nicht leben und baten mich jeden Mittag und Abend bey ſich zum Eſſen. Ich muß bekennen, meine Herren, daß der türkiſche Kaiſer unter allen Potentaten auf Erden den delicateſten Tiſch führet. Jedoch iſt dieß nur von den Speiſen, nicht aber von dem Getränke zu verſtehen, da, wie Sie wiſſen werden, Mahomets Geſetz ſeinen Anhängern den Wein verbietet. Auf ein gutes Glas Wein muß man alſo an öffentlichen türkiſchen Tafeln Verzicht thun. Was indeſſen gleich nicht öffentlich geſchieht, das geſchieht doch nicht ſelten heimlich; und des Verbots ungeachtet, weiß mancher Türk ſo gut, als der beſte deutſche Prälat, wie ein gutes Glas Wein ſchmeckt. Das war nun auch der Fall mit Seiner türkiſchen Hoheit. Bey der öffentlichen Tafel, an welcher gewöhnlich der türkiſche General-Superintendent, nämlich der Mufti, in partem Salarii mit ſpeiſete und vor Tiſche das: Aller Augen — nach Tiſche aber das Gratias beten mußte, wurde des Weines auch nicht mit einer einzigen Sylbe gedacht. Nach aufgehobener Tafel aber wartete auf Seine Hoheit gemeiniglich ein gutes Fläſchchen im Cabinette. Einſt gab der Großſultan mir einen verſtohlenen freundlichen Wink, ihm in ſein Cabinett zu folgen. Als wir uns nun daſelbſt eingeſchloſſen hatten, hohlte er aus einem Schränkchen eine Flaſche hervor, und ſprach: „Münchhauſen, ich weiß ihr Chriſten verſteht euch auf ein gutes Glas Wein. Da habe ich noch ein einziges Fläſchchen Tockaier. So delicat müßt ihr ihn in euerm Leben nicht getrunken haben.“ Hierauf ſchenkten Seine Hoheit ſowohl mir als ſich eins ein und ſtießen mit mir an. „— Nun was ſagt Ihr? Gelt! es iſt was extra feines?“ — „Das Weinchen iſt gut, Ihro Hoheit, erwiederte ich; allein mit Ihrem Wohlnehmen muß ich doch ſagen, daß ich ihn in Wien beym Hochſeligen Kaiſer Carl dem ſechſten weit beſſer getrunken habe. Potz Stern! den ſollten Ihro Hoheit einmal verſuchen.“ Freund Münchhauſen, euer Wort in Ehren! Allein es iſt unmöglich, daß irgend ein Tockaier beſſer ſey. Denn ich bekam einſt nur dieß eine Fläſchchen von einem Ungariſchen Cavalier und er that ganz verzweifelt rar damit.“ — „Poſſen, Ihro Hoheit! Tockaier und Tockaier iſt ein großmächtiger Unterſchied. Die Herren Ungarn überſchenken ſich eben nicht. Was gilt die Wette, ſo ſchaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde gerades Weges und unmittelbar aus dem Kaiſerlichen Keller eine Flaſche Tockaier, die aus ganz andern Augen ſehen ſoll.“ — „Münchhauſen, ich glaube ihr faſelt.“ — „Ich faſele nicht. Gerades Weges aus dem Kaiſerlichen Keller in Wien ſchaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde eine Flaſche Tockaier von einer ganz andern Nummer, als dieſer Krätzer hier.“ — „Münchhauſen, Münchhauſen! Ihr wollt mich zum Beſten haben und das verbitte ich mir. Ich kenne euch zwar ſonſt als einen überaus wahrhaften Mann, allein — jetzt ſollte ich doch faſt denken, Ihr flunkertet.“ — „Ey nun, Ihro Hoheit! Es kommt ja auf die Probe an. Erfülle ich nicht mein Wort — denn von allen Aufſchneidereyen bin ich der abgeſagteſte Feind — ſo laſſen Ihro Hoheit mir den Kopf abſchlagen. Allein mein Kopf iſt kein Pappenſtiel. Was ſetzen Sie mir dagegen?“ — „Top! Ich halte euch beym Worte. Iſt auf den Schlag Vier nicht die Flaſche Tockaier hier, ſo koſtets euch ohne Barmherzigkeit den Kopf. Denn foppen laſſe ich mich auch von meinen beſten Freunden nicht. Beſteht ihr aber, wie Ihr verſprecht, ſo könnet ihr aus meiner Schatzkammer ſo viel an Gold, Silber, Perlen und Edelgeſteinen nehmen, als der ſtärkſte Kerl davon zu ſchleppen vermag.“ — „Das läßt ſich hören!“ antwortete ich, bat mir gleich Feder und Dinte aus und ſchrieb an die Kaiſerinn-Königinn Maria Thereſia folgendes Billet: „Ihre Majeſtät haben ohnſtreitig als Univerſal-Erbinn auch Ihres Höchſtſeligen Herren Vaters Keller mitgeerbt. Dürfte ich mir wohl durch Vorzeigern dieſes eine Flaſche von dem Tockaier ausbitten, wie ich ihn bey Ihrem Herren Vater oft getrunken habe? Allein von dem Beſten! Denn es gilt eine Wette. Ich diene gern dafür wieder, wo ich kann, und beharre übrigens u. ſ. w.“
Dieß Billet gab ich, weil es ſchon fünf Minuten über drey Uhr war, nur ſogleich offen meinem Läufer, der ſeine Gewichte abſchnallen und ſich unverzüglich auf die Beine nach Wien machen mußte. Hierauf tranken wir, der Großſultan und ich, den Reſt von ſeiner Flaſche in Erwartung des beſſern vollends aus. Es ſchlug ein Viertel, es ſchlug Halb, es ſchlug drey Viertel auf Vier, und noch war kein Läufer zu hören und zu ſehen. Nach gerade, geſtehe ich, fing mir an ein wenig ſchwul zu werden; denn es kam mir vor, als blickten Seine Hoheit ſchon bisweilen nach der Glockenſchnur, um nach dem Scharfrichter zu klingeln. Noch erhielt ich zwar Erlaubniß, einen Gang hinaus in den Garten zu thun, um friſche Luft zu ſchöpfen, allein es folgten mir auch ſchon ein Paar dienſtbare Geiſter nach, die mich nicht aus den Augen ließen. In dieſer Angſt, und als der Zeiger ſchon auf fünf und funfzig Minuten ſtand, ſchickte ich noch geſchwind nach meinem Horcher und Schützen. Sie kamen unverzüglich an, und der Horcher mußte ſich platt auf die Erde niederlegen, um zu hören, ob nicht mein Laufer endlich ankäme. Zu meinem nicht geringen Schrecken meldete er mir, daß der Schlingel irgendwo, allein weit weg von hier, im tiefſten Schlafe läge und aus Leibeskräften ſchnarchte. Dieß hatte mein braver Schütze nicht ſobald gehört, als er auf eine etwas hohe Terraſſe lief und, nachdem er ſich auf ſeinen Zehen noch mehr empor gereckt hatte, haſtig ausrief: „Bey meiner armen Seele! Da liegt der Faulenzer unter einer Eiche bey Belgrad und die Flaſche neben ihm. Wart! Ich will dich aufkitzeln.“ — Und hiermit legte er unverzüglich ſeine Kuchenreuterſche Flinte an den Kopf und ſchoß die volle Ladung oben in den Wipfel des Baumes. Ein Hagel von Eicheln, Zweigen und Blättern fiel herab auf den Schläfer, erweckte und brachte ihn, da er ſelbſt fürchtete, die Zeit beynahe verſchlafen zu haben, dermaßen geſchwind auf die Beine, daß er mit ſeiner Flaſche und einem eigenhändigen Billet von Maria Thereſia, um 59½ Minuten auf vier Uhr vor des Sultans Cabinette anlangte. Das war ein Gaudium! Ey, wie ſchlürfte das Großherrliche Leckermaul! — „Münchhauſen, ſprach er, Ihr müßt es mir nicht übel nehmen, wenn ich dieſe Flaſche für mich allein behalte. Ihr ſteht zu Wien beſſer, als ich; Ihr werdet ſchon an noch mehr zu kommen wiſſen.“ — Hiermit ſchloß er die Flaſche in ſein Schränkchen, ſteckte den Schlüſſel in die Hoſentaſche, und klingelte nach dem Schatzmeiſter. — O welch ein angenehmer Silberton meinen Ohren! — „Ich muß euch nun die Wette bezahlen. — Hier! — ſprach er zum Schatzmeiſter, der ins Zimmer trat, laßt meinem Freunde Münchhauſen ſo viel aus der Schatzkammer verabfolgen, als der ſtärkſte Kerl wegzutragen vermag.“ Der Schatzmeiſter neigte ſich vor ſeinem Herrn bis mit der Naſe zur Erde, mir aber ſchüttelte der Großſultan ganz treuherzig die Hand, und ſo ließ er uns beyde gehn.
Ich ſäumte nun, wie Sie denken können, meine Herren, keinen Augenblick, die erhaltene Aſſignation geltend zu machen, ließ meinen Starken mit ſeinem langen hänfenen Stricke kommen und verfügte mich in die Schatzkammer. Was da mein Starker, nachdem er ſein Bündel geſchnürt hatte, übrig ließ, das werden Sie wohl ſchwehrlich hohlen wollen. Ich eilte mit meiner Beute gerades Weges nach dem Hafen, nahm dort das größte Laſtſchiff, das zu bekommen war, in Beſchlag, und ging wohlbepackt mit meiner ganzen Dienerſchaft unter Segel, um meinen Fang in Sicherheit zu bringen, ehe was widriges dazwiſchen kam. Was ich befürchtet hatte, das geſchah. Der Schatzmeiſter hatte Thür und Thor von der Schatzkammer offen gelaſſen — und freylich wars nicht groß mehr nöthig, ſie zu verſchließen — war über Hals und Kopf zum Großſultan gelaufen und hatte ihm Bericht abgeſtattet, wie vollkommen wohl ich ſeine Aſſignation genutzt hatte. Das war denn nun dem Großſultan nicht wenig vor den Kopf gefahren. Die Reue über ſeine Uebereilung konnte nicht lange ausbleiben. Er hatte daher gleich dem Großadmiral befohlen, mit der ganzen Flotte hinter mir herzueilen, und mir zu inſinuiren, daß wir ſo nicht gewettet hätten. Als ich daher noch nicht zwey Meilen weit in See war, ſo ſah ich ſchon die ganze türkiſche Kriegsflotte mit vollen Segeln hinter mir herkommen, und ich muß geſtehen, daß mein Kopf, der kaum wieder feſt geworden war, nicht wenig von neuem anfing zu wackeln. Allein nun war mein Windmacher bey der Hand und ſprach: „Laſſen ſich Ihro Excellenz nicht bange ſeyn!“ Er trat hierauf auf das Hinterverdeck meines Schiffes, ſo daß ſein eines Naſenloch nach der türkiſchen Flotte, das andere aber auf unſere Segel gerichtet war, und blies eine ſo hinlängliche Portion Wind, daß die Flotte an Maſten, Segel- und Tauwerk gar übel zugerichtet, nicht nur bis in den Hafen zurückgetrieben, ſondern auch mein Schiff in wenig Stunden glücklich nach Italien getrieben ward. Von meinem Schatze kam mir jedoch wenig zu gute. Denn in Italien iſt, trotz der Ehrenrettung des Herrn Bibliothekar Jagemann in Weimar [S. deutſches Muſeum 1786], Armuth und Betteley ſo groß und die Polizey ſo ſchlecht, daß ich erſtlich, weil ich vielleicht eine allzu gutwillige Seele bin, den größten Theil an die Straßenbettler ausſpenden mußte. Der Reſt aber wurde mir auf meiner Reiſe nach Rom, auf der geheiligten Flur von Loretto, durch eine Bande Straßenräuber abgenommen. Das Gewiſſen wird dieſe Herren nicht ſehr darüber beunruhigt haben. Denn ihr Fang war noch immer ſo anſehnlich, daß um den tauſendſten Theil die ganze honette Geſellſchaft ſowohl für ſich, als ihre Erben und Erbnehmen, auf alle vergangene und zukünftige Sünden, vollkommenen Ablaß ſelbſt aus der erſten und beſten Hand in Rom dafür erkaufen konnte. —
Nun aber, meine Herren, iſt in der That mein Schlafſtündchen da. Schlafen Sie wohl!
Nach Endigung des vorigen Abentheuers, ließ ſich der Baron nicht länger halten, ſondern brach wirklich auf, und verließ die Geſellſchaft in der beſten Laune. Als ſich nun Jedermann nach ſeiner Weiſe über die Unterhaltung herausließ, die er ſo eben verſchafft hatte, ſo bemerkte einer von der Geſellſchaft, ein Partiſan des Barons, der ihn auf ſeiner letzten Reiſe in die Türkey begleitet hatte, daß ohnweit Conſtantinopel ein ungeheuer großes Geſchütz befindlich ſey, deſſen der Baron Tott in ſeinen neulich herausgekommenen Denkwürdigkeiten ganz beſonders erwähnet. Was er davon meldet, iſt, ſo viel ich mich erinnere, folgendes: „Die Türken hatten ohnweit der Stadt über der Citadelle auf dem Ufer des berühmten Fluſſes Simois, ein ungeheueres Geſchütz aufgepflanzt. Dasſelbe war ganz aus Kupfer gegoſſen, und ſchoß eine Marmorkugel wenigſtens elfhundert Pfund an Gewicht. Ich hatte große Luſt, ſagt Tott, es abzufeuern, um erſt aus ſeiner Wirkung gehörig zu urtheilen. Alles Volk um mich her zitterte und bebte, weil es ſich verſichert hielt, daß Schloß und Stadt davon übern Haufen ſtürzen würden. Endlich ließ doch die Furcht ein wenig nach, und ich bekam Erlaubniß, das Geſchütz abzufeuern. Es wurden nicht weniger, als Dreyhundert und dreyßig Pfund Pulver dazu erfodert, und die Kugel wog, wie ich vorhin ſagte, Elfhundert Pfund. Als der Kanonier mit dem Zünder ankam, zog ſich der Haufen, der mich umgab, ſo weit zurück, als er konnte. Mit genauer Noth überredete ich den Baſſa, der aus Beſorgniß herzukam, daß keine Gefahr zu beſorgen ſey. Selbſt dem Kanonier, der es nach meiner Anweiſung abfeuern ſollte, klopfte vor Angſt das Herz. Ich nahm meinen Platz in einer Mauerſchanze hinter dem Geſchütze, gab das Zeichen und fühlte einen Stoß, wie von einem Erdbeben. In einer Entfernung von dreyhundert Klaftern zerſprang die Kugel in drey Stücke; dieſe flogen über die Meerenge, prallten von dem Waſſer empor an die gegenſeitigen Berge und ſetzten den ganzen Canal, ſo breit er war, in Einen Schaum.“
Dieß, meine Herren, iſt, ſoviel ich mich erinnere, Baron Totts Nachricht von der größten Kanone in der bekannten Welt. Als nun der Herr von Münchhauſen und ich jene Gegend beſuchten, wurde die Abfeuerung dieſes ungeheuern Geſchützes durch den Baron Tott uns als ein Beiſpiel der außerordentlichen Herzhaftigkeit dieſes Herren erzählt.
Mein Gönner, der es durchaus nicht vertragen konnte, daß ein Franzoſe ihm etwas zuvorgethan haben ſollte, nahm eben dieſes Geſchütz auf ſeine Schulter, ſprang, als ers in ſeine eigentliche wagrechte Lage gebracht hatte, gerades Weges ins Meer, und ſchwamm damit an die gegenſeitige Küſte. Von dort aus verſuchte er unglücklicher Weiſe die Kanone auf ihre vorige Stelle zurück zu werfen. Ich ſage, unglücklicher Weiſe! denn ſie glitt ihm ein wenig zu früh aus der Hand, gerade als er zum Wurf aushohlte. Hierdurch geſchah es denn, daß ſie mitten in den Kanal fiel, wo ſie nun noch liegt, und wahrſcheinlich bis an den jüngſten Tag liegen bleiben wird.
Dieß, meine Herren, war es eigentlich, womit es der Herr Baron bey dem Großſultan ganz und gar verdarb. Die Schatz-Hiſtorie, der er vorhin ſeine Ungnade beymaß, war längſt vergeſſen. Denn der Großſultan hat ja genug einzunehmen, und konnte ſeine Schatzkammer bald wieder füllen. Auch befand der Herr Baron, auf eine eigenhändige Wiedereinladung des Großſultans, die er zu Rom erhielt, ſich erſt jetzt zum letzten Male in der Türkey; und wäre vielleicht wohl noch da, wenn der Verluſt dieſes berüchtigten Geſchützes den grauſamen Türken nicht ſo aufgebracht hätte, daß er nun unwiederruflich den Befehl gab, dem Baron den Kopf abzuſchlagen. Eine gewiſſe Sultaninn aber, von welcher er ein großer Liebling geworden war, gab ihm nicht nur unverzüglich von dieſem blutgierigen Vorhaben Nachricht, ſondern verbarg ihn auch ſo lange in ihrem eigenen Gemache, als der Officier, dem die Execution aufgetragen war, mit ſeinen Helfershelfern nach ihm ſuchte. In der nächſtfolgenden Nacht flüchteten wir an den Bord eines nach Venedig beſtimmten Schiffes, welches gerade im Begriffe war unter Segel zu gehen, und kamen glücklich davon.
Dieſer Begebenheit erwähnt der Baron nicht gern, weil ihm da ſein Verſuch mißlang und er noch dazu um ein Haar ſein Leben oben drein verlohren hätte. Da ſie gleichwohl ganz und gar nicht zu ſeiner Schande gereicht, ſo pflege ich ſie wohl bisweilen hinter ſeinem Rücken zu erzählen.
Nun, meine Herren, kennen Sie insgeſamt den Herren Baron von Münchhauſen, und werden hoffentlich an ſeiner Wahrhaftigkeit im mindeſten nicht zweifeln. Damit Ihnen aber auch kein Zweifel gegen die Meinige zu Kopfe ſteige, ein Umſtand, den ich ſo ſchlechtweg eben nicht vorausſetzen mag, ſo muß ich Ihnen doch ein wenig ſagen, wer ich bin.
Mein Vater, oder wenigſtens derjenige, welcher dafür gehalten wurde, war von Geburt ein Schweizer, aus Bern. Er führte daſelbſt eine Art von Oberaufſicht über Straßen, Alle’en, Gaſſen und Brücken. Dieſe Beamten heißen dort zu Lande — hm! — Gaſſenkehrer. Meine Mutter war aus den Savoyſchen Gebirgen gebürtig, und trug einen überaus ſchönen großen Kropf am Halſe, der bey den Damen jener Gegend etwas ſehr gewöhnliches iſt. Sie verließ ihre Eltern ſehr jung, und ging ihrem Glücke in eben der Stadt nach, wo mein Vater das Licht der Welt erblickt hatte. So lange ſie noch ledig war, gewann ſie ihren Unterhalt durch allerley Liebeswerke an unſerm Geſchlechte. Denn man weiß, daß ſie es niemals abſchlug, wenn man ſie um eine Gefälligkeit anſprach und beſonders ihr mit gehöriger Höflichkeit in der Hand zuvorkam. Dieſes liebenswürdige Paar begegnete einander von ohngefähr auf der Straße, und da ſie beyderſeits ein wenig berauſcht waren, ſo taumelten ſie gegen einander, und taumelten ſich alle beyde über den Haufen. Wie ſich nun bey dieſer Gelegenheit ein Theil immer noch unnützer machte als der andere, und das Ding zu laut wurde, ſo wurden ſie alle beyde erſt in die Schaarwache, hernach aber in das Zuchthaus geſchleppt. Hier ſahen ſie bald die Thorheit ihrer Zänkerey ein, machten alles wieder gut, verliebten ſich und heuratheten einander. Da aber meine Mutter zu ihren alten Streichen zurückkehrte, ſo trennte mein Vater, der gar hohe Begriffe von Ehre hatte, ſich ziemlich bald von ihr, und wies ihr die Revenüen von einem Tragkorbe zu ihrem künftigen Unterhalte an. Sie vereinigte ſich hierauf mit einer Geſellſchaft, die mit einem Puppenſpiel umherzog. Mit der Zeit führte ſie das Schickſal nach Rom, wo ſie eine Auſter-Bude hielt.
Sie haben ohnſtreitig insgeſamt von dem Papſt Ganganelli, oder Clemens ⅩⅣ., und wie gern dieſer Herr Auſtern aß, gehört. Eines Freytags, als derſelbe in großem Pompe nach der St. Peters Kirche zur hohen Meſſe durch die Stadt zog, ſah er meiner Mutter Auſtern (welche, wie ſie mir oft erzählt hat, ausnehmend ſchön und friſch waren) und konnte unmöglich vorüberziehen, ohne ſie zu verſuchen. Nun waren zwar mehr als fünftauſend Perſonen in ſeinem Gefolge; nichts deſtoweniger aber ließ er ſogleich alles ſtill halten und in die Kirche ſagen, er könnte vor Morgen das Hochamt nicht halten. Sodann ſprang er vom Pferde — denn die Päbſte reiten allemal bey ſolchen Gelegenheiten — ging in meiner Mutter Laden, aß erſt alles auf, was von Auſtern daſelbſt vorhanden war, und ſtieg hernach mit ihr in den Keller hinab, wo ſie noch mehr hatte. Dieſes unterirdiſche Gemach war meiner Mutter Küche, Viſitenſtube und Schlafkammer zugleich. Hier gefiel es ihm ſo wohl, daß er alle ſeine Begleiter fortſchickte. Kurz, Seine Heiligkeit brachten die ganze Nacht dort mit meiner Mutter zu. Ehe Dieſelben am andern Morgen wieder fortgingen, ertheilten Sie ihr vollkommenen Ablaß, nicht allein für jede Sünde, die ſie ſchon auf ſich hatte, ſondern auch für alle diejenigen, womit ſie ſich etwa künftig noch zu befaſſen Luſt haben möchte.
Nun, meine Herren, habe ich darauf das Ehrenwort meiner Mutter — und wer könnte wohl eine ſolche Ehre bezweifeln? — daß ich die Frucht jener Auſternacht bin.