Voltaire: Kandide oder der Optimismus 13. Dreizehntes Kapitel. // Wie ſich Kandide genötigt ſahe, die ſchöne Kunegunde und die Alte zu verlaſſen. Nunmehr begegnete die ſchöne {Kunegunde} der {Alten} mit all’ der Achtung, die einer Dame von ihrem Rang und Verdienſten gebührte. Sie nam ihren Vorſchlag an und beredete ihre Reiſegefährten nach der Reihe ihre Begebenheiten zu erzählen. {Kandide}, und ſie muſſten geſtehn, daß die Alte Recht hatte. Schade, ſehr ſchade! ſagte {Kandide}, daß der weiſe {Panglos} wider alle Sitt’ und Brauch in einem {Autodafé} iſt aufgehängt worden, was für vortrefliche Dinge würd’ er über das phyſiſche und moraliſche Übel ſagen, das unſern Erdwaſſerball bedekt, und ich würde mich ſtark genug fühlen, ihm einige beſcheidne Einwürfe zu machen. Über die Erzählungen langte man, eh’ man ſich’s verſahe, in Buenos-ayres an. {Kunegunde}, Hauptmann {Kandide} und die {Alte} begaben ſich zum daſigen Stathalter, dem {Don Fernando d’Ibara y Figueora y Maſcarenes y Lampourdos y Souza}. Er war ſo hochfahrend, als es ein ſo vielbetitelter Mann ſein muſſte; ſprach in ſo hochadelich-verächtlichem Tone mit Mannsperſonen, trug ſeine Naſe ſo hoch hinaus in die Lüfte, erhub ſeine Stimme ſo poſaunenmäſſig, hatte einen ſo befehlshaberiſchen Ton, und ſolchen Pfauengang, daß jedem, der ihm ſeine Aufwartung machte, der Geluſt ankam, ihn derb durchzuprügeln; die Frauenzimmer liebt’ er auf’s heftigſte; {Kunegunde} däuchte ihm das ſchönſte, reizendſte Geſchöpf, das er je geſehn hatte. Seine erſte Frage war, ob ſie des Hauptmanns Frau ſei. Das fragte er mit einem Ton, mit einer Mine, daß {Kandide} ganz zu Boden geſchlagen wurde. Für ſeine Frau mocht’ er ſie nicht ausgeben, weil ſie’s noch nicht war, für ſeine Schweſter auch nicht, denn das war ſie noch weniger; er war zu ſehr Teutſcher, um ſich dieſer Notlüge zu bedienen, die ſo manchen Patriarchen aus der Not geriſſen hatte, und auch noch heutiges Tages gute Dienſte leiſten konnte. Deshalb ſagte er grad heraus: die Barones {Kunegunde} wird mich mit ihrer Hand beehren, und wir erſuchen Ihro Exzellenz unterthänigſt, die hohe Gnade für uns zu haben, und unſre Hochzeit auszurichten. {Don Fernando d’Ibara y Figueora y Maſcarenes y Lampourdos y Souza} ſtrich hohnlächelnd ſeinen Zwikkelbart und befahl dem Hauptmann {Kandide} ſeine Kompagnie zu muſtern. {Kandide} gehorchte und lies den {Stathalter} bei Barones {Kunegunden} allein. Dieſer entdekte ihr nunmehr ſeine Brunſt, und betheuerte ihr, er wolle ihr Morgen im Angeſicht der Kirche ſeine Hand reichen; wolle ſie ihn aber mit ihrer auſſerehlichen Liebe beglükken, ſo woll’ er ſich auch da nach ihr richten. {Kunegunde} bat ſich eine Viertelſtunde von ihm aus, um ſich ſammlen, die {Alte} um Rat fragen und ſich entſchlieſſen zu können. Die {Alte} ſagte zu ihr: Sie haben zweiundſiebenzig Ahnen und keinen roten Heller, können jezt die Gemalinn des angeſehnſten und ſtattlichſten Zwikkelbarts in ganz Südamerika werden. Was wollen Sie ſich da bedenken. Not hat kein Gebot, und wozu {Sie} den {Paſtor Fido} im Reifrok ſpielen wollen, ſeh’ ich nicht ab. Sie ſind von den Bulgaren geſchändet worden, haben ſich vom {Juden} und {Inquiſitor} brauchen laſſen. Wär’ ich in Ihrer Stelle, ich griffe zu, näme den Herrn {Stathalter} zum Manne ohn’ alles Fakkeln und machte dem Herrn Hauptmann {Kandide} glüklich. Indeß daß das {Mütterchen} mit all’ der Klugheit ſprach, die Alter und Erfahrung geben, ſah man ein Schiflein in den Hafen einlaufen, worauf ſich ein {Alkalde} und {Alguazils} befanden. Was die Herren wollten, ſoll der Leſer gleich erfahren. Die {Alte} hatte ganz Recht gehabt, daß der weitärmliche Franziskaner zu Badajos {Kunegunden} auf ihrer eilfertigen Flucht ihr Gold und ihre Diamanten geſtohlen. Er hatte einige Steine einem Juwelier verkaufen wollen, der ſie erkannte, und ihn feſtnehmen lies. Unterm Galgen hatte der Mönch bekannt, daß er ſie geſtohlen, die Perſonen beſchrieben, denen er ſie entwandt, und den Weg, den ſie genommen hatten. {Kunegunde’ns} und {Kandiden’s} Flucht war bereits bekannt: man ſezte ihnen bis Cadix nach, ohne ſie einholen zu können; von da aus wurd’ ihnen ungeſäumt ein Schif nachgeſandt, und dies Schif lag jetzt im Hafen. Überall hörte man, eben ſei ein Alkalde ausgeſtiegen, und man ſuche die Mörder des {Grosinquiſitor’s} auf. Die kluge {Alte} ſahe den Augenblik ein, was zu thun war. Fliehen können Sie nicht, ſagte ſie zur {Kunegunde} und brauchen’s auch nicht. Ihnen können ſie nicht an den Hals kommen, denn Sie ſind nicht der Mörder des {Inquiſitor’s}; Sie haben überdies beim {Stathalter} ſolchen Stein im Brete, daß er Ihnen kein Härchen wird krümmen laſſen. Bleiben Sie nur in Gottes Namen da. Drauf rannte ſie in voller Haſt zum {Kandide}. Machen Sie Sich über alle Berge, Herr Hauptmann, raunte ſie ihm zu, ſonſt ſind Sie in einer Stunde verbrannt. Aufhalten durft’ er ſich nicht einen Augenblik, trennen konnt’ er ſich nicht von ſeiner {Kunegunde}, und einen Ort, wo er ſich hinflüchten ſollte, wuſſt’ er nicht. 14. Vierzehntes Kapitel. // Wie {Kandide} und {Kakambo} in Paraguai von den Jeſuiten aufgenommen worden.