Voltaire: Kandide oder der Optimismus Originaltilel: [Candide ou l'optimisme], erſchienen 1759. Überſetzt von Wilhelm Chriſthelf Sigismund Mylius, 1782. https://de.wikisource.org/wiki/Kandide Scan: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Kandide_(Voltaire) 1. Erſtes Kapitel. // Was maaſſen {Kandide} in einem ſchönen Schloſſe erzogen, und aus demſelben fortgejagt wird. Im Herzogthum Weſtphalen auf dem Schloſſe des Herrn Baron von {Donnerſtrunkshauſen} ward mit der jungen Herrſchaft zugleich ein junger Menſch erzogen, ein gar liebes, ſanftes Geſchöpf, aus deſſen kleinſten Geſichtszuge Sanftheit hervorblikte. An Kopf fehlt’ es ihm gar nicht, und doch war er ſo offen, ſo rund, ſo ohn’ alles Arg, wie unſr’ Ahnen. Eben deswegen, glaub’ ich, nannte ihn Barones {Engeline}, Schweſter des Herrn Barons, {Kandide}. Wie hätte eine Dame, die anderthalb Jahr zu Berlin in einer Franzöſiſchen Penſion geweſen, ſich auf einen Teutſchen Namen beſinnen, oder wenn ſie ſich ja darauf beſonnen, ihn goutiren können? {Kandide} war — munkelten die alten Bedienten im Hauſe, — eine heimliche Liebesfrucht von ebenbeſagter Schweſter des Herrn Barons und einem guten ehrlichen Schlage von Landjunker aus der Nachbarſchaft. Zum Gemal hatte ihn die gnädige Barones nie gemocht, weil der arme Schlukker ſeinen Adel mit nicht mehr als einundſiebenzig Ahnen belegen konnte, und weil der Reſt ſeines Stammbaums durch den ſcharfen Zahn der Zeit war aufgenagt worden. Der Herr Baron, {Hans, Joſt, Kurt von Donnerſtrunkshauſen} war einer der Matadore in Weſtphalen, denn ſein Schlos hatte Thür und Fenſter, ja ſogar einen austapezirten Saal. Seine Kettenhunde ſtellten, wenn Not an Mann kam, eine Jagdkuppel vor, ſeine Stallknechte die Jäger und der Prieſter im Dorfe den Oberſchloskapellan. Alt und Jung nennte den alten Herrn Ihro hochfreiherrliche Gnaden, und wollte vor Lachen berſten, wenn er etwas erzälte. Die Frau {Barones} ſtand in gar groſſem Anſehn, denn ſie wog richtig ihre dreihundert und funfzig Pfund, wo nicht noch mehr, und wußte die Honneurs mit einer Würde zu machen, die ihr noch gröſſre Hochachtung verſchafte. Ihre Tochter, die Barones {Kunegunde}, war ein munters, rundes, rothbäkkiges Ding, ſiebzehn Sommer alt, und gar lieblich anzuſchauen; Junker {Polde}, ihr Bruder, ein würdiges Ebenbild des gnädigen Herrn Papa. Magiſter {Panglos}, der Hofmeiſter der jungen Herrſchaft, ſtellte das Hausorakel vor. Der junge {Kandide} ſchlukte jegliche ſeiner Lehren mit der Treuherzigkeit hinter, die ſeinem Alter und Karakter gemäs war. {Panglos} lehrte die Metaphyſiko-theologo-kosmolo-nigologie; bewies mit der ſtärkſten philoſophiſchen Suade, daß ohne Urſach keine Wirkung ſein könne, und daß in dieſer beſten aller möglichen Welten das Schlos des gnädigen Herrn Barons das ſchönſte aller Schlöſſer ſei und die gnädige Frau die beſte aller möglichen Baroninnen. Es iſt bereits klärlich dargethan, hub er zu demonſtriren an, daß die Dinge nicht anders ſein können, als ſie ſind; denn alldieweil alles, was da iſt, zu einem Endzweck geſchaffen worden, ſo zielt nothwendig alles zu dem beſten Endzwek ab. Gebt nur Acht, und Ihr werdet dieſe Grundwahrheit durchgängig beſtätigt finden. Betrachtet zum Beiſpiel Eure Naſen. Sie wurden gemacht, um Brillen zu tragen, und man trägt auch welche. Eure Beine: Ihr empfingt ſie, um ſie zu beſtrümpfen und zu beſchuhen, und Ihr beſtrümpft und beſchuht ſie. Seht die Quaderſteine an! Sie wachſen, um zerſägt, behauen, und zum Bau der Palläſte verwandt zu werden, derohalben hat unſer gnädiger Herr Baron einen gar herrlichen Pallaſt von Quaderſteinen; der gröſſte Baron im ganzen Herzogthume mus die beſte, bequemſte Wohnung haben, und hat ſie auch. Die Schweine ſchuf Gott, damit der Menſch ſie äſſe; eſſen wir nicht Schweinfleiſch Jahr aus Jahr ein? Folglich iſt es Thorheit mit einigen zu behaupten, daß alles gut gemacht iſt; aufs Beſte iſt alles gemacht, muß man ſagen. Das fing der junge {Kandide} mit beiden ofnen Ohren auf, und glaubte es in ſeiner Herzenseinfalt ſteif weg, denn er fand Barones {Gundchen} auſſerordentlich ſchön, ob er gleich nie den Mut gehabt hatte, es ihr zu ſagen. Er ſchlos, die erſte Stufe irrdiſcher Glükſeligkeit wäre Freiherr auf und von {Donnerſtrunkshauſen}, die zweite Barones {Kunegunde} zu ſein, die dritte, ſie täglich zu ſehen, die vierte, den Magiſter {Panglos} zu hören, den gröſſten Philoſophen im ganzen Weſtphäliſchen Kreiſe, folglich auch in der ganzen Welt. Eines Tages, als Barones {Kunegunde} in dem kleinen Gehölze am Schloſſe ſpazieren ging, das man den hochfreiherrlichen Park nannte, erblikte ſie hinter dem Geſträuch den Herrn Magiſter {Panglos}, der mit ihrer Frau Mutter Kammerjungfer einem gar niedlichen und gar gefügen braunen Dirnchen, Verſuche aus der Experimentalphyſik anſtellte. Die {junge Barones} lauſcht’ und lauſchte mit dem leiſeſten Athemzuge, und beobachtete — denn ſie hatte ungemeine Anlage zu den Wiſſenſchaften — all’ die Experimente, die der {Magiſter} von Zeit zu Zeit wiederholte; ſahe {Pangloſens} zureichenden Grund, die Urſachen und Wirkungen gar deutlich, und ſchlich in tiefen Gedanken fort. Ihr war ſo wohl und ſo weh um’s Herz; ihre Seele war voll von der Begier gelehrt zu werden, und dem Gedanken: ſie könnte wohl des jungen {Kandide} zureichender Grund werden, und er der ihrige. Beim Hereintreten in’s Schlos, begegnete ihr {Kandide}! ſie ward rot, {Kandide} auch. Guten Morgen {Kandide}! ſtammelte ſie. Und {Kandide} ſchwazte mit ihr, ohne zu wiſſen was. Den folgenden Tag, nach aufgehobner Mittagstafel, befanden ſich {Kunegund’} und {Kandide} hinter einer Spaniſchen Wand; {Kunegunde} lies ihr Schnupftuch fallen, {Kandide} hob es auf; ſie nam ihn in aller Unſchuld bei der Hand, er, auch in aller Unſchuld, küßte der jungen {Baroneſſe} die ihrige, und das ſo warm, ſo herzlich! O es war keiner von Euren Theaterküſſen! Ihre Lippen begegneten einander, ihre Augen erglühten, ihre Kniee bebten, ihre Hände verirrten ſich. In eben dem Nu ging der Herr {Baron von Donnerſtrunkshauſen} bei dem Schirm vorbei. Da er dieſe Urſach’ und dieſe Wirkung erblikte, jagt’ er {Kandiden} mit derben Fustritten zum Schloſſe hinaus. {Gundchen} ſank in Ohnmacht; ſobald ſie ſich ein wenig erholt hatte, ward ſie von der geſtrengen Frau Mama wieder völlig in’s Leben zurückgeohrfeigt, und in dem ſchönſten und anmutigſten aller Schlöſſer herrſchte Beſtürzung über Beſtürzung. 2. Zweites Kapitel. // Wie’s {Kandiden} unter den Bulgaren geht. Vertrieben aus ſeinem irdiſchen Paradieſe wanderte {Kandide} mit weinendem Auge fort, ohne zu wiſſen wohin. Er blikte oft gen Himmel, noch öfter nach dem Pallaſte, der die ſchönſte aller jungen Baroneſſinnen in ſich ſchlos. Mit leerem Magen legt’ er ſich mitten im Felde hin, zwiſchen zwei Furchen. Es ſchneite die Nacht durch heftig; ganz erſtarrt ſchlich {Kandide} mit dämmerndem Morgen nach einer benachbarten Stadt. Sterbensmatt vor Hunger und Strapaze, nicht einen Heller Geld bei ſich, macht’ er vor der Thür eines Wirthshauſes höchſt betrübt Halte. Zwei Blaurökke wurden ihn gewahr. Ha! ein hübſcher Kerl, Herr Bruder! ſagte der eine. Wie’n Rohr gewachſen! Juſt ſo gros wie wir’n brauchen! Sie gingen auf {Kandiden} los und baten ihn ſehr höflich zu Mittag mit ihnen zu ſpeiſen. Ich finde mich ungemein durch Ihre Einladung beehrt, meine Herren, ſagte {Kandide} mit einem beſcheidnen Ton, der gleich ſeine Nation verriet, allein ich habe kein Geld, kann meine Zeche nicht zahlen. Ach! was Geld! was Zeche zahlen! ſagte einer von den Männern, das haben ſolche wohlgewachsne, artige junge Herrn, wie Sie, nicht nötig. Sie meſſen ſechs Zoll? Die meſſ’ ich, meine Herren, ſagte er mit einer Verbeugung. „Hurtig, mein Herr! zu Tiſche. Wir zahlen nicht allein die Zeche für Sie, wir werden auch ſorgen, daß es einem Manne, wie Sie, nie an Gelde fehlt. Wozu ſind die Menſchen in der Welt, als einander beizuſtehn, unter die Arme zu greifen?“ Wohl wahr! ſagte {Kandide}, ſo hat mich der Herr Magiſter {Panglos} immer gelehrt, und ich ſehe wohl ein, daß alles auf’s Beſte gemacht iſt. Man drang ihm etliche Thaler auf; er wollt’ ihnen dafür Schwarz auf Weis geben; ſie wollten’s nicht. Man ſezt ſich zu Tiſche, iſſ’t, trinkt. Nicht wahr, fängt der Eine an, Sie ſind ihm recht herzlich gut dem …… Dem herzensguten engliſchen {Kunegundchen}? antwortet’ er. Wohl bin ich’s; ich liebe ſie; bete ſie an. „Nicht doch! den König der Bulgaren meinen wir, ob Sie dem recht herzlich gut ſind?“ Was wollt’ ich? Ich kenn’ ihn gar nicht, antwortete jener; hab’ ihn nie geſehn. „Kennen ihn gar nicht! Haben ihn nicht geſehn! Den Mann nicht! Teufel! das iſt der treflichſte Herr auf Gottes Erdboden! ſolchen König giebt’s gar nicht mehr! Allo! Er ſoll leben!“ Das ſoll er! rief {Kandide} aus vollem Herzen, und ſties an. Wie er geleert, hies es: Na, ſo wär’s denn geſchehn! Nun ſind Sie Held! die Säule der Bulgaren! Ihr Schuz und ihr Schirm! Die Schranken der Ehre ſtehn vor Ihnen geöfnet! Lorbeern ohne Zahl erwarten Ihrer! Sogleich legte man ihm Schellen an die Füſſe und führte ihn zum Regimente. Da lernt’ er das Rechts und Links um kehrt euch, Gewehr hoch, Gewehr beim Fus, Feuer, Marſch, und empfing dabei dreiſſig Prügel; den andern Tag exerzirt er ſchon ein wenig beſſer und bekömmt nur zwanzig; den Tag darauf gar nur zehne, und all’ ſeine Kameraden gaften ihn als ein blaues Meerwunder an. {Kandide} war noch ganz beſtürzt, konnte gar nicht recht begreifen, wie er ſo im Hui zum Helden geworden ſei. An einem ſchönen Frühlingsmorgen fällt’s ihm ein, ſpazieren zu gehn. Er ſchlendert grade vor ſich hin, der Meinung: die Menſchen hätten ſo wohl wie die Thiere das Vorrecht, ſich ihrer Beine nach Belieben zu bedienen. Kaum hat er zwei Meilen gemacht, wie ein Bliz ſind ihm vier andre ſechsſchuhige Helden auf den Hals, binden ihn, und werfen ihn in ein Loch, wohin nicht Sonne nicht Mond kam. Ein wohllöbliches Kriegsgericht fragte ihn, was er lieber wollte, ſechsunddreiſſigmal Spiesruten laufen oder ſich drei bleierne Kugeln mit eins in’s Gehirn jagen laſſen. {Kandide} hatte gut ſagen, daß des Menſchen Wille frei ſei und daß er keins von beiden möchte; das half nichts, er mußte wälen. Sonach entſchlos er ſich denn, kraft der lieben Gottesgabe, Willensfreiheit genannt, ſechsunddreiſſigmal Spiesruten zu laufen. Zweimal hatte er die Wandrung gemacht, Gaſſ’ auf, Gaſſ’ ab; und weil das Regiment aus zweitauſend Mann beſtand, hatt’ er ſeine viertauſend Hiebe richtig weg. Alle Mäuslein und Spannadern vom Nakken an bis zum Wirbelbein des Rückens herab, lagen ganz blank und baar da. Wie er den dritten Gang machen ſollte und nicht konnte, erbat er ſich’s zur Gnade, erſchoſſen zu werden. Man geſtand’s ihm zu; verband ihm die Augen, lies ihn niederknien. In eben dem Nu reitet der König der Bulgaren vorbei, frägt, was der arme Sünder begangen und nimmt aus allen Umſtänden ab — denn er war ein groſſes Genie — daß {Kandide} ein junger Metaphyſiker ſei, dabei noch völlig Neuling in der Welt, und begnadigte ihn mit einer Milde, die Welt und Afterwelt in Journälen und Chroniken preiſen wird. Ein braver Kompaniefeldſcheer kurirte Kandiden binnen drei Wochen mit erweichenden Mitteln, nach der Vorſchrift des groſſen {Dioskorides}. Haut hatte {Kandide} bereits ſchon ziemlich, und marſchieren konnt’ er auch ſchon, als der König der Bulgaren dem Könige der Abaren ein Treffen lieferte. 3. Drittes Kapitel. // Wie {Kandide} den Bulgaren entkam und wie’s ihm nachher erging. So flink und flimmernd, ſo wohlgeordnet, ſo ſtattlich hatte man noch nie Armeen geſehn als dieſe beiden. Trompeten und Pfeiffen, Hoboen und Trommeln, Mörſer und Kanonen machten ein ſo vollſtimmiges Konzert, als ſelbſt Satanas in der Hölle nicht geben kann. Zuerſt riſſen die Kanonen auf jeder Seite, ſo ein ſechstauſend Mann nieder, alsdann ſäuberte das Musketenfeuer die beſte aller möglichen Welten von ſo ein neun bis zehntauſend Schurken, die deren Oberfläche angeſteckt hatten. Das Bajonet war gleichfalls ein zureichender Grund, daß einige tauſend Menſchen umkamen. Die ganze Summe mochte ſich wohl auf ein dreiſſigtauſend Seelen belaufen. {Kandide}, der als echter Philoſoph zitterte und bebte, lies die heroiſchen Mezger immer fortmezeln und verbarg ſich, ſo gut er konnte. Endlich hatte die Fehd’ ein Ende; die beiden Könige lieſſen das [Te Deum] in ihren Lägern anſtimmen. Derweil faßte unſer {Kandide} den Entſchlus, in andern Gegenden über Wirkungen und Urſachen zu philoſophiren; ſtieg über die Haufen der Todten und Sterbenden weg, und arbeitete ſich in einen nahbelegnen Aſchenhaufen von Dorfe hinein. Es hatte vor Kurzem den Abaren gehört, und die Bulgaren hatten es, dem Völkerrechte gemäs, abgebrannt. Greiſe lagen hier, die Wund’ an Wunde hatten, und neben ſich ihre zermezelten Weiber mußten hinſterben ſehn, an deren blutenden Brüſten ihre Säuglinge zappelten; dort gaben Jungfrauen ihren Geiſt auf, von denen jede einem Halbduzend Helden ihre Naturbedürfniſſe hatte ſtillen müſſen, und nachher war entbaucht worden; hier ſchrieen andre, deren Leichnam halbverbrannt war: man möcht’ ihnen nur den Reſt geben. Die ganze Erde war mit Gehirnen und Armen und Beinen beſäet. {Kandide} floh in voller Haſt in ein andres Dorf. Es gehörte den Bulgaren, und die Helden unter den Abaren hatten ihnen kein Haar beſſer mitgeſpielt. Noch immer mußte der arme Flüchtling über zukkende Glieder gehen, und über Schutt und Graus. Endlich ſah’ er ſich auſſerhalb des Kriegstheaters. Er hatte in ſeinem Schnappſak etwas weniges Mundproviant, und in ſeinem Herzen die ihm unvergesliche Barones {Gundchen}. Als er in Holland ankam, war er mit ſeinem Proviant zu Rande; da er aber gehört hatte, hier ſei jedermann reich und Chriſt, ſo dacht’ er, es würd’ ihm hier ſo gut gehn, als im Schloſſe des Herrn Barons, bevor er Barones {Gundchen’s} ſchöner blauer Augen halben daraus war gejagt worden. Er ſprach viele gravitätſche Alongeperüken, die ſich bei ihm vorbeiſchoben, und viele ehrbare alte Hauspoſtillen, die bey ihm wegtrippelten, um einen Zehrpfennig an; allein dieſe ſo wohl wie jene rükten mit nichts hervor, als mit der Ermahnung: dieſe Lebensart fahren zu laſſen, ſonſt würde man ihn im Raſpelhauſe unterbringen. Hierauf wandt’ er ſich an einen Mann, der eine Stunde lang ganz allein in einer groſſen Verſammlung über chriſtliche Nächſtenliebe und Barmherzigkeit geſprochen hatte. Dieſer Redner ſah’ ihn über die Schulter an, und ſagte: Freund, warum ſeid Ihr hieher kommen? Um Euch zu dem kleinen Häuflein der Gerechten und Stillen im Lande zu geſellen? Oder waſerlei iſt die Urſach? Jegliche Wirkung hub {Kandide} in beſcheidnem Tone an, hat ihre Grundurſach; jegliche Begebenheit unſers Lebens iſt ein nothwendiges Glied in der Kette der Dinge; iſt ſelbiger auf’s geſchikteſte, beſte eingepaſſt. Ich mußte von Barones {Kunegunden} fortgejagt werden, mußte Spiesruten laufen, und mus ſo lange mein Brod betteln gehn, bis ich welches verdienen kann; das alles konnte nicht anders kommen. Glaubt Ihr denn, mein Freund, ſagte der Redner zu ihm, daß der Pabſt der Antichriſt ſei? Davon hab’ ich noch nie gehört, antwortete jener, auch gilt’s mir ganz gleich, ſei er’s oder ſei er’s nicht; hätt’ ich nur Brod. Auch nicht der Broſämlein einen verdienſt Du, heilloſer Bube, die von der Herren Tiſche fallen, ſagte der Schwarzrok. Heb’ Dich aus meinen Augen, Du Schalk Du! du Belialsbrut! Des Redners Frau, die den Kopf zum Fenſter hinausgeſtekt und vernommen hatte, daß es einen Menſchen gab, der an der Antichriſtheit des Pabſts zweifelte, leerte über ſein Haupt einen vollgerüttelten und geſchüttelten ***. Gott, wie weit geht der Religionseifer bei den Damen! Ein niegetauftes Geſchöpf, ein wakrer Wiedertäufer, Namens {Jakob Schwezinger}, ſahe, wie hartherzig, wie äuſſerſt ſchimpflich man einem ſeiner Brüder begegnete, einem zweifüſſigen, federloſen Geſchöpfe, das doch eine Seele hatte; und es jammerte ihn fein, und er führte ihn hinab in ſein Haus und ſäuberte ihn, und gab ihm Brod zu eſſen und Bier zu trinken, und ſchenkte ihm zwei Gulden; auch wollt’ er ihn ſogar in ſeiner Fabrik arbeiten lehren, woſelbſt mitten in Holland Perſiſche Stoffe verfertigt wurden. {Kandide} wollte ſich ihm zu Füſſen werfen und ſchrie: Er hat wohl Recht der gute Herr Magiſter! Dieſe Welt iſt die beſte! Ihr auſſerordentlicher Edelmuth macht tiefern Eindruk auf mich, als die Hartherzigkeit des Herrn Schwarzmantels und ſeiner Frau Gemalin. Den folgenden Tag ſties er beim Spazierengehen auf eine wahre Lazarusfigur von Bettler. Über und über mit Schwären bedekt war ſein Aug erloſchen, die Naſenſpize weggefreſſen, der Mund ganz verzogen, die Zähne kohlſchwarz. Er gurgelte und huſtete jedes Wort hervor; und ſein Huſten war ſo heftig, daß er jedesmal einen Zahn ausſpiee. 4. Viertes Kapitel. // Wie {Kandide} ſeinen alten Lehrmeiſter zu der Philoſophie, den Magiſter {Panglos} wiederfand und was weiter geſchahe. {Kandide}, der mehr Mitleid als Entſezen bei dieſem Anblik empfand, gab dem Scheuſal von Bettler die zwei Gulden, die ihm der biederherzige Wiedertäufer {Jakob} gegeben hatte. Dieſe Jammergeſtalt ſah’ ihn ſtarr an, Thränen rannten von ihren Wangen, und ſie fiel {Kandiden} um den Hals, der vor Schrek zurükbebte. Und Ihr kennt Euren lieben {Panglos} nicht mehr? ſagte der eine Unglükliche zum andern Unglüklichen. „Was hör ich? Sie ſind’s, mein lieber Lehrer? Sind in ſolch gräsliches Elend geſunken? Wodurch das? Und weshalb nicht mehr in dem ſchönſten aller Schlöſſer? Was iſt aus Barones {Kunegunden} geworden, der Perl’ aller Mädchen, dem Meiſterſtükke der Natur?“ Mit mir iſt’s aus, rief {Panglos}, und ſank um. Alsbald ſchleppt’ ihn {Kandide} in des {Wiedertäufer’s} Stall und gab ihm ein Paar Biſſen Brod, und als er ſich wieder ein wenig erquikt hatte, fragt’ er ihn: Nun, und {Kunegunde}? Iſt todt, erwiederte jener. Bei dieſen Worten ſank {Kandide} in Ohnmacht; ſein Freund brachte ihn mit einem Paar Tropfen verdorbnen Weineſſig wieder zu ſich, der ſich von ungefähr im Stalle befand. {Kandide} (die Augen aufſchlagend): Todt! {Kunegunde} todt! O wo biſt’u beſte der Welten? — Aber woran ſtarb ſie? Gab ihr das den Tod, daß ſie mich aus ihres Herrn Vaters ſchönem Schloſſe mit derben Fusſtöſſen hinausjagen ſahe? {Panglos}. Das nicht! Bulgariſche Soldaten ſchlizten ihr den Bauch auf, nachdem ſie ſelbige zuvor auf’s möglichſte genotzüchtigt hatten; den Baron, der ihr beiſtehn wollen, hatten ſie vor’n Kopf geſchoſſen; die Frau Baronin in Stükken zerhauen; meinen armen Untergebnen nicht beſſer mitgeſpielt, als ſeiner Barones Schweſter; und was das Schlos anlangt, da iſt kein Hammel, keine Ente am Leben geblieben; kein Stein auf dem andern, keine Scheune, kein Stall, kein Baum auf ſeinem alten Flek. Wir haben aber Genugthuung bekommen, völlige Genugthuung. Die Abaren haben’s auf einem benachbarten Bulgariſchen Ritterſiz eben ſo gemacht. {Kandide} ſank bei der Erzälung abermals in Ohnmacht; nachdem er aber wieder zu ſich gekommen war, und ein gehöriges Lamento angeſtimmt hatte, erkundigt’ er ſich nach der Urſach und Wirkung und dem zureichenden Grunde, der {Pangloſen} in einen ſo erbärmlichen Zuſtand verſezt habe. {Panglos}. Ach Liebe war’s, Liebe, ſie, die Troſt auf das ganze menſchliche Geſchlecht herabſtrömt, das ganze Univerſum umfaſſt und erhält, ſie, der Lebensquell aller fühlenden Geſchöpfe; Liebe war’s, der zärtlichſte aller Affekte. {Kandide}. Auch ich hab ſie gekannt, dieſe Liebe, ſie, die alle Herzen beherrſcht, Leben und Licht in unſre Seele bringt; und der Lohn, den ſie mir gab, beſtand aus einem Kus und zwanzig Fustritten in den Hintern; ein beſſrer Lohn ward mir nie. Wie konnte aber dieſe ſchöne Urſach ſo abſcheuliche Wirkungen bei Ihnen hervorbringen? {Panglos}. Sie haben doch die {Gertrud} gekannt, lieber {Kandide}, das niedliche Zöfchen von dem königlichen Weibe der alten Baroneſſin? In ihren Armen hab’ ich Paradieſeswonne geſchmekt, und eben die hat das Höllenfeuer in all’ meinen Adern angefacht, das mich jezt ſo wütig verzehrt. Das arme Mädchen war angeſtekt und iſt vielleicht ſchon nicht mehr. {Gertrud} hatte von einem hochgelahrten Franziskanermönch dies Geſchenk, das er aus der erſten Hand bekommen hatte; denn er hatte es von einer alten Reichsgräfin, die Gräfin von einem Dragonerhauptmann, der Hauptmann von einer Marquiſe, die Marquiſe von einem Pagen, der Page von einem Jeſuiten, und der Jeſuit noch in ſeinem Probeſtande [recta via] von einem Gefärten des Chriſtoph Kolumbus. Ich meines Orts, werd’s niemanden mittheilen, denn ich ſterbe. {Kandide}. O Panglos! Eine gar ſonderbare Sippſchaft! Der Teufel iſt wohl gar der Stammvater? {Panglos}. Behüte! Die beſte aller möglichen Welten konnte ohne dieſe Krankheit nicht beſtehn; ſie war ein unumgänglich nötiges Ingredienz; denn hätte nicht Kolumbus in einer Amerikaniſchen Inſel dieſe Seuche geholt, die den Zeugungsquell vergiftet, ſeine Wirkungen oft völlig entkräftet und dem großen Zwek der Natur augenſcheinlich entgegenarbeitet, ſo hätten wir weder Schokolate noch Koſchenille. Überdies mus man bemerken, daß ſie lediglich nur uns Europäern anhängt, ſo wie die Sucht zu polemiſiren. Türken und Indier, und die da wohnen in Schina und Siam und Japan, wiſſen davon noch nichts bis auf den heutigen Tag. Indes giebt’s einen zureichenden Grund, daß in den Folgejahrhunderten auch an {dieſe} Völker die Reihe kommen wird, ſie kennen zu lernen. Derweil’ aber macht ſie bei uns ganz erſtaunend ſchnelle Fortſchritte, zumal in den groſſen Armeen, welche aus lauter wakkern, wohlerzogenen Mietlingen beſtehn, die das Schikſal der Staaten entſcheiden. Man kann behaupten, wenn dreiſſigtauſend Mann gegen eine eben ſo ſtarke Armee in Schlachtordnung ſtehn, daß ſich auf jeder Seite ungefähr an die zwanzigtauſend befinden, die die Fr**n haben. {Kandide}. Alles gut, lieber Magiſter, aber jetzt müſſen Sie auf Ihre Kur denken. {Panglos}. Auf meine Kur denken, und habe keinen Heller. Sie müſſen wiſſen, liebes Kind, auf Gottes weitem runden Erdboden giebt’s keine Seele, die einem zur Ader läſſt oder ein Kliſtier ſezt, wenn man’s nicht bezahlen kann, oder nicht einen hat, der’s an unſrer Stelle thut. {Pangloſens} lezte Worte beſtimmten {Kandiden}; er flog zu ſeinem mitleidigen {Wiedertäufer}, warf ſich ihm zu Füſſen und malte ſeines {Freundes} Zuſtand mit ſo warmem, kräftigem Pinſel, daß dieſer Biedermann den {Magiſter} ohn’ alle Schwierigkeit annam und ihn auf ſeine Koſten heilen lies. {Panglos} verlor bey der Kur nur Ein Auge und ein Ohr. Schreiben konnt’ er wie der geſchikteſte Kanzelliſt und rechnen wie {Euler}; darum macht’ ihn Wiedertäufer {Jakob} zu ſeinem Buchhalter. Nach Verlauf von zwei Monaten muſſt’ er in Handlungsangelegenheiten nach Liſſabon gehen, Er nam ſeine beiden Philoſophen mit. {Panglos} bewies ihm deutlich, es ſei alles auf das Beſte eingerichtet. Geweſen wohl, fiel ihm {Jakob Schwezinger} ein, aber jezt nicht mehr. Durch die Menſchen, denk’ ich, iſt die Natur um ein gut Theil verdorben worden. Wolfesſinn ward ihnen nicht angeboren und doch haben ſie ihn. Gott gab ihnen nicht Vierundzwanzigpfünder, nicht Bajonette, ſie goſſen ſie ſich aber, ſchliffen ſie ſich, um einander aufzureiben. Auch die Bankrotte könnt’ ich hier in Anſchlag bringen, und die Obrigkeiten, welche die Gläubiger um des Bankrottiers Habe prellen, und es in ihren Wanſt ſchieben. Alles das iſt unumgänglich notwendig, erwiederte Magiſter {Einauge}. Es trägt zum allgemeinen Wohl bei, wenn Hinz unglüklich iſt und Kunz; je mehr Privatunglüksfälle alſo, deſto beſſer für’s Ganze. Während des Philoſophirens bewölkte ſich der Himmel, die Winde blieſen aus allen vier Enden der Welt, und das ſchreklichſte Ungewitter pakte das Schif im Angeſicht des Liſſabonner Hafens. 5. Fünftes Kapitel. // Seeſturm, Schifbruch, Erdbeben, Schikſal des Magiſter Panglos, Kandiden’s und des Wiedertäufers Jakob Schwezinger. Nicht lange, ſo waren die Seegel zerriſſen, die Maſte zerſchmettert, das hin und her geſchleuderte Schif ganz lek. Der Schrek war den meiſten darauf ſo heftig auf die Nerven gefallen, hatte ſolche Revolution in ihrem ganzen Körper hervorgebracht, daß ſie ganz fühllos und ſtarr bei der ſie umſchwebenden Gefahr waren; die übrigen kreiſchten und beteten laut; wer arbeiten konnte, arbeitete; da hörte niemand, befahl niemand. Der {Wiedertäufer} ſtand auf dem Verdek, und half ein wenig. Ein wütender Matros ſtürzte ihn durch einen derben Stos zu Boden, prellte aber durch deſſen Heftigkeit ſelbſt eine Ekke zurük und über Bord kopfüber in’s Waſſer. Zum Glük blieb er an einem Ende des Maſtes hängen. Der gutherzige {Jakob} ſpringt ihm zur Hülfe, zerarbeitet und zerquält ſich, ihn heraufzuziehn, und fällt darüber ſelbſt in’s Meer. Der dabeiſtehende Matros läßt ſeinen Retter unterſinken, ohn’ einmal auf ihn hinzublikken. {Kandide} kommt herzu, ſieht ſeinen Wohlthäter mit den Wellen kämpfen und einen Augenblik darauf, auf ewig von ihnen verſchlungen. Er will ihm nach, Philoſoph {Panglos} hält ihn zurük und beweiſt ihm, die Liſſabonner Rhede ſei ausdrüklich dazu erſchaffen worden, daß Wiedertäufer {Schwezinger} daſelbſt ertrinken muſſte. Indem er dies [a priori] bewies, barſt das Schif. Alles, was darauf war, kam um bis auf {Pangloſen}, {Kandiden} und das Ungeheuer von {Matroſen}, der den tugendhaften Wiedertäufer hatte ertrinken laſſen. Der Schurke ſchwamm glüklich an’s Ufer, das {Panglos} und {Kandide} gleichfals auf einer Planke erreichten. Wie ſie ſich etwas erhohlt hatten, gingen ſie auf Liſſabon zu, in der Hofnung, mit dem kleinen Überreſt ihres Geldes ſich vor dem Hunger zu bergen, nachdem ſie glüklich dem Schifbruch entronnen waren; unterwegs vergoſſen ſie manche Thräne über den Tod ihres Wohlthäters. Kaum hatten ſie den Fus in die Stadt geſezt, ſo fühlten ſie die Erde unter ſich dröhnen, das Meer brauſte im Hafen empor, und zerſchellte die vor Anker liegenden Schiffe. Feuer- und Aſchenwirbel bedekten die Gaſſen und öffentlichen Pläze; die Grundfeſten der Häuſer wichen aus den Fugen, Gibel, Dächer ſtürzten herab, die Häuſer zerſchoſſen in Schutt und Trümmer, und dreiſſigtauſend Einwohner von jedem Geſchlecht und Alter erlagen darunter. Schwerenot! hier wird’s was zu brudern geben! rief der {Matros} und pfif ſich ein luſtiges Stükchen. Was mag wohl der zureichende Grund dieſes Phänomens ſein? ſagte {Panglos}. Es iſt der jüngſte Tag! rief {Kandide}. Der {Matros} rannte ſporenſtreichs unter die herabſtürzenden Balken und Mauern und trozte dem Tode, um Geld zu finden. Er fand welches, ſtopfte alle Taſchen damit voll, beſoff ſich, und wie er den Rauſch ausgeſchlafen, dung er ſich die erſte beſte Jungfer Gutwillig, die er antraf, und mitten auf dem Schutt eingeſtürzter Häuſer und unter dem Haufen Sterbender und Todten berauſchte er ſich an dem fröhlichſten Liebesgenus. {Panglos} zupfte ihn indes beim Ärmel, und ſagte: Daran thut Ihr nicht Recht, Freund; das ſtreitet mit allen Geſetzen der Billigkeit; dazu iſt jezt keine Zeit. „Schoktauſend Peſtilenz! Herr, ich bin’n Matros, und aus Batavia; bin viermal in Japan geweſt, und hab’s Kruzifix viermal mit Füſſen getreten. Bei mir kömmt Er gar blind mit ſeiner Billigkeit, und all’ dem dummen Schnak.“ Während der Zeit, daß dies im Hintergrunde vorging, hatten einige herabgeſtürzte Steine {Kandiden} hart getroffen; er war umgeſunken und lag unter den Trümmern faſt begraben. Lieber {Panglos}! rief er, nur ein wenig Wein und Öl, oder ich muß ſterben. Dieſes Erdbeben iſt gar nichts beſonders, antwortete der ſich nähernde {Panglos}, im verwichenen Jahre hatte die Stadt Lima in Amerika ein gleiches Schikſal: gleiche Urſachen bringen gleiche Wirkungen hervor; es geht ganz gewis ein Strich Schwefel von Lima bis nach Liſſabon unter der Erde weg. „Höchſt wahrſcheinlich! aber um Gotteswillen ein wenig Öl und Wein.“ Wahrſcheinlich nur? nur wahrſcheinlich wär’s? erwiederte der {Philoſoph}, erwieſen iſt es, Herr, klar erwieſen, behaupt’ ich. {Kandide} ward ohnmächtig, und {Panglos} brachte ihm ein wenig Waſſer aus einem benachbarten Springbrunnen. Sie durchkrochen den Tag darauf die eingeſchoſſnen Gebäude, fanden da einige Lebensmittel, erquikten und ſtärkten ſich wieder ein wenig, und halfen darauf — wie andre auch thaten — den dem Tode entronnenen Einwohnern retten, was ſich noch retten lies. Einige Bürger, denen ſie beigeſprungen waren, tiſchten ihnen ein ſo gutes Mahl auf, als man in der Lage nur verlangen konnte. Es war ein Mahl der Traurigkeit, jeder Biſſen mit Thränen benezt. {Panglos} tröſtete die Anweſenden, und gab ihnen die Verſichrung, daß es gar nicht anders ſein könnte, weil die Welt aufs Beſte eingerichtet wäre. Denn, ſagte er, wenn zu Liſſabon ein unterirrdiſcher Brand iſt, kann keiner zu Wien und Berlin ſein, ſintemal es unmöglich, daß ein Ding an mehr als an einem Orte zugleich ſein kann, alldieweil alles was da iſt, gut iſt. Neben ihm ſas ein ſchwarzrökkiges Männlein, ein {Familiar} der heiligen Inquiſition, das hub in höflichem Tone an: Vermuthlich glauben der Herr keine Erbſünde, denn wenn alles, was da iſt, gut iſt, giebt’s weder Sündenfall noch Strafe. Ich bitte Ew. Hochehrwürden allerunterthänigſt um Verzeihung, erwiederte {Panglos} mit noch höflicherm Ton und Gebärden, ich glaube beides, alldieweil der Sündenfall und der über die Menſchen ausgeſprochne Fluch in den Plan der beſten aller möglichen Welten notwendig hineingehören. Alſo ſtatuiren der Herr keine Willensfreiheit? ſagte der {Familiar}. „Ew. Hochehrwürden verzeihen; Willensfreiheit kann ſich mit der unumſchränkten Notwendigkeit gar wohl vertragen, ſintemal es notwendig war, daß wir willensfrei waren, alldieweil der vorherbeſtimmte Wille ……“ {Panglos} ſtekte noch mitten in ſeiner Demonſtration, als der {Familiar der Inquiſition} ſeinem Staffiere, der ihm Oporto oder Porto einſchenkte, einen Wink mit dem Kopf gab. 6. Sechstes Kapitel. // Probates Mittel der hochehrwürdigen Inquiſition für’s Erdbeben, beſtehend in einem ſchönen Autodafe, wobei Kandide den Staubbeſen bekömmt. Nachdem das Erdbeben drei Drittel von Liſſabon verwüſtet hatte, war im Rate der Wächter und Weiſen des Landes beſchloſſen worden, dem Pöbel ein gar ſtattliches Autodafe zu geben. Ein kräftigeres Mittel, dem gänzlichen Untergange der Stadt vorzubauen, hatten ſie nicht können ausfindig machen. Auch hatte die Univerſität zu Coimbra den Ausſpruch gethan: einige Perſonen mit gehörigen Solennitäten und Formalitäten an langſamem Feuer gebraten, wäre das probateſte Mittel, allen fernerweitigen Erdbeben vorzubeugen. Sonach hatte man einen Biskajer eingezogen, der überführt war, ſeine Gevatterin geheuratet zu haben, und zwei Portugieſen, die den Spek aus einem Huhn geſchnitten hatten, eh’ ſie’s gegeſſen. Nach dem Eſſen ward Magiſter {Panglos} ſamt ſeinem Jünger {Kandide} in Ketten und Banden gelegt; jener wegen ſeiner Reden, dieſer wegen der Mine des Beifalls, mit der er zugehört hatte. Man führte jeden in ein beſonders Gemach, kühl wie ein Eiskeller, wo die Sonne einem nie auf die Scheitel ſtach. Nachdem acht Tage verfloſſen waren, legte man ein {Sanbenito} um ihre Schultern, und ſchmükte ihre Häupter mit {Carochas}. {Kandiden’s} Mütz’ und {Sanbenito} war mit abwärtsgehenden Flammen bemalt, und mit Teufeln ſonder Krallen und Zagel, aber {Pangloſen’s} Teufel hatten Krallen und Zagel, und die Flammen ſtiegen aufwärts. So bekleidet zogen ſie in feierlichſter Prozeſſion daher, hörten eine Predigt an, die durch Mark und Bein fuhr, und darnach eine gar unliebliche disharmoniſche Choralmuſik. Während des Geſangs ward {Kandide} nach Noten mit Ruten geſtrichen; der Biskajer und die beiden Spekverächter verbrannt, und {Panglos} wider allen Schik und Brauch aufgehängt. Und unter der Erde begann von neuem ein gräsliches Geraſſel und Gepraſſel. {Kandide}, ganz ein Raub der Angſt und des Schreckens, an jedem Gliede zitternd und blutrünſtig ſagte bei ſich ſelbſt: Iſt das die beſte aller möglichen Welten, nun ſo möcht’ ich die übrigen ſehn! Daß ich mit Ruten geſtrichen werde, möchte noch hingehn, wurd’ ich’s doch auch bei den Bulgaren; aber daß ich Dich mus hängen ſehn, trauter {Panglos}, gröſſter aller Philoſophen, ohne zu wiſſen warum; daß ich Dich, beſter aller Menſchen, trauter {Jakob}, vor meinen Augen im Hafen muſſte ertrinken ſehn, daß ich hören mus, wie Ihnen Barones {Gundchen}, der Krone aller Mädchen, der Bauch iſt aufgeſchlizt worden, das, das kann ich nicht verſchmerzen, das verleitet mich zu murren. Mit jedem Schritt einknikkend, ſchwankte {Kandide} zur Stadt hinaus; war durch Prediger und Büttel wohl geſtäupt worden, hatte Abſolution und Segen erhalten. Ein altes Mütterchen näherte ſich ihm und ſagte: Seid getroſt und unverzagt, mein Sohn, und kommt mit. 7. Siebentes Kapitel. // {Kandide} wird von der Alten wohl gepflegt und findet unverhoft ſeine {Geliebte}. Getroſt und unverzagt ward {Kandide} nun zwar nicht, aber mit ging er. Sein Führer brachte ihn in ein altes, ganz verfallnes Gebäude, gab ihm ein Krügelchen Pomade, ſich damit zu ſalben, ſezte ihm zu eſſen und zu trinken hin, zeigte ihm ein ganz ſauber Betchen und daneben einen ganz vollſtändigen Anzug. „So wünſch’ ich Ihnen denn geſegnete Malzeit und auch angenehme Ruh, und empfele Sie der gnädgen Obhut unſrer Lieben Frauen im Buſche, und des heiligen Antonius von Padua, und des heiligen Jakobs von Compoſtel, unſrer allergnädigſten Schutzpatrone. Morgen früh mach’ ich Ihnen wieder meine Aufwartung.“ {Kandide}, durch alles, was er geſehn, durch alles, was er erlitten, am meiſten aber durch das liebreiche Betragen der Alten, in die heftigſte Rührung verſezt, ergriff mit Wärme ihre Hand, und wollte ſie zum Munde führen. „Ne, das wollt’ ich mir ſehr verbeten haben; das gebührt {mir} nicht. Na, Morgen bin ich wieder da. Brauchen Sie nur die Pomade recht hübſch, lieber junger Herr, und ſpeiſen Sie und ruhen Sie fein wohl.“ Das that denn {Kandide}; aas und ſchlief recht gut, ſo hart ihn auch ſo vielerlei Ungemach zu Boden drükte. Den folgenden Morgen brachte ihm die {Matrone} zu frühſtükken, beſichtigte ſeinen Rükken, und ſalbte ihn mit einer andern Salbe; gegen Mittag brachte ſie ihm zu eſſen und gegen Abend gleichfalls. Grade ſo machte ſie’s auch folgendes Tages. Wer iſt Sie, gute Alte? fragte {Kandide} jedesmal. Was bewegt Sie zu dem liebreichen Betragen? Sag Sie, wie kann ich dafür erkenntlich ſein? Kein ſtummes Wörtchen war von der Alten herauszubringen. Gegen Abend kam ſie wieder, aber ganz leer. Kommen Sie mit, ſagte ſie, aber mäuschenſtill! Sie nimmt ihn beim Arm, und führt ihn wohl eine Viertelmeile weit über Feld. Nunmehr befanden ſie ſich bey einem freiliegenden Hauſe, mit Gärten und Kanälen umgeben. Die {Alte} pocht an ein Pförtchen. Es wird aufgethan, und {Kandide} von ſeiner Führerin eine Winkeltreppe heraufgeführt in ein vergoldetes Kabinet; hier mus er ſich auf ein brokatnes Sopha niederlaſſen. Sie machte die Thüre zu, und ging fort. {Kandide} glaubte zu träumen, hielt ſein ganzes Leben für einen widrigen Traum, und den jetzigen Augenblik für einen glücklichen. Die {Alte} kam bald wieder, und führte eine verſchleierte Dame herein von majeſtätiſchem Wuchs und ſchimmerndem Anzug, die an jedem Gliede bebte und mit genauer Not von der Alten aufrecht erhalten werden konte. Nemen Sie den Schleier ab, ſagte das Mütterchen zum {Kandide}. Er nahte ſich, und hob mit blöder Hand den Schleier auf. Wie dem jungen Mann in dem Augenblik zu Mute ward! Ihm deuchte, ſeine Barones {Gundchen} vor ſich zu ſehn, und ſie ſtand in der That vor ihm. Dieſer ſo überraſchende Anblik fiel mit aller Macht über ihn; das Übermaas ſeines Glüks berauſchte ihn ſo, daß er ſprachlos und ohne Bewegung zu ihren Füſſen hinſank, {Gundchen} fiel ohne Sinne auf’s Sopha. Die {Alte} beſtrich ſie mit allerhand Stärkungswäſſern. Ihre Sinne ſammelten ſich wieder, die Sprache fand ſich wieder ein. Unzuſammenhängende Laute riſſen ſich anfänglich von ihrem gepreſſten Herzen los; und dann durchkreuzten ſich Frag’ und Antwort, Seufzer und Thränen, und Schreie der Freud’ und des Erſtaunens. Die Alte riet ihnen, nicht zu laut zu werden, und lies ſie in völliger Freiheit. „Ha! ſo leben Sie wirklich noch, Barones? So find’ ich Sie in Portugall wieder! So ſind Sie nicht geſchändet worden; ſo hat man Ihnen nicht den Bauch aufgeſchlizt!“ Doch! doch! ſagte die ſchöne {Kunigunde}, allein man ſtirbt daran nicht immer. „Aber der gnädge Herr Papa ſind getödtet worden, und die gnädge Frau Mama?“ Leider! alle beide! und Thränen tröpfelten aus {Kunegunden’s} Auge. „Und Dero Herr Bruder auch?“ „Auch der!“ „Wie ſind Sie aber nach Portugall gekommen? Wie haben Sie meinen Aufenthalt erfahren? Wie mich hieher gezaubert? Den Schlüſſel, liebſte {Kunegunde}, zu all’ den ſeltſamen Abentheuern!“ Den ſollen Sie ſogleich haben, erwiederte die Dame; zuvor aber müſſen Sie mir erzälen, wie’s Ihnen nach dem unſchuldigen Kus gegangen iſt, den Sie mir gaben, und nach den Fustritten, die Sie bekamen. So beklommen auch {Kandide} ſich noch fühlte, ſo ſchwach und zitternd ſeine Stimme war, ſo weh’ ihm auch noch ſein Rükgrat that:, ſo erzält’ er ihr noch mit der tiefſten Ehrerbietung und auf’s allertreuherzigſte all’ ſeine Leiden nach ihrer Trennung. Das Auge gen Himmel gerichtet, ſchenkte {Kunegunde} dem Gedächtnis des braven {Wiedertäufers} und {Pangloſen’s} einige Zähren. Hierauf ſprach ſie zu {Kandide}, wie folgt. Eben ſo gierig als er das liebreizende Mädchen mit den Augen verſchlang, verſchlang er auch jedes ihrer Worte. 8. Achtes Kapitel. // Barones {Kunegunden’s} Geſchichte. Ich ſchlief noch ganz wohlbehäglich, als es dem Himmel gefiel, Bulgaren in unſer ſchönes Schlos Donnerſtrunkshauſen zu ſenden. Mein Vater und Bruder muſſten über die Klinge ſpringen, meine Mutter hieben ſie in Krautſtükken. Bei dieſem gräslichen Auftritt verlor ich alle Beſinnung. Dies nuzte ein langer Bulgar von ſechs Schuh, machte ſich über mich her, und begann mich zu ſchänden. Hierdurch erwacht’ ich von meiner Ohnmacht, bekam all’ meine Sinne wieder, kreiſchte laut, zerrang und zerarbeitete mich, um loszukommen, bis um mich, krazte, wollte dem groſſen Tölpel die Augen ausreiſſen. Hätt’ ich gewuſſt, daß das alles Kriegsgebrauch wäre, ich hätte mich anders dabei genommen. Die Kriegsgurgel gab mir mit ſeinem Degen einen Stich in die linke Seite, wovon ich noch die Narbe habe. Die ich doch wohl werde zu ſehn bekommen? fragte {Kandide} ganz in ſeines Herzens Unſchuld. Warum das nicht! ſagte {Kunegunde}, allein jezt laſſen Sie mich nur weiter erzälen. „Das thun Sie, Gnädige Barones, das thun Sie!“ Sie knüpfte den Faden ihrer Geſchichte folgendermaaſſen wieder an: Ein Bulgariſcher Hauptmann trat in mein Schlafgemach, ſahe wie mein Blut herabtrof; der Soldat blieb, wo er Poſten gefaſſt hatte. Der Hauptmann ward wild, daß dies Vieh ſo wenig Subordination bezeigte, und ſtach ihn auf meinem Leibe todt, lies mich hierauf verbinden und führte mich als Kriegsgefangene in ſein Quartier. Ich wuſch ihm ſein Paar Hemden und beſtellte ſeine Küche. Er fand — mus ich geſtehen — daß ich ein gar niedlich Ding ſei, und er war — ich kann’s gar nicht in Abrede ſein — eine ſehr wohlgebaute Mannsperſon, hatte eine weiche, weiſſe Haut, aber herzlich wenig Kopf und noch weniger Philoſophie: man merkt’ es ihm gleich an, daß er kein Schüler des groſſen {Panglos} geweſen war. Binnen einem Vierteljahr war all’ ſein Geldchen fort und er meiner überdrüſſig. Er verkaufte mich an den Don {Iſaſchar}, einen Juden, der nach Holland und Portugall handelte, und ein ungemeiner Liebhaber von Frauenzimmern war. Wie der Mann an mir hing, wie er mit Bitten und Gewalt in mich drang, und doch konnt’ er nicht ſiegen. Ich that ihm tapfrern Widerſtand als dem Bulgariſchen Soldaten. Ein rechtſchaffenes Mädchen kann wohl einmal geſchändet werden, aber dadurch wird ſie um ſo mehr Lukrezia. Um mich zahmer zu machen, führte mich der {Jude} auf dies Landhaus hier. Ich hatte bisher geglaubt, es gäbe kein ſchönres Schlos, als das unſrige; nunmehr wurd’ ich eines Beſſern belehrt. Eines Tages ward mich der {Grosinquiſitor} in der Meſſe gewahr, er warf während des hohen Amts die lüſternſten, buhlendſten Blikke auf mich, und lies mir melden, er hätte mir etwas unter vier Augen zu ſagen. Ich ward in ſeinen Pallaſt gebracht, entdekte ihm meine Herkunft; er ſtellte mir vor, wie weit es unter meinem Range wäre, einem Schuft von Juden zuzugehören, und lies dem Don {Iſaſchar} den Vorſchlag thun, mich Ihre Hochwürden Gnaden abzutreten. Dazu wollte ſich Don {Iſaſchar} nicht verſtehn; der Mann iſt Hofwechsler, und gilt viel. Der {Inquiſitor} drohte ihm mit einem Autodafé. Das wirkte; jagte meinen {Juden} in’s Horn. Huſch! ſchlos er einen Vergleich mit dem Pfaffen; vermöge deſſen gehör’ ich und Haus ihnen gemeinſchaftlich; der Mondtag, Mittewoch und Schabbas gehören dem {Juden}, die übrigen Tage in der Woche gehören dem {Inquiſitor}. Es iſt nunmehr ein halbes Jahr, daß dieſer Kontrakt aufgeſezt iſt. Unter der Zeit hat es manch Gekrette gegeben; denn ſie konnten ſehr oft nicht einig werden, ob die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag nach dem alten oder neuen Teſtamente müſſe berechnet werden. Noch hab’ ich keinen von beiden erhört, und eben deshalb glaub’ ich, werd’ ich noch von beiden geliebt. Endlich lieſſen der Hochwürdige Herr {Inquiſitor} ein Autodafé anſtellen, ſowohl, um dem Erdbeben zu ſteuern, als auch, um dem {Juden} einen kleinen Schrek in die Glieder zu jagen. Er war ſo galant, mich zu dieſer Feierlichkeit einzuladen, und mir einen ſehr guten Plaz anzuweiſen. In der Zeit, da die Meſſe war und da der Büttel ſein Amt verwaltete, wurden den Damen Erfriſchungen vorgeſezt. Wie kalt fuhr mir’s über den Nakken, als ich die beiden Juden und den ehrlichen Biskajer verbrennen ſahe, der ſeine Gevatterin geheuratet hatte. Das war aber nichts gegen den Schauer und Schrek, der mich ergrif, als ich unter einem Sanbenito und Schandmüze eine Figur gewahr ward, die dem {Panglos} ſo ähnlich ſahe. Ich rieb mir die Augen, ſahe ſtier und ſtarr nach dem Manne hin; es war und blieb {Panglos}. Ich ſah’ ihn aufhängen und fiel in Ohnmacht. Kaum hatten ſich meine Sinne wieder ein wenig geſammlet, ſo erblikt’ ich Sie, {Kandide}, ganz ſplitterfadennakt da ſtehn. Nun war der Kelch meiner Leiden voll; ich war nunmehr ganz ein Raub des Entſetzens und der Verzweiflung. Im Vorbeigehn geſagt, {Kandide}, und zur Steuer der Wahrheit, Ihre Haut iſt viel weiſſer, als meines Bulgariſchen Hauptmanns ſeine, hat ein weit höhers, feiners Rot. O! wie bei dieſem Anblik mein Jammer und meine Verzweiflung ſtieg, die in meinem Innern auf’s grauſamſte wüteten! Ich ſchrie, wollte ſagen: Haltet ein, ihr Barbaren! Das vermochte aber meine Zunge nicht; und was hätt’ es auch geholfen? Nachdem Sie waren tüchtig geſtäupt worden, ſagt’ ich bei mir ſelbſt: Wie mus der liebenswürdige {Kandide} und der weiſe {Panglos} nach Liſſabon gekommen ſein, jener um hundert Rutenſtreiche zu empfangen, dieſer um aufgehängt zu werden auf Befehl des Hochwürdigſten Inquiſitors, deſſen Liebling ich bin? Wie grauſam hat mich {Panglos} hintergangen, daß er mir vordemonſtrirte, dieſe Welt ſei die beſte! Ich taumelte halb ohnmächtig nach Hauſe. In dem Aufruhr, worin meine Sinne waren, ſtiegen mir alle meine bisher erlebten Begebenheiten zu Kopfe; ſchob mir meine Phantaſie mit hellen Farben gemalt die Würgeſcene vors Auge, die ſich auf dem Schlos zugetragen. Ich ſahe deutlich, wie man meinen Vater ſchlachtete, und meine Mutter, und meinen Bruder, ſahe, wie der garſtge Bulgariſche Soldat ſo frech über mich herfiel und mich mit dem Säbel verwundete, wie ich Magd ward, aſchenbrödeln muſſte; ſahe meinen Bulgariſchen Hauptmann, meinen häslichen Don {Iſaſchar}, meinen abſcheulichen {Inquiſitor}, und den guten {Panglos}, wie er aufgehängt wurde. Noch immer gellte mir die widrige Muſik in mein Ohr, während welcher Sie den Staupbeſen bekamen, noch immer brannte der Kus auf meinen Lippen, den Sie am Tage unſrer Trennung mir hinter der Spaniſchen Wand gaben. Alles das umſchwebte mich auf’s lebhafteſte. Ich pries nun Gott, der Sie nach ſo vielen Prüfungen mir wieder geſchenkt hatte. Ich hatte meiner Alten gleich während der Feierlichkeit anbefolen, Ihrer auf’s beſte zu warten, Sie zu pflegen und bei ſchiklicher Gelegenheit herzubringen. Sie hat ihren Auftrag redlich erfüllt, und mich jezt in ein Meer von Wonne verſenkt. Ich habe Dich nun wieder, lieber Herzensjunge, höre Dich, ſpreche Dich, ſize neben Dir. Doch Dich mus hungern, armer Schelm, gewaltig hungern! Komm, las uns eſſen. Es iſt ſchon ſpät, und an Appetit fehlt mir’s gar nicht. Sie ſezen ſich zu Tiſche, und nach dem Abendbrod lagerten ſie ſich auf das dikbeſagte ſchöne Sopha. Noch lagen ſie da in gröſſter Behaglichkeit, als Signor Don {Iſaſchar}, einer von den Eignern des Hauſes und des Mädchens, hereintrat, ſo wohl um ſeine Gerechtſame nicht verjähren zu laſſen, als auch, um bei {Kunegunden} den zärtlichen Amoroſo zu machen. 9. Neuntes Kapitel. // Was ſich mit {Kunegunden}, {Kandiden}, dem Grosinquiſitor und einem Juden zuträgt. Ein gallevolleres Geſchöpf, als dieſer Hebräer, hatte man ſeit der Babiloniſchen Gefangenſchaft in Iſrael nicht funden. Ha! ſchrie er, Du biſt mit dem Grosinquiſitor und mit mir nicht zufrieden? Muſſt noch einen Schlafgeſellen haben, Du Galiläiſche Peze! Wart Du! und auch Du, Du Hurenſchelm! Mit dieſen Worten zukt’ er ein Stilet, das er ſtets bei ſich trug, und fiel auf ſeinen Gegner ein, den er wehrlos glaubte. Allein dieſer wakre Weſtphale hatte von der {Alten} nebſt dem vollſtändigſten Anzuge einen ſchönen Degen bekommen. Den zog er, ſo kindfromm er auch war; und mauſetodt lag der {Iſraelit} zu den Füſſen der ſchönen {Kunegunde}. Jeſus Maria! rief ſie. Nun iſt alles aus. Ein Todter bei mir im Hauſe! Wenn nun die Wache kömt! O wir ſind verloren! Was fangen wir an! Hinge der gute {Panglos} nur nicht, ſagte {Kandide}, er ſollte alles in’s Reine bringen, denn er war ein groſſer Philoſoph. In Ermanglung ſeiner, müſſen wir ſchon die {Alte} um Rat fragen. Sie war ein gar kluges Weib, und eben begann ſie ihre Meinung zu ſagen, als ſich ein andres Thürlein öfnete. Es war eine Stunde nach Mitternacht, der Sonntag brach an. Dieſer Tag gehörte dem Herrn {Inquiſitor}. Ihro Hochwürden Gnaden traten herein, ſahen den geſtäupten {Kandide} mit dem Degen in der Hand, einen todten Leichnam auf der Erde liegen; {Kunegunden} todtenblas und bebend, und die {Alte} die mit ihrem guten Rat herausrükte; und blieben ſtarr angewurzelt ſtehn an der Thürſchwelle, ohne alle Beſinnung; um ſo mehr Beſonnenheit und Überlegungskraft hatte {Kandide}. Ha! dacht’ er, ruft der heilige Mann Hülfe, ſo werd’ ich ganz unfehlbar verbrant und auch {Kunegunde}. Er hat mich unbarmherzig geiſſeln laſſen, iſt mein Nebenbuler; im Morden bin ich einmal, und jezt gilt’s. Wie beſchloſſen, ſo gethan. Der {Inquiſitor} lag, den Degen bis an’s Heft in die Bruſt, neben dem {Juden}, eh’ er ſich hatte beſinnen können. Immer beſſer, rief {Kunegunde}. Nun ſind wir unwiederbringlich verloren! Bannfluch und Tod ſchweben über uns. {Kandide}, wie haben Sie, die Sanftmut ſelbſt, in zwei Minuten einen Juden und einen Prälaten umbringen können? Lieb’ und Eiferſucht, und die Rutenſtreiche der Inquiſition können das Lamm wohl zum Tiger machen, erwiederte {Kandide}. Wiſſen Sie was? ſagte die {Alte}. Wir haben drei tüchtige Andaluſiſche Gäule im Stall und auch Sattel und Zeug. Unſer tapfrer Herr {Kandide} zäumt ſie auf, und ſattelt ſie; derweile ſtekken die gnädge Barones Ihre Moydors und Ihre Diamanten bei ſich, und dann huſch! auf und davon, und nach Cadix. Ich kann zwar nur meinen halben Hintern brauchen, das thut aber weiter nichts. ’S is ganz allerliebſt Wetter, und in der Kühle beim Mondenſchein läſſt ſich’s des Nachts ganz ſcharmant reiſen. {Kandide} ſattelte ſogleich die Pferde, und machte mit {Kunegunden} und der {Alten} einen Ritt von fünfzehn Meilen in Einem Striche. Indes daß die fortjagten, kam die heilige Hermandad in’s Haus. Der Herr {Inquiſitor} ward in der Dohmkirche mit allem Gepränge beigeſezt, {Iſaſchar} aber auf den Schindanger geworfen. {Kandide}, {Kunegunde} und die {Alte} befanden ſich nunmehr in einem Wirtshauſe in dem Städtchen {Avacena}, das mitten in der {Sierra Morena} lag. Hieſelbſt hielten ſie folgendes Geſpräch. 10. Zehntes Kapitel. // {Kandide}, {Kunegunde} und die {Alte} kommen in einer gar ſchlimmen Lage zu Cadix an, und ſchiffen ſich ein. {Kunegunde} (ſchluchzend.) Alle meine Cruſaden und Diamanten ſind fort! Wer mus mir die geſtohlen haben! Wovon wollen wir nun leben? Wo Inquiſitoren und Juden finden, die mir andre geben? {Die Alte}. Was ich glaube, — aber Gott verzeihe mir die ſchwere Sünde, wenn ich ihm zu viel thue — ich denke aber immer, ich denke, der ehrwürdige Pater Graurok, der mit uns zu Badajos ſein Nachtquartier hatte, hat ſie heiſſen mitgehn. Er kam zweimal zu uns in die Stube, und war ſchon lang’ über alle Berge, eh’ wir an die Abreiſe dachten. {Kandide}. Der wakre {Panglos} hat mir oft bewieſen, daß alle Güter hienieden gemeinſchaftlich ſind, Hinz daran ſo gut Antheil hat als Kunz. Vermöge dieſer Grundſäze hätte uns jener Barfüſſermönch wenigſtens ſo viel Geld laſſen ſollen, um unſre Reiſe beſtreiten zu können. Haben Sie denn gar nichts behalten, gnädige Barones? {Kunegunde}. Keinen Maravedis! {Kandide}. Was nun zu thun? {Die Alte}. Ein Pferd verkaufen, da iſt kein andrer Rat. Ich ſeze mich hinter die gnädge Barones ſo gut es mit meinem halben Gat angeht, und damit immer zu nach Cadix. In eben dem Wirtshauſe befand ſich ein Benediktinerprior, der kaufte ihnen das Pferd um einen Pappenſtiel ab. {Kandide} und die {Alte} nahmen ihren Weg über Lucena, Chillas, Lebrixo nach Cadix. Hier ward eine Flotte ausgerüſtet, die Truppen muſſten ſich hier ſtellen, welche die ehrwürdigen Paters des Jeſuiterordens zu Paraguai zu Paaren treiben ſollten. Leztre hatten, gab man ihnen wenigſtens Schuld, eine ihrer Indiſchen Horden bei der Stadt St. Sakrament gegen die Könige von Spanien und Portugall aufgewiegelt. {Kandide} machte dem General dieſer kleinen Armee die Bulgariſchen Kriegsexerzizien vor, und das ſo flink, ſo dreiſt, mit ſolchem ſoldatiſchen Anſtande, daß der General ihm augenbliklich eine Kompagnie bei der Infanterie gab. Der neugebakne Herr {Hauptmann} nebſt Barones {Kunegunden} und der {Alten} ſchiften ſich ein, nahmen noch zwei Bedienten, und die beiden Andaluſiſchen Pferde mit, die weiland dem Herrn {Grosinquiſitor} von Portugall gehört hatten. Während der Überfahrt unterhielten ſie ſich beſtändig von der Philoſophie des armen {Panglos}. Wir kommen nun in eine andre Welt, ſagte {Kandide}, und unſtreitig iſt dieſe die beſte. Denn man muß geſtehn, man hat wohl Urſach, über den phyſiſchen und moraliſchen Zuſtand unſrer Welt ein wenig zu ſeufzen. {Kunegunde}. Ich liebe Sie von ganzem Herzen {Kandide}, doch alles das, was ich geſehn, was ich erlitten habe, hat mich ganz ſcheu und verzagt gemacht; mir ahnet nichts guts. Laſſen Sie Sich um’s Himmelswillen nicht bleſſiren oder todt ſchieſſen! {Kandide}. Es wird alles gut gehn. Schon das Meer in dieſer neuen Welt iſt beſſer als in unſrer Europäiſchen; iſt weit ruhiger; die Winde weit beſtändiger. Warlich, die neue Welt iſt die beſte unter allen möglichen Welten. {Kunegunde}. Das gebe Gott! nur wahren Sie ſich, daß man Sie nicht bleſſirt oder todt ſchieſt, und wir beide unglüklich werden. Ich kann mich gar nicht beruhigen, denn ich habe in unſrer Welt ſchon ſo gräsliches Elend ausgeſtanden, daß kein Stral der Hofnung mehr in meine Seele ſich hineinſtiehlt. {Die Alte}. Was das für ein Gethue, für ein Geklage iſt! Wären Sie an meiner Stelle geweſen, Sie ſollten auf einem gar andern Loche pfeifen. Ich kann noch ein Liedchen von Unglüksfällen ſingen. {Kunegundens} Mund zog ſich ein wenig zum Lächeln; es kam ihr drollicht vor, daß die alte Mutter behauptete, ſie ſei unglüklicher, wie ſie. Haben Euch, ſagte ſie, nicht zwei Bulgaren geſchändet; habt Ihr nicht zwei Degenſtiche in den Leib bekommen; ſind nicht zwei von Euren Schlöſſern verwüſtet worden; hat man nicht vor Euren Augen zwei Väter und zwei Mütter ermordet; und habt Ihr nicht zwei von Euren Liebhabern im Autodafe ſtäupen ſehn: ſo ſeh’ ich nicht ab, wie Ihr Euch unglüklicher nennen könnt, als ich. Erwägt noch überdem, daß ich Barones bin, meine einundſiebzig Ahnen aufweiſen kann, und daß ich gleichwohl habe müſſen aſchenbrödeln. Meine Geburt iſt Ihnen unbekannt, gnädige Barones, antwortete die {Alte}. Ich dürfte Ihnen nur mein Hinterkaſtell zeigen, Sie würden gewis ganz andre Saiten aufziehn. Dieſe Rede erregte bei {Kunegunden} und {Kandiden} eine ganz auſſerordentliche Neugier, welche die Alte auf folgende Art befriedigte. 11. Elftes Kapitel. // Geſchichte der Alten. Mein Auge war nicht immer ſo verzerrt, hatte nicht immer den Purpurſaum, meine Naſe ſties nicht immer an’s Kinn, auch bin ich nicht immer Magd geweſen. Mein Vater war Pabſt {Urban der Zehnte} und die Fürſtin von {Paläſtrina} meine Mutter. Bis in’s vierzehnte Jahr wurd’ ich in einem Pallaſte erzogen, wogegen die Schlöſſer Eurer Weſtphäliſchen Barone gar klägliche Figur machen; das geringſte von meinen Kleidern wog alle Herrlichkeiten von ganz Weſtphalen auf. Ich wuchs an Schönheit und Grazie und Talenten mitten in dem bunten Zirkel von Ergezlichkeiten. Was für Erwartungen machte man ſich nicht von mir; was für Ehrerbietung erwies man mir nicht; was für Liebe flößt’ ich nicht ſchon ein! Mein Buſen wölbte ſich bereits. Es war ein Buſen, der an Weiſſe und Feſtigkeit und Ründung dem Buſen der Mediceiſchen Venus glich! Das Auge, wie zaubriſch! die Wimpern, wie meiſterhaft! die Augenbrauen rabenſchwarz! und die Glut, die in meinen Augäpfeln lag, überſtralte das ganze Sternenheer, wie die Poeten aus dem Stadtviertel ſangen. Meine Kammerweiber, wenn ſie mich auszogen und ſo von vorn’ und hinten beſchauen konnten, waren wie in’s Paradies verzükt; alle Mannsperſonen wünſchten ſich an ihre Stelle. Ich ward mit dem regierenden Fürſten von {Maſſa Carara} verſprochen. Ein gar ſüſſer, herrlicher Junge! Ganz Geiſt, und ganz glühende, ſchwärmende Liebe! und völlig ſo dichtriſch ſchön gebildet, wie ich! Er war meine erſte Liebſchaft! ſonach liebte ich ihn mit der innigſten Wärme, macht’ ihn zum Abgott meiner Seele. Man traf Anſtalten zum Beilager. Was war da für Pomp! für unerhörte Pracht! Was für ein Zirkeltanz von Luſtbarkeiten. Feſte ketteten ſich an Feſte, Ringelrennen an Ringelrennen, Turnier’ an Turniere, Operabuffas an Operabuffas, und ganz Italien ſang mir zu Ehren Sonnette, davon das geringſte dichtriſchen Stempel trug; eines {Arioſt’s} und {Taſſo} würdig war. Ich ſtand am Ziele meines Glüks, als eine alte Marcheſe, eine ehmalige Buhlſchaft meines Prinzen, ihn zur Schokolate bitten lies. Er ſtarb in weniger denn zwei Stunden an den ſchreklichſten Verzukkungen. Kleinigkeit gegen meine übrigen Unglüksfälle! Dieſer Tod ſezte meine Mutter ganz auſſer ſich, ob er ſie gleich lange nicht ſo heftig angrif, wie mich. Sie wollte ſich eine Zeitlang von einem ſo unangenemen Aufenthalt losreiſſen. Wir fuhren nach Gaetta, wo ſie ein ſehr ſchönes Landgut hatte; unſer Schiff war eine Päbſtliche Galeere, ſo ſtark vergoldet als der St. Petersaltar zu Rom. Nicht lange, ſo ſtürzte ein Saleeſcher Korſar auf uns zu und enterte. Unſre Mannſchaft wehrte ſich wie wahre Päbſtliche Soldaten, warf ihre Waffen weg, fiel nieder auf die Kniee, und ganz in lezten Zügen bat ſie den Korſaren um Abſolution. In einem Nu ſtanden ſie ganz affenkahl da; meiner Mutter, unſern Hofdamen und mir ging’s nicht beſſer. Huſch huſch! und wir waren entkleidet. Ich habe nie flinkre Kammerdiener geſehn, wie dieſe Herren Seeräuber. Doch nam mich dies nicht ſo Wunder, als daß ſie uns insgeſamt einen Ort durchfingerten, dem wir Weiber uns gemeiniglich nur mit der Kliſtierſprüze zu nahe kommen laſſen. Nie aus meinen vier Pfälen gekommen, däuchte mir der Brauch ganz ſonderbar. Ich erfuhr bald zu was Ende dies geſchahe; ſie wollten wiſſen, ob wir nicht daſelbſt einige Diamanten verſtekt hätten. Das iſt uralte Sitte bey allen gebildeten Völkerſchaften, die auf der See umhertreiben. Machen’s doch die Herren Maltheſerritter nicht beſſer, wenn ſie Türken und Türkinnen gefangen bekommen und ſind Geiſtliche. Dies Geſez des Völkerrechts wird ſtets beobachtet. Wie peinlich, wie zu Boden drükkend es für eine junge Prinzeſſin ſein mus, mit ihrer Mutter als Sklavin nach Marokko geführt zu werden, brauch’ ich Ihnen nicht erſt zu ſagen; Sie können Sich’s leicht vorſtellen, ſo wohl als die Leiden, die wir auf dem Raubſchiffe auszuſtehn hatten. Meine Mutter war noch ſehr ſchön, unſre Hofdamen, ſogar die bloſſen Kammerweiber, beſaſſen mehr Reize, als in ganz Afrika zu finden ſind. Und ich hatte all die entzükkende Schönheit, war mit all’ der Lieblichkeit, dem namenloſen Zauber umfloſſen, womit Mutter Eva aus den Händen Gottes hervorging; noch hatt’ ich keinen Mann erkannt, aber bald muſſt ich’s. Die Roſe, die ich dem ſchönen Fürſten von {Maſſa Carara} aufbewahret, zerknikte der Hauptmann der Räuber; eine abſcheuliche Frazenfigur von Neger, die mir dadurch noch ungemeine Ehre zu erweiſen glaubte. Warlich! die {Fürſtin} von {Paläſtrina} muſſte ſo wohl, wie ich, Herkulesſchultern haben, um all das Ungemach zu tragen, das bis zu unſrer Ankunft in Marokko über uns kam. Kein Wort weiter davon! Es iſt etwas zu alltägliches, als daß es der Mühe lohnte, davon zu reden. Bei unſrer Ankunft ſchwamm Marokko in Blut. Funfzig Söhne des Kaiſers Mulei Iſmael hatten jeglicher ſeine Partei; ſonach wüteten daſelbſt funfzig bürgerliche Kriege. Schwarze fochten gegen Schwarze, fochten gegen Schwarzbraune, Schwarzbraune gegen Schwarzbraune, Mulatten gegen Mulatten; das ganze Land umher glich einer Mezge, wo Arbeit vollauf war. Kaum waren wir auf dem Geſtade, ſo rükte eine feindliche Partei an, die unſerm Korſaren ſeine Beute abnehmen wollte. Wir waren nach den Diamanten und dem Golde das Allerkoſtbarſte, was er hatte. Ich war Zeuge eines Kampfs, den Ihr in Euren Europäiſchen Gegenden nie ſo geſehn habt; dazu haben die Nordiſchen Völker nicht heiſſes glühendes Blut genug; ſie haben ja nicht einmal ſo viel Wut, als jedes Weib in Afrika. Bey Euch Europäern ſcheint Milchſaft in den Adern zu rinnen; Vitriol, Feuer hüpft, ſprüzt durch jede Nerve bei den Bewohnern des Berges Atlas, und der benachbarten Gegenden. Wütend wie die Löwen und Tiger und Schlangen dieſes Landes, fielen ſie ſich an, und ſtrebten uns einander abzukämpfen. Ein Mohr pakte meine Mutter beim rechten Arm, der Leutnant unſers Schifs ris ſie beim Linken zurük; ſtraks nam ein Schwarzer ihren einen Fus, einer unſrer Seeräuber zog ſie beim andern nach ſich. Und ſo wurden all’ unſre Frauenzimmer beinahe in Einem Nu von vier Soldaten angepakt. Mein Hauptmann hatte mich hinter ſich verſtekt, und ſäbelte alles nieder, was ſich zwiſchen ihn und ſeinen Grimm ſtellte. In Kurzem ſah’ ich unſre Italienerinnen und meine Mutter von denen Ungeheuern zerriſſen, zerhauen, zerfezt, die ſich um ihren Beſiz herumkämpften. Gefangne und Gefangennemer, Soldaten und Matroſen, Schwarze und Weiſſe und Mulatten, alles, alles wurde niedergemacht, endlich mein Hauptmann auch, und ich blieb ſterbend auf einem Haufen von Todten liegen. Solcherlei Scenen wurden bekanntermaaſſen in einem Bezirk von mehr denn dreihundert Meilen geſpielt, ohne daß man deshalb die fünf Gebete vergas, die Mahomet täglich zu beten befohlen hat. Es ward mir ſehr ſauer, mich unter der Menge auf einander geſchichteter blutiger Leichname hervorzuarbeiten. Ich ſchleppte mich nach einem groſſen Pomeranzbaum, der am Rande eines nahen Bachs ſtand. Entſezen und Müdigkeit, Verzweiflung und Hunger hatten mich ſo erſchöpft, daß ich ſogleich umſank und bald darauf einſchlummerte. Es war mehr Ohnmacht, als Schlaf, worinn ich mich befand. In dieſem Mittelzuſtande zwiſchen Leben und Tod, in dieſer Art von Hinbrüten mocht’ ich eine Weile gelegen haben, als ich eine Laſt auf mir liegen fühlte, und mein Körper Erſchüttrungen bekam. Ich blikte auf, und ward einen wohlgebildeten jungen weiſſen Mann gewahr. Er ſeufzte und murmelte zwiſchen den Zähnen: [O che sciagura d’essere senza coglioni]. 12. Zwölftes Kapitel. // Wie übel es der {Alten} weiter ergieng. Erſtaunt und entzükt, meine Mutterſprache zu hören, und über die eben vernommene Rede nicht wenig verwundert, erwiederte ich, daß es noch gröſſres Unglük gäbe, als das ſei, worüber er ſich beklagte. Mit einem Paar Worten erzält’ ich ihm alle das gräsliche Elend, deſſen Raub ich geweſen, und ſank wieder in Ohnmacht. Er trug mich in ein benachbartes Haus, legte mich in ein Bette, brachte mich wieder zu mir, erquikte mich, lies mirs nicht an Wartung und Troſt, noch an Schmeicheleien abgehn; ſagte, er habe nie auf Gottes Erdboden ein ſchönres Geſchöpf geſehn, als mich, und ſeinen unerſezbaren Verluſt nie ſo ſtark betrauert, als jezt. Ich bin aus Neapel bürtig, ſagte er, wo Jahr aus Jahr ein zwei- bis dreitauſend Knaben kappaunt werden. Einige ſterben, andre erhalten Stimmen, die an Schönheit die weiblichen übertreffen, noch andre gehn aus in alle Lande, und werden an’s Regimentsruder geſezt. Ich ward mit dem günſtigſten Erfolge kaſtrirt, und ſodann Kapellſänger bei Ihro Durchlaucht, der {Fürſtin von Paläſtrina}. Bei meiner Mutter, ſchriee ich! Bei Ihrer Frau Mutter! rief er: und Thränen ſchoſſen über ſeine Wangen. So wären Sie die junge Prinzeſſin {Aurora}, die ich bis in’s ſechſte Jahr erzogen, bei der damals all’ die Reize in der Knoſpe lagen, die ich bei Ihnen in ſo voller, ſchimmernder Blüte ſehe! Sind Sie’s denn wirklich! „Wirklich! und meine Mutter liegt vierhundert Schrit von hier unter einem Haufen von Todten geviertheilt!“ Ich erzält ihm all’ meine Begebniſſe, und er mir die ſeinigen, er ſagte mir, eine gewiſſe chriſtliche Macht hab’ ihn nach Marokko geſandt, um mit dieſem Monarchen einen Traktat zu ſchlieſſen, mittelſt deſſen man ihm Pulver, Kanonen und Schiffe zu liefern verſprach, damit er um ſo leichter der Handlung der übrigen chriſtlichen Mächte das Garaus machen könnte. Mein Auftrag iſt beendigt, ſagte der galante {Hämmling} zu mir, ich ſchiffe mich zu {Ceuta} ein, und bringe Sie nach Italien zurük. [Ma sche sciagura d’essere senza coglioni]. Ich vergos Thränen des innigſten Danks für all’ das, was er an mir gethan hatte, und noch thun wollte. Er brachte mich nicht nach Italien, ſondern nach Algier, und verkaufte mich an den dortigen Dei. Kaum war ich verkauft, als die Peſt, die nachher Afrika, Aſien und Europa durchzogen hat, in Algier zu toben begann. Erdbeben haben Sie ſchon geſehn, doch die Peſt wohl nie gehabt, Barones? Nie, antwortete {Kunegunde}. Sonſt würden Sie mir einräumen müſſen, daß Erdbeben, dagegen gerechnet, gar nichts ſagen wil. In Afrika iſt ſie gäng und gebe: ſie verſchonte mich auch nicht. Stellen Sie ſich nun die Lage vor, worin ſich die funfzehnjährige Tochter eines Pabſts befand! In Einem Vierteljahre hatte ſie Geliebten verloren, und Freiheit, war faſt täglich geſchändet worden, hatte immer Hungertod und Kriegsgetümmel vor Augen gehabt, und ſollte jezt an der Peſt ſterben. Ich kam demungeachtet glüklich davon, allein mein {Kaſtrat} ging drauf, und der {Dei} und faſt der ganze Algieriſche Serail. Als dieſe fürchterliche Peſt eine kleine Pauſe gemacht, wurden die Sklaven des Deis verkauft. Ein Kaufman erhandelte mich, und nam mich nach Tunis, wo er mich einem ſeiner Kollegen überlies. Dieſer verkaufte mich nach Tripolis, von Tripolis wurd’ ich nach Alexandrien verkauft, von Alexandrien nach Smirna, von Smirna nach Konſtantinopel. Nunmehr befand ich mich in den Händen eines Janitſcharenagas, der bald darauf Befehl erhielt, dem von den Ruſſen belagerten Azof zum Entſaz zu kommen. Dieſer Aga war ein überaus galanter Mann; er nam alle ſeine Kebsdamen mit, logierte uns in eine kleine Schanze, dicht am See Tana, die von zwei ſchwarzen Verſchnittnen und zwanzig Soldaten bedekt wurde. Die Ruſſen ſtürzten anfänglich hin wie die Fliegen; bald aber kehrte ſich das Blat. Azof ging über, wurde mit Feuer und Schwert verwüſtet; bei den Überwindern galt kein Anſehn des Alters noch Geſchlechts. Unſre kleine Schanze hielt ſich noch; die Feinde beſchloſſen ſie auszuhungern. Die zwanzig Janitſcharen hatten geſchworen, ſich nie zu ergeben. Der äuſſerſte nagendſte Hunger nötigte ſie, unſre beiden Verſchnittnen aufzufreſſen, damit ſie ihren Schwur nicht brechen durften. Nach Verlauf etlicher Tage beſchloſſen ſie, es mit uns ebenſo zu machen. Wir hatten aber einen gar frommen Iman bei uns, einen recht barmherzigen Samariter, der hielt eine gar herrliche Predigt, wodurch ſie anders Sinnes wurden. Umbringen müſſt Ihr die Weiber nicht, ſagte er, aber jeglicher von ihnen den halben Hinterbakken ablöſen, das laſſ’ ich gelten; auf die Art werdet Ihr Eſſen die Fülle haben; gebricht’s Euch wieder an Proviant, nun ſo wiſſt Ihr ja, wo Eure Vorratskammer liegt. Ihr könnt ſodann mit Zuverſicht hoffen, daß Euch Allah wegen einer ſolchen Barmherzigkeit nicht ohne Beiſtand laſſen wird. Da dieſer Prieſter ein guter Schwadronör war, ſo drang er durch, und man nam die grauſame Operation vor. Der Iman beſtrich uns in eigner Perſon mit Beſchneidungsbalſam. Wir waren alleſamt todtſterbenskrank. Kaum hatten die Janitſcharen die Mahlzeit hinter, die wir ihnen verſchaften, ſo waren die Ruſſen in flachen Fahrzeugen da, und ſtürmten die Schanze. Kein Janitſchar blieb am Leben. Uns ſchleppten die Sieger mit, ohne ſich um unſern Zuſtand im mindeſten zu kümmern. Franzöſiſche Wundärzte findet man allenthalben. Sonach hatten die Ruſſen einen {in der} Kunſt gar wohl erfahrnen Franzman bei ſich, der nam uns in die Kur, und heilte uns glüklich. Er ſuchte uns dadurch zu tröſten, daß dergleichen Kriegsgebrauch wäre, und ſich ſchon bei vielen Belagrungen ereignet hätte. Wie meine Wunden völlig zugeheilt waren, verlangt’ er von mir Minneſold. Ich werde {den} Antrag in meinem Leben nicht vergeſſen. Als meine Geſpielinnen gehn konnten, muſſten ſie nach Moskau wandern. Ich fiel einem Bojaren zu Theil, der mich zu ſeiner Gärtnerin machte, und mir täglich zwanzig Hiebe mit der Knute gab. Allein nach zwei Jahren wurde dieſer Herr mit dreiſſig andern Bojaren gerädert, weil ſie am Hofe ein gar hübſches Rührei gemacht hatten. Dieſe Begebenheit benutzt’ ich, wipſte davon, durchſtrich ganz Rusland, war lange Zeit zu Riga Aufwärterin in einem Wirtshauſe, bekleidete {den} Poſten auch zu Roſtok, Wismar, Leipzig, Kaſſel, Utrecht, Leiden, Haag, Rotterdam, ward im Elend und in der Schande alt und grau; ſchleppte allenthalben meinen halben Hintern mit herum, und die Erinnrung, daß ich die Tochter eines Pabſts ſei. Hundertmal war ich Willens, mich zu tödten, aber immer ſiegte die Liebe zum Leben. Dieſe lächerliche Schwäche iſt eine unſrer unſeeligſten Triebe. Kan man ſich wohl etwas thörichters denken, als ein Geſchöpf, das eine Laſt immer mit ſich herumſchleppt, die es gern alle Augenblikke von ſich werfen möchte? Das ſein Daſein verabſcheut, und doch platterdings nicht daran will, ihm ein Ende zu machen? Kurz, das eine Schlange hätſchelt, die immer in ihm fortnagt, bis ſie ihm das Herz abgefreſſen hat. In all’ den Ländern, wohin mich das Schikſal getrieben, und in allen Wirtshäuſern, wo ich Aufwärterin geweſen, hab’ ich Perſonen die Menge gefunden, die ihr Daſein verfluchten, aber nur ein Duzend geſehn, die ihrem Elende ein freiwilliges Ende machten. Das waren drei Mohren, vier Engländer, vier Genfer, und ein Leipziger Profeſſor, Namens {Zerbin}. Mein letzter Dienſt war bei dem Juden Don {Iſaſchar}. Ich lernte ihn vor zwei Jahren in Rotterdam kennen, wo er in dem Gaſthofe logierte, worin ich diente. Ein niedlicher Bettwärmer, den er mit ſich gebracht, hatte ſich in alle ſeine Koſtbarkeiten und in ſeine vollgepfropfte Börſe ſo ſtark verliebt, wie er ſich in dies Kreatürchen, und den Anſchlag gemacht, durch meine Beihülfe damit über alle Berge zu gehn. Dieſe Zumutung verdros mich; ich ſtekte dem {Juden} das Projekt ſeines Mädchens; er verhinderte ſie an deſſen Ausführung, indem er ſie ſezen lies, und mich nahm er zur Belohnung meiner Redlichkeit mit nach Portugall, wo er mir Zeit Lebens Unterhalt zu geben verſprach. Bald darauf kamen Sie in ſein Haus, und er gab mich Ihnen zur Bedienung. Sie wiſſen, wie ich ſtets an Ihnen gehängt, gnädige Barones, wie ich über Ihre Schikſale ganz die meinigen vergeſſen habe, die um ſo härter ſind, da mein Elend nur erſt mit meinem Leben ein Ende nemen kan. Denn Sie müſſen noch wiſſen, bei Verluſt des Kopfs darf ich mich in den Landen meines verſtorbnen Vaters nicht wieder ſehen laſſen. Sein Nachfolger auf dem Päbſtlichen Stuhl, ein geſchworner Feind meiner Mutter und des Hauſes {Maſſa Carara}, hat nicht nur alle unſre Güter eingezogen, ſondern auch bei Landesverweiſung verboten, meiner in Geſellſchaft zu erwähnen. Durch ihn, theils beſtochen, theils durch niedrige Schmeichelei bewogen, haben verſchiedne Geſchichtſchreiber nicht nur meinen Vater aus der Liſte der Päbſte weggelaſſen, ſondern auch ſogar öffentlich im Druk meine und meiner Mutter Exiſtenz glatt weggeläugnet. Urtheilen Sie nun ſelbſt, wer von uns beiden das Mehrſte erlitten hat, und gleichwohl hätt’ ich Ihnen nie meine Unglüksfälle erzählt, wenn Sie mich nicht durch Ihre bittern Klagen dazu aufgefordert hätten, und wenn’s nicht im Schif, ſo gut wie auf der Landkutſche, Mode wäre, der lieben Langeweile halber, Hiſtorien zu erzählen. Machen Sie Sich’mal das Vergnügen, gnädige Barones, und nötigen Sie jeden aus unſrer Reiſegeſellſchaft ſeinen Lebenslauf zu erzählen; ich behaupte — und ich habe mir Erfahrung genug geſammlet, um das mit Grunde behaupten zu können, — daß kein einziger darunter iſt, der nicht ſein Daſein verflucht, ſich oft ſelbſt geſagt hat, daß er der unglüklichſte unter allen Menſchen ſei. Finden Sie einen, der das nicht gethan hat, nun ſo ſtürzen Sie mich kopfüber in’s Meer. 13. Dreizehntes Kapitel. // Wie ſich Kandide genötigt ſahe, die ſchöne Kunegunde und die Alte zu verlaſſen. Nunmehr begegnete die ſchöne {Kunegunde} der {Alten} mit all’ der Achtung, die einer Dame von ihrem Rang und Verdienſten gebührte. Sie nam ihren Vorſchlag an und beredete ihre Reiſegefährten nach der Reihe ihre Begebenheiten zu erzählen. {Kandide}, und ſie muſſten geſtehn, daß die Alte Recht hatte. Schade, ſehr ſchade! ſagte {Kandide}, daß der weiſe {Panglos} wider alle Sitt’ und Brauch in einem {Autodafé} iſt aufgehängt worden, was für vortrefliche Dinge würd’ er über das phyſiſche und moraliſche Übel ſagen, das unſern Erdwaſſerball bedekt, und ich würde mich ſtark genug fühlen, ihm einige beſcheidne Einwürfe zu machen. Über die Erzählungen langte man, eh’ man ſich’s verſahe, in Buenos-ayres an. {Kunegunde}, Hauptmann {Kandide} und die {Alte} begaben ſich zum daſigen Stathalter, dem {Don Fernando d’Ibara y Figueora y Maſcarenes y Lampourdos y Souza}. Er war ſo hochfahrend, als es ein ſo vielbetitelter Mann ſein muſſte; ſprach in ſo hochadelich-verächtlichem Tone mit Mannsperſonen, trug ſeine Naſe ſo hoch hinaus in die Lüfte, erhub ſeine Stimme ſo poſaunenmäſſig, hatte einen ſo befehlshaberiſchen Ton, und ſolchen Pfauengang, daß jedem, der ihm ſeine Aufwartung machte, der Geluſt ankam, ihn derb durchzuprügeln; die Frauenzimmer liebt’ er auf’s heftigſte; {Kunegunde} däuchte ihm das ſchönſte, reizendſte Geſchöpf, das er je geſehn hatte. Seine erſte Frage war, ob ſie des Hauptmanns Frau ſei. Das fragte er mit einem Ton, mit einer Mine, daß {Kandide} ganz zu Boden geſchlagen wurde. Für ſeine Frau mocht’ er ſie nicht ausgeben, weil ſie’s noch nicht war, für ſeine Schweſter auch nicht, denn das war ſie noch weniger; er war zu ſehr Teutſcher, um ſich dieſer Notlüge zu bedienen, die ſo manchen Patriarchen aus der Not geriſſen hatte, und auch noch heutiges Tages gute Dienſte leiſten konnte. Deshalb ſagte er grad heraus: die Barones {Kunegunde} wird mich mit ihrer Hand beehren, und wir erſuchen Ihro Exzellenz unterthänigſt, die hohe Gnade für uns zu haben, und unſre Hochzeit auszurichten. {Don Fernando d’Ibara y Figueora y Maſcarenes y Lampourdos y Souza} ſtrich hohnlächelnd ſeinen Zwikkelbart und befahl dem Hauptmann {Kandide} ſeine Kompagnie zu muſtern. {Kandide} gehorchte und lies den {Stathalter} bei Barones {Kunegunden} allein. Dieſer entdekte ihr nunmehr ſeine Brunſt, und betheuerte ihr, er wolle ihr Morgen im Angeſicht der Kirche ſeine Hand reichen; wolle ſie ihn aber mit ihrer auſſerehlichen Liebe beglükken, ſo woll’ er ſich auch da nach ihr richten. {Kunegunde} bat ſich eine Viertelſtunde von ihm aus, um ſich ſammlen, die {Alte} um Rat fragen und ſich entſchlieſſen zu können. Die {Alte} ſagte zu ihr: Sie haben zweiundſiebenzig Ahnen und keinen roten Heller, können jezt die Gemalinn des angeſehnſten und ſtattlichſten Zwikkelbarts in ganz Südamerika werden. Was wollen Sie ſich da bedenken. Not hat kein Gebot, und wozu {Sie} den {Paſtor Fido} im Reifrok ſpielen wollen, ſeh’ ich nicht ab. Sie ſind von den Bulgaren geſchändet worden, haben ſich vom {Juden} und {Inquiſitor} brauchen laſſen. Wär’ ich in Ihrer Stelle, ich griffe zu, näme den Herrn {Stathalter} zum Manne ohn’ alles Fakkeln und machte dem Herrn Hauptmann {Kandide} glüklich. Indeß daß das {Mütterchen} mit all’ der Klugheit ſprach, die Alter und Erfahrung geben, ſah man ein Schiflein in den Hafen einlaufen, worauf ſich ein {Alkalde} und {Alguazils} befanden. Was die Herren wollten, ſoll der Leſer gleich erfahren. Die {Alte} hatte ganz Recht gehabt, daß der weitärmliche Franziskaner zu Badajos {Kunegunden} auf ihrer eilfertigen Flucht ihr Gold und ihre Diamanten geſtohlen. Er hatte einige Steine einem Juwelier verkaufen wollen, der ſie erkannte, und ihn feſtnehmen lies. Unterm Galgen hatte der Mönch bekannt, daß er ſie geſtohlen, die Perſonen beſchrieben, denen er ſie entwandt, und den Weg, den ſie genommen hatten. {Kunegunde’ns} und {Kandiden’s} Flucht war bereits bekannt: man ſezte ihnen bis Cadix nach, ohne ſie einholen zu können; von da aus wurd’ ihnen ungeſäumt ein Schif nachgeſandt, und dies Schif lag jetzt im Hafen. Überall hörte man, eben ſei ein Alkalde ausgeſtiegen, und man ſuche die Mörder des {Grosinquiſitor’s} auf. Die kluge {Alte} ſahe den Augenblik ein, was zu thun war. Fliehen können Sie nicht, ſagte ſie zur {Kunegunde} und brauchen’s auch nicht. Ihnen können ſie nicht an den Hals kommen, denn Sie ſind nicht der Mörder des {Inquiſitor’s}; Sie haben überdies beim {Stathalter} ſolchen Stein im Brete, daß er Ihnen kein Härchen wird krümmen laſſen. Bleiben Sie nur in Gottes Namen da. Drauf rannte ſie in voller Haſt zum {Kandide}. Machen Sie Sich über alle Berge, Herr Hauptmann, raunte ſie ihm zu, ſonſt ſind Sie in einer Stunde verbrannt. Aufhalten durft’ er ſich nicht einen Augenblik, trennen konnt’ er ſich nicht von ſeiner {Kunegunde}, und einen Ort, wo er ſich hinflüchten ſollte, wuſſt’ er nicht. 14. Vierzehntes Kapitel. // Wie {Kandide} und {Kakambo} in Paraguai von den Jeſuiten aufgenommen worden. {Kandide} hatte von Cadix einen Bedienten mitgebracht, wie man deren viel auf den Spaniſchen Küſten und in den Kolonien antrift; einen Viertelſpanier, von einem Meſtizen in Tukumann erzeugt. Er war Kohrknabe geweſen, dann Schulaufwärter, Matroſe, Mönch, Buchhalter, Soldat, und war endlich Lakai geworden; er hies {Kakambo} und hing ſehr an ſeinem Herrn, weil er eine gar gute liebe Seele war. Dieſer ſattelte in der gröſſten Geſchwindigkeit die beiden Andaluſiſchen Pferde. Wollen dem Rat der alten Mutter folgen, lieber Herr, ſagte er, und zujagen, was nur’s Zeug hält, ohn’ uns umzuſehn. O traute {Kunegunde}! rief {Kandide}, und Thränen floſſen über ſeine Wangen, ſo mus ich Dich denn verlaſſen! mus Dich in dem Zeitpunkt verlaſſen, da der Herr Stathalter uns zuſammenfügen wollte! Muſſt’ ich Dich darum herführen, meine {Kunegunde}! O was wird aus Dir werden! {Kakambo}. Alles guts! ſie wird den Mantel nach dem Winde drehn. Ich möchte das Weib ſehn, das ſich nicht aus der jämmerlichſten Patſche zu helfen wüſſte. Und zu dem ſind ja die Weiber unſers Herr Gotts liebſten Kinder! — Die Sporen in die Rippen, Herr! {Kandide}. Wo willſt Du denn hin? Wo geht’s denn zu? Und was wollen wir ohne {Kunegunden} machen? {Kakambo}. Sie haben doch {gegen} die Jeſuiten wollen zu Felde ziehn, wiſſen Sie was, ziehn Sie {für} ſie zu Felde. Beim heiligen Jakob vom Compoſtel, ich weis Weg und Steg und will Sie zu ihnen bringen. Das wird ihnen ’ne rechte Herzensfreude ſein, ’nen Hauptmann zu kriegen, der ’s Bulgariſche Manövriren verſteht. Sie werden da ’ne gar herrliche Nummer finden. Geht’s einem in einem Welttheil ſchief, ſo zieht man in einen andern, und kömt da uf ’nen grünen Zweig; krigt wieder ganz was anders zu ſehn, ganz was anders zu hören und auch ’n ganz ander Stükchen Arbeit, wenn man will. O es iſt ’n gar ſcharmantes herrliches Ding um’s Reiſen! {Kandide}. So biſt’u in Paraguai bekannt? {Kakambo}. Wie’n Pudel, bei meiner armen Seele! Bin ja Aufwärter geweſen in dem Jeſuiterkollegium zu Aſſumption, weis im Guvernement der Los Padres ſo gut Beſcheid wie uf den Gaſſen zu Cadix. Das iſt Ihnen noch ’n Königreich, das ſich gewaſchen hat. Schon jezt hat’s mehr als dreihundert Meilen im Umkreiſe, und iſt in dreiſſig Provinzen eingetheilt. {Los Padres} ſchieben alles in ihren Sak, und das Volk hat nicht mal ’ne lahme Laus, die ſein wäre. Wie ſchlau dort die Gerechtigkeit iſt! Wie klug ſie alles eingefädelt haben! O darüber geht nichts! Ne! ſolche herrliche kapitale Kerls giebt’s gar nicht mehr wie {Los Padres}! Hier ziehn ſie gegen den König von Spanien und von Portugall zu Felde, dort bebeichten und beabendmalen ſie ſie, hier knikken ſie den Spaniern uf’n Kopf, dort beten ſie ſie mit Leib und Seel in’n Himmel. ’s iſt ganz allerliebſt! Nur immer die Sporen in die Rippen! — Nun werden Sie erſt recht in’s Wohlleben ’reinkommen und uf ’nen grünen Zweig! Sie werden ſich recht in der Seele freuen, Los Padres, wenn ſie hören, daß ’n Hauptmann zu ihnen ſtöſt, der’s Bulgariſche Manövriren verſteht. Am erſten Schlagbaume ſagte {Kakambo} zur Schildwacht: Es wär’ ein Hauptmann da, der dem Herrn {Kommandanten} ſeine Aufwartung machen wollte. Sofort wird’s der Hauptwache gemeldet, und ein Paraguaiſcher Offizier bringt dem {Kommandanten} davon Rapport. {Kandide} und {Kakambo} werden entwafnet, und die beiden Andaluſiſchen Gäule in Beſchlag genommen. Man führte ſie durch zwei Reihen Soldaten; am Ende ſtand der {Kommandant}, ein dreiekkichtes Barett auf, den Rok zurükgeſchlagen, den Degen an der Seite, das Sponton in der Hand. Er winkte, und ſogleich umringten vierundzwanzig Soldaten die beiden Fremden. Ein Sergent ſagte zu ihnen: Sie müſſten ſich gedulden: der Herr {Kommandant} könnte ſie nicht ſprechen, denn Ihro Hochehrwürden der Pater Provinzial erlaubte keinem Spanier anders als in ſeiner Gegenwart das Maul aufzuthun, und duldete ihn nicht länger im Lande, als höchſtens drei Stunden. Und wo ſind Ihro Hochehrwürden? frug {Kakambo}. „Uf der Parade, Sie haben eben Ihre Meſſe geleſen. Vor drei Stunden können Sie ſeine Sporen nicht küſſen.“ „Er iſt aber keen Spanier der Herr Hauptman, und wir möchten beede vor Hunger umfallen. Könnten wir nicht derweil ein bischen frühſtükken, bis Ihro Hochehrwürden kommen?“ Sogleich rapportierte der Sergent dem {Kommandanten}. Ein Teutſcher! rief er, ein Teutſcher! O Gott Lob, da kann ich ihn ſprechen. Man führ’ ihn in die Gartenlaube. Und man brachte ſie ſofort in ein kleines grünes Luſthaus. Es war mit einer gar ſtattlichen Reihe von grünen Marmorſäulen geſchmükt, deren Knauf und Schaft vergoldet war; dahinter lief ringsum ein artiges Gitterwerk, worin ſich Papagaien, Kolibris, Fliegenfänger, Pintados und die allerſeltenſten Vögel befanden. Das herrlichſte Frühſtük ward in goldnen Geſchirren aufgetragen. Unter der Zeit lagen die Paraguaier mitten im Felde bei der ſtechendſten Sonne, und aſſen Maiz aus hölzernen Schüſſeln. Nicht lange, ſo trat der wohlehrwürdige Pater {Kommandant} herein. Ein bildſchöner junger Mann; ſein Auge war feurig, Lipp’ und Wange rot, die Augenbraunen wohlgewölbt, das Geſicht rund und ziemlich weis. Er hatte in ſeinem Betragen etwas Edelſtolzes, das aber weder den Spanier noch den Jeſuiten ankündigte. {Kandiden} und {Kakambo’n} wurden ihre abgenommnen Waffen und ihre beiden Andaluſier wieder zugeſtellt. {Kakambo} gab ihnen an der Thüre des Gartenhauſes Hafer zu freſſen, und damit ihnen kein Tukmäuſerſtükchen geſpielt würde, verlies er ſie mit keinem Auge. {Kandide} küſſte dem {Kommandanten} den Saum ſeines Roks, und darauf ſezten ſie ſich zu Tiſche. So ſind Sie ein Teutſcher? fragte ihn der {Kommandant} in dieſer Sprache. Worauf ich nicht wenig ſtolz bin, Ihro Wohlehrwürden, antwortete {Kandide}. Bei dieſen Worten fuhren ſie beide zuſammen, ſahen einander ſtarr an, mit einer Bewegung, die ſie nicht bergen konnten. {Der Kommandant}. Und aus welcher Provinz? {Kandide}. Aus’ dem Rauchloche, dem Herzogthume Weſtphalen, und bin auf dem Ritterſiz {Donnerſtrunkshauſen} geboren. {Kommandant}. Heiliger Gott! wär’s möglich! {Kandide}. Welch Wunderwerk! {Kommandant}. Sollten Sie’s wirklich ſein? {Kandide}. Es iſt gar nicht möglich. Sie fielen ſich um den Hals, hingen feſt an einander, konnten nicht zu Worte kommen, ſtrömten ſich in Freudenthränen aus. {Kandide} erhielt die Sprache zuerſt wieder: So hab’ ich den Bruder der reizenden {Kunegunde} in meinen Armen! Ja er iſt’s, der Sohn des Herrn Barons. Es iſt Junker {Polde}, der von den Bulgaren getödtet wurde! Und iſt jezt Jeſuit in Paraguai! Warlich, es geht wunderbar her in der Welt! O {Panglos}! {Panglos}! wie würdeſt Du Dich freuen, wenn Du nicht am Galgen hingeſt. Der {Kommandant} gab ſeinen Negerſklaven und Paraguaiern, die ihnen in bergkriſtallnen Bechern Wein eingeſchenkt hatten, einen Wink hinauszugehn. Und nun pries er Gott und den heiligen Ignatius tauſendmal und drükte {Kandiden} an ſeine Bruſt. Sie ſchwammen in Thränen. {Kandide}. Schon ſo im Rauſch der Freude Baron! O! viel zu früh! Das vollſte Maas von Seeligkeit erwartet erſt Ihrer! Ihre todtgeglaubte Schweſter lebt, iſt friſch und munter. {Kommandant}. {Kunegunde} lebte noch? Wäre wol auf? Wo iſt ſie denn? wo? {Kandide}. Ganz in der Nähe, beim Herrn Stathalter von Buenosayres. Nun hub {Kandide} an, alles zu erzählen, was ſich ſeit ſeiner Schlosverweiſung bis zu ſeiner Reiſe nach Amerika zugetragen hatte. Der gejeſuitete {Baron} lauſchte mit begierigem Ohr, und den vollſten Seelenblikken. Als {Kandide} ſeine lange Erzählung geendet hatte, fingen ſie als ehrliche Teutſche an, tapfer zu zechen. Und da der {Pater Provinzial} noch nicht kam, begann der {Kommandant} ſeine Erzählung wie folget. {Kandide} war ganz Ohr, und ganz Herz. 15. Fünfzehntes Kapitel. // Weshalb {Kandide} den Bruder ſeines Mädchens tödtet. Der gräsliche Tag, an dem ich Vater und Mutter tödten und meine Schweſter ſchänden ſahe, wird mir nie aus den Gedanken kommen. Nach dem Abmarſch der Bulgaren ſuchte man meine anbetungswürdige Schweſter allenthalben, und fand ſie nirgends. Meinen Vater, meine Mutter, mich, die Leichname von zwei Mägden und drei kleinen Buben warf man auf einen Karrn, um uns nach einer Jeſuiterkapelle zu führen, die zwei Meilen von meines Vaters Schloſſe lag. Ein Jeſuit beſprengte uns mit Weihwaſſer; es war ſalzig wie all’ der Teufel; einige Tropfen davon ſprüzten mir in’s Auge: der Pater merkte, daß meine Augenlieder etlichemal zukten. Er legte die Hand auf mein Herz, und fühlte es ſchlagen. Die geſchikteſten Wundärzte verwandten ihre Kunſt an mir, und binnen drei Wochen war ich wieder völlig auf den Beinen. Ein recht hübſcher Junge war ich immer, wie Ihr wiſſt {Kandide}; jetzt hatte ich ganz die lachende, blühende Geſtalt von Gott Amor. Auch ward der ehrwürdige Pater {Kruſt}, der dortige Superior, mein ſehr {warmer} Freund; kleidete mich ein, und ſandte mich nicht lange darauf nach Rom. Der Pater General warb damals junge Teutſche Jeſuiten an. Höchſt ungern nemen die Paraguaiſchen Monarchen Spanier; Ausländer weit lieber; ſie denken ſie eher lenken und bändigen zu können. Der ehrwürdige Pater General fand mich tüchtig, ein Arbeiter in dieſem Weinberge des Herrn zu werden. Ich reiſte mit einem Tiroler und Polen hieher. Gleich nach meiner Ankunft ward ich Unterdiakonus und Lieutnant, jetzt bin ich Obriſter und Prieſter. Und nun, {Kandide}, las ſie ankommen, die Königlichen Truppen, las ſie ankommen! Wir wollen ſie fegen! Ich bin Dir Manns dafür. Sie ſollen derbe Schlappen bekommen und den Kirchenbann obenein. Die Vorſicht hat Dich noch zur rechten Zeit zu unſerm Beiſtand hergeſandt. Aber ſag mir, guter Junge, lebt meine liebe Schweſter wirklich noch? und iſt ſie hier in der Nähe beim Herrn Stathalter von Buenosayres? „Bei Gott! es iſt keine Lüge!“ Und ſie ſtrömten von neuen in Thränen aus. Der {Baron} hing an ſeinem Halſe, konnte gar nicht los von ihm, nannte ihn ſeinen Bruder, ſeinen Retter. O! {Kandide}, rief er, trauter {Kandide}! Zögen wir doch erſt als Sieger in die Stadt ein und führten Schweſter {Kunegunden} zurük. Mein einziger Wunſch! ſagte {Kandide}, denn ich war Willens ſie zu heuraten, und bin’s auch noch. Der {Baron} ris ſich los von ihm, ſchleuderte ihn zurük. „Übermütiger Bengel! heurathen wollt Ihr meine Schweſter! Ihr ſie heurathen! Ein Fräulein von zweiundſiebenzig Ahnen! Verdammt über die Unverſchämtheit! Und iſt ſo kek, die Bürgerkanalje, und ſagt mir die infame Sotiſe in’s Geſicht!“ {Kandide} ſtand da, wie {Laokoon’s} Bildſäule, und ſagte, wie er wieder Worte fand: Mein wohlehrwürdger Pater, alle Ahnen auf Gottes Erdboden können hier nicht in Anſchlag kommen! Ich ris Ihre Schweſter aus den Armen eines Inquiſitors; ſie hat mir nicht wenig Verbindlichkeiten, und deshalb giebt ſie mir ihre Hand ganz von freien Stükken. Magiſter {Panglos} hat mir immer geſagt, daß alle Menſchen einander gleich ſind. Daher können Sie verſichert ſein, ich heurate ſie. Wollen ſehn Schurke! Wollen ſehn! rief der gejeſuitete {Baron} von {Donnerſtrunkshauſen}, und gab ihm mit der flachen Klinge einen derben Hieb über’s Geſicht. {Kandide} gleich heraus mit ſeinem Degen, und ihm denſelben bis an den Heft in den Leib gejagt. Doch wie er ihn rauchend herauszog, hub er bitterlich an zu weinen. O mein Gott! da hab’ ich ihn umgebracht meinen alten Herrn, meinen Freund, meinen Schwager. Bin ſolch erzgutes Geſchöpf, und habe nun ſchon drei Menſchen ermordet! Und unter den dreien zwei Prieſter. {Kakambo}, der an der Luſthausthüre Schildwacht geſtanden hatte, kam hereingeſprungen. Jezt müſſen wir uns unſrer Haut wehren, fechten ſo lang’ wir noch einen Finger rühren können! rief ihm ſein Herr zu. Unangegriffen bleiben wir gewis nicht. {Kakambo}, der den Karrn ſchon weit ärger hatte im Kote ſtekken ſehn, lies die Flügel noch gar nicht ſinken, und ſchob wieder in einem Hui den Karrn auf’s Trokne, und das auf folgende Art: Er warf das Jeſuiterkleid des getödteten {Baron’s} ſeinem Herrn um, ſezte ihm das Baret auf, half ihm auf’s Pferd, und ſagte: Nu zugejagt Herr, was ’s Zeug hält! Man wird Sie für einen jeſuitſchen Adjutanten anſehn, und wir werden über die Grenze ſein, eh’ man uns nachjagen kann. Und damit vorangejagt, und auf Spaniſch gerufen: Plaz da! Plaz! Ihro Wohlehrwürden kommen, der Herr Obriſter! 16. Sechzehntes Kapitel. // Zwei Mädchen und zwei Paviane ſtoſſen unſern Reiſenden auf. Wie’s ihnen bei den Wilden, {die Langohren} genamſt, ergeht. {Kandide} war mit ſeinem {Bedienten} ſchon über die Grenze, und noch krähte im Lager nicht Huhn noch Hahn über des Teutſchen Jeſuiten Tod. Der ſorgſame {Kakambo} hatte ſeinen Mantelſak mit Pumpernikel, Schokolat, Schinken, Knakwurſt, Obſt und einigen Maaßen Wein gar wohl beſpikt. Sie waren ſchon ziemlich tief in einem wildfremden ganz ungebahnten Lande, als ſie eine ſchöne von vielen Bächen durchſchnittne Wieſe vor ſich liegen ſahen. Hier lieſſen ſie ihre Gäule weiden, und {Kakambo} that ſeinem {Herrn} den Vorſchlag zu eſſen, und ging ihm mit gutem Beiſpiele vor. Ich, Schinken eſſen, {Kakambo}, und habe den Sohn des Herrn Barons erſchlagen; darf meine {Kunegunde} in meinem Leben nicht wiederſehn! Wozu hülf’ es, ein elendes Leben zu friſten, das ich fern von meiner Geliebten in Reu’ und Verzweiflung zubringen mus. Und überdem, wie wird das {Journal} zu {Trevoux} mir mitſpielen, wenn dasſelbe es erfährt. So ſprach {Kandide} und aas dabei ein Stükchen Schinken nach dem andern, trank ein Gläschen auf’s andre. Die Sonne ging unter. Unſre Verirrten hörten ein ſchwaches Gekreiſch; es däuchte ihnen Weibergekreiſch. Sie wuſſten nicht ob’s Geſchrei der Freude oder der Angſt war, ſprangen auf mit all’ der Unruh’ und Beſorgtheit, die man in einem ganz fremden Lande zu haben pflegt, wenn man nur ein Eſpenblatt rauſchen oder einen ſtarken Laut ſchallen hört. Wie ein Bliz kamen ein Paar Mädchen [in puris naturalibus] über die Wieſe weggeſchoſſen, und hinter ihnen drein zwei Affen, die ſie in die Lenden biſſen. Dieſe Dirnen erhuben jenes Gekreiſch. {Kandiden} jammerte der Anblik, er hatte bei den Bulgaren ſchieſſen gelernt und hätte wohl eine Nus aus einem Haſelbuſch herunterbüchſen können, ohne die Blätter zu ſtreifen. Er ſchlug ſeine doppelte Spaniſche Flinte an, und erſchos die beiden Affen. Gott Lob mein lieber {Kakambo}, ſagte er, die armen Mädchen hab’ ich aus recht groſſer Gefahr gerettet. Beging ich Sünde, daß ich einen Inquiſitor und einen Jeſuiten tödtete, ſo hab’ ich jezt an dieſen Mädchen ein recht verdienſtliches Werk gethan. Ich bin der Retter ihres Lebens. Vielleicht ſind ſie von vornemem Stande, und ſo kann uns dies Abenteuer hier im Lande viel Vortheil verſchaffen. Er verſtummte aber plözlich, als er ſahe, daß dieſe beiden Dirnen zärtlich die Affen umarmten, in Thränen über ihre Leichname ſchmolzen, und mit dem wehmütigſten Geſchrei die Lüfte erfüllten. So viel Güte des Herzens hätt’ ich den Mädchen nicht zugetraut, ſagte endlich {Kandide}. {Kakambo}. Sie haben wieder ’nen ſchönen Streich gemacht. Die Herren Paviane, die ſie eben niedergebüchſt, ſind ja die feinen Liebchen von den beiden Dirnen! {Kandide}. Das ihre Liebhaber! Schäker! wie wär das möglich? Wie iſt das glaublich? {Kakambo}. Als wär’ das wieder ſo was zu verwundern! Was iſt das nu mehr, daß es ’n Land in der Welt giebt, wo Pavians bei den Weibern Hahn im Korbe ſind. Es ſind Viertelmenſchen ſo wie ich ’n Viertelſpanier. {Kandide}. Ha! ich beſinne mich von Magiſter {Panglos} gehört zu haben, daß ehemals ſich dergleichen zugetragen, und daß aus dieſer Vermiſchung die Aegipane, Fau’n und Satyrn entſtanden wären; daß viele groſſe Männer des Alterthums ſie geſehn hätten. Ich nam aber das alles für Märchen. {Kakambo}. Und iſt doch die helle, klare Wahrheit, wie Sie nun mit Händen greifen können! Sehn Sie, ſo machen’s die Mädel, die niemals unter der Scheere der Mutter oder ’ner wohlehrbaren, ſteifen Franzöſin geſtanden haben. Da haben Sie die liebe Natur! — — Bei alle dem iſt mir gar ſchwul zu Mute, Ich fürchte, ich fürchte, die Damen werden uns ’nen gar ſaubern Brei einbrokken. {Kandide} fand, daß ſein {Kakambo} eben nicht Unrecht hatte, und machte ſich ſamt ihm tiefer in’s Land hinein. Sie lagerten ſich mitten in einem Gebüſch, und aaſſen ihr Abendbrod; vermaledeiten den {Grosinquiſitor}, den {Guvernör von Buenosayres}, und den {Baron}, und ſchliefen auf Mooſe ganz ruhig ein. Beim Erwachen merkten ſie, daß ſie ſich nicht rühren konnten. Und das kam daher: die dortigen Einwohner, die {Langohren}, an welche die beiden Damen ſie verraten, hatten ſie in der Nacht mit Strikken von Baſt zuſammengebunden. Ringsum ſtanden ſo ein funfzig {Langohren}, ganz nakt, Pfeile, Keulen und Äxte von Kieſelſtein in den Händen. Einige ſezten einen groſſen Keſſel über das Feuer, das ſie anblieſen; andre ſchnizten Bratſpieſſe, und alle insgeſamt ſchrien; ’N Jeſuit! ’N Jeſuit! Da wollen wir unſer Mütchen kühlen! ’S ſoll ’n gar herrlicher Fraß ſein! Wollen ’n uffreſſen, den Jeſuiten! Wollen ’n uffreſſen! Hab’ ich’s Ihnen nicht geſagt, lieber Herr, rief {Kakambo} kopfhängend, die Mädel würden uns ’ne gar ſaubre Paſtete anrichten? Zuverläſſig werden wir geſotten oder gebraten! rief {Kandide}, wie er den Keſſel und die Bratſpieſſe ſahe. Ha! was würde Magiſter {Panglos} ſagen, wenn er ſo die Natur in all’ ihrer Rohigkeit ſähe! Es iſt alles gut gemacht; es ſei drum, aber doch muß ich geſtehn, es iſt hart, äuſſerſt hart, daß ich Barones {Kunegunden} verloren habe, und hier von den {Langohren} an den Spies geſtekt werde. {Kakambo}, der ſich ſtets aus dem verworrenſten Haufe zu haſpeln wuſſte, ſagte zum troſtloſen {Kandide}: Immer getroſt, Herr. Ich verſteh’ der Kerls ihr Rothwälſch ’n wenig. Ich will hin, und mit ihnen ſprechen. Vergis ja nicht, ſagte {Kandide}, ihnen auf’s lebhafteſte vorzuſtellen, daß es gräsliche Unmenſchlichkeit iſt, Menſchen zu braten, und daß dieß wenig chriſtlich gedacht iſt. Nicht wahr, Kinderchen, ſagte {Kakambo}, Ihr denkt, Ihr wollt heut ’nen Jeſuiten ſchmauſen! Das iſt recht löblich! Recht brav, wenn man ſo mit ſeinen Feinden verfährt. Schlag Deinen Nächſten todt! Das iſt nach der Natur Rechtens, und das gilt allenthalben uf Gottes weitem Erdboden. Daß wir ihn nun nicht uffreſſen, wie’s auch nach der Natur Rechtens iſt; nu das kömmt daher, wir haben ſchon ſonſt lekre Gerüchte; Ihr guten Leute aber nicht, und da iſt’s denn immer freilich beſſer, ſeine Feinde in ſeinem Magen zu begraben, als die Frucht ſeines Sieges den Raben und Krähen Preis zu geben. Aber Kinderchen, Eure guten Freunde werdet Ihr doch nicht verzehren wollen? Ihr denkt ’nen Jeſuiten an den Spies zu ſtekken, und ’s is Eur Schutzpatron, ’n erzabgeſagter Feind von Euren Feinden, die Ihr röſten wollt. Was mich anlangt, ich bin in Eurem Lande geboren, und der junge Mann da, is mein Herr, und nichts weniger als ’n Jeſuit; hat vielmehr ’nen Jeſuiten kapponirt, und ſeine Jakke angezogen, und eben darum habt Ihr Euch geirrt. Damit Ihr nun ſeht, daß ich kein Windbeutel bin, ſo nehmt den Rok, zeigt ihn an dem erſten Gränzorte von {Los Padres}, und fragt, ob mein Herr nicht ’nen Jeſuitſchen Offizier kalt gemacht hat. ’S is ja nur ’n Kazenſprung bis dahin, und findet Ihr, daß ich Euch belogen habe, ſo könnt Ihr uns ja noch immer freſſen. Hab’ ich Euch aber reinen Wein eingeſchenkt, nu, ſo wiſſt Ihr zu gut, was Rechtens iſt, als daß Ihr uns nicht begnadigen ſolltet. Hat ganz recht! ſchrien die {Langohren}, und ſie trugen zwei von den Älteſten des Landes auf, einen Wips nach dem Jeſuiterlande zu machen, und ſich nach der Wahrheit zu erkundigen. Als Leute von Kopf richteten ſie ihren Auftrag glüklich aus, und brachten gar fröhliche Mähr mit. Die Langohren banden ihre Gefangnen los, erwieſen ihnen ungemein viel Höflichkeiten, ſezten ihnen Mädchen und Erfriſchungen vor, und begleiteten ſie bis an die äuſſerſten Grenzen, unter dem lauten Jubelgeſchrei: ’H iſt keen Jeſuit nicht! ’S iſt keen Jeſuit nicht! Sonderbar die Urſach meiner Befreiung, ſagte {Kandide}. Und ſonderbar dies Volk und ihre Sitten! Wie gut es war, daß ich dem Bruder der Barones {Kunegunde} den Degen bis an den Heft in den Leib gejagt hatte, ſonſt hätt’ ich ohne alle Barmherzigkeit an den Spies gemuſſt. Bei alle dem, die pure, rohe Natur iſt auch ſo übel nicht. Denn wie äuſſerſt höflich waren nicht die Leutchen gegen mich, als ſie erfuhren, ich wäre kein Jeſuit; da war gar nicht mehr die Rede vom Auffreſſen. 17. Siebzehntes Kapitel. // {Kandide} kömmt mit ſeinem {Bedienden} nach {Eldorado}. Was ſie da ſahen. Wie ſie über den Grenzen der {Langohren} waren, ſagte {Kakambo} zu {Kandiden}; Sie ſehn wohl, dieſe Hälfte der Erdkugel iſt ſo wenig ’nen Pfifferling wert, wie jene. Das Geſcheitſte wäre, wir gingen wieder nach Europa, und das je ehr, je beſſer. {Kandide}. Wieder nach Europa? Und wo denn hin? Nach Weſtphalen, da ſchlagen Bulgaren und Abaren todt, was lebendigen Odem hat; nach Portugall? Da werd’ ich verbrannt; und bleiben wir hier, ſo ſind wir keinen Augenblick ſicher geſpieſt und aufgezehrt zu werden. Und doch kann ich mich nicht entſchlieſſen, {den} Theil der Welt zu verlaſſen, der meine Kunegund’ in ſich ſchlieſt. {Kakambo}. I wiſſen Sie was! ſo wollen wir nach Karolina gehn. Dort finden wir Engländer, die ziehn durch die ganze Welt. Helfen thun uns die gewis; ’s ſind gar gute Geſchöpfe, und Gott wird uns auch beiſtehn. Nach Karolina zu kommen, war ſo leicht eben nicht. Nach welcher Seite ſie ihre Richtung nemen muſſten, wuſſten ſie wohl ſo ungefähr; allein von allen Seiten her thürmten ſich ihnen ſchrekliche Hinderniſſe entgegen; Gebürge, Flüſſe, Abgründe, Straſſenräuber und Wilde. Ihre Gäule wollten vor Strapaze umfallen, ihr Proviant war rein alle; ſchon einen ganzen Monat lang nährten ſie ſich mit Kokosfrüchten. Endlich gelangten ſie an das Ufer eines kleinen Fluſſes, das mit Kokosbäumen beſezt war. Da fanden ſie wieder Nahrung ihres Lebens und ihrer Hoffnung. {Kakambo}, ein ſo ſtattlicher Rathgeber wie die {Alte}, ſagte zum {Kandide}: Weiter können wir nicht; haben auch ſchon ’nen ganz art’gen Marſch gemacht. Dort am Ufer ſteht ’n leeres Kanot, wollens mit Kokosnüſſen anfüllen, und uns h’reinwerfen. Der Strom mag uns hinführen, wo er hin will. Er bringt uns gewis nicht hin, wo die Welt mit Brettern vernagelt iſt. Mag’s uns nun gut gehn oder nicht; kriegen wir doch wieder was Neues zu Geſichte. Es ſei drum, ſagte {Kandide}. Die Vorſicht ſteh’ uns bei. Sie trieben ſo etliche Meilen fort; bald war das Geſtade blühend und lachend, bald öd’ und dürr, bald niedrig, bald ſteil. Der Flus ward immer breiter, und verlor ſich in eine Kluft von ſchreklichen, himmelanſtrebenden Felſen. Die beiden Reiſenden waren ſo dreiſt, ſich auch hier noch den Fluten zu überlaſſen. Der Flus verengte ſich hier und ris ſie mit fürchterlichem Getöſe ſchnell hindurch. Nach vierundzwanzig Stunden ſahen ſie das Tageslicht wieder, ſcheiterten aber gegen die Klippen. Eine ganze Meile weit muſſten ſie ſich von Klippe zu Klippe fortarbeiten; endlich lag eine unermesliche Pläne vor ihnen, um die ſich eine Kette unerſteiglicher Gebürge ſchlang. Wohl gepaart herrſchten Nuzen und Vergnügen auf dieſen Feldern, und der Nuzen hatte immer die Mine des Angenemen. Auf allen Wegen und Stegen prangten Wagen einher, deren Bauart ſo ausnemend nett war, als glänzend die Materialien; bildſchöne Männer und Weiber ſaſſen darauf; groſſe rote Hämmel zogen ſie mit der gröſſten Schnelligkeit fort. An Flüchtigkeit übertrafen dieſe Thiere die beſten Gäule aus Andaluſien, Tetuan und Mequinez. Das iſt ja ein ganz andres Land, als Weſtphalen! rief {Kandide}. Bei dem erſten Dorfe, das ſie antrafen, klimmte er mit {Kakambo’n} vom Felſen herunter. Wie ſie in den Flekken hereintraten, fanden ſie einige Bauerjungen in zerlumpten brokatnen Jakken, Trefſtein ſpielen. Sie konnten ſich gar nicht ſatt an ihnen ſchauen. Ihre Steine waren ziemlich breit, rund, ſahen gelb rot und grün aus, und hatten ausnemenden Glanz. Unſre Reiſende kamen auf den Einfall, einige davon aufzuheben, und ſiehe! es waren Smaragden, Rubinen und Gold. Der kleinſte von dieſen Edelſteinen würde dem Thron des Grosmogols zur gröſſten Zierde gedient haben. Vermutlich müſſen das die Königlichen Prinzen ſein, die hier Trefſtein ſpielen, ſagte {Kakambo}. Der Dorfſchulmeiſter erſchien in dieſem Augenblik, um ſie in die Schule zu treiben. Ha! ihr Inſtruktor! rief {Kandide}. Sogleich trollten ſich die kleinen Bettelbuben vom Spiel’ und lieſſen ihre Steine und all’ ihr Spielzeug auf der Erde liegen. {Kandide} hob’s auf, rannte dem Meiſter {Donat} nach, überreichte es ihm in der demütigſten Stellung, und gab ihm pantomimiſch zu verſtehn: Ihro Königlichen Hoheiten hätten ihr Gold und Kleinodien vergeſſen. Lächelnd warf der Schulmonarch beides auf die Erde, ſah’ einen Augenblik {Kandiden} mit groſſen weit ofnen Augen und Munde an, und wanderte ſeines Weges. Hurtig hoben unſre Herren aus der andern Welt das Gold, die Smaragden und Rubine wieder auf. Wo ſind wir? rief {Kandide}. Die Königsſöhne hier müſſen recht philoſophiſch erzogen werden, da ſie Gold und Edelgeſteine ſo frühzeitig verachten lernen. {Kakambo} ſtuzte diesmal ſo ſehr wie ſein {Herr}. Endlich kamen ſie an das erſte Haus im Dorfe, völlig gebaut wie ein Europäiſcher Pallaſt. Ein buntes Gewühl von Menſchen war vor der Thüre, inwendig ein noch bunters. Die melodiſchte Muſik ſcholl ihnen entgegen, der lieblichſte Geruch duftete aus der Küche her. Kakambo, der vorangegangen war, hörte das man darin Peruiſch ſprach; das war ſeine Mutterſprache. {Kakambo} war, wie die Welt weis, aus Tukuman; ein Dorf, wo man keine andre Sprache kennt. Ich will Ihr Dolmetſcher ſein, ſagte er zum {Kandide}. Laſſen Sie uns h’reingehn. ’S is ’n Wirtshaus. Zwei junge Geſellen und zwei junge Dirnen, Aufwärter im Gaſthofe, mit Goldſtük angethan und das Haar mit Band aufgeflochten, nötigten ſie ſogleich an die Wirtstafel. Man trug vier Potagen auf; jede war mit zwei Papageien garnirt, einem geſottnen Kuntur von zweihundert Pfund und zwei gebratnen Affen von treflichem Wolgeſchmak. Man ſezte dreihundert Kolibris in Einer Schüſſel auf, und ſechshundert Fliegenfänger in einer andern, und die köſtlichſten Ragouts und Paſteten und das niedlichſte Gebakne. Das alles lag auf Schüſſeln, von einer Art Bergkriſtall gemacht. Die Aufwärter und Aufwärterinnen ſchenkten vielerlei Getränke ein, alle aus Zukkerrohr verfertigt. Die meiſten Gäſte waren Kaufleute und Kärner, Männer von ungemein viel Lebensart und Weltton. Die Fragen, die ſie an {Kakambo’n} thaten, verrieten insgeſamt den vorſichtigen, beſcheidnen und verſtändigen Mann; über alles was er wiſſen wollte, gaben ſie ihm die hinlänglichſte Auskunft. Als ſie abgegeſſen hatten, warf {Kakambo} und {Kandide} zwei von den aufgehobnen Goldſtükken hin, womit ſie ihre Zeche recht reichlich zu bezahlen glaubten. Die Hände geſtemt in keuchende Seiten konnten der {Wirt} und die {Wirtin} vor Lachen lange nicht zu ſich kommen. Sie ſind Fremde, merken wir wohl, ſagte der {Wirt} endlich, und Fremde haben wir noch gar nicht zu Geſichte gekrigt. Müſſen’s uns ja nicht übel nemen, daß wir beide vorhin ſo aufpruhſteten, mein Weib und ich. ’S kam uns gar zu ſchnurrig vor, daß Sie uns mit Feldſteinen bezahlen wollten. Vermutlich haben Sie keen ſolch Geld, als bei uns zu Lande gäng’ und gebe iſt. Thut aber weiter nix, können deshalb doch immer Zehrung bekommen, und Dach und Fach noch oben ein. Bei uns ſind die Wirtshäuſer angelegt, Handel und Wandel in Flor zu bringen, und wir Wirte werden vom Könige bezahlt. Schmalhans iſt freilich heut’ Ihr Küchenmeiſter geweſen, aber laſſen Sie’s man gut ſin, wo Sie nun hinkommen werden, wird man Ihnen recht nach Standesgebühr und Würden uffſchüſſeln. Unſer Dörfchen iſt grade das eenzge im ganzen Reiche, wo die Einwohner nicht viel in die Milch zu brokken ha’n. Alles dies verdolmetſchte {Kakambo} {Kandiden}, der darüber nicht weniger in Verwirrung geriet, ſich daraus ſo wenig zu finden wuſſte, wie jener. Was mus dies für ein Land ſein, ſagte {Kandide}, das dem übrigen Theil des Erdbodens unbekannt iſt, und wo man ſo ganz — — Das groſſe volle Herz // Von Mutterlieb Natur ſieht. Vermutlich iſt’s das Land, wo alles gut geht. Denn ein ſolches Land mus es doch platterdings geben. Und was auch Magiſter {Panglos} ſagte, ſo hab’ ich doch oft bemerkt, daß es in Weſtphalen ziemlich ſchlecht beſtellt war. 18. Achtzehntes Kapitel. // Was ſie in {Eldorado} ſahen. Der neugierige {Kakambo} legte dem Wirt ſo viel Fragen vor, daß ihm dieſer keine Auskunft mehr geben konnte. Dum bin ich nun herzlich, aber es ſchad’t mir nichts, ſagte der {Wirt}. Wiſſen Sie was, wir haben ’nen alten Herrn hier, vor dieſem war er bei Hofe; ’nen hochgeſtudiertern Mann giebt’s im ganzen Lande nicht. Geben Sie dem halbweg ein gut Wort, ſo kramt er Ihnen all’ ſeine Gelehrſamkeit aus. ’S is ne rechte gute ehrliche Haut. Sogleich führte er {Kakambo’n} zu dem {Alten}. {Kandide}, der jezt die zweite Rolle ſpielen muſſte, begleitete ſeinen {Bedienten}. Das Haus des Gelehrten ſah ganz ſchlecht und recht aus. Die Thür beſtand aus kahlem Silber, die Vertäflung der Zimmer aus lumpichtem Golde, war aber ſo geſchmakvoll gearbeitet, daß ſie von der reichſten Vertäflung nicht verdunkelt wurde. Das Vorzimmer war freilich nur mit Rubinen und Smaragden ausgelegt; allein alles daſelbſt, ſo ſchiklich geordnet, daß man dieſe bäuriſche Einfalt bald darüber vergas. Der {Greis} nötigte die beiden Fremden auf ein mit Kolibrisdunen ausgeſtopftes Sopha, und lies ihnen in diamantenen Geſchirren allerhand Likörs vorſetzen; hierauf befriedigte er ihre Neugier folgendermaſſen: Ich bin hundertundzweiundſiebenzig Jahr alt, und habe von meinem Vater, dem Königlichen Stallmeiſter die erſtaunlichen Meutereien gehört, die in Peru vorgefallen ſind, und wovon er Augenzeuge geweſen. Das Reich, worin wir uns befinden, iſt der Stammſiz der Inkas. Um einen andern Welttheil zu unterjochen, verlieſſen ſie ihn höchſt unweislich, und wurden von den Spaniern ganz aufgerieben. Die Fürſten von ihrem Geblüt, die in ihrem Vaterlande blieben, waren weiſer; ſie lieſſen die Verordnung ergehn, daß kein Einwohner je unſer kleines Reich verlaſſen ſollte: ein jedweder hat ſich darnach gefügt, und eben darum beſizen wir unſre Unſchuld und Glükſeligkeit noch völlig. Die Spanier haben von dieſem Lande einen dunkeln Begrif gehabt und es {Eldorado} genannt, und ein Engländer, der Ritter {Raleigh}, hatt’ es, vor hundert Jahren ziemlich nah’ im Wurf; dennoch ſind die uns umringenden unerſteigliche Felſen, und unzugangbaren Abgründe eine Bruſtwehr gegen die Raubgier der Europäiſchen Nationen geweſen, die — was uns unbegreiflich iſt — auf unſre Kieſelſteine und auf unſern Kot eine ganz auſſerordentliche Begier haben, und im Stande wären, uns alle umzubringen, um nur des Bettels habhaft zu werden. Ihre Unterredung dauerte lange. Sie betraf die Regierungsform, die Sitten, die Weiber, die öffentlichen Schauſpiele, die Künſte. Endlich ließ {Kandide}, deſſen Stekkenpferd Metaphyſik war, ſich durch {Kakambo’n} erkundigen; ob ſie hier zu Lande Religion hätten. Und daran könt Ihr noch zweifeln? ſagte der {Greis}, und eine feine Röte bezog ſeine Wange. So haltet Ihr uns für Undankbare? {Kakambo} fragte ganz demüthiglich, was ſie für eine Religion hätten. Sollt’ es denn mehr geben können, als eine Religion? entgegnete der {Greis}, und ſeine Wange färbte ſich von neuem. Ich denke, wir haben {die} Religion, welche die ganze Welt hat; wir beten Gott an vom Morgen bis zum Abend. Sie beten nur Einen Gott an? ſagte {Kakambo}, deſſen Amt es war, {Kandide’s} Zweifel zu verdolmetſchen. Als wenn es deren zwei, drei oder viere gäbe! erwiederte der {Alte}. Warlich! Ihr Leute vom andern Welttheil fragt manchmal ganz ſonderbar. {Kandide}, des Erkundigens noch nicht überdrüſſig, fragte durch ſein Sprachrohr, wie ihre Gebete beſchaffen wären. Von Gebeten wiſſen wir nichts, antwortete der gute und ehrwürdige {Weiſe}. Wozu ſollen wir Gebete zu Gott ſenden? Er gibt uns ja alles, was zu unſers Leibes Nahrung und Notdurft gehört. Dankopfer bringen wir ihm aber unaufhörlich. {Kandide} war neugierig ihre Prieſter kennen zu lernen, und erkundigte ſich, wo ſie wären. Prieſter, antwortete der gute {Greis} lächelnd, iſt jedermann bei uns. Der König, und jeder Hausvater ſingt Gott jeden Morgen ſein Loblied in Begleitung von ſechstauſend Geigern und Pfeifern. „So habt Ihr alſo keine Mönche, die Lehr’ und Troſt ertheilen, Gekrett’ und Hezereien anfangen, das Regimentsruder ergreifen, und Leute verbrennen laſſen, die nicht ihrer Meinung ſind.“ Thoren wären wir dann, ſagte der {Greis}. Wir ſind insgeſamt Einer Meinung zugethan, und verſtehn gar nicht, was Ihr mit Euren Mönchen ſagen wollt. {Kandiden} ſezten dieſe Reden in die äuſſerſte, freudigſte Verwunderung, und er ſagte bei ſich: Ha! ein ganz ander Ding als unſer Weſtphalen, und unſer Donnerſtrunkshauſen! Hätte Freund {Panglos} Eldorado geſehn, er würde gewis nicht behauptet haben, es gäbe nichts vortreflichers auf Gottes Erdboden, als jenen Ritterſiz! Reiſen mus man, oder man kömmt hinter nichts. Das iſt ausgemacht! Nach dieſer Unterredung lies der gute {Greis} ſechs Hämmel an ſeinen Wagen ſpannen, und gab den beiden Reiſenden zwölfe von ſeinen Bedienten mit, um ſie nach Hofe zu bringen. „Mein Alter, hoff’ ich, ſoll Ihnen hinlängliche Entſchuldigung ſein, daß ich Sie nicht begleite, meine Herren. Der König wird Sie gewis ſo aufnehmen, daß Sie nicht unzufrieden ſein werden, und ſollt’ Ihnen ja ein oder der andre Brauch zuwider ſein, ſo werden Sie’s damit entſchuldigen: ländlich, ſittlich.“ Wetterſchnell flogen die ſechs Hämmel mit {Kandiden} und {Kakambo’n} davon. In weniger als vier Stunden befanden ſie ſich vor dem Pallaſt des Königs, der an dem einen Ende der Hauptſtadt lag. Das Portal war zweihundertundzwanzig Fus hoch, und hundert breit. Zu beſchreiben, woraus es eigentlich beſtanden, iſt platt unmöglich; daß es von unendlich koſtbarerer Materie mus geweſen ſein, als jener Bettel von Kieſelſteinen und Sand, den wir Gold und Edelgeſteine nennen, verſteht ſich von ſelbſt. Zwanzig ſchöne Dirnen von der Leibwacht empfingen ſie beim Ausſteigen, brachten ſie in’s Bad, und legten ihnen Rökke an aus Kolibrisdunen gewebt. Hernach führten die Kronbedienten und Kronbedientinnen ſie — wie’s Sitt’ im Lande war — durch zwei Reihen von Geigern und Pfeiffern nach dem Königlichen Gemache; jegliche Reihe beſtand aus tauſend Mann. Unfern dem Königlichen Hörſaal fragte {Kakambo} einen von den oberſten Kronbedienten, was hier Etikette ſei, ob man beim Eintritt in’s Zimmer ſich auf die Kniee oder auf den Bauch werfen, die Hände auf den Kopf oder auf den Hintern legen, oder den Staub vom Fusboden lekken müſſte, oder wie man ſich ſonſt dabei näme. Man umarmt den König, und küſſt ihn auf beide Bakken, antwortete der Oberkämmerer. {Kandide} und {Kakambo} fielen Ihro Majeſtät um den Hals, wurden mit unbeſchreiblicher Huld empfangen, und auf’s freundſchaftlichſte zum Supee gebeten. Eh’ ſie zur Tafel gingen, führte man ſie in der Stadt herum. Sie fanden die Märkte mit einer Menge Säulen und mit Springbrunnen geſchmükt. Einige davon warfen weiter nichts aus als ſchlecht und rechts Quellwaſſer, andre aber Roſenwaſſer, noch andere Likörs von Zukkerrohr. Die Bekken, worin die Waſſerſtrahlen in Einem fort fielen, waren von weitem Umfang’ und mit einer Art Edelgeſteinen ausgelegt, die wie Zimmet und Nelke dufteten. Alle öffentlichen Gebäude reichten bis in die Wolken. {Kandide} erkundigte ſich nach dem höchſten Tribunale, dem Parlamente. Das gab’ es hier gar nicht, antwortete man ihm. Hier wüſſte man nichts von Prozeſſen. „Und Gefängniſſe?“ — „Sind hier auch nicht Brauch.“ Nichts aber war {Kandiden} überraſchender, nichts ihm ergezender, als die Akademie der Wiſſenſchaften. Er fand darin eine Gallerie von zweitauſend Schritte lang, mit lauter phyſikaliſchen Inſtrumenten angefüllt. Den ganzen Nachmittag waren ſie herumgelaufen und hatten beinahe den tauſendſten Theil der Stadt in Augenſchein genommen; jezt führte man ſie wieder auf’s Schlos zurük. {Kandide} und ſein Bedienter, {Kakambo}, muſſten ſich zwiſchen Ihro Majeſtät und vielen Damen niederlaſſen. Das war ein Gaſtmal, wie man noch nie geſehn hatte. Nicht blos Weide für den Gaumen, ſondern auch für den Geiſt! So reiche Adern Wizes und guter Laune hatten ſich wohl noch nie bei einem Supee ergoſſen, als hier bei Ihro Majeſtät. {Kakambo} verdolmetſchte {Kandiden} jeden launichten Einfall des {Königs}, und — was dieſen nicht wenig Wunder nahm — er blieb, troz der Überſezung, noch immer launichter Einfall. In dieſem Lande der Gaſtfreiheit hatten ſie nun einen Monat lang gelebt, und {Kandide} hatte tagtäglich zu {Kakambo’n} geſagt: Freilich kann man meinen Geburtsort Donnerſtrunkshauſen mit dieſem Lande gar nicht in Vergleich ſtellen, aber gleichwohl find’ ich keine Barones {Gundchen} hier, und Deine Amaſia iſt auch gewis in Europa. Bleiben wir hier, ſo ſind wir nicht einen Gran mehr als die übrigen Einwohner. Gehn wir aber wieder in unſer Land und nemen zur zwölf Hämmel mit, mit Eldoradoſchen Kieſelſteinen beladen, ſo ſind wir reicher als alle Könige auf Erden, dürfen keine Inquiſition mehr fürchten, und können gar leicht Barones {Gundchen} wiederbekommen. Der Vorſchlag gefiel {Kakambo’n} nicht übel. Reiſen und rennen, ſich bei ſeinen Landsleuten geltend machen, und was man auswärts geſehn und gehört hat, ihnen ewig vorprunken, das thut der Menſch doch gar zu gern. Von {dem} Schlage waren auch unſre beiden Reiſenden. Sie waren zu vollglüklich; um {der} Lage nicht überdrüſſig zu ſein, gingen ſie hin und baten den {König} um ihren Abſchied. Kein geſcheiter Einfall, Kinder! ſagte der {König}. Ich weiß wohl, daß mein Land nicht ſo was Beſonders iſt; indes ſizt man nur halbweg gut, mus man das Rükken laſſen, pflegt man bei uns zu ſagen. Ich kann freilich keinen Ausländer wider ſeinen Willen in meinem Reiche behalten; das wäre Tirannei, und die entſpricht weder unſern Sitten noch Geſezen. Der Menſch iſt ein freies Geſchöpf. Reiſt, wenn Ihr wollt, aber das müſſt Ihr wiſſen, es wird Euch ziemlich ſchwer fallen, aus meinem Reiche zu kommen. Gegen den reiſſenden Strom, der durch die Felskluft ſchieſt, und den Ihr durch ein wahres Wunderwerk paſſiert ſeid, an zu fahren, iſt platt unmöglich. Die Grenzgebirge meines Reichs ſind zehntauſend Fus hoch und thurmgrade; jeglicher Berg beträgt im Umfange mehr als zehn Meilen: jenſeits ſind tiefe Abgründe. Indes, da Ihr auf Eurer Abreiſe beſteht, will ich meinem Oberbaudirektor anbefehlen, eine Maſchine verfertigen zu laſſen, die Eure Fahrt erleichtern ſoll. Geleitsmänner kann ich Euch nicht geben, wenn Ihr erſt über die Gebürge ſeid! Denn meine Unterthanen haben feierlich angelobt, nie ihre Hütt’ und Heerd zu verlaſſen, und ſind zu weiſe, dagegen zu handeln. Sonſt könnt Ihr fordern, was Ihr wollt. Dürfen wir das? ſagte {Kakambo}. Nu wohl, Ihro Majeſtät, ſo erbitten wir uns von Ihnen eenige Hämmel mit Lebensmitteln, Kieſelſteinen und Kot beladen. Sonderbare Geſchöpfe Ihr Europäer! ich begreife Euch gar nicht! ſagte der {König} mit lachendem Munde. Wie könnt Ihr auf unſern gelben Kot ſo erpicht ſein. Doch nemt deſſen ſoviel Ihr wollt, und wohl bekomm’s den Herren. Sogleich gab er ſeinen Ingeniörs Befel, den Ris zu einer Winde zu liefern, womit man dieſe zwei Männer aus dem Königreiche hinauswinden könnte. Dreitauſend gute Mechaniker arbeiteten nach dieſem Ris, und binnen vierzehn Tagen war die Maſchine fix und fertig. Sie kam nach dortigem Gelde nicht höher, als zwanzig Millionen Pfund Sterling. Man ſetzte {Kandiden} und {Kakambo’n} in dieſe Maſchine. Es befanden ſich darauf zwei groſſe rote Hämmel wohl gezäumt und geſattelt, um ſich ihrer zum reiten zu bedienen, wenn ſie über die Gebirge wären, zwanzig Pakhämmel waren mit Lebensmitteln beladen, dreiſſig trugen die gröſſten Seltenheiten des Landes und funfzig Gold, Edelgeſteine und Diamanten. Der {König} nam von den beiden Vagabunden den zärtlichſten Abſchied. Ihr Auszug und die erfindungsreiche Art, wie ſie mit ihren Hämmeln empor gelüpft wurden, machte wirklich ein ſehenswürdiges Schauſpiel. Als ſie völlig in Sicherheit waren, namen die Mechaniker von ihnen Abſchied. Jezt hatte {Kandide} keinen andern Gedanken, fühlte keinen andern Drang, als all’ ſeine Hämmel mit ihren Koſtbarkeiten Barones {Gundchen} zu Füſſen zu legen. Nunmehr können wir den Guvernör von Buenosayres bezahlen, wenn er ſich’s unterſteht, auf meine unſchäzbare {Gunde} einen Preis zu ſezen, ſagte er. Wir wollen nach Karolina gehn, uns daſelbſt einſchiffen, und hernach zuſehn, was für ein Königreich wir uns kaufen können. 19. Neunzehntes Kapitel. // Was ihnen zu Surinam begegnet, und wie {Kandide} mit {Martinen} bekannt wird. Die erſte Tagreiſe lief recht vergnügt ab. Der Gedanke mehr Schäze zu beſizen, als ganz Aſia, Europa und Afrika zuſammen aufzubringen vermögen, gab ihnen Mut und Stärke. Der glühende, liebetrunkne {Kandide} ſchnizte in jeden Baum den Namen {Kunegunde}. Bei der andern Tagreiſe ging’s ſchon viel ſchlimmer. Zwei von ihren Hämmeln blieben in Moräſten ſtekken, und ſanken mit ihrem Gepäk unter. Einige Tage darauf fielen zwei andre Hämmel vor Strapaze um; ſieben oder achte verhungerten eine Zeitlang nachher in einer Wüſte; noch andre ſtürzten in der Folge die Felſen hinab, kurz, nachdem ſie hundert Tage gewandert hatten, waren ihre Hämmel bis auf zwei geſchmolzen. „Nichts vergänglicher hienieden, Freund, wie Du ſiehſt, als Reichthümer, und nichts dauernder als Tugend, und die wonneſeelige Hofnung, Barones {Kunegunden} wiederzuſehn!“ Wohl wahr! wohl wahr! ſagte {Kakambo}, indes haben wir noch zwei Hämmel mit mehr Schäzen beladen, als ’n König von Spanien ſein Lebstage krigen wird, und ich ſehe von weitem ’ne Stadt, die mir wie Surinam vorkömmt. Iſt dem ſo, ſo haben all’ unſre Leiden ’n Ende, und von nun an wird alles anfangen, uns zu grünen und zu blühen. Unfern der Stadt fanden ſie einen Neger auf der Erde liegen, der nur ſeine halbe Kleidung anhatte, d._h. Eine blauleinwandne Hoſe; das linke Bein und die rechte Hand fehlte dem armen Schelm. Mein Gott! rief ihm {Kandide} auf Holländiſch zu, Freund, was machſt du hier in dem entſezlichen Zuſtande? „Ich warte uf meinen Herrn, den Herrn van der Dendur, den groſſen Kauf- und Handels-Herrn.“ Hat der Herr van der Dendur Dich ſo verſtümmelt? frug {Kandide}. „Wohl, lieber Herr. Das iſt nun ſchon enmal ſo eingeführt. Alle Jahr krigen wir zwei Paar Leinwandhoſen, und weiter auch kein Flittchen, uns zu bedekken. Huſcht mal die Zukkermühle, worin wir arbeiten müſſen, uns einen Finger weg; ſchwap! ſchlagen ſie uns die Hand ab, und wollen wir davonlaufen, hakken ſie uns das Been weg. Mir iſt das beides gearrivirt. — Sehn Sie, um {den} Preis krigen Sie in Europa den Zukker zu eſſen! Und doch ſagte meine Mutter zu mir, wie ſie mich für zehn Albertusthaler auf der Küſte von Guinea verkaufte: Liebes Herzenskind, trauter {Kapito}, preis’ und danke unſern Fetiſchen, und bete ſie immer an; ſie werden Dir ein langes, glükliches Leben ſchenken. Du haſt die Ehre, ein Slave von unſern Herren, den Weiſſen zu werden, und machſt dadurch Vater und Mutter glüklich.“ „Ob ſies geworden ſind, wees ich nu nicht; daß ich’s aber nicht geworden bin, das wees der liebe Gott im Himmel! Hund und Aff’ und Papagei hat tauſendmal weniger auszuſtehn als ich. Ich werde ſchuriegelt, h’runtergerakkert wie all’ nichts guts. Die Holländiſchen Fetiſchirs, die mich bekehrt haben, ſchwazen uns Sonntag vor Sonntag vor: wir wären alle Adamskinder, Weiſs’ und Schwarze. Ich kan’s ihnen nu nicht nachrechnen; wenn ſie abers keene Lüge ſagen, na ſo ſind wir alle Geſchwiſterkinder. Und alsdann müſſen Sie mir einräumen, daß man unmöglich ſeine Anverwandten hundiſcher traktiren kann als uns.“ O {Panglos}! auf dieſe Greuelthaten biſt du nie gefallen! rief {Kandide}. Nicht anders, ich mus zulezt Deinen Lehrſaz fahren laſſen! Was für ’nen Lehrſaz? ſagte {Kakambo}. O! den raſendſten von der Welt! ſagte {Kandide}. Der Mann behauptete, wenn alle Stürme des Unglüks über ihn zuſammenſchlugen: dieſe Welt ſei doch die beſte! Voll Mitleids verweilte {Kandiden’s} Blik auf dem unglüklichen Negerſklaven, und er vergos Thränen. Mit Zähren auf den Bakken und im Auge gieng er nach Surinam hinein. Vor allen Dingen erkundigten ſie ſich, ob kein Schif im Hafen läge, das man nach Buenosayres ſenden könnte. Der Mann, an den ſie ſich gewandt hatten, war grade ein Spaniſcher Schifspatron. Er erbot ſich, es für ein Billiges zu thun, und beſchied ſie in ein Wirtshaus, um dort weitre Abrede zu nemen. {Kandide} fand ſich ſamt dem treuen {Kakambo} und ſeinen zwei Hämmeln daſelbſt ein. {Kandide}, dem das Herz immer auf der Zunge ſas, erzählte dem Spanier all’ ſeine Abenteuer, und plazte auch mit ſeinem Vorhaben heraus, Barones {Gundchen} zu entführen. Da werd’ ich kein Narr ſein, und Sie nach Buenosayres bringen, ſagte der Schifspatron. Ich müſſte ſowohl an den hellen lichten Galgen, wie Sie. Die ſchöne {Kunegunde} iſt Favoritmätreſſe von Ihro Exzellenz, dem Herrn Gouvernör. Das war ein Donnerſtral, der {Kandiden} ganz zu Boden ſchmetterte. Er lag lange da, und weinte ſich aus, endlich ſprang er auf, und führte {Kakambon} in ein Seitenkabinet. Hör’, lieber Freund, ſagte er: Du haſt ſowohl wie ich, fünf bis ſechs Millionen Diamanten in der Taſche. Der geſcheitſte Rat nun iſt der: Du gehſt damit nach Buenosayres und kaufſt Barones {Kunegunden} los. Das wird dir Pfifkopf nicht ſchwer fallen. Macht Don {Fernando} Umſtände, ſo gib ihm eine Million, will er noch nicht, gib ihm zwei. Fallen können Dir gar nicht gelegt werden, denn Du haſt keinen Inquiſitor umgebracht. Ich ſegle indes nach Venedig, und erwarte Dich daſelbſt. Dort kann ich ſicher ſein, vor Bulgaren und Abaren, vor Juden und Inquiſitoren; es iſt ein freier Staat. {Kakambo} fand das ſehr gut ausgedacht, es zerſchnitt aber ſein Herz, ſich von einem ſo guten Herrn trennen zu müſſen, der ſein Buſenfreund geworden war; indes ſiegte der angeneme Gedanke ihm nüzlich ſein zu können, über den Schmerz, von ihm zu ſcheiden. Mit heiſſen Thränengüſſen umarmten ſie ſich; {Kandide} knüpfte ihm feſt ein, die gute {Alte} ja nicht zu vergeſſen, und {Kakambo} reiſte noch ſelbiges Tages fort. Es war ein rechter guter ehrlicher Schlag, der {Kakambo}! {Kandide} blieb noch eine Zeitlang in Surinam, und wartete, bis ein andrer Schifspatron ihn und den kleinen Überreſt ſeiner Hämmel nach Italien führen wollte; er nam Bedienten an und kaufte alle Bedürfniſſe zu einer ſo langen Reiſe ein. Endlich lies ſich der Herr eines anſehnlichen Gefäſſees bei ihm melden. Es war myn Heer {van der Dendur}. Wie viel verlangen Sie, mich, meine Leute, mein Reiſegepäk, und die beiden Hämmel [recta] nach Venedig zu ſchaffen? ſagte {Kandide}. Der Schifspatron forderte zehntauſend Piaſter. {Kandide} ſchlug gleich ein. Hoho! ſagte Schlaukopf {van der Dendur} im Weggehn zu ſich ſelbſt: toppt gleich zu: Dem Ausländer iſt das ſo gleichviel, zehntauſend Piaſter hinzugeben? Der mus gewaltig viel vor den Daumen zu ſchieben haben. Einen Augenblik nachher kam er wieder zurük, und verſicherte, unter zwanzigtauſend Piaſter könnt’ er ihn nicht mitnemen. Nun gut, das Geld ſollen Sie haben, ſagte {Kandide}. Der Daus! murmelte der Kaufmann in den Bart, dem ſind zwanzigtauſend Piaſters ſo’n Pappenſtiel wie zehn. Hm! hm! Und kehrte wieder um. und ſchwur Stein und Bein, daß er ihn nicht nach Venedig ſchaffen könnte, wenn er ihm nicht wenigſtens dreiſſigtauſend Piaſter gäbe. I, die ſollen Sie haben, ſagte {Kandide}. Bliz! auch die! Fallen ihm die dreiſſigtauſend Piaſter eben ſo aus dem Ärmel! ſagte der {Holländer}. Ohne Zweifel müſſen die beiden Hämmel unermesliche Schäze haben. Will ihm vor der Hand nichts weiter abfordern, mir die dreiſſigtauſend Piaſter gleich bezahlen laſſen, das übrige wird ſich geben, wie’s Griechiſche. {Kandide} verkaufte zwei kleine Diamanten, davon der ſchlechteſte mehr betrug, als des Schiffers ganze Forderung. Er bezahlte ihm voraus; ſeine beiden Hämmel wurden eingeſchift; er ſezte ſich auf ein klein Fahrzeug, um das Schif in der Rhede zu erreichen. Der Patron erſah ſeine Zeit, ſpannte die Segel, lichtete die Anker, und unter dem günſtigſten Winde ſtach er flott in See. {Kandide} ganz auſſer ſich und ſtarr vor Verwundrung verlor ihn bald aus den Augen. Ha! ſchrie er endlich, das Stükchen ſchmekt völlig nach der alten Welt! In ein Meer von Schmerz verſenkt, nahte er ſich dem Ufer. War ihm ſeine Betrübnis zu verdenken? Was er einbüſſte, das hätte das Glük von zwanzig Monarchen gemacht. Er eilte zum Holländſchen Richter, pochte ziemlich ſtark an, brauſte herein — denn er war noch in der erſten Gährung — erzählte ſein Abenteuer, und in der Wärme des Erzählens wird er ein wenig lauter als ſich’s ziemte. Für all’ das Gebuller erlegen Sie ſogleich zehntauſend Piaſter! diktirte ihm der Richter! Hierauf hört’ er ihn geduldig aus, verſprach die Sache vorzunemen, ſobald der Kaufmann wieder da ſein würde, und lies ſich noch zehntauſend Piaſter Gerichtsgebühren zahlen. {Kandiden} hatte zwar ſchon unendlich härters, niederdrückenders Ungemach betroffen, dennoch aber erlag er unter dieſem. Die Kaltblütigkeit des Richters und des Schifspatrons, der ihn ſo ſchreklich geprellt hatte, machte all’ ſeine Galle rege und ſtürzte ihn in die düſterſte Schwermut. Jezt erblikte er die Argherzigkeit der Menſchen in ihrer ganzen ſcheuslichen Geſtalt; alles zeigte ſich ihm in dunklem, höllenſchwarzem Lichte. Endlich erfuhr er, daß ein Franzöſiſches Schif im Begrif ſtünde, nach Bordeaux zu ſegeln. Da er keine Hämmel mit Diamanten bepakt mehr mitzunemen hatte, mietete er ſich ein wohlfeiles Kämmerchen im Schif, und lies in der Stadt bekannt machen, wenn ſich ein braver Mann fände, der mit wollte, ſo ſollt’ er nicht für Reiſekoſten und Zehrung zu ſorgen haben, und überdies zweitauſend Piaſter bekommen; dieſer Mann aber müſſte ſeines Zuſtandes äuſſerſt überdrüſſig und der allerunglüklichſte im ganzen Lande ſein. Es kam der Prätendenten eine ſolche Menge, daß Eine Flotte nicht Raum für ſie gehabt hätte. {Kandide} ſuchte die Angeſehnſten darunter aus; das waren ein Stük zwanzig, bei denen unter den Falten und Runzeln des Elends Züge von Geſelligkeit hervorblikten, und die insgeſamt den Vorzug zu verdienen behaupteten. Sie muſſten ſich alle in ſeinem Wirtshauſe einfinden, und mit ihm Abendbrod nemen. Jeder hatte ihm zuſchwören müſſen, ſeinen Lebenslauf treu und ſonder Gefährde zu erzählen, und er hatte dagegen verſprochen, denjenigen von ihnen zu wählen, der ihm der betauernswürdigſte, der mit gröſſtem Fug und Recht über ſeinen Zuſtand misvergnügteſte ſcheinen würde; die übrigen aber ſollten eine Erkentlichkeit erhalten. Die Sizung dauerte bis vier Uhr Morgens. Bei jeder Erzählung fiel {Kandiden} ein, was die {Alte} ihm auf der Fahrt nach Buenosayres geſagt hatte, und ihre Wette, daß ſich niemand auf dem Schiffe befände, dem nicht ſchon das gröſſte Ungemach zugeſtoſſen wäre; auch {Panglos} fiel ihm ein. Da ſäſſ’ er in der Klemme, der gute {Panglos}, wenn er jezt ſein Syſtem verfechten wollte. Hätt’ ich ihn doch nur hier. Warlich! wenn’s irgendwo gut geht, ſo iſt’s einzig und allein in Eldorado. Seine Wahl fiel endlich auf einen armen Gelehrten, der zehn Jahr für die Amſterdammer Buchhändler gearbeitet hatte. Er glaubte, es könnte auf der Welt unmöglich ein Metje geben, deſſen man eher überdrüſſig würde. Dieſer Gelehrte, ſonſt ein herzensguter Mann, war von ſeiner Frau beſtohlen, von ſeinem Sohne durchgeprügelt, und von ſeiner Tochter um eines jungen Portugieſen willen verlaſſen worden. Eines Ämtchens, das ſein einziger Wagen und Pflug war, hatte man ihn eben entſezt, und die Surinamiſchen Prediger verfolgten ihn mit echt {Göziſchen} Eifer, weil ſie in ihm einen Sozinianer wähnten. Zur Steuer der Wahrheit müſſen wir bekennen, daß die übrigen Neunzehn wenigſtens eben ſo unglüklich waren, wie dieſer Mann; allein {Kandide} hofte, dieſer Gelehrte würde auf der Reiſe alle Langeweile zu verbannen wiſſen. All’ ſeinen Nebenbulern verdros {Kandidens} Wahl ſehr; ſie waren aber gleich wieder beſänftigt, wie er jedem hundert Piaſter gab. 20. Zwanzigſtes Kapitel. // Seeabenteuer {Kandidens} und {Martin’s}. Der alte Gelehrte, der {Martin} hies, ſchifte ſich alſo mit {Kandiden} nach {Bordeaux} ein. Beide hatten viel geſehn, viel erlitten, und wäre das Schif von Surinam aus über das Vorgebürge der guten Hofnung nach Japan gegangen, ſo würd’ es ihnen doch nicht an Stof gefehlt haben, ſich die ganze Reiſe hindurch mit dem phyſiſchen und moraliſchen Übel zu unterhalten. Indes hatte {Kandide} einen groſſen Vortheil über {Martin}, er hofte noch immer Barones {Gundchen} wieder zu ſehn, und {Martin} hatte gar keine Hofnung mehr; überdies beſas jener Gold und Diamanten, und ob er gleich hundert dikke rote Hämmel mit den gröſſten Schäzen der Erde beladen, verloren hatte, ob ihm gleich des Holländiſchen Schifspatrons Prellerei noch in’s Herz ſchnitt, ſo ſchwankt’ er dennoch, wenn er an den Inhalt ſeiner Taſchen dachte, oder von ſeinem {Gundchen} ſprach und zumahl, wenn er die Gläſer klingen hörte, nach {Pangloſens} Syſtem hin. Aber was denken Sie von alle dem, lieber {Martin}? ſagte er. Was halten Sie vom phyſiſchen und moraliſchen Übel? {Martin}. Lieber {Kandide}, die Paſtoren dort klagten mich als Sozinianer an, aber die rechte Wahrheit zu ſagen, ich bin ein Manichäer. {Kandide}. Haben Sie mich nicht zum Beſten. Es giebt ja keine Manichäer mehr in der Welt. {Martin}. So bin ich der Einzige, ich kann nun einmal nicht anders denken. {Kandide}. So mus der Teufel in Sie gefahren ſein Herr. {Martin}. Leicht möglich! ſo wie der hienieden allenthalben herumſpuhkt und ſein Weſen hat, kann er’s auch in meinem Leibe. Ich mus Ihnen geſtehn, wenn ich ſo einen Blik auf die Erdkugel, oder vielmehr auf dies winzige Erdkügelchen werfe, daß mir der Gedanke nicht aus dem Kopf will: Gott habe einem böſen Geiſte die Macht eingeräumt, eignes Beliebens damit zu ſchalten und zu gebaren; Eldorado nem’ ich hiervon aus. Ich habe keine Stadt geſehn, die nicht nach dem Untergang ihrer Nachbarin dürſtete, keine Familie, die nicht nach der Ausrottung einer andern lechzte; ich ſeh’ allenthalben, wie die Schwachen die Mächtigen verabſcheuen, vor welchen ſie kriechen müſſen, und wie dieſe jenen als einer Heerde begegnen, der Woll’ und Fleiſch feil iſt; ſehe wie eine Million eingeregimenteter Schnapphähne Europa von einem Winkel zum andern durchſtrömt, mordet und ſtraſſenraubt, und das alles mit der ſchärfſten Mannszucht, blos um ein Stükchen Brod zu verdienen, das er auf keine ehrenvollere Art zu verdienen weis. Und in Städten, die im völligſten Genus des Friedens zu ſein ſcheinen, worin Künſt’ und Wiſſenſchaften blühen, martert, reibt die Einwohner Eiferſucht, Gram und Kummer weit mehr auf, als alle Drangſale und Schrekniſſe der Hungersnot und Verzweiflung in einer belagerten Stadt es thun können. Herzenskummer iſt noch härter, marternder, als das allgemeine Elend. Mit Einem Wort, ich habe ſo viel geſehn, ſo viel erlitten, daß ich Manichäer geworden bin. {Kandide}. Doch giebt’s noch viel Gutes in der Welt. {Martin}. Kann ſein, bis dato iſt mir’s aber noch nicht zu Geſicht gekommen. In dem Gekrette, das ſich hierüber anſpann, waren ſie noch nicht weit, als ſie einige Kanonenſchüſſe hörten. Jeden Augenblik wurden die Schüſſe heftiger. Sie namen ihre Sehröhre, und wurden in einer Entfernung von ungefähr drei Meilen zwei Schiffe gewahr, die auf einander losfeuerten. Der Wind führte ſie alle beide dem Franzöſiſchen Schiffe ſo nahe, daß man das Treffen ganz gemächlich anſehn konnte. Endlich gab das eine Schif dem andern ſo die volle Lage, daß es gleich unterſank. {Kandide} und {Martin} erblikten auf dem Verdek des untergehenden Schifs hundert Menſchen, die unter erbärmlichem Zetergeſchrei die Hände gen Himmel emporhuben, und im Hui war alles verſchlungen. Nun ſehn Sie, ſo handelt der Menſch gegen ſeinen Bruder! ſagte {Martin}. Wirklich dies Verfahren hat was Teufliſches! verſetzte {Kandide}. Bei dieſen Worten ward er etwas glänzendrotes gewahr, das auf ſein Schif zugeſchwommen kam. Man machte die Schaluppe los, um zu ſehn, was es ſei. Es war einer von {Kandiden’s} Hämmeln. Ein Fund, der ihn mehr freute, als ihn der Verluſt von hundert, wohlbepakt mit Eldoradoſchen Diamanten geſchmerzt hatte. Der Franzöſiſche Hauptmann hatte gar bald die Bemerkung gemacht, daß der Hauptmann des niederbohrenden Schifs ein Spanier war, und der Befehlshaber des Niedergebohrten ein Holländiſcher Seeräuber; eben der, der {Kandiden} beſtohlen hatte. All’ die unermeslichen Reichthümer, worin der ſpizköpfige Bube ſeine Klauen geſchlagen hatte, wurden mit ihm in der Tiefe des Meers begraben, und weiter nichts geborgen als Ein Hammel. Sehn Sie, ſagte {Kandide} zu {Martin}, das Laſter wird bisweilen beſtraft; dieſer Schurke von Holländiſchem Schifspatron hat ſeinen verdienten Lohn erhalten. Recht gut! weshalb muſſten aber die Paſſagiere, die auf ſeinem Schiffe waren, mit untergehn? entgegnete {Martin}. Ich kann mir’s nicht anders erklären, als daß Gott den Spizbuben beſtraft, und der Teufel die übrigen erſäuft hat. Indes ging das Franzöſiſche und das Spaniſche Schif jedes ſeinen Gang, und {Kandiden’s} und {Martins} Unterredung den ihrigen. Vierzehn Tage hintereinander hatten ſie ſich herumdiſputirt, und waren am vierzehnten Tage noch nicht weiter als am erſten. Es half wenigſtens ſo viel, daß ſie nicht ſtumm geweſen waren, ſich ihre Gedanken mitgetheilt, und einander getröſtet hatten. {Kandide} liebherzte ſeinen Hammel. Da ich Dich wiedergefunden habe, ſagt’ er, werd’ ich auch wohl noch mein {Gundchen} wiederfinden. 21. Ein und zwanzigſtes Kapitel. // {Kandide} und {Martin} nähern ſich den Franzöſiſchen Küſten. Wovon ſie ſich unterhalten. Endlich näherten ſie ſich den Franzöſiſchen Küſten. Sind Sie jemals in Frankreich geweſen, Herr {Martin}, fragte {Kandide}. {Martin}. Wohl bin ich’s; ich habe manche ſeiner Provinzen durchſtrichen, fand in der einen faſt lauter Haaſenfüſſe, in dieſer und jener und jener und dieſer lauter erzabgefeimte Schlauköpfe, in jener und der, den gröſſten Haufen lammfrom und ſchaafdumm, in noch andern pure pure ſchöne Geiſter. Das Hauptſtekkenpferd all’ dieſer Leute aber war Liebe, welches ſie mit zwei andern abwechſelten, Afterreden und Schnikſchnak genannt. {Kandide}. Haben Sie Paris geſehn, lieber {Martin}? {Martin}. Ich hab’s. Da finden Sie all’ den Schlag von Leuten in Einen Topf geworfen; es iſt ein wahres Chaos. Ein gedrangvoller, lermreicher Ort, worin Alt und Jung „nach dem Ringe des Vergnügens rennt,“ und, meines Bemerkens, ihn niemand abſtöſſt. Lange hab’ ich mich dort nicht aufgehalten; kaum war ich angekommen, ſo hatten die Spizbuben auf den St. Germainsmarkte mir all’ mein Bischen Baarſchaft weggeſtohlen. Man hielt mich ſelbſt für einen Spizbuben; acht Tage lang muſſt’ ich im Gefängniſſe ſizen, hernach ward ich Korrektor, um mir nur ſo viel zu verdienen, daß ich [per pedes Apostolorum] wieder nach Holland konnte. Ich habe das ſchmierende, das kabalebrütende und das fanatiſche Geſindel kennen gelernt. Es ſoll aber noch recht brave artige Leute in der Stadt geben; ich will’s glauben. {Kandide}. Ich meines Theils finde gar keinen Trieb, Frankreich zu ſehn; Sie können leicht erachten, wenn man einen Monat lang in Eldorado geweſen, daß man weiter nichts zu ſehn wünſcht als Barones {Kunegunden}. Ich will ſie zu Venedig erwarten; wir wollen über Frankreich nach Italien gehn. Sie begleiten mich doch? {Martin}. Verſteht ſich. Zwar ſagt man, wäre Venedig nur für die [Nobili di Venezia], indes nimmt man auch Ausländer recht gut dort auf, wenn ſie viel aufgehn laſſen; ich kann’s nun nicht, aber Sie können’s, und darum zieh’ ich mit, wohin Sie wollen. {Kandide}. Sagen Sie mir doch Freund, glauben Sie was der dikke Quartante da von unſerm Schifskapitän behauptet, daß die Erde im Anbeginn ein Meer geweſen iſt? {Martin}. Platterdings nicht! ſo wenig als all’ die Alfanzereien, womit das Heer der Skribler ſeit einiger Zeit zu Markte gezogen kömmt. {Kandide}. Zu was Ende iſt denn die Welt erſchaffen worden? {Martin}. Damit wir alle ſollen raſend werden. {Kandide}. Wundern Sie ſich nicht über die Liebe der beiden Dirnen gegen die zwei Paviane, wovon ich Ihnen erzählt? {Martin}. Nicht im geringſten. Ich ſehe gar nicht, wo das Sonderbare dieſer Leidenſchaft ſitzt. Ich habe ſo viel Auſſerordentliches geſehn, daß mir jetzt gar nichts mehr auſſerordentlich vorkömmt. {Kandide}. Glauben Sie wohl, daß die Menſchen von jeher ſich niedergemetzelt haben, wie heut zu Tage? Daß ſie ſtets gelogen und betrogen haben, ſtets treuloſe, undankbare, räubriſche, flatterhafte, ſchurkiſche, neidiſche, praſſeriſche, trunkenbolde, geizige, ehrſüchtige, blutlechzende, verläumdriſche, hurende, ſchwärmende, und alberne Geſchöpfe geweſen ſind? {Martin}. Glauben Sie, daß die Sperber von jeher Tauben gefreſſen haben, wenn ſie ihrer habhaft werden können? {Kandide}. Wohl glaub' ich’s! {Martin}. Nun dann, wenn das immer der Karakter der Sperber geweſen iſt, warum ſollen grade die Menſchen ihren Karakter geändert haben? {Kandide}. Wohl diſtinguirt Sperber und Menſchen! denn Leztere haben ihren freien Willen, können … Unter dieſen Geſprächen waren ſie in Bourdeaux angekommen. 22. Zwei und zwanzigſtes Kapitel. // Was {Kandiden} und {Martinen} in Frankreich begegnet. {Kandide} hielt ſich nur ſo lange Zeit in Bourdeaux auf, als nötig war, einige Eldoradoſche Kieſelſteine in Gold und Silber umzuſetzen, und ſich eine zweiſizige Schäſe anzuſchaffen, denn ſein Philoſoph {Martin} war ihm ganz unentbehrlich geworden. Daß er ſich von ſeinem Hammel trennen muſſte, that ihm herzlich leid. Er überlies ihn der Akademie der Wiſſenſchaften zu Bourdeaux, welche die Unterſuchung, {warum die Wolle dieſes Hammels rot ſei}, zur dermaligen Preisaufgabe machte. Ein Nordiſcher Gelehrter bewies durch [A_✠_B_÷_C_:_Z], daß der Hammel rot ſein, und an den Pokken ſterben müſſte, und ſeine Abhandlung ward gekrönt. Alles, was {Kandiden} begegnete, ging über Hals über Kopf nach Paris; das machte {Kandiden} auch lüſtern, dieſe Hauptſtadt zu ſehn; und über Hals über Kopf eilt’ er ihnen nach. So ſehr viel reiſte er ſich eben nicht aus dem Wege. Er kam durch die Vorſtadt {St. Marceau} hinein, und glaubte ſich in dem ſchmuzigſten Dorfe Weſtphalens zu befinden. Kaum war er im Gaſthofe angekommen, ſo befiel ihn eine kleine Unbäslichkeit; eine Frucht ſeiner Strapazen. Da er einen auſſerordentlich groſſen Diamanten an ſeinem Finger hatte, und man unter ſeinem Gepäk eine recht vollwichtige Schatulle wahrgenommen hatte, ſo fanden ſich gleich unverlangt zwei Ärzte, einige ſehr warme Freunde, und zwei Beguinen ein, die ihm ſeine Suppen wärmten. Ich erinnre mich doch auch krank geweſen zu ſein, ſagte {Martin}, wie ich zuerſt in Paris ankam; da waren aber — denn ich war rattenkahl — weder Freunde noch Ärzte, noch Beguinen, und ich genas doch. Durch das viele Arzeneien und Aderlaſſen ward {Kandide} endlich in vollem Ernſte krank, recht gefährlich krank. Der {Habituus} des Viertels kam zu ihm und bat, er möchte doch einen Pas an Sankt {Petern} mitnemen, damit er ihn gleich zum Himmelspförtchen einlieſſe. {Kandide} wollte durchaus nicht; die beiden Beguinen verſicherten, es wäre die neuſte Mode, {Kandide} verſicherte dagegen ihnen, er wäre gar nicht für neue Moden. {Martin} wollte den {Habituus} zum Fenſter hinauswerfen; der Geiſtliche ſchwur, {Kandide} ſollte nie auf den Kirchhof kommen. {Martin} ſchwur dagegen, er wolle ihn bald auf den Kirchhof ſchikken, wenn er ihnen noch länger auf dem Halſe läge. Das Gekrette ward ſehr heftig, und {Martin} ſchleuderte den Pfaffen beim Arme zur Thür’ hinaus. Das gab groſſes Skandal, und die Sache ward fiskaliſch unterſucht. {Kandide} genas, und während der Geneſung hatte er ſtets gute Geſellſchaft zum Supee bei ſich. Man ſpielte hoch. Er bekam nie ein As, was ihn denn nicht wenig Wunder nam, {Martinen} aber gar nicht. Unter denen, die ihm die Honneurs der Stadt machten, befand ſich ein winziges {Abeechen}, Namens {Perigourdin}. Einer von jenen frechen, bartſtreichleriſchen, ſich in jedes Humor ſchmiegenden und fügenden, bald da, bald dorthin fiſpernden, ewigen Scharwenzeln, die den Ausländern wegelagern, ihnen die ſkandalöſe Geſchichte der Stadt erzählen, und ihnen Vergnügungen von jeder Art und für jeden Preis anbieten. Dies allerliebſte Männchen begann damit, daß er {Kandiden} und {Martinen} in die Komödie führte. Man gab ein neues Trauerſpiel. {Kandide} ſas bei einigen ſchönen Geiſtern. Demungeachtet wein’t er in einigen meiſterhaft geſpielten Scenen. Einer von den neben ihm ſizenden Krittlern ſagte in einem Zwiſchenakte: Sie vergieſſen ohn’ alle Urſach Thränen, mein Herr. Die Schauſpielerin iſt erbärmlich, ihr Mitſpieler noch erbärmlicher, und das Stük noch weit erbärmlicher wie die Schauſpieler. Die Scene liegt in Arabien, und doch verſteht der Verfaſſer kein Wort Arabiſch; glaubt überdies nicht einmal an angeborne Ideen, der elende Wicht! Morgen will ich Ihnen zwanzig Traktätchen mitbringen, alle gegen den Dramatifex gerichtet. Wieviel dramatiſche Stükke haben Sie wohl in Frankreich! frug {Kandide} den {Abee}. Fünf bis ſechstauſend, antwortete er. Viel; und wieviel gute darunter? ſagte {Kandide}. Funfzehn, erwiderte jener. Noch immer viel! verſetzte Martin. {Kandide} gefiel eine Schauſpielerin ſehr, welche die Königin Eliſabet in dem ziemlich platten Trauerſpiel dieſes Namens machte, das wohl unterweilen gegeben wird. Ein recht brav Mädel die Aktrize, ſagt’ er zum {Martin}. Sie hat etwas von Barones {Kunegunden} an ſich; ich möcht’ ihr gern mein Kompliment machen. Abee {Perigourdin} war gleich mit dem Anerbieten bei der Hand, ihn bei ihr einzuführen. {Kandide}, in Teutſchland geboren und erzogen, fragte, was hieſige Etikette ſei, und wie man in Frankreich den Königinnen von England begegnete. In der Provinz, Herr Baron, antwortete der Abee, führt man ſie in’s Wirtshaus, zu Paris hält man ſie in hohen Ehren und Würden, wenn ſie ſchön ſind; ſterben ſie, ſo wirft man ſie auf den Schindanger. Königinnen auf den Schindanger? ſagte {Kandide}. Ja warlich! der Herr {Abee} hat Recht, ſagte {Martin}; ich war zu Paris, als Demoiſelle Monime das Zeitliche mit dem Ewigen verwechſelte, wie man zu ſagen pflegt; man verweigerte ihr, was die Leute hier zu Lande, ein ehrliches Begräbnis nennen, das heiſſt, man wollte ſie nicht mit all’ den Bettlern aus Einem Stadtviertel auf Einem lumpichten Kirchhof zuſammen vermodern laſſen; ihre Bande verſcharrte ſie an einer Ekke der [Rue de Bourgogne], ganz allein; das mus ihrem armen Seelchen mehr denn die folterndſte Höllenpein ſein, denn es war immer ein ſehr nobeldenkendes Mädchen geweſen. Sehr ungeſchliffen! ſagte {Kandide}. Was zu thun? antwortete {Martin}. Die Leute ſind nun einmal hier ſo. Denken Sie ſich alle mögliche Widerſprüche, alle möglichen Ungereimtheiten in Eine Maſſe zuſammengeknätet, ſo haben Sie die Regierungsform, die Gerichtshöfe, die Kirchen, die Schauſpiele dieſer drollichten Nation. Iſt es wahr, daß man zu Paris beſtändig lacht? frug {Kandide}. Das thut man, ſagte der {Abee}, es iſt aber eine {bittre} Lache, die Lache kochender Wut; man bringt dort die herzſchneidendſten Klagen mit der ſchallendſten Lache hervor, ja verrichtet ſogar die abſcheulichſten Handlungen mit lachendem Munde. Wer war denn das dikke Schwein, ſagte {Kandide}, das auf ein Stük läſterte, worin ich ſo geweint habe, und auf Schauſpieler, die mir ſo gefallen hatten? „Ein elender hungerleiderſcher Tukmäuſer, der um ein Paar Biſſen Brod zu verdienen, alle Stükke und alle Bücher herunterläſtert; jeden emporkommenden Schriftſteller haſſt, wie der Verſchnittne den vollglüklichen Liebhaber; eins von jenen Litteraturinſekten, die ſich blos von Kot und Gift und Geifer nähren; ein gallſüchtiger Neidhart.“ Ein gallſüchtiger Neidhart? ſagte {Kandide}. „I ja! So ein Flugblätler, ein {Freron}.“ So ſchwazten {Kandide}, {Martin} und der Abee {Perigourdin} auf der Komödienhaustreppe, und ſahen die Zuſchauer alle neben ſich vorbeiziehn. So vielen Drang ich auch fühle, Barones {Kunegunden} zu ſehn, ſagte {Kandide}, ſo möcht’ ich doch wohl heut Abend mit Demoiſell {Clairon} ſpeiſen. Es ſcheint mir ein ganz herrliches Mädchen. Der Herr {Abee} war ein zu jämmerliches elendes Wichtchen, um Zutritt bei der Demoiſelle {Clairon} zu haben, bei der ſich ſtets der angeſehenſte Zirkel befand. Auf heut Abend iſt ſie verſagt, hub {Perigourdin} an, ich werd’ aber die Ehre haben, den Herrn Baron zu einer vornemen Dame zu führen, wo Sie Paris ſo ſollen kennen lernen, als hätten Sie ſich vier Jahr hier aufgehalten. Der von Natur neugierige {Kandide} lies ſich zu der Dame führen, die am äuſſerſten Ende der Vorſtadt St. Honoré wohnte. Man war dort mit Pharao beſchäftigt. Zwölf ſauertöpfige Pointeurs hatten jeglicher ſein Büchelchen Karten in der Hand, das geöhrte Verzeichnis ihrer Unglüksfälle. Überall war das tiefſte Stilſchweigen; Todtenbläſſe ſaß auf der Stirn der Pointeurs; Beſorgtheit auf der Stirn des Bankiers, und die Dame vom Hauſe, die dieſem unbarmherzigen Bankier zur Seite ſas, gab mit Falkenaugen auf alle Parolis und Septleva’s de Campagne Acht, wozu jeder Spieler ſeine Karten knif; ſtrengauflauernd aber mit Feinheit lies ſie alle Ohren wieder ausmachen, und, bange, ihre Kunden zu verlieren, ward ſie gar nicht aufgebracht. Dieſe Dame hies die Marquiſe {de Parolignac}. Ihre funzehnjährige Tochter befand ſich unter den Pointeurs, und verriet durch einen Augenwink all die Fuſcheleien dieſer armen Teufel, die der ihnen griesgramenden Fortuna ein Lächeln abzwingen wollten. Abee {Perigourdin}, {Kandide} und {Martin} traten herein. Niemand ſtand auf, bekomplimentirte ſie, blikte ſogar auf ſie hin; ſie waren insgeſamt mit ihren Karten viel zu ſehr beſchäftigt. Die Frau {Baroneſſin} von {Donnerſtrunkshauſen} war weit höflicher, ſagte {Kandide}. Indes hatte ſich der {Abee} dem Ohr der {Marquiſe} genähert; ſie lüpfte ſich ein wenig in ihrem Armſtuhl, beehrte {Kandiden} mit einem graziöſen Lächeln, {Martinen} mit einem hochadelichen Kopfneigen, und lies {Kandiden} einen Stuhl- und Karten reichen. In zwei Taillen hatte er funfzigtauſend Franken verloren. Hierauf nam man in der gröſſten Frölichkeit das Supee. Jederman erſtaunte, daß {Kandide} bei ſeinem Verluſte ſo kalt blieb, und die Bedienten ſagten untereinander in ihrer Bedientenſprache: Das mus mein Seel! ’n Engliſcher Milord ſein. Das Supee glich den meiſten Pariſiſchen Supees. Erſt war alles ſtill, dann entſtand mit einemmal ein Wortgetöſe, wobei niemand hörte was er ſelbſt ſagte, alsdann ſtrömte man in Scherzen, Einfällen aus, die meiſtentheils herzlich ſchaal und kahl waren, brachte falſche Neuigkeiten auf’s Tapet, ſchiefe Räſonnements; es ward ein Bischen gekannegieſſert, und viel geafterredet; man ſchwazte und krittelte ſogar über neue Bücher. Aber {Perigourdin} fragte: Haben ſie ſchon den neuen Roman geleſen, den der Doktor Theologiä Herr {Gauchat}, geſchrieben? Leider, ſagte einer von den Gäſten, aber nicht bis zu Ende. Es war mir unmöglich. Es kömmt viel albern Zeug heraus, aber ſo was albernes, wie der Wiſch vom Herrn Doktor {Gauchat} hab’ ich noch nie geſehn; die Sündflut von abſcheulichen Schriften, womit wir überſchwemmt ſind, die einem ganz bis an’s Kinn dringt, verekelt einem alles Bücherleſen dermaaſſen, daß ich mich auf’s Pointiren gelegt habe. Und was ſagen Sie zu den vermiſchten Schriften des Archidiakonus T…? fragte der {Abee}. Ein unausſtehliches Geſchöpf! rief die Frau von {Parolignac}. Wohlbekannte alltägliche Dinge kramt er mit der geheimnisvollſten Mine aus; was nur einer hingeworfnen Bemerkung bedarf, erörtert er aufs weitſchweifigſte und ſchwerfälligſte; ohn’ einen Funken Wiz zu haben, eignet er ſich andrer Leute ihren zu; was er ſtiehlt, verdirbt er durch den Senf, den er darüber ſchüttet. Der Mann macht mich ganz wild! Doch er ſoll’s nicht mehr. Mehr denn zuviel, wenn man vom Herrn Archidiakonus ein Paar Seiten geleſen! Ein Mann von Gelehrſamkeit und Geſchmak, der ſich mit an der Tafel befand, bekräftigte das Urtheil der {Marquiſe}. Man kam nachher auf die Trauerſpiele. Die Dame fragte, woher es käme, daß manche Trauerſpiele in der Vorſtellung etwas thäten, im Leſen aber nicht auszuhalten wären? Der Mann von Geſchmak ſezte es ſehr gut auseinander, wie ein Stük etwas Anziehendes haben, und demungeachtet doch nichts taugen könnte, bewies mit wenig Worten, daß es nicht genug ſei, ein oder zwei Situationen anzubringen, die man in jedem Roman antrift, und die immer etwas Verführeriſches für die Zuſchauer haben, ſondern daß man originell ſein müſſe, ohne phantaſtiſch zu ſein, erhaben, ohne unter den Sonnen herumzuwandeln, das Herz kennen, und es reden laſſen, groſſer Dichter ſein, und doch aus keiner von ſeinen Perſonen den Dichter hervorſtechen laſſen, den ganzen Sprachſchaz zu benuzen wiſſen, nie den Wohlklang vergeſſen, nie einen Gedanken dem Reim aufopfern. Wer all’ dieſe Regeln nicht ſorgfältig in Acht nimmt, ſezt’ er hinzu, kann zwar Trauerſpiele verfertigen, die auf dem Theater gefallen, er wird aber nie einen Rang unter den guten klaſſiſchen Schriftſtellern erhalten. Gute Trauerſpiele haben wir ſehr wenige. Viele ſind ganz wohldialogirte und wohlverſifizirte Idyllen, andre ein herrliches Opiat von politiſchem Geträtſch’ oder artige Brechtränke von Schulchrieen; wieder andre das kunterbunteſte Tollhäuslergewäſch; zerſtükkelte Reden, lange Apoſtrophierungen an die Götter, (denn mit Menſchenkindern wiſſen die Herren nicht zu ſprechen) falſche Maximen, hochgeſchraubte Gemeinpläze. {Kandide} hörte aufmerkſam zu, und faſſte von dieſem Kritiker eine groſſe Meinung; und da die {Marquiſe} ihm neben ſich einen Plaz zu geben die Güte gehabt hatte, ſo nam er ſich die Freiheit ihr die Frag’ in’s Ohr zu fliſtern: wer der ſo geſund urtheilende Mann wäre? Ein Gelehrter, ſagte die {Dame}, der nicht pointirt und den der {Abee} manchmal zum Abendbrod herbringt; ein groſſer Kenner von Trauerſpielen und Büchern. Er hat eine ausgepfifne Tragödie gemacht, und ein Buch, davon nie ein anders Exemplar aus ſeines Verlegers Laden gekommen iſt, als das, ſo er mir dedizirt hat. Ein groſſer Mann ſagte {Kandide}! ein andrer {Panglos}! Hierauf wandt’ er ſich folgendermaaſſen an ihn: Vermutlich glauben Sie doch auch, mein Herr, daß in der phyſiſchen Welt ſowohl als in der moraliſchen alles auf’s Beſte eingerichtet iſt, und daß nichts einen andern Gang nemen kann? Nichts weniger denn meine Meinung, antwortete der {Gelehrte}. Ich finde vielmehr, daß bei uns alles der Quere geht, daß niemand weis, was ſeines Rangs, ſeines Amts iſt, noch was er thut, noch was er thun ſoll: und nem’ ich die Supees aus, wobei noch immer Fröhlichkeit herrſcht und auch ziemlich viel Eintracht, ſo bringen die Menſchen den ganzen Überreſt ihres Lebens mit dem albernſten Gekrette hin. Janſeniſten ſind gegen Moliniſten, Parlamentsglieder gegen Männer von Litteratur, Hofſchranzen gegen Hofſchranzen, Finanzpächter gegen das Volk, Weiber gegen ihre Männer, Anverwandte gegen Anverwandte; kurz, es iſt ein ewiger Krieg. {Kandide} antwortete ihm: Ich habe noch viel ſchlimmers geſehen; allein ein weiſer Mann, der nachher das Unglük gehabt, aufgehängt zu werden, lehrte mich, daß alles über die Maaſſen gut und blos {das} ſei, was der Schatten in einem ſchönen Gemälde. Der Herr Weiſe am Galgen hatte die Leute zum Beſten, ſagte {Martin}; dieſe Schatten ſind gräsliche Flekke. Die Menſchen ſind’s, die dieſe Flekke machen, und ſie können’s nicht vermeiden, ſagte {Kandide}. Sonach iſt’s nicht ihre Schuld, antwortete Martin. Die meiſten von den Pointeurs, denen dies Rotwälſch war, zechten, {Martin} unterhielt ſich mit dem {Gelehrten}, und {Kandide} erzählte einen Theil ſeiner Abenteuer der {Dame vom Hauſe}. Nach dem Supee führte die {Marquiſe} {Kandiden} in ihr Kabinet; er muſſte ſich auf ein Sopha ſezen. Die Dame. Nun, glühen Sie noch immer für [Mademoiſelle Cunegonde von Dundertronksaus]? {Kandide}. Noch immer, gnädige Frau! Marquiſe (mit einem zärtlichen Lächeln). Geantwortet, wie ein echter junger Weſtphale. Ein Franzos an Ihrer Stelle hätte zu mir geſagt: Bisher Madam; ſeit ich Sie aber geſehn, beſorg’ ich ſehr, [Mademoiſelle Cunegonde] nicht mehr zu lieben. {Kandide}. O, Madame ſprechen Sie, was ich ſagen ſoll, ich will ja alles ſagen. {Marquiſe}. Ihre Leidenſchaft für die [Baronne] begann dadurch, daß Sie ihr Schnupftuch aufhoben, jetzt ſollen Sie mir mein Strumpfband aufnehmen. Herzlich gern, Madam, ſagte {Kandide}, und hob’s auf. Sie müſſen mir’s nun wieder umbinden, hub die {Dame} an, und {Kandide} that’s. Sehn Sie, ſagte die {Dame}, Sie ſind ein Ausländer, meine Pariſer Liebhaber laſſ’ ich manchmal funfzehn Tage ſchmachten, Ihnen aber ergeb’ ich mich in der erſten Nacht, denn einem jungen Weſtphalen mus man die Honneurs ſeines Landes machen. Die {Dame} war Franzöſin, {Kandide} glühend vom Wein, noch glühender von den Reizen, die er oberhalb des Kniees der {Marquiſe} beim Strumpfbandumbinden in dem verführeriſchſten Proſpekte zu ſehn Gelegenheit gehabt hatte; das Kabinet wollüſtigdämmernd; alles ringsum hatte ſo viel anlokkendes; allein waren ſie; er erlag. Sie ſpielten ihr Duodram beide recht brav; die {Dame}, als eine Frau von Welt, geübt in den ſchlauſten, unterhaltendſten Buhlerinnenkünſten; {Kandide}, als ein unentnervter junger Weſtphale; er nam ſich völlig dabei, wie {Herkules} in der Nacht gegen die Funfzig. Nach geendeter Sophaſcene, lobte die Schöne zwei übergroſſe Diamanten, die ſie bereits längſt bei ihrem jungen Fremden wahrgenommen hatte, ſo treuherzig, daß ſie in einem Hui an den Fingern der {Marquiſe} ſaſſen. Wie {Kandide} mit ſeinem Abee {Perigourdin} zu Hauſe ging, ſtiegen ihm einige Skrupel wegen der Untreue auf, die er an der Barones {Kunegunde} begangen hatte; der Herr {Abee} nam an ſeinem Kummer Theil: er hatte an den funfzigtauſend Livres, die {Kandide} in dem Spiel verloren hatte und an den beiden Brilljanten, die halb geſchenkt, halb abgedrungen waren, nur ſehr geringen Antheil gehabt. Der Herr {Abee}, der jezt einen tüchtigen Schnitt zu machen dachte, war bemüht, ſich bei {Kandiden} immer mehr einzulieblen, ſchwazte ihm viel von {Kunegunden} vor, und {Kandide} ſagte: er wollte ihr auf den Knien auf’s herzinnigſte ſeine Untreue abbitten, wenn er ſie zu Venedig ſehn würde. {Perigourdin} verdoppelte ſeine Höflichkeit und ſeine Aufmerkſamkeit, nam an alle dem, was {Kandide} ſagte, that, ja noch thun wollte, den wärmſten Antheil. So haben Sie mit ihr ein Rendezvous zu Venedig verabredet? fragte er. „Das hab’ ich, lieber {Abee}; ich mus platterdings mein {Gundchen} wiederfinden.“ Das Vergnügen, von ſeiner Geliebten ſprechen zu können, ris ihn hin, und er erzählte, nach ſeiner löblichen Gewohnheit, einen Theil ſeiner Abenteuer mit dieſer berühmten Weſtphalin. Barones {Kunegunde} hat zweifelsohne viel Geiſt, ſagte der {Abee}, und ſchreibt treffliche Briefe. „Was ich nicht ſagen kann! Ich habe nie welche von ihr bekommen. Als ich wegen meiner Liebe zu ihr war aus dem Schloſſe gejagt worden, konnt’ ich nicht an ſie ſchreiben; bald darauf erfuhr ich, ſie ſei todt, hernach fand ich ſie wieder, und verlor ſie plözlich, und jezt hab’ ich ihr zweitauſendfünfhundert Meilen von hier einen Expreſſen geſandt, deſſen Antwort ich erwarte.“ Der {Abee} hörte aufmerkſam zu und ſchien ein wenig ſtaunend. Bald darauf nam er mit der zärtlichſten Umarmung von den beiden Fremden Abſchied. Den folgenden Morgen erhielt {Kandide} einen Brief, folgendermaaſſen abgefaſſt: „Mein Beſter, ſeit acht Tagen lieg’ ich hier krank. Jezt eben vernem’ ich, daß Sie hier ſind. Trügen mich meine Beine, ſo flög’ ich in Ihre Arme. Zu Bordeaux erfuhr ich, wohin Sie ſich gewandt hätten; ich habe den treuen {Kakambo} und die {Alte} dort gelaſſen, die bald hier eintreffen müſſen. Der Gouvernör von Buenosayres hat mir alles genommen, aber Ihr Herz bleibt mir noch übrig. Kommen Sie, Ihre Gegenwart ſchenkt mir entweder das Leben wieder, oder tödtet mich vor Vergnügen.“ Ihre {Kunegunde} Dieſer entzükkende, unverhofte Brief machte {Kandiden} ganz berauſcht vor Freude, allein die Unbäslichkeit ſeiner Lieben ſchlug ihn äuſſerſt nieder. Ein Raub dieſer beiden Empfindungen nam er ſein Gold und ſeine Diamanten, und lies ſich ſamt {Martinen} in das Hotel führen, worin Barones {Gundchen} logierte. Mit hochklopfendem Herzen, an jedem Gliede vor Vergnügen zitternd, und mit bebender Stimme, ſtürzt’ er in ihr Zimmer, wollte die Bettvorhänge aufreiſſen, wollte Licht haben. Um Gottes willen nicht! ’s is dem gnädigen Fräulein nichts ſchädlicher wie’s Licht! ſchrie die Magd, und riz raz! wurden die Vorhänge dicht feſt wieder zugezogen. Was machen Sie, liebſte {Kunegunde}! ſagte {Kandide} mit einem Strom von Thränen. Laſſen Sie mich doch wenigſtens Ihre Stimme hören, da ich Ihr Geſicht nicht ſehen darf. Ja, ſprechen darf meine gnädige Herrſchaft auch nicht, ſagte das Mädchen. Die {Dame} ſtrekte eine runde, fleiſchichte Hand zum Bette hinaus, die {Kandide} lange mit Thränen benezte, und hernach mit Diamanten anfüllte; auf den Stuhl neben ihrem Bette hatt’ er einen Beutel mit Gold hingelegt. {Kandide} ſchwamm in Liebeswonne, als ein Polizeibedienter mit etlichen Mann hereintrat, der Abee {Perigourdin} begleitete ihn. Das ſind alſo die beiden verdächtigen Fremden? ſagte Erſtrer. Sogleich bemächtigte man ſich ihrer und die Herren Pakans waren auf dem Sprunge, ſie ins Gefängnis zu ſchleppen. So begegnet man in Dorado den Fremden nicht, ſagte {Kandide}. Ha! ich bin mehr Manichäer denn je, rief {Martin}. Aber mein Herr, wo führen Sie uns hin? ſagte {Kandide}. In ein tiefes Loch unter der Erde, antwortete der Polizeibediente. {Martin}, der all’ ſeine Kaltblütigkeit wieder hatte, ſchlos, die vorgebliche Barones {Kunegunde} ſei eine Betrügerin, der Herr Abee {Perigourdin} ein Betrüger, der ſich Kandidens Treuherzigkeit auf’s ſchleunigſte zu Nuze gemacht hatte, und der Polizeibediente ein andrer Spizbube, den man leicht loswerden könnte. Ehe {Kandide} die Sache zu gerichtlichen Weitläuftigkeiten gedeihen lies, bot er auf Anraten {Martin’s} und ſeines Herzens, das ſich äuſſerſt nach der wahren {Kunegunde} ſehnte, dem Polizeibedienten drei kleine Diamanten an; jeder ungefähr dreitauſend Piſtolen wert. O mein Herr, ſchrie der Mann mit dem elfenbeinernen Stabe, und hätten Sie auch Allerweltsmiſſethaten begangen, ſo ſind Sie doch der bravſte Kavalier auf Gottes Erdboden! Mir drei Diamanten zu geben! Jeden zu dreitauſend Piſtolen. Todtſchlagen will ich mich eh’r für Sie laſſen, Herr Milord, als Sie in’s Gefängnis führen. Zwar haben wir die ſtrengſte Order, jedweden Fremden zu arretiren, wes Standes und Würden er auch ſey: ich will aber das Ding ſchon h’rumzudrehen wiſſen. Ich habe zu Dieppe in der Normandie einen Bruder, zu dem will ich Sie hinbringen, und haben Sie noch Einen Diamanten d’ran zu ſpendiren, ſo wird er ſo gut für Sie ſorgen, als wär’ ich’s ſelbſt. Und warum werden hier alle Fremden in Haft genommen? frug {Kandide}. Jezt ergrif der Abee {Perigourdin} das Wort, und ſagte: Darum, weil ein elender Schuft aus dem Lande Atrebatien jämmerlichen, elenden Schnikſchnak gehört hatte, blos deshalb hatt’ er einen grauſamen Mord begangen, einen ſolchen freilich nicht, wie er 1610 im Maimonat begangen wurde, ſondern einen ſolchen als 1594 im Monat December vorfiel; auf deſſen Schlag nachher noch viele andre Mordthaten in andern Jahren und andern Monaten von andern elenden Schuften aus gleichen Gründen ſind ausgeführt worden. [Monſieur l’Exempt] erklärte jezt, was der Abee im Dunkeln gelaſſen hatte. Ha! die Ungeheuer! ſchrie {Kandide}. Wie? ſolche gräsliche Thaten werden unter einem Volke verübt, das ſingt und tanzt! Könnt’ ich doch auf’s ſchnellſte aus einem Lande, wo Affen Tiger aufhezen! Bären ſah’ ich in meinem Vaterlande, Menſchen nur in Dorado! Um Gottes willen [Monſieur l’Exempt] ſchaffen Sie mich nach Venedig, wo ich Barones {Kunegunden} erwarten mus. Weiter kann ich Sie nicht bringen, lieber Herr Baron, als nach der Niedernormandie, verſezte der Barigello. Sogleich lies er ihm ſeine Bande abnemen, ſagte: es wäre ein Verſehn, ſchikte ſeine Leute zurük, führte {Kandiden} und {Martinen} nach Dieppe, wo er ſie in den Händen ſeines Bruders lies. Es lag ein kleines holländiſches Gefäs in der Rhede. Der Normann, der mittelſt drei andrer Diamanten das dienſtfertigſte Geſchöpf von der Welt geworden war, dung {Kandiden} und ſeine Leute auf dies Schif, das nach Portsmouth in England ging. Freilich war das nicht der Weg nach Venedig, allein {Kandide} nam ſich vor, ihn bei erſter beſter Gelegenheit einzuſchlagen. Jezt dankt’ er nur Gott, daß er aus {der} Hölle heraus war. 23. Drei und zwanzigſtes Kapitel. // {Kandide} und {Martin} kommen an die Engliſchen Küſten; was ſie dort ſehn. {Kandide}. Ha, {Panglos}! {Panglos}! Ha, {Martin}! {Martin}! Ha, meine traute {Kunegunde}! was iſt dieſe Welt hier! {Martin}. Ein erzpudelnärrſches und erzabſcheuliches Gemächte. {Kandide}. Sie ſind doch in England bekannt, giebt’s dort eben ſolche Thoren wie in Frankreich? {Martin}. Eben! nur von anderm Schnitt und von andrer Farbe. Sie wiſſen, dieſe beiden Nationen führen wegen ein {Paar} lumpichter Hufen Schnee, die gegen Kanada liegen, Krieg, und verſchwenden bei dieſem allerliebſten Kriege weit mehr, als das ganze Kanada wert iſt. Ihnen genau zu beſtimmen, ob’s hier zu Lande mehr Leute giebt, die man an die Kette legen ſollte, wie in jenem, das vermag ich nicht; dazu hab’ ich zu wenig Auge. Blos das weis ich, daß die Leute, wo wir jezt hinkommen, eine ſtarke Doſin ſchwarzer Galle bei ſich führen. So hatten ſie ſich an die Geſtade von Portsmouth hingeplaudert. Eine Menge Pöbel ſtrömte zum Ufer hin, und ſchaute mit unverrüktem Auge nach einem ziemlich groſſen dikken Mann, der mit verbundnen Augen auf dem Verdek eines Schifs aus der Flotte kniete. Gegen ihm über ſtanden vier Soldaten, die mit dem kälteſten Herzen und Auge ihm drei Kugeln in’s Gehirn jagten, und die ganze Verſammlung ging in der vergnügteſten Laune auseinander. Was heiſſt das! ſagte {Kandide}. Üben denn überall böſe Geiſter ihre Macht! Wer war denn der Sir {Wanſt}, den Ihr mit ſolchen Solennitäten umbrachtet? fragte er einen von den Umſtehenden. Ein Admiral, war die Antwort. Und wozu tödtet Ihr dieſen Admiral? „Er hat nicht Leute genug umgebracht; er ficht mit einem Franzöſiſchen Admiral, und nachher find’t ſich’s, daß er ihm nicht dicht genug auf der Haut geweſen iſt.“ Aber, ſagte {Kandide}, der Franzöſiſche Admiral war ja ſo weit vom Engliſchen als dieſer von jenem. „Nicht zu läugnen, indes kann’s hier zu Lande gar nicht ſchaden, wenn einmal ein Admiral arquebuſirt wird, deſto mehr lodert den übrigen der Mut an.“ Der gehabte Anblik, die eben gehörte Rede, hatten {Kandiden} ſo betäubt, wurmten ihm ſo ſehr, daß er nicht einmal den Fus an’s Land ſezen wollte, und auf der Stelle mit dem Holländiſchen Schiffer bedung, ihn ungeſäumt nach Venedig zu bringen; ſollte der ihn auch gleich wie der Surinamſche Schifspatron beſchnellen. Binnen zwei Tagen war der Schiffer klar. Es ging an den Küſten von Frankreich weg, dicht vor Liſſabon vorbei, wo {Kandiden} kalter Schauer über den Nakken lief; hinein in die Straſſe und ſo in’s Mittelländiſche Meer; endlich lag man vor Venedig. Gott Lob, ſagte {Kandide} zu {Martinen}, den er feurig umarmte, hier werd’ ich ſie wiederſehn, die ſchöne {Kunegunde}! Auf {Kakambo’n} rechn’ ich wie auf mich ſelbſt. O! es geht alles gut! alles! es kann gar nicht beſſer ſein. 24. Vier und zwanzigſtes Kapitel. // Von {Gertruden} und Bruder {Viola’n}. Kaum hatten ſie den Fus in die Stadt Venedig geſezt, ſo lies er {Kakambo’n} in allen Wirtshäuſern aufſuchen, in allen Kaffeehäuſern, bei allen {Töchtern der Freude}; kein {Kakambo} zu finden. Täglich muſſten ſeine Leute nach dem Hafen und nachfragen; es mochte Schif oder Barke gekommen ſein. Nichts zu hören noch zu ſehn von {Kakambo’n}! Das iſt mir unbegreiflich, ſagte {Kandide} zu {Martin}. Ich bin von Surinam nach Bourdeaux gegangen, von Bourdeaux nach Paris, von Paris nach Dieppe, von Dieppe nach Portsmouth, bin Spanien und Portugall endlängs geſeegelt, habe das ganze Mittelländiſche Meer durchſtrichen, etliche Monate zu Venedig zugebracht, und doch hat ſich in all’ der Zeit Barones {Gundchen} nicht eingeſtellt! Ich habe ſtatt ihrer weiter nichts gefunden, als eine Flirtje und einen Abee {Perigourdin}. Ganz gewis iſt ſie todt, meine {Gunde}! Ihr nach iſt noch das Einzige, was du thun kannſt {Kandide}! — — Ha! wär’ ich doch in dem Paradieſe, in Eldorado geblieben, und nicht nach dem Drachenneſte, dem Europa zurükgekehrt! Sie haben ganz Recht, lieber {Martin}! Es iſt alles in der Welt leerer blauer Dunſt! Iſt allenthalben Drang und Sturm! Es befiel ihn ſo düſtere Schwermut, daß er weder an den neuſtaufgebrachten Duodramen, noch an den Volksſtükken aus Ammenmärchen mit mächtiger Genieskraft geknätet, bei deren Vorſtellung im Schauſpielſaale kein Apfel zur Erde konnte, noch an irgend einer Faſchingsluſtbarkeit Theil nam; ſogar bei einer Danae von Mädchen ſtieg ihm kein Fünkchen Begier auf. Gute, treuherzige Seele! ſagte {Martin}, Sich einzubilden, eine Meſtize von Bedienten mit fünf oder ſechs Millionen in der Taſche, wird hingehn bis an’s Ende der Welt, und Ihre Geliebte aufſuchen. Findet er ſie, ſo fiſcht er ſie für ſich ſelbſt weg; findet er ſie nicht, ſo wirft er ſeinen wohlbeſpikten Köder einem andern Dirnchen in den Rachen. Mein Rat iſt der: Schlagen Sie Sich alle Beide aus dem Sinn; Ihren Kerl den {Kakambo}, und Ihre Geliebte, die Barones {Kunegunde}. {Martin} war kein guter Tröſter, auch wuchs {Kandiden’s} Schwermut täglich, und täglich rieb ihm der Manichäer die Ohren mit dem Beweiſe, daß es in der Welt nur wenig Tugend, wenig Glük gäbe, ausgenommen etwa im Eldorado, wo Niemand hinkönnte. Eines Tages, wie ſie über dieſe wichtige Materie ſtritten und {Kunegunden} noch immer erwartend, über den St. Markusplaz gingen, ward {Kandide} einen jungen Theatiner gewahr, der ein Mädchen unterm Arm hatte. Der {Theatiner} war ein friſchblühender, feiſter, herkuliſcher Geſell, mit kühnumſchauendem Adlerblik, ſtolzer Mine und kekkem Gange. Sein {Liebchen}, ein gar niedliches Ding, ſchäkerte ſingend neben ihm her, warf den vollen Blik der Liebe auf ihren {Theatiner}, und knif ihm manchmal in die runden, vollen Bakken. Nun, dieſe beiden Leute werden Sie doch wohl für glüklich erklären, ſagte {Kandide} zu {Martin}; auf der ganzen bewohnten Erdkugel hab’ ich, ausgenommen im Eldorade, nichts als Unglükliche gefunden; daß aber dies Mädchen und dieſer Theatiner vollglükliche Geſchöpfe ſind, darauf wollt’ ich wetten. Ich wette, ſie ſind’s nicht! ſagte {Martin}. Ich darf ſie nur zu Gaſte bitten, verſezte {Kandide}, ſo ſehn wir gleich, ob ich mich geirrt habe. Sofort ging er auf ſie zu, machte ihnen ſein Kompliment, und bat ſie, in ſeinen Gaſthof zu kommen, und mit Macaroni, Lombardiſchen Rebhünern, Störrögen, und etlichen Flaſchen Montepulciano, Lacrimâ Chriſti, und Cyper- und Samoswein vorlieb zu nemen. Das {Mädchen} ward rot, der {Theatiner} nam die Einladung an. Das junge {Frauenzimmer} folgte ihm, blikte {Kandiden} mit einem Auge an, worin ſich Beſtürzung und Beſchämung malte, und manche Thräne trat. Kaum waren ſie im Hauſe, ſo ſagte die {Dirne}, die {Kandiden} abſeits genommen hatte: Kennen Sie denn {Gertruden} nicht mehr, lieber Herr {Kandide}? Dieſer, dem {Kunegunde} ſtets vor Augen ſchwebte, hatte vorher nur einen flüchtigen Blik auf dies Mädchen geworfen, jetzt faſſt’ er ſie feſt in’s Auge, und ſagte: Wären Sie’s wirklich, liebes Kind, Sie, die dem armen {Magiſter} ein ſo ſchönes Geſchenk gemacht haben? Ach ja, mein Herr! ich bin’s, ſagte {Gertrud}. Wie ich höre, ſo wiſſen Sie bereits alles! Nun ich weis auch, wie höchſt kläglich es dem ganzen Hauſe der Frau Baroneſſin ergangen iſt, und was die ſchöne Barones {Gundchen} für ein entſezliches Ende gehabt haben. Aber ich bin, weis Gott, die Zeit über auch nicht auf Roſen gegangen, hab’ auf Dornen und Diſteln geſeſſen. Als ich hin auf den Edelhof kam, war ich noch ganz unſchuldig; darum fiel’s meinem Beichtvater, einem Franziskaner gar leicht, mich zu verführen. O! was für gräsliche Folgen entſtanden daraus; ich muſſte das Schlos nicht lange nachher verlaſſen, als Sie der Herr Baron mit derben Tritten in den Hintern h’nausgeſchubt hatte. Hätte ſich nicht ein berühmter Dokter meiner erbarmt, ich wäre ſicher drauf gegangen. Aus Erkenntlichkeit ward ich ’ne Zeitlang ſeine Mätreſſe. Seine Frau, das raſend eiferſüchtigſte Thier von der Welt, ein zehnmal ärgrer Satan von Weibe wie Xantippe, bläute mich tagtäglich ſo unbarmherzig, wie’n neugebaknes Leutnantchen ſeines Hauptmanns Kompanie. Ein unglüklichers Mädchen gab’s wohl nicht, wie ich. Tagtäglich richtig meine derbe Tracht Prügel eines Mannes wegen, den ich nicht lieben konnte, und tagtäglich Kareſſen und Liebkoſungen dieſem Manne, der ’ne wahre, alte Bloksbergsfraze war. ’S iſt ’n gefärlich Ding, wenn ein Zankteufel eine Doktersfrau iſt. Madame Brumeiſen erfuhr’s. Ihr Mann hatte endlich das Ding ſatt, gab ihr eines Tages, um ſie vom Schnupfen zu kuriren, eine ſo wirkſame Arzenei, daß ſie zwei Stunden drauf mit den jämmerlichſten Verzukkungen abſchurte. Die Anverwandten der Frau Doktern ſpannen einen Kriminalprozes gegen den Mann an, der ſich glüklich aus dem Staube machte, und mich drin ſizen lies. Man warf mich in’s Gefängnis, woraus mich nicht meine Unſchuld rettete, ſondern meine ganz leidliche Geſtalt. Der Richter ſezte mich auf freien Fus unterm Beding, des Dokters Stelle einnemen zu dürfen. In einem Huſch wurd’ ich ausgeſtochen, krigte die Schüppe, muſſte ohn’ einen Liard Grazial von dannen wandern, und ſah’ mich genötigt, jenes abſcheuliche Handwerk zu ergreifen, was Euch Mannsperſonen ſo angenem dünkt, und was für uns eine vollſtrömende unerſchöpfliche Quelle des Elends iſt. Ich ging nach Venedig, um hier mein Gewerbe zu treiben. O! mein Herr! Sie können ſich nicht vorſtellen, was das für eine Höllenmarter iſt, alles durch die Bank weg kareſſieren zu müſſen; bald ’nen alten Kaufmann, bald ’nen Advokaten, bald ’nen Mönch, bald ’nen Gondelführer, bald ’nen {Abbáte}; jeder Beſchimpfung Preis gegeben zu ſein; zum Schuhhader gebraucht zu werden. Oft iſt man ſo rein herunter, daß man vom Juden ein armſelig Fähnchen borgen mus, um ſich’s von der ekelhafteſten, fatalſten Priſe, vom ſchlechteſten Schufte aufdekken zu laſſen. Das Bischen, was man von dem Einen verdient, wird einem von dem andern wegſtipizt; man ſchwebt immer unterm Klauen der heiligen Engel, und hat im Proſpekt weiter nichts als das Zuchthaus oder gar das Lazaret oder den Miſthaufen, woſelbſt alsdann das abgemergelte halbverfaulte, verrunzelte und verſchrunzelte Geripp, faſt in der Blüte der Jahre ſein Leben verkeuchen mus. Wenn Sie Sich das alles ſo recht lebhaft denken, ſo werden Sie ſehn, daß es keine unglüklichere Kreatur auf der Welt gibt, als mich. So ſchüttete {Gertrud} in einem Kabinet ihr Herz gegen den biedern {Kandiden} aus. Ha! halb wär’ 'die Wette gewonnen! rief {Martin}, der mit zugegen war. Bruder {Viola} war im Speiſeſaal geblieben, und hatte ſich derweil’ an eine Flaſche Cyperwein gemacht. „Du ſahſt mir aber ſo fröhlich, ſo zufrieden aus, {Trudchen}, wie ich Dir begegnete, ſangſt ſo aus vollem Herzen, kareſſierteſt Deinen Theatiner mit ſo ungeheuchelter Liebeswärme, daß Du mir eben ſo glüklich ſchienſt, als unglüklich Du Dich ausgibſt.“ Ach lieber Herr {Kandide}, ſagte {Gertrud}. Das iſt eben mit das ärgſte Kreuz bei meinem Handwerk. Noch geſtern wixte mich ein Officierchen rein durch, und zog mich rattenkahl aus, und heute mus ich die fröhlichſte Laune affektiren, um mich bei ’nem Pfaffen anzuſchmeicheln. Nun hatte {Kandide} ſchon genug und gab {Martinen} Recht. Sie ſetzten ſich beide mit {Gertruden} und dem {Theatiner} an den Tiſch; hielten ein recht fröhliches Mahl, und wurden beim Wein ganz offen. Herr Pater, ſagte {Kandide} zum {Mönch}; Sie ſcheinen mir ein Loos zu genieſſen, weshalb Sie jederman beneiden mus; die blühendſte Geſundheit lacht aus Ihrem Geſicht, Sonnenſchein ſizt über Ihren Augbrauen, und verkündigt, wie vollglüklich Sie ſind; Sie haben das niedlichſte Mädchen zum Zeitvertreibe, und ſcheinen mit Ihrem Theatinerſtand höchſt vergnügt. Ich wollte, alle Theatiner hätten einen Mühlſtein am Hals, und lägen im Meere, wo’s am tiefſten iſt, ſagte Bruder {Viola}. Ich bin wohl ſchon hundertmal Willens geweſen, das Kloſter anzuſtekken, und hinzugehn, und ein Türk zu werden. In meinem funfzehnten Jahre muſſt’ ich nolens volens die verwünſchte Jakke anziehn, damit mein ältrer Bruder — Gott und alle Heiligen verdammen ihn, den praſſenden, putenjunkerſchen Buben! — recht [à ſon aiſe] ſchwelgen kan. Ich wurd’ in ein Kloſter gebant, das man gemeiniglich für einen Wohnſiz der religiöſeſten Ruhe hält; und das, beim Lichte beſehn, weiter nichts iſt, als der Tummelplaz der Eiferſucht, der Zwietracht und des Ingrims. ’S iſt wahr, ich habe mir manchmal mit einem jämmerlichen Schnikſchnak ein’ge Bazen in die Taſche gepredigt. Aber was hat’s geholfen? Die Hälfte davon ſtiehlt mir der {Prior} weg und um’s Übrige bringen mich die Menſcher. Wenn ich des Abends in’s Kloſter komme, bin ich ſo fuchswild, daß ich gleich den Kopf gegen die Wand rennen möchte, und all’ meinen Brüdern in Paulo geht’s nicht ein Haar beſſer. Nun hab’ ich nicht die Wette ganz gewonnen? ſagte {Martin}, indem er ſich mit ſeiner gewönlichen Kaltblütigkeit gegen {Kandiden} wandte. {Kandide} gab {Gertruden} zweitauſend Piaſter, und Bruder {Viola’n} tauſend. Nun werden ſie glüklich ſein, ſagte er, dafür haft’ ich. Ich warlich nicht! verſetzte {Martin}. Vielleicht machen Sie ſie dadurch noch unglüklicher. Mag’s ausfallen, wie’s will! ſagte {Kandide}. Ich tröſte mich jezt damit, daß ich ſehe, wie man oft Leute wiederfindet, die man nie wiederzufinden verhoft hat; da ich meinen roten Hammel und {Gertruden} wiedergefunden habe, ſo kann ſich’s wohl noch fügen, daß ich {Kunegunden} wieder antreffe. {Martin}. Ich wünſch’ es von Herzen, daß dieſelbe Sie dereinſt glüklich machen möge; zweifle aber noch ſehr daran. {Kandide}. Hartherziger Mann. {Martin}. Was gar nicht zu verwundern. Ich habe lang’ in der Welt gelebt. {Kandide}. Sehn Sie einmal jene Gondelführer an. Singen ſie nicht mit dem frohſten Herzen vom frühen Morgen an bis zum dämmernden Abend. {Martin}. Werfen Sie einmal einen Blik in ihre vier Pfäle! Da werden Sie ſehn, wie ſie ſchmollen bei ihren Weibern und ihren Wechſelbälgen von Kindern; Sie werden finden, daß Sorg’ und Verdrus ſowohl unterm Schindeldache des Gondelführers wohnt, als unterm Pallaſte des Doge. Recht beim Licht beſehn, iſt der Gondelführer immer glüklicher als der Doge. Doch die Wage zur Hand zu nemen, und abzuwägen, um wieviel, lohnt warlich! der Mühe nicht. Es iſt, glaub’ ich, ein ſo winzig Theilchen mehr, daß eine Mükke es auf dem Schwanze über den Rhein führen kann. {Kandide}. Ich habe mir ſagen laſſen, der Senator Pococuranté, der dort in dem ſchönen Pallaſte auf der Brenta wohnt, und jeden Fremden ſo freundſchaftlich empfängt, ſoll der glüklichſte Mann auf Gotteserdboden ſein; noch nie ſoll ihn ein Quentchen Unmut gedrückt haben. {Martin}. Das Wundergeſchöpf möcht’ ich wohl ſehn. Sogleich ſchikte {Kandide} zum Signor {Pococuranté} und ließ um die Erlaubnis bitten, ihm Morgen aufwarten zu dürfen. 25. Fünf und zwanzigſtes Kapitel. // Beſuch beim Signor {Pococuranté}, Nobile de Venezia. {Kandide} und {Martin} ſezten auf einer Gondel über die Brenta und kamen im Pallaſte des Nobile {Pococuranté} an. Die Gärten waren ſehr weites Umfangs, und mit treflichen marmornen Bildſäulen ausgeſchmükt, der Pallaſt im ſchönſten neuſten Geſchmak erbaut. Der Herr vom Hauſe, ein Sechziger, und ſteinreich, nam unſre beiden Neugierigen mit ungemeiner Höflichkeit, zugleich aber mit wahrer hofmänniſcher Kälte auf, was {Kandiden} nicht wenig ſtuzig machte, {Martinen} aber gar nicht misbehagte. Zwei niedliche, wohlgekleidete Mädchen trugen Schokolat’ auf, die ſie zum perlendſten Schaum zerquirleten. {Kandide} konnte nicht umhin, ſie wegen ihrer Schönheit, wegen ihres Anſtandes, und wegen ihrer Gewandtheit zu loben. Sind ſo ziemlich gute Krabben! ſagte Senator {Pococuranté}. Manchmal nem’ ich ſie mit in’s Bette. Denn Eurer Stadtdamen bin ich überdrüſſig; ich kann ihre Kokettereien, Eiferſüchteleien, Kritteleien, Launen, Aufblaſereien und Albereien unmöglich aushalten, und ihre ewige Beſtellereien von Liedchen, ſelbſt, oder von irgend einem Mietspoeten gemacht. Doch bei alle dem werden mir auch dieſe Dirnen ſchon höchſt unleidlich. Nach dem Frühſtük beſahen ſie die Bildergallerie; einen ſehr groſſen geräumigen Saal Voll Menſchen Glut und Geiſtes. {Kandiden} war bei dem Beſchauen dieſer Meiſterwerke ganz wunderbar zu Mute; Sein Buſen war ſo voll und bang // Von hundert Welten trächtig; ſein ganzes Weſen ſchien in einem Meer von Entzükken aufgelöſt. Endlich rief er: Von welchem Meiſter? Und deutete auf ein Paar Gemälde, woran er ſich am meiſten ergezt, an welchen ſein Auge noch mit unbeſchreiblicher Bewundrung und liebewarm hing. Vom {Raphael}, ſagte der {Senator}. Ich war ſolcher alter Gek und kaufte ſie vor etlichen Jahren raſendtheuer; lies mich dazu beſchwazen, weil man mir verſicherte: Schönre Werke der Kunſt gäb’s in ganz Italien nicht; ich kann aber nicht ſagen, daß ſie mir anſtünden. Die Farben ſind zu dunkel gehalten; die Figuren haben nicht Ründung, nicht Hervorſpringendes genug, die Drapperien nichts weniger, als Ähnlichkeit mit Gewändern. Mit Einem Worte, was man auch drüber trätſcht, treukopirte Natur find’ ich gar nicht drinne. Natur, Natur, die liebe Natur verlang’ ich ohn’ alle Ziererei ſo wie allenthalben, auch in Gemälden; aber wo gäb’s ſolche Gemälde? Ich habe Klekkereien und Sudeleien die Menge, mag ſie aber gar nicht mehr anſehn. {Pococuranté} lies, während daß das Dinee beſorgt wurde, ein Konzert geben. {Kandide} ſchwamm in Vergnügen, glaubte Sphärenklang zu hören. Auf eine Viertelſtunde hört man das Gequinkelire, den Dideldumdei wohl an, ſagte {Pococuranté}, aber währts länger, ſo iſt’s jedermann überdrüſſig, ohne daß Eine Seele das Herz hat, es zu geſtehn. Heutzutage nimmt die Muſik hohen, ſonnenhohen Flug, und da mag’s der Teufel aushalten und lange mitfliegen. Vielleicht behagte mir die Oper beſſer, wenn man nicht das Kunſtſtükchen ausfündig gemacht hätte, ſie zu einem Ungeheuer umzuſchaffen, wobei ſich mein Magen empört. Geh’ hin wer da will, in Eure elende muſikaliſche Trauerſpiele, wo jede Scene dazu angelegt iſt, queerfeldein zwei oder drei lächerliche Liederchen anzubringen, welche die Kehle der Aktriſe in’s Licht ſetzen müſſen. Fall vor Vergnügen in Ohnmacht, wer da will, oder kann, wenn er einen Kaſtraten den Cäſar oder Kato hertrillern hört, oder ihn mit anmaslicher {Nobleſſe} auf dem Brettergerüſte herumſpazieren ſieht. Ich meines Orts habe ſchon längſt all’ dieſen Lappereien entſagt, die heutiges Tages den Stolz von Italien ausmachen, und von auswärtigen Potentaten ſo theuer bezahlt werden. {Kandide} diſputirte hierüber mit ihm, aber mit vieler Beſcheidenheit, {Martin} aber war völlig der Meinung des {Senator’s}. Man ſezte ſich zur Tafel, und nam ein prächtiges Mittagsmahl ein. Wie man abgeſpeiſt hatte, ging man in {Pococuranté’s} Bibliothek. {Kandiden} fiel ein prächtiggebundner {Homer} in’s Auge, und er machte dem [Illuſtriſſimo] über ſeinen Geſchmak ein Kompliment. An dieſem Werke, rief er, weidete ſich der groſſe {Panglos}, der beſte Philoſoph in ganz Teutſchland. Und ich mich nicht im geringſten, ſagte {Pococuranté} ganz kalt. Ehmals wollte man mich bereden, ich fände an deſſen Lektüre Vergnügen. Allein das ewige Vorgeleier von Schlachten, die ſich ähnlich ſehn, wie’n Ei dem andern; dieſe Götter, die in einem fort handeln, und doch nichts Entſcheidendes zu Stande bringen; jene Helena, die den ganzen Krieg angeſponnen hat, und die ſich faſt immer hinter der Kuliſſe hält; jenes Troja, das man immer belagert, und niemals einnimmt: alles das wurmte mir ſo ſehr, daß ich den Bettel in den Kamin werfen wollte. Ich fragte manchmal Gelehrte, ob ſie nicht eben ſo viel Langeweile bei dem alten Saalbader empfänden. Wer offenherzig war, geſtand mir, es ging’ ihm nicht beſſer; doch müſſte man ihn immer in ſeiner Bibliothek haben, ihn aufbewahren als ein Denkmal des Alterthums und wie jene verroſteten Schaumünzen, die nicht mehr im Gange ſind. {Kandide}. So denken doch [Voſſignoria] nicht vom {Virgil}? {Pococuranté}. Ich räum’ es ein, daß das zweite, vierte und ſechſte Buch ſeiner Aeneide treflich ſind, was aber ſeinen frommen Aeneas anlangt, den ſtarken Kloanthes, und Freund Achates, den kleinen Askan, den König Schwachkopf Latinus, die Spiesbürgerin Amata, und den Laffen von Weibe, die Lavinia, ſo glaub’ ich nicht, daß man je was Mattres Widerlichers geſehn hat. Viel lieber will ich den {Taſſo} leſen, und all die Ammenmärchen des {Arioſt’s}, worüber man ſtehend einnikken möchte. {Kandide}. Um Verzeihung, gnädiger Herr, finden Sie viel Vergnügen daran, den {Horaz} zu leſen? {Pococuranté}. Er hat Maximen, die ein Mann von Welt benuzen kann, und die wegen ihrer angenemen, lebhaften Einkleidung ſich dem Gedächtniſſe um ſo leichter einprägen. Allein ſeine Reiſe nach Brindiſi und ſeine Beſchreibung eines zuſammengeſudelten Mittagsbrodts, ſein Zankdialog im Karnſchiebertone zwiſchen Gott weis was für einem Rupilius, deſſen Worte, wie er ſagt, von {Eiter troffen}, und einem andern, deſſen Worte nach echt Italieniſchen Weineſſig ſchmekten, das alles iſt mir höchſt kahl und ſchaal. Mit äuſſerſtem Widerwillen hab’ ich die Grobheiten geleſen, die er den alten Weibern und Hexen in den Bart wirft, ich ſeh’ auch gar nicht ein, was das für ein groſſer oder kühner Gedanke iſt, wenn er zu ſeinem Freunde Mäcen ſagt: Wenn Du mich unter die lyriſchen Dichter rechneſt, werd’ ich mit erhabnem Nakken an die Sterne ſtoſſen. Aber ſo geht’s; an einem beliebten Autor ſtaunen die Dunſe alles als göttlich an. Ich leſe blos für mich, und was nicht in meinem Kram dient, ſteht mir auch nicht an. {Kandide}, der von der Amm’ an zu nichts weiter gewöhnt war, als zum Nachbeten, erſtaunte höchlich über alles das, was er hörte; {Martin} aber fand {Pococurantés} Urtheile gar nicht uneben. Ha! ein {Cicero}, rief {Kandide}. Den groſſen Mann werden Sie gewis nicht müde zu leſen? Warlich nicht! antwortete der {Venediger}, denn ich les’ ihn nie. Was ſchiert’s mich, ob er dem Rabirius oder Cluentius den Prozes geführt hat. Ich habe ſo Prozeſſe die Menge abzuurteln. Seine philoſophiſchen Schriften wären noch eher mein Kaſus geweſen; wie ich aber ſahe, daß er alles bezweifelte, ſo ſchlos ich, daß ich grade ſo viel wüſſte, wie er, und daß ich niemandes Hülfe bedürfte, um unwiſſend zu ſein. O! da ſind vierundzwanzig Bände vermiſchte Schriften von einer Akademie der Wiſſenſchaften, ſchrie {Martin}. Darunter könnte wohl was guts ſein! Und wäre auch, ſagte {Pococuranté}, wenn nur ein einziger von all’ den Schmierern die Kunſt erfunden hätte, Nähnadeln zu machen; ſo aber enthält der ganze Bras nichts als Syſteme, lauter Luftgut, und nicht ein Spierchen Brauchbares. Was für eine Menge Schauſpiele ſeh’ ich dort, rief {Kandide}, Italienſche, Spaniſche, Teutſche, Franzöſiſche! Ja wohl! ſagte der {Senator}, es ſind über dreitauſend Stük, und der guten nicht drei Dutzend. Daß ich dieſe Sammlungen Predigten, die insgeſamt nicht zwei Seiten von {Addiſon} aufwiegen, und alle jene dikken Folianten von Kirchenvätern und allen möglichen Theologaſtern, nie aufgemacht habe, ſo wenig wie ſonſt jemand, das werden Sie mir wohl unverſichert glauben. {Martin} ward einen Schrank gewahr, worin lauter Engliſche Bücher ſtanden: Ich glaube, es mus Wonne für einen Republikaner ſein, die meiſten dieſer Werke zu leſen, die den Geiſt der Freiheit ſo ſtark athmen. Freilich iſt’s ſchön, hinſchreiben zu dürfen, was man denkt, ſagte {Pococuranté}, das iſt das Vorrecht des Menſchen. Allein in unſerm ganzen Italien ſchreibt man blos, was man nicht denkt; die jezigen Bewoner der Gegenden, wo die {Cäſars} und die {Antonine} herrſchten, dürfen ſich nicht unterſtehn, einen Gedanken zu haben, wenn’s ein Dominikaner nicht erlaubt. Wie geſagt, ich wäre ſehr mit der Freiheit zufrieden, die den genievollen Britten begeiſtert, wenn nicht Leidenſchaft und Partheigeiſt alles verdürben, was dieſe köſtliche Freiheit Schäzbares hat. {Kandide} ward einen Milton gewahr, und fragte, ob er nicht dieſen Dichter für einen groſſen Mann hielte? „Ich, den Barbaren, der über das erſte Kapitel des erſten Buchs Moſe in zehn Büchern rauher Verſe einen weitſchweifigen Kommentar gemacht hat? Den plumpen Nachäffer der Griechen, der die Schöpfungsgeſchichte ganz verhunzt hat, der, indem Moſes den Allmächtigen ſchildert, wie er durch ein {Werde} die Welt hervorwinkt, ſeinen Meſſias einen groſſen Kompas aus einem Wandſchranke des Himmels hervorholen läſſt, um einen Ris ſeines Weltgebäudes zu entwerfen? Ich, ihn ſchäzen, der {Taſſo’s} Höll’ und Teufel verpfuſcht hat, der den Lucifer bald in eine Kröte, bald in einen Zwerch verkappt, der ihn die Leier immer herableiern läſſt, die er ihm einmal in die Hand gegeben hat, der ihm theologiſche Diſpüten, in den Mund legt’? Ich ſollte den Mann ſchäzen, der {Arioſt’s} komiſche Erfindung mit dem Schiesgewehr in gutem Ernſt nachäft, und ſich die Teufel in dem Himmel herumkanoniren läſſt? Weder mir noch ſonſt irgend jemand in Italien können ſie gefallen, dieſe kahlmäuſerſche Alfanzereien. Welcher Mann, der nur ein wenig Gefühl für’s Schöne hat, kann die Heurat der Sünde und des Todes, und die Schlangen, die Frau Sünde gebiert, leſen, ohne daß ſich ſein Magen empört! Und ſeine weitläufige, weitſchweifige Beſchreibung vom Hoſpitale gehört nur für einen Totengräber.“ „Dies dunkle, phantaſtiſche, ekelhafte Gedicht ward bei ſeiner erſten Erſcheinung verachtet; und ich thue jezt das, was gegen {Milton} ſeine Landleute und Zeitverwante thaten. Übrigens ſag’ ich, was ich denke, und kümmre mich wenig darum, ob andre eben ſo denken wie ich.“ {Kandiden} hatten dieſe Urtheile ein wenig gebeugt, er hielt den {Homer} hoch, und liebte den {Milton}. Sie kamen nunmehr vor einen Schrank, worin Teutſche Dichter ſtanden. Laſſen Sie uns vorübergehn, lieber {Martin}, fliſterte {Kandide} ihm zu. Es möchte ſonſt wieder ein unbarmherziges Gericht ergehn. Wobei mancher von den Herren nicht mehr als ſein Recht erhalten würde, ſagte {Martin}. Das wohl, antwortete {Kandide}, aber er könnte ſo nebenher meine Lieblinge antaſten, und das hielt’ ich nicht aus. {Pococuranté} beehrte ſie noch mit einigen von ſeinen Urtheilen; wir ſind’s aber ſatt mehrere Schiefköpfigkeiten nachzuſchreiben, und der Leſer iſt es auch gewis, ſelbige zu leſen. {Kandide} brummte in den Bart: Ein groſſer, groſſer Kopf. Das nenn’ ich noch Genie! Dem kann niemand etwas zu Danke machen! Nachdem beſagtermaaſſen {Pococurantés} Bücher die Muſterung paſſirt hatten, ſtiegen ſie in den Garten hinab. {Kandide} lobte alle deſſen Schönheiten. Schönheiten? ſagte der Eigner des Gartens. Das nennen Sie Schönheiten? Iſt nichts als lauter Flitter- und Klipperkram; Iſt purer purer Schneider-Scherz // Trägt nur der Scheere Spur // Und nicht das groſſe volle Herz // Von Mutterlieb Natur. Doch nur Geduld, morgen liegt der ganze Bettel hier in einen Klumpen, und aus dem Schutt und Graus ſoll ein gar ander Ding aufſtehn. Wo man hintritt, wo man hinriecht und hinſieht, ſoll Natur entgegenwittern, und doch ſoll’s nicht ſo kunterbunt, ſo regelloswild ſein, wie in den ſo hochgepriesnen Gärten der Engländer. Als unſre beiden Neugierigen von dem [Illuſtriſſimo] Abſchied genommen hatten, ſagte {Kandide} zu {Martinen}: Daß der Mann der Glüklichſte unter allen Menſchen iſt, werden Sie mir doch wohl zugeben; er iſt weit über alles erhaben, was er beſizt. {Martin}. Sehn Sie denn nicht, daß er alles deſſen überdrüſſig iſt. Die Mägen ſind nicht die beſten, hat ſchon {Plato} vor Jahrhunderten geſagt, die nicht jede Speiſe vertragen können. {Kandide}. Aber, iſt es nicht Wolluſt, jedes Ding zu bekritteln, Fehler aufzuſpüren, wo andre Leute mit ihrer ſchlechtgeſchlifnen Brille nichts als Schönheiten ſehn? {Martin}. Das heiſſt verdolmetſcht, es iſt Wolluſt, gar keine Wolluſt zu genieſſen. {Kandide}. Nun dann! ſo bin ich dann allein der Glükliche, wenn ich mein {Gundchen} in den Armen haben werde. {Martin}. Hofnung iſt noch das Beſte, was der Menſch hat! Indeſſen verfloſſen Tage, Wochen, Monate, und kein {Kakambo} erſchien. {Kandide} war in einem ſolchen Meer von Wehmut verſenkt, daß es ihm gar nicht einfiel, wie weder {Gertrud}, noch Bruder {Viola} wiedergekommen waren, und ſich für die dreitauſend Piaſter bedankt hatten. 26. Sechs und zwanzigſtes Kapitel. // {Kandide} und {Martin} ſpeiſten mit ſechs Ausländern. Wer dieſe Ausländer waren. Eines Tages, als ſich {Kandide} mit {Martinen}, und den Fremden, die mit ihm in eben dem Wirtshauſe logirten, zu Tiſche ſezen wollte, pakt’ ihn ein Menſch mit einem Rusgeſicht von hinten zu beim Arme, und raunte ihm zu: daß Sie Sich ja reiſefertig halten! Vergeſſen Sie’s nicht. {Kandide} dreht ſich um, und ſieht {Kakambo’n}. Auſſer {Kunegunden} konnte kein Anblik für ihn überraſchender und erfreulicher ſein. Seine Freude artete faſt in Wahnſinn aus. Mit der glühendſten Umarmung ſagt’ er zu ihm: O! ſie iſt alſo hier meine {Kunegunde}! Wo iſt ſie denn, mein Beſter, Einziger? Bring mich doch zu ihr. Las mich doch mit ihr vor Freude ſterben! {Kunegunde} iſt hier nicht, ſagte {Kakambo}; iſt zu Konſtantinopel. „Jeſus und Gott! zu Konſtantinopel! Doch es thut nichts. Und wär’ ſie in China, ich flöge hin! Mit zu Schiffe! mit!“ und {Kandide} hatte {Kakambo’n} ſchon zur Hausthür’ hinausgeriſſen. Vor Eſſens kann daraus nichts werden, ſagte {Kakambo}. Weiter kann ich Ihnen jezt nichts ſagen. Nur noch ſo viel: ich bin Sklave, mein Herr wartet auf mich. Ich muß in den Speiſeſaal, und ihn bedienen. Sein Sie ja mäuschenſtill, eſſen Sie Ihr Abendbrod, und machen Sie Sich reiſefertig. {Kandide} war halb ein Raub der Freude, halb der Betrübnis; der Freude, der entzükkendſten Freude, weil er bald ſein {Gundchen} wiederſehn ſollte, und jezt ſeinen treuen Sachwalter wiedergefunden hatte; der Betrübnis, daß er Letztern als Sklave ſahe. Sein Herz war in wildem Aufruhr, ſein Kopf drehend und wirbelnd. Er ſezte ſich mit {Martinen}, der all’ dieſen Abenteuern ganz kaltblütig zuſchaute, und ſechs Fremden zu Tiſche, die blos die Faſchingszeit in Venedig zubringen wollten. Wie ſie faſt abgeſpeiſt hatten, ſagte {Kakambo} zu einem dieſer ſechs Fremden, dem er bisher eingeſchenkt hatte: Sire, Ihre Majeſtät können reiſen, wenn’s Ihnen gefällig iſt, das Schif iſt klar. Hierauf ging er hinaus. Ohn’ ein Wort zu ſagen, ſahen die Gäſte einander voller Erſtaunen an, als ein zweiter Bedienter ſich ſeinem Herrn näherte, und ihm ſagte: Die Schäfe von Ihro Majeſtät ſteht zu Padua, und die Barke iſt beſtellt. Sein Herr gab ihm einen Wink, worauf er fortging. Die Gäſte machten noch gröſſre Augen wie vorhin, ihr Blik verriet immer mehr und mehr ihre ſteigende Verwundrung. Ein dritter Diener näherte ſich einem dritten Fremden, und ſagte: Sire folgen Sie meinem Rat, und halten Sie Sich nicht länger hier auf. Ich geh’ und mache alles zurechte, Ihro Majeſtät. Sofort verſchwand er. {Kandide} und {Martin} hielten das ganze Ding nunmehr für einen Karnevalsſpas. Ein vierter Bedienter ſagte: Ihro Majeſtät können reiſen, wenn’s Ihnen gefällig iſt. Der fünfte Lakai ſagte eben das dem fünften Herrn. Allein der ſechſte hub an in ganz andern Ton mit dem ſechſten Fremden zu reden, der neben {Kandiden} ſas. Bei meiner armen Seele! Sire, ſagte er, Ihro Majeſtät können ſo wenig mehr auf Borg krigen, wie ich, und ’s is leicht möglich, daß wir heut’ alle beide in den Schuldthurm wandern müſſen. Das Geſcheitſte, ich ſeh’ wo der Zimmermann das Loch gelaſſen. Gott ſteh’ Ihnen bei. Wie alle Bedienten hinaus waren, verharrten die ſechs Fremden, {Kandide} und {Martin} im tiefſten Stillſchweigen. Endlich brach’s {Kandide}: Ein artiger Faſtnachtsſpas meine Herren! Warum ſind Sie aber grade alle Königsagenten? Ich meiner Seits, mus Ihnen geſtehn, bin kein König nicht, ſo wenig, wie mein {Martin} da. Jezt nam {Kakambo’s} Herr gravitätiſch das Wort und ſagte auf Italieniſch: Ich bin nichts weniger als Faſtnachtsnarr; ich heiſſe {Achmet der Dritte}; bin viele Jahre Grosſultan geweſen; habe meinen Bruder entthront, und mein Neffe mich. Alle meine Weſſire ſind enthauptet worden, und ich bringe den Reſt meines Lebens im alten Seroj zu. Unterweilen erlaubt mir mein Neffe, Grosſultan {Machmud}, Geſundheitshalber herumzureiſen. Diesmal hab’ ich den Karnevalsluſtbarkeiten zu Venedig beigewohnt. Ein junger Mann, neben {Achmet} ſas, hub nach ihm an zu reden. Ich heiſſe {Iwan}, ſagte er; bin der Kaiſer aller Ruſſen geweſen: ward ſchon in der Wiege entthront, mein Vater und Mutter eingekerkert, ich im Gefängniſſe erzogen; manchmal ſteht mir’s frei, herumzureiſen; meine Wächter verlaſſen mich aber nie. Ich bin hieher gekommen, um dem Karneval beizuwohnen. Und ich bin {Karl Eduard}, König von England, ſagte der Dritte. Mein Vater trat mir ſeine Gerechtſame am Reiche ab. Ich ſuchte ſie mit gewafneter Hand zu vertheidigen; man ris acht Hunderten meiner Anhänger das Herz aus dem Leibe, und ſchleuderte es ihnen um die Bakken; mich warf man in’s Gefängnis. Jezt geh’ ich nach Rom, meinen Vater zu beſuchen, den König, der ſowohl entthront iſt, wie ich und mein Grosvater. Ich kam hieher, um dem Karneval beizuwohnen. Nunmehr nam der Vierte das Wort, und ſagte: Ich bin König der Polen, beraubt meines Erbreichs durch das Kriegsglük, das auch an meinem Vater ſeine Tükke übte, ich habe mich völlig der Vorſicht reſignirt, ſo wie Sultan {Achmet}, Zaar {Iwan}, und König {Karl Eduard}, denen Gott ein langes Leben verleihen wolle. Ich kam hieher um dem Karneval beizuwohnen. Auch ich bin König der Polen, hub der Fünfte an, verlor zweimal mein Reich, erhielt aber durch die Vorſehung einen andern Staat, worin ich mehr Gutes gethan habe, als je alle Könige der Sarmaten an den Ufern der Weichſel haben thun können; auch ich reſignire mich der Vorſicht, und bin hieher gekommen, dem Karneval beizuwohnen. Jezt war die Reihe zu reden, an dem ſechſten Monarchen. Meine Herren ſagte dieſer, an Gröſſe gleich’ ich Ihnen nicht, dennoch aber bin ich, ſo gut wie ein andrer, König geweſen. Ich heiſſe {Theodor}, und ward zum Könige in Korſika erwählt. Sonſt nannte man mich Ihro Majeſtät, und jezt mit genauer Not mein Herr. Sonſt lies ich Münze ſchlagen, jezt hab’ ich keinen roten Heller; ſonſt hatt’ ich zwei Staatsſekretäre, und jezt nicht einmal einen Bedienten. Ich ſahe mich ehemals auf einem Throne, und zu London muſſt’ ich lang’ im Kerker auf einem Bunde Stroh liegen. Mir iſt bange, daß mich hier das nämliche Schickſal trift, ob ich gleich wie Ihro Majeſtäten hierher gekommen bin, dem Karneval beizuwohnen. Die fünf andern Könige hörten dieſer Erzählung mit edlem Mitleide zu, und jeder gab dem Könige {Theodor} zwanzig Zechinen, um ſich Kleider und Wäſche anzuſchaffen, {Kandide} aber ſchenkte ihm einen Diamanten von zweitauſend Zechinen. Wer mus wohl dieſer ſimple Partikülier ſein, der im Stande iſt, hundertmal ſoviel wegzugeben, als jeder von uns, und der es auch thut! ſagten die {fünf Könige} zu einander. In eben dem Augenblik, da man von der Tafel aufſtand, kamen in eben dem Wirtshauſe vier durchlauchtige Herrſchaften an, die das Kriegsglük gleichfalls um ihre Staaten gebracht hatte, und die den Überreſt des Karnevals zu Venedig zubringen wollten. {Kandide}, dem der Gedanke, ſeine traute {Kunegunde} aufzuſuchen, die ganze Seele füllte, kümmerte ſich um die Neuangekommnen nicht im geringſten. 27. Sieben und zwanzigſtes Kapitel. // {Kandiden’s} Reiſe nach Konſtantinopel. Der treue {Kakambo} hatte es ſchon dahin gebracht, daß der Türkiſche Schifspatron, der den Sultan {Achmet} nach Konſtantinopel führen ſollte, {Kandiden} und {Martinen} mit an Bord nam. Ehe ſelbige ſich nach dem Schif begaben, beugten ſie ſich tief zur Erde vor dem Schattenſpielmonarchen. Sehn Sie, ſagte {Kandide} unterwegs, da haben wir nun mit ſechs abgeſezten Königen geſpeiſt, und unter dieſen ſechs Königen war noch dazu einer, dem ich einen Zehrpfennig gegeben habe. Vielleicht giebt’s noch weit mehr unglükliche Prinzen. Wie glüklich bin ich dagegen, ich habe ja nur hundert Hämmel eingebüſſt, und fliege nun meiner {Kunegund’} in die Arme. Ich verſichre Ihnen nochmals, lieber {Martin}, {Panglos} hatte Recht: Es iſt doch die beſte Welt! Wollte Gott, ſeufzte {Martin}. Allein, ſagte {Kandide}, unſer zu Venedig erlebtes Abenteuer hat wenig Wahrſcheinliches. Hat man je geſehn, oder gehört, daß ſechs entthronte Könige in Einem Wirtshauſe zuſammen zur Nachtmiſſe genommen haben? Das ſchlägt grade nicht mehr aus dem gewöhnlichen Gleiſe, als die meiſten Vorfälle, die uns begegnet ſind, antwortete {Martin}. Daß Könige entthront werden, iſt ein Erzwerkeltagsſtükchen, und daß wir die Ehre gehabt haben, mit ihnen das Abendbrod zu nemen, nun warlich! das iſt eine ſolche Lumperei, daß ich nicht begreife, wie ein Schüler vom groſſen {Panglos}, ein wirklich philoſophiſcher Kopf dergleichen beherzigen kann. Kaum hatte {Kandide} den Fus in’s Schif geſezt, ſo ſtürzt’ er auf ſeinen alten Diener, ſeinen Freund {Kakambo} zu, und fiel ihm um den Hals. Nun, was macht meine {Kunegunde}? rief er. Iſt ſie noch immer das ſchöne Mädchen? Liebt ſie mich noch immer? O was macht ſie? Du haſt ihr unſtreitig einen Pallaſt zu Konſtantinopel gekauft? „Ach! ’s hat ſich was zu pallaſten, lieber Herr. Die gute {Kunegunde} ſteht da am Rande des Mare di Marmora und ſcheuert Teller und Schüſſeln; iſt Sklavin von einem Prinzen, bei dem das Küchengerät herzlich dünn geſät iſt. ’S is der alte Fürſt {Ragotsky}, dem die Ottomanniſche Pforte täglich drei Thaler in ſeiner Freiſtat zuflieſſen läſſt. Alles ſchlim genug, aber der hinkende Bote kömmt noch erſt nach. Der {Barones} ihr niedliches Lärvchen iſt ganz zum Kukuk; ſie iſt, mit Reſpekt zu ſagen, ’n wahrer Popanz geworden.“ Mag’s doch, ſie ſei Popanz oder ſchön, antwortete {Kandide}; ſo mus ich ſie doch lieben; Sie hat mein Wort, und ich bin ein Teutſcher Mann. Aber ſag’ mir, wie kann ſie ſo zum Aſchenbrödel herabgeſunken ſein? Du haſt ihr doch fünf bis ſechs Millionen gebracht? I ja doch! ſagte {Kakambo}, hab’ ich nicht dem Sennor {Don Fernando d’ Ibaraa y Figueora y Maſcarenes, y Lampourdos y Souza}, Stathalter von Buenosayres, zwei Millionen geben müſſen, damit ich die Erlaubnis erhielt, Barones {Gundchen} mitnemen zu dürfen? Und hat uns nicht all’ das Übrige ein Seeräuber redlich weggekapert? Und hat uns nicht eben dieſer Seeräuber nach Capo {Matapan}, nach Milo, nach {Nicaria}, nach Samos, nach Arach, nach den Dardanellen, nach Marmora, nach Soutari geſchleppt? {Kunegunde} und die {Alte} dienen jezt bei dem dikbeſagten Fürſten, und ich bin Sklave beim entthronten Sultan. Welche unendliche Kette von entſezlichen Unglüksfällen! ſagte {Kandide}. Doch ich habe noch einige Diamanten, damit werd’ ich {Kunegunden} leicht befreien können. Nur Schade, daß ſie ſo häslich geworden iſt! Hierauf wandt’ er ſich zu {Martinen}, und ſagte: Wen halten Sie wohl für beklagenswürdiger, den Kaiſer {Achmet}, Zaar {Iwan}, König {Karl Eduard}, oder mich? Um hierüber zu urtheilen, müſſt’ ich einen Blik in Ihrer aller Herzen thun können, ſagte {Martin}. Ha! verſezte {Kandide}, wäre nur {Panglos} hier, der würde ohne dieſen Blik uns dies gewis lehren. Ich weiß nicht, was für eine Wage Ihr {Panglos} hätte zur Hand nemen können, um die Unglüksfälle der Menſchen und ihre Leiden genau gegen einander abzuwägen, ſagte {Martin}. Ich meiner Seits kann weiter nichts für gewis behaupten, als daß es auf dem Erdenrund Millionen Menſchen giebt, die hundertmal betaurungswürdiger ſein, wie König {Karl Eduard}, Zaar {Iwan} und Sultan {Achmet}. Wohl möglich! erwiederte {Kandide}. In wenig Tagen befanden ſie ſich auf dem Kanale des ſchwarzen Meers. Das erſte, was {Kandide} that, war, daß er {Kakambo’n} ſehr theuer loskaufte, hierauf warf er ſich ohn’ alles Säumen mit ſeinen beiden Gefährten in eine Galeere, um an den Ufern des Mare di Marmora ſeine {Kunegunde} aufzuſuchen, ſo häslich ſie auch immerhin ſein möchte. Unter den Ruderknechten waren ein Paar, die gar erbärmlich ruderten; auch ſprach von Zeit zu Zeit der Levantifahrer mit ſeinem Ochſenziemer ihren nakten Schultern zu. Jeden Hieb fühlte {Kandide} doppelt; und er fuhr ihm durch Mark und Bein. Durch einen innern Zug angetrieben, naht er ſich ihnen, und faſſte ſie ſchärfer in’s Auge. So verunſtaltet auch ihre Geſichter waren, ſo glaubt’ er doch einige bekannte Züge darin zu entdekken; Züge, die einige Ähnlichkeit von {Panglos}, und dem unglüklichen gejeſuiteten {Baron}, dem Bruder von Barones {Kunegunde}, hatten. Dieſe Vorſtellung machte ihn ganz niedergeſchlagen, pakte ihn heftig. Warlich, ſagt’ er zu {Kakambo}, nachdem er ſie noch ſchärfer in’s Auge gefaſſt hatte, hätt’ ich nicht den Magiſter {Panglos} hängen ſehn, und hätt’ ich nicht den {Baron} unglüklicher Weiſe über den Haufen geſtoſſen, ſo dächt’ ich, das wären ſie beide, die an dieſe Bank geſchmiedet ſind. Bei dem Namen {Baron} und {Panglos} ſtieſſen die beiden Ruderknechte einen lauten Schrei aus, ſtanden ſtill, und lieſſen ihre Ruder fallen. Sogleich rannte der Levantifahrer auf ſie los, und verdoppelte die Schläge mit dem Ochſenziemer. Halten Sie ein, lieber Herr, halten Sie ein! rief {Kandide}. Ich will Ihnen geben, was Sie haben wollen. Heiliger Gott! das iſt {Kandide}, ſchrie einer von den Ruderknechten. Warlich! das iſt er, rief der {Andre}. Träum’ ich? Wach’ ich? rief {Kandide}. Bin ich hier wirklich auf der Galeere? Iſt das der {Baron}, den ich getödtet habe? Iſt das Magiſter {Panglos}, den ich habe hängen ſehn? Wohl ſind wir’s! Ja, wir ſind’s! antworteten ſie alle beide. Wie! iſt das der groſſe Philoſoph? fiel {Martin} ein. He! Herr Levantifahrer, ſagte {Kandide}, wieviel Löſegeld fordern Sie für den Herrn {Leopold Woldemar} von {Donnerſtrunkshauſen}, einen der vornemſten Barone des Heiligen Römiſchen Reichs, und für den Herrn Magiſter {Panglos}, den allergründlichſten Metaphyſiker in ganz Teutſchland. Baron, Metaphyſiker, ſagte der {Levantifahrer}. Hum! Müſſen wohl anſehnliche Ämter in Deinem Lande ſein! Nu, weiſſt Du was, Du Chriſtenhund? Da ſollſt Du mir für die beiden Chriſtenhunde von Sklaven fünfzigtauſend Zechinen geben. Die ſollen Sie haben, mein Herr, ſagte {Kandide}. Bringen Sie mich nur ſchnell wie der Bliz, nach Konſtantinopel, und ich zahl’ Ihnen das Geld auf Einem Brette. Doch nein, bringen Sie mich lieber zu Barones {Kunegunde}. Gleich bei {Kandiden’s} erſten Worten hatte der Patron das Schif umgelegt, und lies nach der Stadt ſchneller zurudern, als ein Vogel die Lüfte durchſchneidet. {Kandide} warf ſich bald dem {Baron} um den Hals, bald {Pangloſen}: Wo iſt das möglich, lieber {Baron}, daß ich Sie nicht getödtet habe? und wie können Sie noch leben, trauter {Panglos}, da Sie ſind gehängt worden? Und wodurch ſind Sie beide auf Türkiſche Galeeren gekommen? Iſt denn wirklich meine liebe Schweſter in der Türkei? ſagte der {Baron}. Nicht anders! antwortete {Kakambo}. So hab’ ich Dich denn wieder, lieber trauter {Kandide}, ſchrie {Panglos}, und drükt’ ihn feſt an ſeine Bruſt; {Kandide} ſtellte ihnen {Kakambo’n} und {Martinen} vor. Sie umarmten ſich insgeſamt, und ſprachen alle mit Einem Male. Schon lag die Galeere, die mit Sturmwindsfittichen geflogen war, im Hafen. Man lies einen Mauſchel kommen, welcher {Kandiden} einen Diamanten, der hunderttauſend Zechinen unter Brüdern wert war, für die Hälfte abſchacherte. Will glaich verkrümmen af der Stell, gnadiger Herr, wo ich Sie kann geben ainen roten Heller mehr, ſagte der Jude. Sogleich bezahlte {Kandide} das Löſegeld für den {Baron} und für {Panglos}. Leztrer warf ſich ſeinem Befreier zu Füſſen, und badete ſie mit Thränen. Erſtrer ſagte mit hochadlichem Kopfnikken: Ehſter Tage ſollen Sie Ihren Vorſchus wieder haben, {Kandide}. Auf Kavalier Parol! Iſts aber wohl möglich, daß ſich meine Schweſter in der Türkei befindet? Nicht nur möglich, ſondern auch wirklich, ſagte {Kakambo}. Sie ſcheurt jezt einem Siebenbürgiſchen Fürſten ſein Bischen Zinn. Sogleich muſſten zwei Juden kommen; {Kandide} verſchleuderte wieder etliche Diamanten: ſie ſezten ſich auf eine andre Galeere, und eilten {Kunegunden} zu erlöſen. 28. Acht und zwanzigſtes Kapitel. // Baron von {Donnerſtrunkshauſen} und {Panglos} erzählen, was ihnen bisher begegnet iſt. Verzeihung, Ihro Wohlehrwürden, nochmals Verzeihung, daß ich Ihnen den Degen durch den Leib gejagt habe, ſagte {Kandide} zum {Baron}. Nichts mehr davon! antwortete dieſer. Die Schuld war mein, mus ich geſtehn; ich war ein wenig zu raſch. Doch Sie wollen wiſſen, was für ein Unglüksfall mich auf die Galeeren gebracht. Nun ſo hören Sie. Wie der Bruder Apotheker aus unſerm Kollegium meine Wunde geheilt hatte, die Sie tödtlich glaubten, grif mich eine Partie Spanier an, führte mich fort nach Buenosayres, das meine Schweſter eben verlaſſen hatte, und warf mich daſelbſt in’s Gefängnis. Ich bat um Erlaubnis, nach Rom zum Pater General gehn zu dürfen. Man fand’s aber für gut, mich nach Konſtantinopel zu ſchikken, um bei dem dortigen Franzöſiſchen Ambaſſadeur Kapellansſtelle zu vertreten. Ich hatte noch nicht völlig acht Tage dieſe Beſtallung gehabt, als mir des Abends ein ungemein wohlgebildeter junger Itſchoglan aufſties. Erſtaunlich ſchwul war’s den ganzen Tag über geweſen, der junge Mann wollte ſich baden, ich nam die Gelegenheit wahr, und badete mich mit. Ich wuſſte nicht, daß der Hals darauf ſtand, wenn ein Chriſt mit einem jungen Muſelmann zuſammen [in puris naturalibus] betroffen wird. Ein Kadi, der mich vor ſich bringen lies, ſagte mir dies, lies mir hundert Stokprügel auf die Fusſohlen geben, und verdammte mich — aus ungemeiner Milde — zu den Galeeren. Himmelſchreiendere Ungerechtigkeit, glaub’ ich, iſt wohl nie begangen worden … Aber ich bitte Euch, {Kandide}, ſagt mir, warum befindet ſich meine Schweſter in der Küche eines zu den Türken geflüchteten Siebenbürgiſchen Fürſten? Aber wie iſt’s möglich, trauter {Panglos}, rief {Kandide}, wie iſt es möglich, daß ich Sie wiederſehe? Sonderbar mus es Ihnen freilich dünken, ſagte {Panglos}, da Sie mich haben hängen ſehn. Nach der Regel hätt’ ich müſſen verbrannt werden. Sie werden Sich aber noch erinnern, daß es regnete, als göſſe es mit Mulden, grad’ als ich ſollte geſchmort werden. Dies Schlakkerwetter ward ſo heftig, hielt ſo lang an, daß man das Holz gar nicht zum Brennen bringen konnte. Da war alſo kein beſſrer Rat, als mich hängen. Ein Feldſcheer kaufte meinen Leichnam, nam ihn mit nach Hauſe, und hub ihn an zu ſeziren. Er begann ſogleich mit einem Kreuzſchnitt vom Nabel an bis zum Schlüſſelbein herauf. Erbärmlicher, wie ich, war wohl noch niemand gehängt worden. Der Vollſtrekker der hochnotpeinlichen Halsgerichtsbarkeit bei der heiligen Inquiſition, der Unterdiakonus war, verſtand ſich zwar perfekt darauf, Leute zu verbrennen, aber das Hängen war ſeine Sache gar nicht. Der Strik war nas, glitſchte alſo nicht, und er ſchlug einen ganz jämmerlichen Knoten. Kurz, ich hatte noch Leben, beim Kreuzſchnitt ſchrie ich ſo laut auf, daß der Feldſcheer rüklings zu Boden ſtürzte, und ſich einbildete, er hätte den Teufel ſezirt. Halbtodt vor Schreckken rannt’ er über Hals über Kopf zur Stubenthür hinaus, und über Hals über Kopf ſtürzt’ er auch die Treppe hinunter. Die Frau kam über das Gepolter aus dem benachbarten Kabinett herzugerannt, ſahe mein Donquixotsräf mit dem Kreuzſchnitt über dem Tiſch ausgeſtrekt liegen. Es kam ſie noch ärgers Grauen an, wie ihren Mann, ſie rannte volles Rennens nach der Treppe, fiel ſelbige herunter, und auf ihre liebe Ehehälfte. Als ſie ſich wieder erholt hatten, hört’ ich die Frau zum Manne ſagen: Wie haſt’u Dir’s denn können einfallen laſſen Papachen, einen Kezer zu ſeziren? Weiſſt ja wohl, daß dergleichen Kerls immer den Teufel im Leibe haben. Will nur hurtig hinlaufen, und ’nen Prieſter holen, damit der ihn austreibt. Bei dieſen Worten lief mir’s ganz kalt über’n Nakken; ich glaubte, die Inquiſition hätte mich ſchon wieder beim Schopf, rafte daher den wenigen Überreſt meiner Kräfte zuſammen, und ſchrie: Um aller Heiligen willen, erbarmt Euch mein. Endlich bekam der Portugieſiſche Barbier wieder Herz, ging herauf, flikte meine Haut wieder zuſammen; ſeine Frau lies es auch an keiner Pfleg’ und Wartung mangeln, ſo daß ich nach vierzehn Tagen wieder auf den Beinen war. Der Barbier that ſich nach einem Dienſt für mich um, und brachte mich als Lakai bei einem Maltheſerritter an, der nach Venedig ging. Da ich aber von dieſem meinen Herrn keine Zahlung erlangen konnte, ſo begab ich mich bei einem Venediſchen Kaufmann in Dienſte, welcher nach Konſtantinopel reiſte. Eines Tages kam ich auf den Einfall, in eine Moſchee zu gehn; es befand ſich niemand weiter darin als ein alter Iman und eine junge Andächtige; ein gar niedliches Dingelchen, das ihr Paternoſter herſagte. Ihr liebreizender Buſen war ganz unverhüllt. Ein ſchöner Straus von Tulpen, Roſen, Anemonen, Ranunkeln, Hiazinten und Bergſchlüſſelblumen ſtekte zwiſchen den warm wallenden Marmorhügeln, die ſo ſtark hüpften, daß ſie den Straus auf die Erde fallen machten. Ich flog hinzu, hob ihn auf, und ſtekte ihn wieder vor, mit einer ſehr ehrfurchtsvollen Geſchäftigkeit und Zärtlichkeit. Beim Anordnen der Blumen bracht’ ich ſo lange zu, daß der Iman in Harniſch geriet, und um Hülfe rief, weil er ſahe, daß ich ein Chriſt war. Man führte mich vor den Kadi, der mir hundert Schläge mit dünnen Röhrchen auf die Fusſohlen geben lies. Ich ward grad’ auf eben die Galeere, und grad’ auf eben die Bank geſchmiedet, worauf ſich der Herr {Baron} befand. Auf der nämlichen Galeere waren vier junge Marſeiller, fünf Neapoliſche Prieſter und zwei Mönche aus Korfu, die uns verſicherten, dergleichen wären Alltagsgeſchichtchen. Der Herr {Baron} behauptete ſtets, ihm wäre weit gröſſers Unrecht wiederfahren, wie mir; ich aber behauptete, es ſei weit erlaubter, einem jungen Frauenzimmer einen Straus wieder vor den Buſen zu ſtekken, als ſich [in puris naturalibus] mit einem Itſchoglan allein zu befinden. Wir diſputirten beſtändig, und empfingen richtig alle Tage unſre dreiſſig Karbatſchenſtreiche, als Sie durch die Verknüpfung der Begebenheiten in dieſer Welt auf unſre Galeere kamen, und uns loskauften. „Nun liebſter {Panglos}, blieben Sie noch immer bei Ihrem Saze, wie Sie gehängt, ſezirt, zerprügelt, Ruderknecht geworden waren? Hielten Sie noch immer dieſe Welt für die beſte?“ Noch immer! häng ich feſt an meiner erſten Meinung, ſagte {Panglos}; denn mit Einem Wort, ich bin Philoſoph, und der läſſt ſein Syſtem nie fahren. Überdies konnte {Leibniz} gar nicht unrecht haben, und zudem giebt’s nichts Vortreflichers auf der Welt, als die {vorherbeſtimmte Harmonie} wie auch die Lehre vom {Raum} und von dem {Untheilbaren der Natur}. 29. Neun und zwanzigſtes Kapitel. // Was maaſſen {Kandide} {Kunegunden} und die {Alte} wiederfand. Indes, daß {Kandide}, der {Baron}, {Panglos}, {Martin} und {Kakambo} ſich ihre Abenteuer erzählten, über die zufälligen und nichtzufälligen Begebenheiten auf dem Weltall vernünftelten, über Wirkungen und Urſachen, über das moraliſche und phyſiſche Übel, über Freiheit und über Notwendigkeit und über die Seelenſtärkungen herumdiſputirten, die man auf den Türkiſchen Galeeren bekommen kann, war ihr Schif bei dem Hauſe des Siebenbürgiſchen Fürſten am Strande des {Mare} di Marmora angelandet. Das erſte, was ihnen in’s Auge fiel, war {Kunegunde} und die {Alte}, die Servietten über eine Leine hingen, um ſie zu troknen. Bei dieſem Anblik erblaſſte der {Baron}. {Kandide}, der zärtlichliebende {Kandide}, wich drei Schritte hinter ſich, es überfiel ihn ein Grauen, als er die ſchöne {Kunegunde} ſo verwandelt ſahe. Ihre Augen waren rot, triefend; ihr Buſen brettern; ihre Wangen verſchrumpft; ihre Ärm’ und Hände ſcharlachfarben und ſchuppicht. Um ſie aber nicht zu kränken, naht’ er ſich ihr. Sie umarmte {Kandiden} und ihren {Bruder}; man umarmte die {Alte}, und {Kandide} kaufte ſie alle beide los. In der Nachbarſchaft lag ein kleines Vorwerk. Die {Alte} that {Kandiden} den Vorſchlag, es in Erwartung glüklicherer Zeiten zu kaufen. {Kunegunde} wuſſte nicht, daß ſie war häslich geworden; es hatte niemand davon einen Wink fallen laſſen. Sie erinnerte {Kandiden} an ſein Verſprechen in einem ſo gebietriſchen Tone, daß der gute {Kandide} ſich nicht unterſtand, ihr den Korb zu geben. Er ging alſo hin zum {Baron} und notifizirte ihm, daß er ſeine Schweſter heuraten würde. Dieſe Niederträchtigkeit von Seiten meiner Schweſter, und dieſe Frechheit von Seiten Ihrer, {Kandide}, werd' ich nie zugeben, ſagte der {Baron}. Bei Gott! dieſe Infamie ſoll man mir nie vorwerfen! Die Kinder meiner Schweſter würden nie ſtifts- und turnierfähig ſein! Nein, meine Schweſter ſoll nie einen andern bekommen als einen Reichsfreiherrn. {Kunegunde} warf ſich ihm zu Füſſen, und badete ſie mit Thränen; er blieb unbeweglich. Hans Haſenfus! rief {Kandide}. Ich habe Dich von den Galeeren gerettet, habe für Dich und für deine Schweſter das Löſegeld bezahlt. Sie war hier Scheuermädel, iſt häslich wie die Sünde, ich bin ſo gutherzig und will ſie zum Weibe nemen, und Du willſt es nicht zugeben. Tödten kannſt’u mich, aber heuraten ſollſt’u nie die Barones meine Schweſter ſo lang’ ich lebe, rief der {Baron}. 30. Dreiſſigſtes Kapitel. // Schlusſcene. So rechte Luſt hatte freilich {Kandide} eben nicht, {Kunegunden} zu heuraten, indes hatte er ſein Wort einmal gegeben, {Kunegunde} drang ſo heftig in ihn, und der auſſerordentliche Baurenſtolz des {Barons} verdros ihn ſo ſehr, daß er den feſten Entſchlus faſſte, die Heurat zu vollziehen. Vorher pflag er mit {Pangloſen}, {Martinen} und {Kakambo’n} geheimen Rat. {Panglos} verfertigte einen gar ſtattlichen Aufſaz, worin er bewies, daß dem {Baron} keine Gerechtſame über ſeine Schweſter zuſtünden, und daß ſie nach allen Reichsgeſezen ſich {Kandiden} konnte an die linke Hand trauen laſſen. {Martin} ſtimmte dahin, daß der {Baron} ſollte in’s Meer geworfen werden. {Kakambo} that den Ausſpruch: Man müſſe ihn wiederum dem Levantifahrer überantworten, eine Zeitlang an die Ruderbank ſchmieden, und dann mit dem erſten, beſten Schiffe nach Rom an den Pater General ſchikken. Dieſem Gutachten ward einſtimmig beigetreten; die {Alte} billigte es auch, wie ſie’s erfuhr; vor {Kunegunden} ward’s verheimlicht. Mit etlichen Dukaten war das Projekt ausgeführt, und man hatte die Freude, einen Jeſuiten zu überliſten, und einen ahnenſtolzen Gauch zu beſtrafen. Verheuratet mit ſeiner Trauten, umgeben vom Philoſoph {Panglos}, und Philoſophen {Martin}, vom klugen {Kakambo}, und der weiſen {Alten}, und überdies im Beſiz ſo vieler Diamanten, die er aus dem Vaterlande der alten Inkas mitgebracht, hätte man glauben ſollen, daß {Kandide} das wonnigſte Leben von der Welt führen müſſte. Gewaltig geirrt! Die Juden hatten ihn ſo vielfältig geprellt, daß er weiter nichts übrig behielt, als ſein Vorwerkchen; ſeine Frau ward täglich häslicher, und zugleich zänkiſch und unleidlich; die {Alte} kränkelte in Einem fort, und war noch üblerer Laune, wie {Kunegunde}; {Kakambo}, der im Garten arbeitete, und die Hülſenfrüchte nach Konſtantinopel herein zum Verkauf trug, arbeitete und plakte ſich ganz ab, und vermaledeite ſein Schikſal. {Panglos} war voll des bitterſten Unmuts, daß er nicht als [Profeſſor Metaphyſices ac Poëſeos] auf irgend einer Univerſität ſeines lieben Vaterlands glänzen konnte. {Martin} nahm alles, was ihn traf, gelaſſen dahin, in der feſten Überzeugung, daß allenthalben Elend und Unglük herrſche. {Kandide}, {Martin} und {Panglos} diſputirten manchmal über Säze aus der Metaphyſik und Moralphiloſophie. Unter ihren Fenſtern paſſirten ſehr oft Schiffe vorbei, die mit Effendis, Baſſas, Kadis beladen waren, welche nach Lemnos, Mytilene und Arzerum in’s Elend geſchikt wurden. Es kamen friſche Baſſas, friſche Kadis, friſche Effendis wieder, welche an den Plaz der Vertriebnen traten, und nicht lange darauf wieder daraus vertrieben wurden. Es ſchiften gar wohleinballirte Köpfe vorbei, die der hohen Pforte überreicht werden ſollten. Dieſe abwechſelnde Auftritte gaben immer neuen Stof zu neuen lebhaften Abhandlungen; wenn ſie ſich aber ausdiſputirt hatten; herrſchte eine ſo unausſtehliche Langeweile unter ihnen, daß die Alte ſich eines Tages unterſtand, folgende Frage aufzuwerfen: Ich möchte wohl wiſſen, was ſchlimmer iſt, hundertmal von Moriſchen Seeräubern geſchändet zu werden, ſein halbes Hinterkaſtell ſich abnehmen zu laſſen, bei den Bulgaren Spiesruten zu laufen, bei einem Autodafé geſtäupt und aufgehängt zu werden, ſich ſeziren zu laſſen, als Sklav auf den Galeeren zu rudern, kurz all’ das Elend auszuſtehn, das wir insgeſamt erlitten haben, oder ſein ganzes Leben, die Händ’ im Schooſſe, ſo hier zuzubringen. Eine wichtige Frage! ſagte {Kandide}. Dieſe Frage brachte neue Betrachtungen auf die Bahn, und {Martin} zumahl nahm Anlas hieraus zu folgern, der Menſch ſei dazu geboren, ſein Leben entweder in beſtändigen, krampfartigen Regen und Bewegen zuzubringen, oder in der unthätigſten, ſchlaraffenhafteſten Langenweile. {Kandide} war ganz andrer Meinung, die er aber nicht äuſſerte. {Panglos} räumte zwar ein, er habe ſtets das gräslichſte Elend erduldet; verfocht aber demungeachtet ſein einmal angenommnes Syſtem: Dieſe Welt iſt doch die beſte, auf’s eifrigſte, ohn’ im geringſten daran zu glauben. Jetzt eräugnete ſich ein Vorfall, der {Martinen} völlig in ſeinen verdammlichen Grundſäzen befeſtigte, {Kandiden} ſchwankender machte, denn je, und {Pangloſen} nicht wenig in die Klemme trieb. Eines Tages kam nämlich {Gertrud} mit dem Bruder {Viola} in ihren Hof gewandert. Sie waren beide im äuſſerſten Elende. Die dreitauſend Piaſter hatten ſie über Hals über Kopf durch die Gurgel gejagt, ſich darauf getrennt, wieder ausgeſöhnt, von neuem überworfen, im Gefängnis geſeſſen, ſich daraus geflüchtet, und endlich war Bruder {Viola} Türke geworden. Wo ſie hingekommen waren, da hatte {Gertrud} ihr Handwerk fortgeſezt, ohne damit was vor ſich bringen zu können. Ich ſah’s wohl voraus, daß Ihre Geſchenke bald zerrinnen, und daß die Leute unglüklicher werden würden, denn zuvor, ſagte {Martin}. Sie und Ihr {Kakambo} hatten Piaſter zu Scheffeln, und waren deshalb doch nicht glüklicher, wie Bruder {Viola} und {Gertrude}. Haha! ſagte {Panglos} zu {Gertruden}. So führt Dich doch der Himmel wieder zu uns, herziges Kind. Weiſſt Du wohl, daß Du mich um die halbe Naſe, um Ein Auge und ein Ohr gebracht haſt … O wie du ausſiehſt! … Doch das iſt alles der Welt Lauf. Über dieſen Vorfall fingen ſie ſtärker an zu philoſophiren, denn je. Sie hatten in der Nachbarſchaft einen weit berühmten Derviſch, der für den beſten Philoſophen in der ganzen Türkei gehalten wurde; zu dem gingen ſie und fragten ihn um Rat. {Panglos} war Sprecher. Wir kommen zu Dir Meiſter, um von Dir zu erfahren, wozu das ſonderbare Geſchöpf, Menſch genant, iſt geſchaffen worden? Was kümmert Dich das? ſagte der {Derviſch}. Iſt das {Deine} Sache? Allein wohlehrwürdiger Vater, hub {Kandide} an, es gibt gräsliches Elend auf Erden. Ob Elend oder Glük, gleichviel! antwortete der {Derviſch}. Wenn Ihro Kaiſerliche Majeſtät ein Schif nach Ägypten ſendet, kümmert Sie ſich wohl darum, ob’s den Ratten und Mäuſen im Schifsboden behäglich ergeht, oder nicht? Was ſoll man alſo machen? fragte {Panglos}. Schweigen! erwiederte der {Derviſch}. „Ich machte mir Hofnung, über Wirkungen und Urſachen, über die {beſte} der möglichſten Welten, über den Urſprung des Übels, über die Beſchaffenheit der Seele und der vorherbeſtimmten Harmonie mich mit Dir zu unterreden.“ Bei dieſer Rede vom {Panglos} warf der {Derviſch} ihnen die Thüre vor der Naſe zu. Während dieſer Unterredung erſcholl das Gerücht, daß zu Konſtantinopel zwei Weſſire des Divans und der Mufti ſein erdroſſelt, und viele ihrer Freunde angepfählt worden. Dieſer tragiſche Vorfall gab einige Stunden lang nicht wenig Gemunkel. Wie {Kandide}, {Panglos} und {Martin} wieder nach ihrem Vorwerkchen zurükkehrten, fanden ſie einen wakkern Greis in einer Pomeranzlaube vor ſeiner Thür ſizen, um der Kühle zu genieſſen. {Panglos}, der ein eben ſo neugieriges als diſputirſüchtiges Geſchöpf war, fragte ihn, wie der ebenerdroſſelte Mufti hieſſe. Das weis ich nicht, antwortete der ehrliche {Alte}, ich hab’ mein Lebstage nicht gewuſſt, wie irgendein Mufti oder ein Weſſir heiſſt; habe kein Sterbenswort von der ganzen Hiſtorie gehört. Ich denke, all’ die politiſchen Kannengieſſer und Pfannenflikker mit dem Maul und in der That reiten gemeiniglich am Ende gar übel an, und ’s kann ihnen gar nicht ſchaden. Ich meines Parts erkundige mich niemals, was in Konſtantinopel vorgeht, ſchikke meine ſelbſtgepflanzten Gartenfrüchte h’nein und damit holla! Wie er dies geſagt hatte, führt’ er die Fremden in ſein Haus; ſeine beiden Töchter und beiden Söhne ſezten ihnen vielerlei ſelbſtverfertigte Sorbets vor. Sie beſtanden aus Kaimak, dem man durch eingemachte Cedratſchaale, Pomeranzen, Zitronen, Limonien, Ananas, Piſtazien einen herben Geſchmak gegeben hatte; aus Mokkaſchen Kaffee, unvermiſcht mit dem elenden Bataviſchen und Inſulaniſchen. Hierauf beräucherten die beiden Töchter des guten Muſelmans {Kandiden}, {Pangloſen} und {Martinen} die Bärte. Sie müſſen ein recht groſſes und prächtiges Landgut haben, ſagte {Kandide} zum {Türken}. Weiter nichts als zwanzig Hufen, antwortete der {Alte}. Die bau’ ich mit meinen Kindern an. Arbeit verſcheucht die drei ſchlimmſten Feinde von uns, die Langeweile, das Laſter und den Mangel. {Kandide} behielt dieſe Rede des {Türken}, und bewegte ſie in ſeinem Herzen. Ha, ſagt’ er zum {Panglos} und {Martin}, dieſer gute Greis ſcheint ſich ein Loos verſchaft zu haben, das dem Looſe der ſechs Könige, mit denen wir die Ehre gehabt zu ſpeiſen, weit vorzuziehen iſt. Nichts gefährlicher in der Welt als Gröſſe! ſagte {Panglos}. Hierin ſtimmen alle Philoſophen überein. Denn ſchlüslich ward {Eglon}, der König der Moabiter, durch {Ehud} gemeuchelmordet; {Abſalon} an den Haaren aufgehängt, und mit drei Spieſſen durchſtochen; König {Nadab}, der Sohn {Jerobeam}, ward durch {Baeſa} getödtet; König {Ella} durch {Simri}; und König {Joram} und {Ahasja} durch {Jehu}; Königin {Athalja} durch den Prieſter {Jojada}; die Könige {Jojakim}, {Jojachin} und {Zedekia} wurden Sklaven. Ihr wiſſt das elende Ende von {Kröſus}, {Aſtyages}, {Darius}, {Dionys} von {Syrakus}, {Pyrrhus}, {Perſeus}, {Hannibal}, {Jugurtha}, {Arioviſt}, {Cäſar}, {Pompejus}, {Nero}, {Otto}, {Vitellius}, {Domitian}, {Richard} dem {Zweiten} von England, {Eduard} dem {Zweiten}, {Heinrich} dem {Sechſten}, den drei {Richards}, {Marie Stuart}, {Karl} dem {Erſten}, den drei {Heinrichen} von Frankreich, vom Kaiſer {Heinrich} dem {Vierten}? Ihr wiſſt — — Ich weis auch, ſagte {Kandide}, daß unſer Garten mus angebaut werden. Da haben Sie Recht, ſagte {Panglos}; denn wie Gott den Menſchen in den Garten Eden ſezte, ſezte er ihn deshalb herein, [ut operaretur eum], daß er ihn bebaute. Der beſte Beweis, daß der Menſch nicht zur Ruhe geſchaffen iſt. Laſſt uns arbeiten, ohne alle Vernünfteleien, ſagte {Martin}. Das iſt das einzige Mittel, ſich das Leben erträglich zu machen. Dies lobenswürdige Vorhaben unterſtüzte die kleine Geſellſchaft thätig. Das kleine Gütchen trug viel ein. {Kunegunde} war grundhäslich, wuſſte aber ganz trefliche Paſteten zu bakken; {Trudchen} ſtikte und nähte; die {Alte} beſorgte die Wäſche. Sogar Bruder {Viola} blieb kein unnüzes Rad am Wagen; er wurde ein ſehr guter Tiſcher, ja ſogar ein rechtſchafner Mann. Und {Panglos} ſagte manchmal zu {Kandide}: Jegliche Begebenheit im menſchlichen Leben gehört in die Kette der Dinge. Denn wären Sie nicht Barones {Kunegundens} halber mit derben Fustritten aus dem ſchönſten aller Schlöſſer gejagt, von der Inquiſition nicht eingezogen worden, hätten Sie nicht Amerika zu Fuſſe durchwandert, dem Herrn {Baron} nicht einen tüchtigen Stos mit dem Degen verſezt, nicht all’ ihre Hämmel aus dem guten Lande Eldorado eingebüſſt, ſo würden Sie jetzt nicht hier eingemachten Cedrat und Piſtazien eſſen. Gut geſagt! recht gut! ſagte {Kandide}, allein wir müſſen unſern Garten bearbeiten.