Clemens Brentano: Geſchichte vom braven Kasperl und dem ſchönen Annerl. 4. Vom ſchönen Annerl Was iſt es denn nun mit der ſchönen Annerl? fragte ich die Alte, bald ſagt Ihr: ſie habe nur noch wenige Stunden, bald ſprecht Ihr von ihrem Ehrentag, und ſie werde Troſt gewinnen durch Eure traurige Nachricht; ſagt mir doch Alles heraus, will ſie Hochzeit halten mit einem Andern, iſt ſie todt, krank? Ich muß Alles wiſſen, damit ich es in die Bittſchrift ſetzen kann. Da erwiederte die Alte: Ach, lieber Schreiber, es iſt nun ſo, Gottes Wille geſchehe! ſehe Er, als Kasper kam, war ich doch nicht recht froh, als Kasper ſich das Leben nahm, war ich doch nicht recht traurig, ich hätte es nicht überleben können, wenn Gott ſich meiner nicht erbarmt gehabt hätte mit größerem Leid. Ja, ich ſage Ihm: es war mir ein Stein vor das Herz gelegt, wie ein Eisbrecher, und alle die Schmerzen, die wie Grundeis gegen mich ſtürzten und mir das Herz gewiß abgeſtoßen hätten, die zerbrachen an dieſem Stein und trieben kalt vorüber. Ich will Ihm etwas erzählen, das iſt betrübt: Als mein Pathchen, die ſchöne Annerl, ihre Mutter verlor, die eine Baſe von mir war und ſieben Meilen von uns wohnte, war ich bei der kranken Frau. Sie war die Wittwe eines armen Bauern, und hatte in ihrer Jugend einen Jäger lieb gehabt, ihn aber wegen ſeines wilden Lebens nicht genommen. Der Jäger war endlich in ſolch Elend gekommen, daß er auf Tod und Leben wegen eines Mordes gefangen ſaß. Das erfuhr meine Baſe auf ihrem Krankenlager und es that ihr ſo weh, daß ſie täglich ſchlimmer wurde und endlich in ihrer Todesſtunde, als ſie mir die liebe ſchöne Annerl als mein Pathchen übergab, und Abſchied von mir nahm, noch in den letzten Augenblicken zu mir ſagte: Liebe Anne Margareth, wenn Du durch das Städtchen kömmſt, wo der arme Jürge gefangen liegt, ſo laſſe ihm ſagen durch den Gefangenwärter, daß ich ihn bitte auf meinem Todesbett: er ſolle ſich zu Gott bekehren, und daß ich herzlich für ihn gebetet habe in meiner letzten Stunde und daß ich ihn ſchön grüßen laſſe. — Bald nach dieſen Worten ſtarb die gute Baſe, und als ſie begraben war, nahm ich die kleine Annerl, die drei Jahr alt war, auf den Arm und ging mit ihr nach Haus. Vor dem Städtchen, durch das ich mußte, kam ich an der Scharfrichterei vorüber, und weil der Meiſter berühmt war als ein Viehdoctor, ſollte ich einige Arznei mitnehmen für unſern Schulzen. Ich trat in die Stube und ſagte dem Meiſter, was ich wollte, und er antwortete, daß ich ihm auf den Boden folgen ſolle, wo er die Kräuter liegen habe, und ihm helfen ausſuchen. Ich ließ Annerl in der Stube und folgte ihm. Als wir zurück in die Stube traten, ſtand Annerl vor einem kleinen Schranke, der an der Wand befeſtigt war, und ſprach: Großmutter, da iſt eine Maus drin, hört, wie es klappert, da iſt eine Maus drin! Auf dieſe Rede des Kindes machte der Meiſter ein ſehr ernſthaftes Geſicht, riß den Schrank auf und ſprach: Gott ſey uns gnädig! denn er ſah ſein Richtſchwerdt, das allein in dem Schranke an einem Nagel hing, hin und her wanken. Er nahm das Schwerdt herunter und mir ſchauderte. Liebe Frau, ſagte er, wenn Ihr das kleine liebe Annerl lieb habt, ſo erſchreckt nicht, wenn ich ihm mit meinem Schwerdt, rings um das Hälschen, die Haut ein wenig aufritze; denn das Schwerdt hat vor ihm gewankt, es hat nach ſeinem Blut verlangt, und wenn ich ihm den Hals damit nicht ritze, ſo ſteht dem Kinde groß Elend im Leben bevor. Da faßte er das Kind, welches entſetzlich zu ſchreien begann, ich ſchrie auch und riß das Annerl zurück. Indem trat der Bürgermeiſter des Städtchens herein, der von der Jagd kam und dem Richter einen kranken Hund zur Heilung bringen wollte. Er fragte nach der Urſache des Geſchrei's, Annerl ſchrie: er will mich umbringen; ich war außer mir vor entſetzen. Der Richter erzählte dem Bürgermeiſter das Ereigniß. Dieſer verwies ihm ſeinen Aberglauben, wie er es nannte, heftig und unter ſcharfen Drohungen; der Richter blieb ganz ruhig dabei und ſprach: ſo haben's meine Väter gehalten, ſo halt' ich's. Da ſprach der Bürgermeiſter: Meiſter Franz, wenn Ihr glaubt, Euer Schwerdt habe ſich gerührt, weil ich Euch hiermit anzeige: daß morgen früh um ſechs Uhr der Jäger Jürge von Euch ſoll geköpft werden, ſo wollt' ich es noch verzeihen; aber daß Ihr daraus etwas auf dies liebe Kind ſchließen wollt, das iſt unvernünftig und toll, es könnte ſo etwas einen Menſchen in Verzweiflung bringen, wenn man es ihm ſpäter in ſeinem Alter ſagte, daß es ihm in ſeiner Jugend geſchehen ſey. Man ſoll keinen Menſchen in Verſuchung führen. — Aber auch keines Richters Schwerdt, ſagte Meiſter Franz vor ſich, und hing ſein Schwerdt wieder in den Schrank. Nun küßte der Bürgermeiſter das Annerl und gab ihm eine Semmel aus ſeiner Jagdtaſche und da er mich gefragt, wer ich ſey, wo ich herkomme und hin wolle? und ich ihm den Tod meiner Baſe erzählt hatte, und auch den Auftrag an den Jäger Jürge, ſagte er mir: Ihr ſollt ihn ausrichten, ich will Euch ſelbſt zu ihm führen; er hat ein hartes Herz, vielleicht wird ihn das Andenken einer guten Sterbenden in ſeinen letzten Stunden rühren. Da nahm der gute Herr mich und Annerl auf ſeinen Wagen, der vor der Thür hielt und fuhr mit uns in das Städtchen hinein. Er hieß mich zu ſeiner Köchin gehn; da kriegten wir gutes Eſſen, und gegen Abend ging er mit mir zu dem armen Sünder; und als ich dem die letzten Worte meiner Baſe erzählte, fing er bitterlich an zu weinen, und ſchrie: ach Gott! wenn ſie mein Weib geworden, wäre es nicht ſo weit mit mir gekommen. Dann begehrte er, man ſolle den Herrn Pfarrer doch noch einmal zu ihm bitten, er wolle mit ihm beten. Das verſprach ihm der Bürgermeiſter, und lobte ihn wegen ſeiner Sinnesveränderung und fragte ihn: ob er vor ſeinem Tode noch einen Wunſch hätte, den er ihm erfüllen könne. Da ſagte der Jäger Jürge: ach, bittet hier die gute alte Mutter, daß ſie doch morgen mit dem Töchterlein ihrer ſeligen Baſe bei meinem Rechte zugegen ſeyn mögen, das wird mir das Herz ſtärken in meiner letzten Stunde. Da bat mich der Bürgermeiſter, und ſo graulich es mir war, ſo konnte ich es dem armen elenden Menſchen nicht abſchlagen. Ich mußte ihm die Hand geben und es ihm feierlich verſprechen und er ſank weinend auf das Stroh. Der Bürgermeiſter ging dann mit mir zu ſeinem Freunde, dem Pfarrer, dem ich nochmals Alles erzählen mußte, ehe er ſich in's Gefängniß begab. Die Nacht mußte ich mit dem Kinde in des Bürgermeiſters Haus ſchlafen, und am andern Morgen ging ich den ſchweren Gang zu der Hinrichtung des Jägers Jürge. Ich ſtand neben dem Bürgermeiſter im Kreis, und ſah wie er das Stäblein brach; da hielt der Jäger Jürge noch eine ſchöne Rede und alle Leute weinten, und er ſah mich und die kleine Annerl, die vor mit ſtand, gar beweglich an, und dann küßte er den Meiſter Franz, der Pfarrer betete mit ihm, die Augen wurden ihm verbunden, und er kniete nieder. Da gab ihm der Richter den Todesſtreich. Jeſus, Maria, Joſeph! ſchrie ich aus; denn der Kopf des Jürgen flog gegen Annerl zu und biß mit ſeinen Zähnen dem Kinde in ſein Röckchen, das ganz entſetzlich ſchrie; ich riß meine Schürze vom Leibe und warf ſie über den ſcheuslichen Kopf und Meiſter Franz eilte herbei, riß ihn los, und ſprach: Mutter, Mutter, was habe ich heut Morgen geſagt; ich kenne mein Schwerdt, es iſt lebendig! — Ich war niedergeſunken vor Schreck, das Annerl ſchrie entſetzlich. Der Bürgermeiſter war ganz beſtürzt und ließ mich und das Kind nach ſeinem Hauſe fahren; da ſchenkte mir ſeine Frau andre Kleider für mich und das Kind, und Nachmittag ſchenkte uns der Bürgermeiſter noch Geld, und viele Leute des Städtchens auch, die Annerl ſehen wollten, ſo daß ich an zwanzig Thaler und viele Kleider für ſie bekam. Am Abend kam der Pfarrer in's Haus und redete mir lange zu: daß ich das Annerl nur recht in der Gottesfurcht erziehen ſollte, und auf alle die betrübten Zeichen gar nichts geben, das ſeyen nur Schlingen des Satans, die man verachten müſſe; und dann ſchenkte er mir noch eine ſchöne Bibel für das Annerl, die ſie noch hat, und dann ließ uns der gute Bürgermeiſter, am andern Morgen, noch an drei Meilen weit nach Haus fahren. Ach Du mein Gott, und Alles iſt doch eingetroffen! ſagte die Alte und ſchwieg. Eine ſchauerliche Ahnung ergriff mich, die Erzählung der Alten hatte mich ganz zermalmt. Um Gottes willen, Mutter, rief ich aus, was iſt es mit der armen Annerl geworden, iſt denn gar nicht zu helfen? Es hat ſie mit den Zähnen dazu geriſſen, ſagte die Alte, heut wird ſie gerichtet; aber ſie hat es in der Verzweiflung gethan, die Ehre, die Ehre lag ihr im Sinn; ſie war zu Schanden gekommen aus Ehrſucht, ſie wurde verführt von einem Vornehmen, er hat ſie ſitzen laſſen, ſie hat ihr Kind erſtickt in derſelben Schürze, die ich damals über den Kopf des Jägers Jürge warf, und die ſie mir heimlich entwendet hat; ach, es hat ſie mit Zähnen dazu geriſſen, ſie hat es in der Verwirrung gethan. Der Verführer hatte ihr die Ehe verſprochen, und geſagt: der Kasper ſey in Frankreich geblieben; dann iſt ſie verzweifelt und hat das Böſe gethan, und hat ſich ſelbſt bei den Gerichten angegeben. Um vier Uhr wird ſie gerichtet. Sie hat mir geſchrieben: ich möchte noch zu ihr kommen, das will ich nun thun und ihr das Kränzlein und den Gruß von dem armen Kasper bringen, und die Roſe, die ich heut Nacht erhalten, das wird ſie tröſten. Ach, lieber Schreiber, wenn Er es nur in der Bittſchrift auswirken kann: daß ihr Leib und auch der Kasper dürfen auf unſern Kirchhof gebracht werden. Alles, Alles will ich verſuchen! rief ich aus, gleich will ich nach dem Schloſſe laufen; mein Freund, der Ihr die Roſe gab, hat die Wache dort, er ſoll mir den Herzog wecken, ich will vor ſein Bett knieen, und ihn um Pardon für Annerl bitten. Pardon? ſagte die Alte kalt, es hat ſie ja mit Zähnen dazu gezogen; hör' Er, lieber Freund, Gerechtigkeit iſt beſſer als Pardon, was hilft aller Pardon auf Erden, wir müſſen doch Alle vor das Gericht: Ihr Todten, ihr Todten ſollt auferſteh'n, // Ihr ſollt vor das jüngſte Gerichte geh'n. Seht, ſie will keinen Pardon, man hat ihn ihr angeboten, wenn ſie den Vater des Kindes nennen wolle, aber das Annerl hat geſagt: Ich habe ſein Kind ermordet und will ſterben, und ihn nicht unglücklich machen; ich muß meine Strafe leiden, daß ich zu meinem Kinde komme, aber ihn kann es verderben, wenn ich ihn nenne. Darüber wurde ihr das Schwerdt zuerkannt. Gehe Er zum Herzog, und bitte Er für Kasper und Annerl um ein ehrlich Grab. Gehe Er gleich, ſeh' Er: dort geht der Herr Pfarrer in's Gefängniß, ich will ihn anſprechen, daß er mich mit hinein zum ſchönen Annerl nimmt. Wenn Er ſich eilt, ſo kann Er uns draußen am Gerichte vielleicht den Troſt noch bringen: mit dem ehrlichen Grab für Kasper und Annerl. 5. Der „Ehrentag“