Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 6. In der Pflege der Fee Saltner ſchlug die Augen auf. Was er da über ſich ſah, war es das Netzwerk des Ballons? Dieſe regelmäßigen, goldglänzenden Arabesken auf dem lichtblauen Grund? Nein, der Ballon war es nicht — der Himmel ſieht auch nicht ſo aus — doch — was war denn geſchehen? Er war ja ins Waſſer geſtürzt. Sieht es unten auf dem Meer ſo aus? Aber im Waſſer iſt man tot oder — er wendete den Kopf, doch die Augen fielen ihm wieder zu. Er wollte nachdenken, doch die Fragen waren ihm zu ſchwer, er fühlte ſich ſo matt — — jetzt bemerkte er, daß er einen Gegenſtand zwiſchen den Lippen hielt, ein Röhrchen. — War es noch immer das Mundſtück des Sauerſtoffapparats? Nein. — Ein ſeltſamer Duft umwehte ihn — inſtinktiv ſog er an dem Rohr, denn er empfand einen brennenden Durſt. Ach, wie das wohltat! Ein kühler erquickender Trank! Wein war es nicht — Milch auch nicht —, gleichviel, es mundete — war es vielleicht Nektar? Seine Sinne verwirrten ſich wieder. Aber der Trank wirkte wunderbar. Neues Leben rann durch ſeine Adern. Er konnte die Augen wieder öffnen. Aber was erblickte er? Alſo war er doch im Waſſer? Über ihm, höher als ſein Kopf, rauſchten die Wogen des Meeres. Aber ſie drangen nicht bis zu ihm heran. Eine durchſichtige Wand trennte ſie von ihm, hielt ſie zurück. Der Schaum ſpritzte an ihr empor, das Licht brach ſich in den Wellen. Dennoch konnte er den Himmel nicht ſehen, ein Sonnendach mochte ihn abblenden. Hin und wieder ſtieß ein Fiſch dumpf gegen die Scheiben. Vergeblich verſuchte ſich Saltner ſeine Lage zu erklären. Er glaubte zunächſt, ſich auf einem Schiff zu befinden, obwohl es ihn wunderte, daß ſich im Zimmer nicht die geringſte Bewegung ſpüren ließ. Aber nun blickte er etwas mehr zur Seite. War es denn nicht mehr Tag? Das Zimmer war doch von Tageslicht erhellt, aber dort links ſah er direkt in dunkle Nacht. Ein ihm unbekanntes Bauwerk in einem nie geſehenen Stil lag im Mondſchein vor ihm. Er blickte auf das Dach desſelben, das von den Wipfeln ſeltſamer Bäume begrenzt wurde. Und wie merkwürdig die Schatten waren —! Saltner verſuchte ſich vorzubeugen, den Kopf zu heben. Da ſtanden wirklich zwei Monde am Himmel, deren Strahlen ſich kreuzten. Auf der Erde gab es etwas Derartiges nicht. Ein Gemälde konnte doch aber nicht ſo ſtarke Lichtunterſchiede zeigen — es müßte denn ein transparentes Bild ſein — Auf das leiſe Geräuſch, welches ſeine Bewegung verurſachte, ſchob ſich auf einmal die Landſchaft zur Seite. Eine Geſtalt lehnte in einem Seſſel und ſah Saltner mit großen, leuchtenden Augen an. Einen Augenblick ſtarrte er verwirrt auf dieſe neue Erſcheinung. Noch nie glaubte er ein ſo herrliches Frauenantlitz geſehen zu haben. Schnell wollte er ſich erheben, und nun erſt warf er einen Blick auf ſeinen eignen Körper. Man hatte ihn während ſeiner Bewußtloſigkeit offenbar gebadet und mit friſcher Leibwäſche verſehen. Er fand ſich in einen weiten Schlafrock von einem ihm unbekannten Stoff gehüllt. Jetzt ſtreckte die Geſtalt eine Hand aus und drehte an einem der Knöpfe, die ſich neben ihr auf einem Tiſch befanden. in demſelben Augenblick durchlief Saltner ein Gefühl, als wollte man ihn plötzlich in die Höhe heben. Die Hand, deren Stellung er verändern wollte, fuhr ein ganzes Stück höher, als er ſie zu heben beabſichtigte. Mit Leichtigkeit richtete er ſeinen Oberkörper empor, aber bei dem Ruck flogen auch ſeine Beine in die Luft, und mit einer überraſchenden Geſchwindigkeit führte er einige unbeabſichtigte turneriſche Übungen aus, bis es ihm gelang, ſich in ſitzender Stellung auf ſeinem Lager zu balancieren. Zugleich hatte ſich auch die weibliche Geſtalt erhoben und ſchwebte auf ihn zu. Ein herzgewinnendes Lächeln lag auf ihren Zügen, und aus den wunderbaren Augen ſprach die innigſte Teilnahme. Saltner wollte aufſtehen, bemerkte aber ſchon beim erſten Anziehen ſeines Fußes, daß er Gefahr lief, in eine unbeſtimmte Höhe zu ſchnellen. Eine leichte Handbewegung der vor ihm ſtehenden Geſtalt bedeutete ihm, ſeinen Sitz wieder einzunehmen. Nun endlich fand er die Sprache wieder in gewohnter Lebhaftigkeit. „Wie Sie befehlen“, ſagte er. „Es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie ebenfalls Platz nehmen wollten und mir gütigſt andeuten, wo ich mich eigentlich befinde.“ Bei ſeinen Worten ließ die Geſtalt ein leiſes, ſilbernes Lachen vernehmen. „Er ſpricht, er ſpricht!“ rief ſie in der Sprache der Martier. „Es iſt zu luſtig!“ „Fafagolik?“ verſuchte Saltner die fremden Laute wiederzugeben. „Was iſt das für eine Sprache oder was für eine Gegend?“ Die Martierin lachte wieder und betrachtete ihn dabei vergnüglich, wie man ein merkwürdiges Tier abwartend anſchaut. Saltner wiederholte ſeine Frage franzöſiſch, engliſch, italieniſch und ſogar lateiniſch. Damit war ſein Sprachſchatz erſchöpft. Da ihn die Fremde offenbar nicht verſtand und er noch immer keine Antwort erhielt, ſagte er wieder auf deutſch: „Die Gnädige ſcheint mich nicht zu verſtehen, aber ich will mich doch wenigſtens vorſtellen. Mein Name iſt Saltner, Joſef Saltner, Naturforſcher, Maler, Photograph und Mitglied der Tormſchen Polarexpedition, augenblicklich verunglückt und, wie mir ſcheint, mehr oder weniger gerettet. Eigentlich iſt dabei gar nichts zu lachen, meine Gnädige, oder was Sie ſonſt ſind.“ Darauf zeigte er mehrere Male mit dem Finger auf ſich ſelbſt und ſagte deutlich: „Saltner! Saltner!“ Sodann zeigte er mit der Hand rings auf ſeine Umgebung und zuletzt auf die ſchöne Martierin. Dieſe ging ſogleich auf ſeine Gebärdenſprache ein. Sie bewegte die Hand langſam auf ſich zu und ſagte ihren Namen: „Se.“ Darauf deutete ſie auf Saltner und wiederholte deutlich ſeinen Namen. Und noch einmal wiederholte ſie mit den entſprechenden Geſten: „Se! Saltner!“ „Se, Se?“ ſagte Saltner fragend. „Das iſt alſo Ihr werter Name. Oder meinen Sie vielleicht, da draußen ſei die See? Verſtehen Sie vielleicht doch ein wenig Deutſch? Wo befinden wir uns denn hier?“ Auf ſeine fragende Handbewegung zeigte Se nach dem Meer, das vor den bis zum Fußboden reichenden Fenſtern wogte, und nannte das Wort, das in der Sprache der Martier Meer bedeutet. Darauf zog ſie an einem Handgriff, und anſtelle des Meeres erſchien die Landſchaft, welche Saltner bewundert hatte. Er ſah jetzt, daß dieſelbe auf einen Wandſchirm gemalt war, den Se ſoeben vor das Fenſter geſchoben hatte. Sie zeigte auf die Landſchaft und ſagte „Nu.“ Das bedeutet ‚Mars‘, aber Saltner war freilich mit dieſem Wort nicht gedient. Se ging nun weiter in das Zimmer zurück, das der Wandſchirm bisher ſeinen Blicken verhüllt hatte, und ſuchte nach einem Gegenſtand, den ſie nicht ſogleich zu finden ſchien. Saltner folgte ihr mit den Augen. Er glaubte noch nie etwas Anmutigeres geſehen zu haben, etwas Wunderbareres jedenfalls noch nicht. Ein roſiger Schleier umhüllte den größten Teil der Geſtalt, ließ jedoch hier und da den metalliſchen Schimmer des Unterkleides durchblicken. Die Haare kräuſelten ſich über dem Nacken in beweglichen Löckchen, die als Grundfarbe ein lichtes Braun zeigten, aber bei jeder Bewegung iriſierten wie das Farbenſpiel auf einer Seifenblaſe. Alle Bewegungen ihres Körpers glichen dem leichten Schweben eines Engels, der von der Schwere des Stoffes unabhängig iſt. Und ſobald der Kopf an eine dunklere Stelle des Zimmers geriet, leuchtete das Haar phosphoreszierend und umgab das Geſicht wie ein Heiligenſchein. Plötzlich unterbrach ſie ihr Suchen und rief: „Wie bin ich doch zerſtreut! Das hat ja alles noch Zeit. Der arme Bat hat gewiß Hunger, daran hätte ich zunächſt denken ſollen. Wart, mein armer Bat, ich will dir gleich etwas braten.“ Sie trat an den Tiſch im Hintergrund des Zimmers und machte ſich an dem Schrankaufſatz und verſchiedenen Handgriffen zu ſchaffen. Dann war ſie wieder neben ihm und ſagte mit einem unnachahmlichen Ton, der ihn entzückte: „Saltner“, indem ſie die nicht mißzuverſtehenden Pantomimen des Eſſens machte. „Glänzender Gedanke, holdſelige Se“, rief Saltner, indem er die Pantomime wiederholte. Auf einen Handgriff Ses, Saltner wußte nicht wie, ſtand auf einmal ein Tiſchchen vor ſeinem Lager, und Se ſetzte ihm eine Speiſe vor, die ſie ſoeben bereitet hatte. Er unterſuchte nicht lange, was es ſei, zerbrach ſich nicht den Kopf über die merkwürdigen Formen der ihm gereichten Inſtrumente, ſondern gebrauchte ſie, unbekümmert um Ses Lächeln, als Löffel, und tat dann einen langen Zug aus dem Mundſtück eines mit Flüſſigkeit gefällten Gefäßes. Sein Hunger war, wie er jetzt erſt merkte, ſo groß, daß er ſelbſt Ses Anweſenheit und ſeine ganze Umgebung momentan vergeſſen hatte. Erſt nachdem der erſte Reiz geſtillt war, hörte er wieder aufmerkſam auf Ses Erklärungen, die ihm die einzelnen Gegenſtände in ihrer Sprache benannte, und es gelang ihm bald, einige Worte zu behalten. Als er ſein Mahl beendet hatte, betrachtete ihn Se wieder mit zufriedener Miene. Wie man ein Schoßhündchen ſtreichelt, glitt ſie mit der Hand über ſein Haar und ſagte: „Der arme Bat war hungrig, nun wird er wieder geſund werden. War es gut, Saltner?“ Saltner verſtand freilich ihre Worte nicht, aber den Sinn fühlte er deutlich heraus. Er kam ſich auch etwas gedemütigt vor, denn er merkte wohl, daß ihn Se nicht als ein gleichberechtigtes Weſen behandelte. Aber wie ſie ſeinen Namen ausſprach, wie ſie ihn mit den Augen anſah, die bis ins Innerſte der Seele hineinzuleuchten ſchienen, konnte er nicht anders, als ihr mit den herzlichſten Worten danken. Und auch Se verſtand den Dank, ohne die Worte zu kennen, die er ſprach. Lächelnd ſagte ſie in ihrer Sprache: „Saltner gefällt mir, er iſt nicht wie ein Kalalek.“ Saltner hatte das Wort Kalalek verſtanden, das die Eskimos den Martiern als die Bezeichnung ihres Stammes genannt hatten. „Nein“, rief er entſchieden, „meine ſchöne Se, ein Eskimo bin ich nicht, ich bin ein Deutſcher, kein Eskimo — Deutſcher!“ Und er begleitete die Worte mit ſo entſchiedenen Geſten, daß Se ihren Sinn ſofort verſtand. Sie eilte zu dem Bücherregal an der Zimmerwand — denn Bücher gehören bei den Martiern zur unentbehrlichen Ausſtattung jedes Zimmers, eher würde man die Fenſter entbehren als die Bibliothek — und holte einen Atlas herbei. Inzwiſchen beſtürmte Saltner ſeine Pflegerin mit Fragen nach dem Schickſal ſeiner Gefährten, ohne ſich genügend verſtändlich machen zu können. Se kümmerte ſich zunächſt nicht um ſeine Worte und Gebärden, ſondern hielt den Atlas an ſeinem Griff Saltner vor die Augen und ließ die Blätter desſelben ſich raſch umſchlagen. Sein Erſtaunen über dieſe Mechanik wurde aber übertroffen, als ſie in ihrem Umblättern ſtillhielt und den Griff des Buches in einem Geſtell auf dem Tiſchchen vor ihm befeſtigte. Er erkannte ſofort die Karte der Gegenden um den Nordpol der Erde wieder, die er in dem Rieſenmaßſtab der Inſel vom Ballon aus bewundert hatte. Se zeigte mit ihrem ſchlanken, zierlichen Finger, an dem ihm die große Beweglichkeit der einzelnen Glieder auffiel, auf Grönland und die nächſten Landmaſſen um den Pol; dazu ſagte ſie wiederholt: „Kalalek, Bat Kalalek.“ Dann zeigte ſie auf Saltner, ergriff ſeine Hand und führte ſie über die andern Teile des Kartenbildes, indem ſie dabei fragte: „Bat Saltner?“ Saltner ſuchte auf der Karte die Gegend von Deutſchland, die allerdings perſpektiviſch ſchon ſtark verkürzt erſchien, und machte ihr durch Zeichen begreiflich, daß hier ſeine Heimat ſei. Da er aus dem öfter gehörten Wort ‚Bat‘ ſchloß, daß dies wohl ſoviel wie Menſch oder Volksſtamm bedeute, ſo zeigte er auf den Pol und fragte dazu: „Bat Se?“ Se antwortete mit einer lebhaft abwehrenden Bewegung. Sie legte die ganze Hand auf die Karte und ſagte: „Bat“. Dann zeigte ſie auf ſich ſelbſt und ſprach mit Selbſtbewußtſein: „Se, Nume.“ Und als Saltner ſie fragend anblickte, wies ſie mit ausgeſtrecktem Arm nach einer beſtimmten Stelle des Bodens und wiederholte noch einmal: „Nume.“ Wie ſie ſo daſtand, leuchteten ihre Augen in verklärtem Glanz, und Saltner konnte nicht zweifeln, daß er ein höheres Weſen vor ſich habe. Aber ſogleich neigte ſie ſich wieder mit liebenswürdigem Lächeln zu ihm und ließ einige Blätter des Atlas zurückſchlagen. Es zeigte ſich eine Gruppe geometriſcher Figuren, in denen Saltner ohne Schwierigkeit einen Aufriß der Planetenbahnen im Sonnenſyſtem erkannte. Se wies auf den Mittelpunkt und ſagte: „O“. „Sonne“, antwortete Saltner, indem er zugleich nach der Richtung hinzeigte, in welcher die Sonnenſtrahlen auf der Oberfläche des Meeres ſpielten. Se nickte befriedigt, beſchrieb dann mit ihrem Finger auf der Karte die Erdbahn und wiederholte den Namen der Erde: „Ba“, und, auf Saltner weiſend: „Bat!“ Dann aber wieder mit dem ganzen Stolz der Martier den Namen ‚Nume‘ ausſprechend, bezeichnete ſie auf der Karte die Bahn des Mars und ſagte mit einem hoheitsvollen Blick auf Saltner: „Nu.“ „Der Mars!“ Es kam faſt tonlos von Saltners Lippen. Er merkte, wie ſich alle ſeine Begriffe zu verwirren drohten. Hilflos ſah er zu Se empor, die kaum ſeine Aufregung bemerkt hatte, als ſie ihm ſchon bedeutete, ſich niederzulegen. Zwar wollte er trotz der Mattigkeit, die er jetzt an ſich ſpürte, aufſpringen, um ſeine Wißbegierde weiter zu befriedigen, aber ein Blick, der keinen Widerſtand zuließ, bannte ihn auf ſein Lager. In dieſem Augenblick öffnete ſich die Tür des Zimmers, und in derſelben erſchien zuſammengebeugt und ſchleppend, auf zwei Stäbe geſtützt, die Geſtalt des Arztes Hil. Kaum aber hatte Hil das Zimmer betreten, als er ſich in voller Höhe aufrichtete, die Stäbe fortwarf und ſchnell auf das Lager zuſchritt. Er ergriff ſofort Saltners Hand, und während er den Puls beobachtete, ſagte er mit leichtem Vorwurf: „Aber Se Se, was machen Sie mir für Geſchichten. Stellen Sie nur gleich die Abarie ab. Unſer Bat muß ſeine richtige Erdſchwere haben, ſonſt geht er uns ein, ehe wir ihn wieder kräftig ſehn.“ „Seien Sie nur nicht böſe, Hil Hil“, lachte Se, „ich habe ihn ja ſo ſchön gepflegt und gefüttert — ſehen Sie die Schüſſel — 150 Gramm Eiweiß, 240 Gramm Fett und —“ Hil ſah nach der Federwaage, die ſich unter jedem Speiſegerät der Martier befand und ſofort konſtatierte, wieviel Nahrungsſtoffe man auf dieſelbe gelegt oder dem Körper zugeführt hatte. „Aber Sie haben die Schwere abgeſtellt, davon ſtand nichts in Ihrer Inſtruktion.“ „Ja, Hil Hil, Sie können doch nicht verlangen, daß ich im Zimmer herumkriechen ſoll, wenn er wach iſt.“ „Ach ſo, die liebe Eitelkeit!“ „Oh, vor dem Bat! Aber als er aufwachte, mußte ich doch ſchnell hin, und dann mußte ich die Paſtete backen, und — ja, wenn Sie wüßten: Er heißt Saltner und iſt kein Kalalek, ſondern ein — ja, das Wort habe ich vergeſſen, doch ich zeige Ihnen auf der Karte die Gegend.“ „Erſt laſſen Sie es ſchwer werden — aber halt, noch einen Augenblick, ich will mir zuvor einen Stuhl holen — ſo —“ „Und ich will mich auch erſt ſetzen“, ſagte Se. Als beide Platz genommen hatten, griff Se an einen Wirbel, und Saltner ſah, wie Se und Hil ſichtlich in ihren Seſſeln zuſammenſanken und ihre gelegentlichen Bewegungen mühſam und ſchwerfällig wurden. Er aber merkte, wie das eigentümliche Gefühl des Schwindels, das ihn beherrſcht hatte, verſchwand, ſeine Gliedmaßen konnte er wieder normal dirigieren, und er legte ſich behaglich auf ſein Lager zurück. Der Arzt ſah ihn mit ſeinen großen, ſprechenden Augen wohlwollend an. „Alſo man iſt wieder lebendig?“ ſagte er, was Saltner freilich nicht verſtand. Dann fügte er in der Sprache der Eskimos hinzu: „Verſteht ihr vielleicht dieſe Sprache?“ Saltner erriet die Frage und ſchüttelte den Kopf. Dagegen ſagte er nunmehr ſelbſt in der Sprache der Martier, was er von Se gelernt hatte: „Trinken — Wein — Bat gut Wein trinken —“ Se brach in ihr feines, ſilbernes Lachen aus, und Hil ſagte beluſtigt: „Sie haben ja ausgezeichnete Fortſchritte gemacht — nun werden wir uns wohl bald unterhalten können.“ Dabei wies er auf das neben Saltner ſtehende Trinkgefäß hin, und dieſer bediente ſich desſelben mit Erfolg zu neuer Stärkung. Das Schickſal ſeiner Gefährten lag ihm am ſchwerſten auf der Seele. Er verſuchte noch einmal, darüber Erkundigungen einzuziehen, indem er einen Finger aufhob und dazu ſagte: „Bat Saltner.“ Dann erhob er drei Finger und ſuchte durch weitere Zeichen verſtändlich zu machen, daß drei ‚Bate‘ mit dem Ballon angekommen und herabgeſtürzt ſeien. Hil, der zum erſten Mal einen Europäer ſah, hatte ſeine Aufmerkſamkeit mehr auf den ganzen Menſchen als auf ſein Anliegen gerichtet, und blickte jetzt fragend zu Se hinüber, als ſich Saltner mit der von Se gehörten Anrede ‚Hil Hil‘ direkt an ihn wendete. Se erklärte: „Er meint, daß drei Bate angekommen und in das Meer geſtürzt ſind. Wir haben aber doch nur zwei gefunden?“ „Allerdings“, ſagte Hil, „und dem andern geht es auch beſſer. Der Fuß iſt nicht ſchlimm verletzt und wird in einigen Tagen geheilt ſein. Ich habe mich durch La ablöſen laſſen, um einmal hier nach dem Rechten zu ſehen. Ich glaube übrigens, daß er bei Bewußtſein iſt, er hat wiederholt die Augen geöffnet, doch ohne zu ſprechen. Hoffentlich hat er keine ſchwere Erſchütterung davongetragen. Wir wollen ihn nicht anreden, um ihn nicht vorzeitig aufzuregen. Wollen Sie nicht einmal hinübergehen?“ „Recht gern, aber wer bleibt bei Saltner?“ „Der muß jetzt ſchlafen. Und dann müſſen wir überhaupt eine andere Einrichtung treffen. Wir bringen ſie beide zuſammen in ein Zimmer, und zwar in das große. Aus der einen Seite laſſe ich die abariſche Verbindung entfernen, desgleichen in den beiden Nebenräumen. Dort werden ihre Betten und alle ihre Geräte hingebracht, ſo daß ſie in ihren gewohnten Verhältniſſen leben können. Und wir können uns dann bei ihnen aufhalten und ſie ſtudieren, ohne fortwährend unter dieſem Druck umherkriechen zu müſſen, indem wir uns in dem andern Teil des Zimmers die Schwere erleichtern.“ „Schön“, ſagte Se, „aber ehe Sie meinen armen Bat einſchläfern, will ich noch einmal mit ihm verhandeln.“ Sie wandte ſich zu Saltner und machte ihm ſo gut wie möglich begreiflich, daß noch einer ſeiner Gefährten gerettet ſei und daß er ihn bald ſehen ſolle. Dann brachte ſie auf geſchickte Weiſe in Erfahrung, wie jener heiße, und ließ ſich einige deutſche Worte ſo lange vorſagen, bis ſie ſich dieſelben eingeprägt hatte. Während ſie Saltner aus ihren großen Augen lächelnd anſah, ſtreckte Hil die Hand gegen ſein Geſicht aus und bewegte ſie einige Male hin und her. Saltner fielen die Augen zu. Noch war es ihm, als wenn zwei ſtrahlende Sonnen vor ihm leuchteten, dann wußte er nicht mehr, ob dies zwei Augen ſeien oder die Monde des Mars, und bald lag er in traumloſem Schlaf. 7. Neue Rätſel