Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 55. In höchſter Not Der getreue Palaoro war in der Nacht auf das Gebirge geſtiegen, um Saltner die Nachricht zu bringen, daß zwei Luftſchiffe in Bereitſchaft ſeien, ihn zu ſuchen. Dieſe Nachforſchung konnte nur dadurch geſchehen, daß die Luftſchiffe Tal für Tal und Berghalde für Berghalde abſuchten und jedes einzelne Häuschen, jede Hütte anliefen, um ſich die Inſaſſen anzuſehen. Dies war allerdings eine umſtändliche Sache, doch war das Gebiet, um das es ſich handelte, in beſtimmter Weiſe eingeſchränkt. Denn alle Täler, die den Gebirgsſtock umgaben oder aus ihm herausführten, waren ſogleich am Tag nach Saltners Flucht abgeſperrt worden, die hier zerſtreut liegenden Ortſchaften waren beſetzt, und es wäre nicht möglich geweſen, ſie unentdeckt zu paſſieren. Ein einzelner Gebirgsſteiger, wie Saltner, hätte ſich wohl vorüberſchleichen können, nicht ſo eine Geſellſchaft, in der Saltners Mutter ſich befand. Denn dieſe mußte entweder reiten oder getragen werden, war alſo auf die gangbaren Wege angewieſen. Die Hütten, welche in Betracht kamen, waren entweder Unterſtandshütten für Touriſten, oder es waren Sennhütten oder Zufluchtsorte für Hirten. Sie lagen ſtets an hervorragenden Punkten oder offen auf Wieſen und Almen, ſo daß ſie von der Höhe aus leicht wahrgenommen werden konnten. Wollte Saltner für ein Luftſchiff unentdeckbar bleiben, ſo konnte es nur dadurch geſchehen, daß er ſich in den Wald flüchtete, der die Abhänge der Bergrücken bedeckte. Da am erſten Tag nach Palaoros Ankunft des dichten Nebels wegen auf den Bergen noch keine Gefahr der Entdeckung vorlag, brach Saltner mit dem Führer auf, um in den Wäldern eine paſſende Unterkunft zu ſuchen. Die Hütten, die ſich hier für Köhler und Holzſchläger errichtet fanden, waren allerdings höchſt primitiver Art. Es gelang ihnen aber, doch einen Bau aufzufinden, der ſich durch einige Arbeit wenigſtens für den Notfall bewohnbar machen ließ. Sie ſetzten dieſe ärmliche Wohnung, ſo gut es ging, inſtand und kehrten abends nach der ſogenannten Kleinen Hütte zurück. In der Nacht wäre es nicht möglich geweſen, Frau Saltner in das abgelegene Tal durch den Wald zu transportieren, da ſie getragen werden mußte. Sie beſchloſſen alſo, es am Tag zu wagen. Gefährlich für die Entdeckung war dies freilich, denn es mußte ein weites, baumloſes Plateau, dann eine ſteile Schutthalde und ein Felsabſtieg paſſiert werden, ehe man in den Wald gelangte. Sie hofften, daß der Nebel noch anhalten werde. Vor Sonnenaufgang verließ Saltner die Hütte und beſtieg den Bergrücken, der den Blick nach Norden und Weſten geſtattete. Hinter den Zacken der Dolomiten ſtrahlte der Himmel in leuchtendem Rot. Ein Meer von weißen Nebeln wogte in den Tälern, und nur die Gipfel der Berge blickten wie Inſeln aus ihm hervor. Roſig glühten die Schneerieſen im Weſten, und ihre höchſten Häupter glänzten bereits im Sonnenlicht. Saltner ſpähte nach der Gegend, wo Bozen unter Nebeln verborgen lag. Und da — ſiehe —, aus den weißen Wolken tauchten zwei dunkle Punkte auf, deutlich hoben ſie ſich jetzt gegen den hellen Himmel ab. Er richtete ſein Fernglas darauf. Es war kein Zweifel, es waren die beiden Luftſchiffe, die ſich zu ſeiner Verfolgung aufmachten. Er eilte den Berg hinab. „Wir müſſen fort“, ſagte er zu Palaoro. „Sie ſuchen uns, und der Tag wird klar werden. Aber ſie fahren nach Südoſt, wir werden alſo noch Zeit haben, ehe ſie bis hierher kommen. Für den Anfang ſteigen auch die Nebel noch herauf, wir müſſen ſehen, daß wir zur rechten Zeit Deckung finden.“ Der Zug ſetzte ſich in Bewegung. Saltner und Palaoro trugen den Tragſtuhl mit Frau Saltner. Katharina ſchritt, ebenfalls mit Gepäck beladen, hinterher. Es ging die Bergwand im Südweſten hinauf, dann über ein weites Plateau. Man kam nur langſam vorwärts. Oft mußte geruht werden. Endlich waren die Felſen am Rande des Plateaus erreicht, das ſich von hier mit einer ſteilen Schutthalde in ein Tal hinabſenkte. Dieſes mußte paſſiert werden, um den Bergrücken auf der gegenüberliegenden Seite zu gewinnen. Von dort führte der Weg durch eine Scharte zwiſchen zwei Gipfeln nach einem zweiten, engeren Tal, deſſen waldbedeckte Abhänge ſicheren Schutz boten. In dem erſten Tal zogen ſich die Nebel jetzt bis dicht an den Rand des Plateaus. Ehe die kleine Expedition den ſchmalen, aber verhältnismäßig leicht gangbaren Pfad betrat, der hier hinabführte, ſpähte Saltner noch einmal nach den Schiffen aus, ohne eine Spur von ihnen bemerken zu können. Dann bedeckten die Nebel die Flüchtigen. Bevor der neue Aufſtieg begann, wurde eine Ruhepauſe gehalten und dann mit neuen Kräften vorwärts geſchritten. Es waren gegen vier Stunden ſeit dem Aufbruch vergangen, als ſie aus den Talnebeln herausſtiegen und ſich anſchickten, die Höhe zu paſſieren. Man hatte hier wieder einen weiten Umblick nach Weſten und Süden. Plötzlich blieb Palaoro ſtehen. „Sie kommen“, rief er aus. Er hatte in der Ferne, im Süden, einen dunkeln Punkt bemerkt, den nun Saltners Glas als Luftſchiff nachwies. „Sie nähern ſich“, ſagte Saltner, „aber ſie haben ſich getrennt — es iſt nur ein Schiff.“ „Sie werden von zwei verſchiedenen Seiten anfangen. Dieſe wollen wahrſcheinlich hinüber nach den Hütten am Laugen. Hier können wir nicht weiter, in wenigen Minuten müſſen ſie uns ſehen. Wir müſſen den Berg zwiſchen uns bringen. Sie werden vorläufig jedenfalls auf der Südſeite bleiben.“ Man bog nach rechts ab und war bald durch die aufſteigenden, mit Raſen und verkrüppelten Fichten bedeckten Felsabhänge des Bergrückens gegen das herannahende Schiff gedeckt, ſo lange es ſich nicht über den Gipfel erhob. Es war aber anzunehmen, daß die Martier zunächſt die Abhänge im Süden abſuchen würden. Der beſchwerliche Weg führte nun bergab nach einem Felsriegel zu, von dem aus ſich eine Schlucht in das Tal hinabzog. Doch war es fraglich, ob dieſe von einem Wildbach durchſtrömte, in ſteilen Abſtürzen niedergehende Schlucht paſſierbar ſein würde. Dies mußte zunächſt unterſucht werden. Das Ende des Felsriegels, der nach Norden faſt ſenkrecht etwa hundert Meter abſtürzte, war mit hohen, flechtenbedeckten Fichten beſtanden und bot unter dieſen und zwiſchen den Felstrümmern einen vorläufigen Zufluchtsort. Hier wollte Saltner die Frauen verbergen, während Palaoro einen Weg nach dem Tal auskundſchaften ſollte. Es galt nur noch die kurze Strecke über den kahlen Rücken bis zum Beginn des Waldes zu durchqueren. Vielleicht noch hundert Schritte bergab trennten die Flüchtigen von dem ſchützenden Dickicht, als ſie vor ſich, nach Norden, über den dort hervorragenden Berggipfeln ebenfalls einen Punkt bemerkten, der unzweifelhaft ein Luftſchiff war. „Dort iſt das andere Schiff“, rief Palaoro. So ſchnell, als es möglich war, durchliefen ſie die kurze Strecke und ſuchten einen geſchützten Platz unter den hohen Stämmen. Die Sonne ſchien warm auf die harzduftenden Nadeln, in langen Bändern hingen die graugrünen Flechten von den Äſten, und der aus Felstrümmern beſtehende Boden war mit weichem Moos bedeckt. Man hob Frau Saltner aus dem Stuhl, und die Frauen ruhten an geſchützter Stelle in der ſtillen, ſonnendurchwärmten Luft, während Saltner und Palaoro bis an den Rand des Abſturzes vorgingen, um vorſichtig nach dem vermuteten Feind auszuſpähen. „Es iſt mir nicht recht erklärlich“, ſagte Saltner, „warum dieſes Schiff einen ſo ſeltſamen Weg eingeſchlagen hat, daß es jetzt von Norden kommt. Aber gleichviel, wenn ſie uns nicht auf dem Weg hierher erkannt haben, ſind wir vorläufig ſicher.“ „Sie können uns ſchon geſehen haben. Sie kommen ja gerade auf uns zu.“ „Leider. Sie haben die urſprüngliche Richtung geändert. Man möchte wirklich glauben, daß ſie hierher wollen. Ach, ſie ſteigen in die Höhe und ſpannen die Flügel auf, ſie werden eine Landung verſuchen.“ „Wenn ſie wirklich uns geſehen haben und hier in das Wäldchen wollen, ſo können ſie nur draußen auf dem Bergrücken landen, von wo wir gekommen ſind. Sonſt können ſie nirgends heran, das verhindern die Bäume.“ „Kommt, Palaoro. Wir wollen nach der andern Seite gehen, hier iſt nichts zu tun und nichts zu befürchten. Das Schiff iſt ſo hoch, daß man es nicht mehr ſehen kann, ohne zu weit aus den Bäumen zu treten. Was tun wir nun, wenn ſie landen?“ „Wir ſteigen in die Schlucht hinunter, ſo weit es geht. Nachklettern werden ſie uns nicht. Bleiben Sie bei der Frau Mutter, und ziehen Sie ſich inzwiſchen nach der Schlucht zu. Kathrin kann hier den Stuhl ein Stück tragen. Ich ſehe inzwiſchen nach dem Schiff.“ Saltner brachte ſeine Mutter mit Hilfe der Magd bis an die Stelle, wo die Schlucht begann. Hier kletterte er ſelbſt weiter, um den Weg zu unterſuchen. Es ging zunächſt ſteil bergab, aber es ſchien ihm möglich, doch noch hier herabzukommen. Nach einer kurzen Strecke erweiterte ſich die Schlucht zu einem kleinen, von faſt ſenkrechten Wänden umgebenen Felskeſſel. Den nahezu ebenen Boden, auf dem ein kleines Bächlein entſprang, bedeckte kurzer Raſen. Im Sonnenſchein funkelten die Waſſertropfen auf den Halmen, kleine blaue Schmetterlinge und weißſchimmernde große Apollofalter ſpielten in dieſem ſtillen Winkel. Die Quelle rieſelte als ſchmales Rinnſal der Felswand zu, die ſie in einer kleinen Klamm durchbrach. Aber die Neigung war gering, Saltner ſchritt durch das ſeichte Waſſer und überzeugte ſich, daß ſich dahinter der Boden des Tales erweiterte. War man einmal bis hierher vorgedrungen, ſo mochte der weitere Abſtieg wohl gelingen. Nun beeilte er ſich zurückzukehren. Er hatte etwa zwei Drittel des Aufſtiegs kletternd zurückgelegt, als er zu ſeinem Erſtaunen von Baum zu Baum ein Seil nach oben hin ausgeſpannt fand. Bald begegnete ihm Palaoro, der Frau Saltner auf einem Arm trug, während er ſich mit Hilfe des Seiles vorſichtig den ſteilen Abhang hinabarbeitete. Ihm folgte Katharina. Ohne ein Wort zu ſprechen unterſtützte Saltner den Abſtieg, bis ſie das Ende des Seils erreicht hatten. Hier ſetzte Palaoro Frau Saltner nieder und ſagte zu ihr beruhigend: „Hier ſind ſie ganz ſicher, die dreißig Meter können die Herren Martier nicht herabkraxeln. Wir wollen nur das Seil holen.“ Er winkte Saltner und beide ſtiegen wieder den Berg hinauf. Kurz vor der Höhe blieb Palaoro ſtehen und berichtete Saltner das Geſchehene. Als er vorhin den Rand des Waldes erreicht hatte und die kahle Berglehne nach oben überſehen konnte, habe er das von Norden gekommene Luftſchiff bemerkt, das mit ausgebreiteten Schwingen im Segelflug langſam über der Höhe ſchwebte. Es ſei ein ganz beſonders großes, ſchönes Schiff geweſen. Da ſei von der andern Seite das kleine Regierungsſchiff, das er als das Schiff des Unterkultors in Wien erkannte, ſchnell herbeigekommen und hätte dem andern Schiff Signale gemacht, die er nicht verſtand. Darauf hat das große Schiff die Flügel eingezogen, und er hat nicht ſehen können, was aus ihm geworden, da es hinter den Bäumen verſchwunden iſt. Das kleine aber iſt dicht vor dem Wald auf dem Bergrücken gelandet. Nun iſt der Pitzthaler, der Grenzjäger, aus dem Schiff geklettert und nach dem Wald gegangen. Wie er geſehen hat, daß es der Pitzthaler iſt, hat er ſich langſam zurückgezogen, und wie die vom Schiff aus den Pitzthaler hinter den Bäumen nicht mehr ſehen konnten, iſt er ihm ſo wie zufällig entgegengegangen. Hat ihn nun der Pitzthaler gefragt, ob er nicht hier herum den Herrn Saltner geſehen hat, der ſollt’ mal gleich auf das Schiff kommen, denn ſie hätten von oben bemerkt, wie er um den Berg herumgegangen ſei, und da könnt’ er jetzt nirgends anders ſtecken als hier im Wald. Da hätte er geantwortet, das wollte er dem Herrn Saltner ſchon ſagen, wenn er ihn halt zufällig hier treffen täte, wenn aber der Herr Saltner nicht käme, was ſie dann wohl tun würden. Dann würden ſie den Wald hier beſetzen, daß er nicht herauskönnte, und er und der Verpailer, der auch mit wäre, die müßten ihm halt nachgehen und ihn herausholen, denn ſonſt kämen ſie um ihr Brot. Er hätte ſich aber am Fuß was vertreten und könnte nur langſam den Berg herunterſteigen. Und darauf wäre der Pitzthaler wieder zurückgegangen. Nun ſei er erſt wieder bis an den Waldrand geſchlichen und habe geſehen, wie der Herr Unterkultor und vier Beds mit Glockenhelmen aus dem Schiff gekraxelt und mit den beiden Grenzjägern nach dem Wald zu gegangen ſeien. Da ſei er raſch zurückgeſprungen, habe das Seil ausgeſpannt und ſei mit den Frauen herabgeſtiegen. Und er hat noch geſehen, wie die Grenzjäger mit den Martiern erſt nach der andern Seite gegangen ſind. Während des Berichts löſten Saltner und Palaoro das Seil und ſtiegen die Schlucht wieder hinab. Sie beſchloſſen, ſich bis in den Felskeſſel hinabzuziehen und dort des weiteren zu warten. Beide hofften, daß ihnen die Grenzjäger nicht ſogleich folgen, ſondern die Martier unter irgendeiner Ausrede mit der Verfolgung hinhalten würden. Mit vielen Beſchwerden gelang es, den übrigen Teil des Weges zurückzulegen. Sobald ſie hinter dem nächſten Felsblock hervortraten, befanden ſie ſich am Rand der kleinen Wieſe. Saltner trug jetzt ſeine Mutter, Palaoro ging voran. Er ſtand am Eingang zum Keſſel. Da ſprang er zurück. Erſchrocken winkte er Saltner. Dieſer ſetzte ſeine Mutter ſanft nieder und ſprang zu ihm. „Was gibt es?“ fragte er leiſe. „Das große Luftſchiff liegt auf der Wieſe“ flüſterte Palaoro. „Um Gottes willen! So ſind wir verloren. Wir ſind von beiden Seiten eingeſchloſſen.“ Er warf einen Blick auf die ſeitlichen Abſtürze der Schlucht, der ihn belehrte, daß hier ein Entkommen mit den Frauen nicht denkbar ſei. Ratlos blickten die Männer ſich an. „Habt Ihr Leute bei dem Schiff geſehen?“ fragte Saltner. „Ich hab mir gar nicht Zeit genommen“, antwortete Palaoro. „Sie müſſen von oben geſehen haben, daß hier der einzige Ausweg iſt, und haben ihn verlegt. Wenn ſie ſich jetzt hier umſchauen, müſſen ſie uns finden, auch wenn die von oben nicht herabkommen. Bergauf werden die Nume nicht ſteigen, aber vielleicht haben ſie auch Grenzjäger bei ſich. Wir wollen wenigſtens das kleine Stückchen zurück bis dort zwiſchen die beiden Felſen.“ „Es iſt auch nur für den Augenblick“, ſagte Saltner, „aber wir wollen es tun. Möglich wäre es ja, daß die Grenzjäger nicht ſehen wollen und vorbeiziehen, wahrſcheinlich freilich nicht, es iſt zu klar, daß wir hier ſtecken müſſen. Ich werde mir dann das Schiff anſehen, und wenn es nicht anders iſt —“ „Ergeben?“ ſtammelte Palaoro. „Ihr nicht, das hat keinen Zweck. Ihr könnt hier an der Seite hinaufklettern. Ich aber kann die Frauen nicht verlaſſen.“ Er lehnte einen Augenblick wie gebrochen an dem Felſen. „O meine Mutter!“ flüſterte er. Dann ging er zurück zu den Frauen. „Ich muß euch noch ein paar Minuten hierlaſſen“, ſagte er. „Dort zwiſchen den Felſen wirſt du beſſer ſitzen. Es iſt noch ein Hindernis drunten, hoffentlich läßt es ſich beſeitigen.“ „Du mein lieber Joſef, was ich dir für Mühe mache. Aber wenn ſie uns wieder fangen, das iſt zu ſchrecklich“, antwortete Frau Saltner. Bald waren die Frauen untergebracht. „Ich gehe jetzt“, ſagte Saltner, ſich beherrſchend. „Ängſtige dich nicht, Mutter.“ Er küßte ſie. „Aber du kommſt bald wieder?“ „Gott wird helfen.“ Saltner warf noch einen Blick zurück. Dann ſchlich er bis an den Felsblock, der den Eingang zur Waldblöße deckte. Von oben konnte man ihn nicht mehr ſehen. Ein moosbedeckter Vorſprung am Felſen bildete eine natürliche Bank. Hier ließ er ſich einen Augenblick nieder, um noch einmal zu bedenken, was er tun ſolle. Es war nichts zu tun. Hierbleiben konnte er nicht. Vorüber konnte er auch nicht. Er mußte ſich gefangengeben. Auch das wäre ihm zuletzt gleichgültig geweſen. Aber die Mutter! Sie überlebte den Schrecken nicht. Das war das Ende! Und nun war alles verloren. Keine Rettung. „Gnädiger Gott, hilf uns“, ſagte er leiſe. „Doch Dein Wille geſchehe.“ Er erhob ſich, er wollte um die Ecke des Felſens nach dem Schiff ausſpähen. Da war es ihm, als hörte er leiſes Raſcheln der dürren Zweige, die den Moosboden bedeckten. War es eine Eidechſe? Kam jemand? Er zögerte einen Augenblick. Die Spalte neben dem Felſen, durch welche das Sonnenlicht in den Wald blickte, verdunkelte ſich. Eine Geſtalt ſtand vor ihm. Er richtete ſich hoch auf. Das Herz ſchlug ihm, wie ein Nebel legte es ſich vor ſeinen Blick. Wer war das? Unter dem Schatten eines breiten Hutes leuchteten ihm zwei Augen entgegen, glückſtrahlend, ſonnenhaft. Schweigend ſtanden ſich beide gegenüber, bis es leiſe; zögernd, als fürchte er, aus einem Traum zu erwachen, über Saltners Lippen kam, eine einzige Silbe: „La!“ Es war ihm, als müſſe er zu Boden ſinken. Da bewegte ſich die Geſtalt. Zwei Arme umſchlangen ihn, eine weiche Wange fühlte er an der ſeinigen. La barg ihren Kopf an ſeiner Schulter und flüſterte: „Sal! mein Sal!“ Er ſank auf die Moosbank nieder und zog ſie mit ſich. Ihre Lippen glühten aufeinander. „Du biſt es, du biſt es“, ſagte La ſelig. Er zog ſie aufs neue an ſich. Endlich ſtammelte er: „Und du, wie kommſt du — O du mein Glück, weißt du denn —“ „Ja, ja! Ich komme, um dich zu fangen und nie wieder freizugeben. Ich komme vom Nu, und ich will bei dir bleiben auf der Erde, oder wo du willſt — nur nicht allein, nicht länger allein. Ich kann es nicht!“ Sie ſank aufs neue an ſeine Bruſt. Dann ſprang ſie auf. Von oben hörte man das Klingen des Bergſtocks. Palaoro wurde ſichtbar. Er prallte zurück, als er La erblickte. Dann rief er: „Sie ſteigen von oben herab.“ Saltner blickte auf La. „Du kommſt zu mir, Geliebte“, ſagte er haſtig. „Aber ich bin gefangen und eingeſchloſſen. Du kommſt, nur zu ſehen, wie ich dir entriſſen werde.“ La lächelte glücklich. „Das iſt unmöglich“, ſagte ſie. „Geh und hole deine Mutter, und du wirſt ſehen.“ Saltner wirbelte der Kopf, aber er nahm ſich keine Zeit, zu überlegen, wie das alles möglich ſei. Er prüfte nicht, er zweifelte nicht, Las Wort glaubte er. Weiter bedurfte es nichts. Er ſprang mit Palaoro den Felſen hinauf. „Wir ſind gerettet, gerettet!“ rief er ſeiner Mutter zu. „Fürchte dich nicht vor den Numen, zu denen ich dich bringe, es ſind unſre Freunde.“ „Wenn du es ſagſt, ſo iſt es gut.“ In wenigen Minuten ſtanden ſie wieder bei La, die an dem Felſen gewartet hatte. „Das iſt unſre Retterin“, ſagte Saltner, auf La weiſend. La faßte ehrfurchtsvoll die Hand von Saltners Mutter und ſprach: „Sie ſollen bald zufrieden ſein.“ „Gott ſegne Sie“, antwortete die Mutter. La ſchritt voran. Die nachfolgenden Menſchen ſtutzten bei dem Anblick, der ſich ihnen bot. Kathrin ſtieß einen Schrei der Verwunderung aus. Wie eine goldene Schale in der Sonne leuchtend lag die Luftyacht auf der Waldwieſe. Niemand war zu ſehen als am Fuß der breiten, bequemen Schiffstreppe der Schiffer in ſeinem Glockenhelm, der ſalutierend die Herrin des Schiffs erwartete. La eilte voran. Als ſie das Geländer erfaßte, flammte ein Funkenbogen über dem Eingang, der die Aufſchrift zeigte: „Willkommen im Schutze der La.“ Am Eingang zum Schiff blieb ſie ſtehen und wiederholte die Worte. Man ſtieg in das Schiff, der Schiffer folgte, im Augenblick war die Treppe eingezogen. Palaoro blieb vorläufig auf dem Verdeck. Saltner führte ſeine Mutter und die Magd in den Raum, deſſen Tür La öffnete. „Hier iſt Ihr Zimmer“, ſagte ſie, „und daneben das für Katharina. Nun ruhen Sie ſich recht aus. Und was Sie wünſchen, ſprechen Sie in dieſe Öffnung, ſo wird es da ſein.“ Frau Saltner war ſprachlos. Ein weicher Polſterſtuhl am Fenſter nahm ſie auf. Sie blickte ſich im Zimmer um. „Das iſt ja gerade wie daheim in unſrer Sommerwohnung“, ſagte ſie endlich. „Die Täfelung ringsum, und die Gardine in der Ecke, und dort, das Kruzifix und das Lämpchen —. Nur die Bilder, und die Kiſſen, und die Teppiche das iſt alles viel koſtbarer — wie kommt das nur — —“ „Das iſt die Zauberin, die es gemacht hat“ ſagte Saltner, gerührt Las Hand ergreifend. „Sie hat nichts vergeſſen von allem, was ich ihr von unſerm Heim ſchildern mußte. Ihr gehört dieſes Wunder von einem Luftſchiff.“ La ſah dem geliebten Mann in die Augen. „Uns beiden!“ ſagte ſie dann. „Du willſt? Du willſt es wirklich?“ rief Saltner jubelnd und ſchloß ſie in ſeine Arme. Doch wie in einem tiefen Schreck verſtummte er plötzlich. „Aber ich bin ein Menſch“, ſagte er tonlos. „Sei, was du willſt, ich bin dein, deine La.“ Er blickte auf die Herrliche, Königliche, deren Blick wie bittend zu ihm aufgeſchlagen war. Er wußte nicht, was mit ihm vorging. Der plötzliche Übergang von der Verzweiflung zum höchſten Glück, von der Not zur Sicherheit, vom Unerreichbaren zum Wirklichen verwirrte ihn. Er ſchüttelte den Kopf, und ſein Antlitz ſtrahlte dabei von Freude. „Ich weiß ja nicht, was ich bin, wer ich bin, wo ich bin. Ich weiß nur, daß ich namenlos glücklich bin. Schau, Mutter, das iſt ſie, die ich liebe, der ich alles verdanke. Ich weiß nicht, wie man das bei euch auf dem Mars macht, wenn man eine Frau haben will, und es iſt mir auch ganz egal, und du biſt halt die La! Da, Mutter, gib ihr einen Kuß, ich muß einmal einen Juchzer tun.“ Und mit einem Sprung war er aus dem Zimmer, und während die alte Frau ihre Hände zitternd auf das von Liebe und Schönheit ſtrahlende Haupt der glücklichen Nume legte, ſchallte draußen ein Jodler laut und jubelnd zu den Bergen empor, und das Echo der Felſen gab ihn zurück — — 56. Selbſthilfe