Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 53. Schwankungen Die Wohnung Torms auf der Gartenſtraße in Friedau ſtand noch immer verſchloſſen, die Jalouſien vor den Fenſtern waren herabgelaſſen, niemand betrat die Räume. Isma hatte ſich nicht entſchließen können, die Wohnung aufzugeben, es war ihr, als gäbe ſie damit die letzte Hoffnung auf, noch einmal in ihre Häuslichkeit zurückzukehren, als raubte ſie ihrem Mann das Heim, das er vielleicht in Schmerz und Elend ſuchte und erſehnte. Und dennoch lebte Torm in Friedau in tiefſter Verborgenheit. Er wohnte bei Grunthe. Es war nichts Ungewöhnliches, daß fremde Gelehrte ſich längere Zeit auf der Friedauer Sternwarte zu Studien aufhielten und dann Ells Gäſte waren. So fiel es auch den wenigen nicht auf, die darum wußten, daß bei Grunthe ein ausländiſcher Aſtronom wohnte, der ſich nirgends in der Stadt ſehen ließ. Torm war am Tag, nachdem er von Grunthe die erſchütternden Nachrichten über die Umwandlung der Verhältniſſe in Europa erhalten hatte, nach Berlin gereiſt. Die Sehnſucht trieb ihn, zu Isma zu eilen, ihr die Sorge, die Trauer um den Verſchollenen zu nehmen, glücklich bei ihr zu ſein und mit ihr vereint dann zu erwarten, was ſein Geſchick über ihn beſtimmen werde, wenn ſeine Rückkehr bekannt geworden ſei. Das war ja doch das Natürliche, zu ihr gehörte er, um zu ihr zu gelangen hatte er ſich in die neuen Gefahren geſtürzt und — in die Schuld. Seine Zweifel waren zerſtreut, ſein Vertrauen zurückgekehrt. Wenn ſie ihn nicht liebte, wenn ſie nicht feſt an ihm hielt, was hätte ſie gehindert, ihn zu verlaſſen, um den mächtigen Freund zu wählen? Was ſie offen tun konnte, warum hätte ſie es heimlich tun ſollen? Nein, ſie hatte es nicht getan, und da ſie es nicht getan, was ging Ell ihn an? Nicht zu Ell wollte er, ſondern zu ihr. Aber ohne vorherige Nachricht. Erſt mußte er mit ihr beſprechen, was zu tun ſei, wie ſie es halten wollten, ehe jemand erfahren durfte, daß er gerettet ſei, wo er ſich aufhalte. Und in dieſem Sinne hatte er Grunthe gebeten, das Geheimnis ſeiner Wiederkehr zu bewahren. Wie würde er Isma antreffen, wie würde ſie ihm begegnen? Er konnte ſich kein Bild davon machen, vergebens verſuchte er ſich im Beginn ſeiner Fahrt das Wiederſehen auszumalen. Noch immer lag der Gedanke, als ein Geächteter zu reiſen, wie ein Druck auf ihm, unwillkürlich ſah er die Mitreiſenden darauf an, ob ſie ihn wohl erkannten. Mitunter erſchien er ſich als ein Fremder, der ſich eine Entſchuldigung erſinnen müſſe, um ſeinen Beſuch zu rechtfertigen, und er mußte ſich erſt daran erinnern, daß er als der Gatte zu ſeiner Frau fahre, die ſeit zwei Jahren ſeine Wiederkehr erhoffte. Dazwiſchen ſtellte er Betrachtungen über das Verhalten der Paſſagiere an. Es fiel ihm eine Änderung darin auf, die ſeit ſeiner letzten Fahrt durch Deutſchland auf der Eiſenbahn vor ſich gegangen war. Das war vor dem Antritt ſeiner Entdeckungsreiſe geweſen, denn bei ſeiner Wiederkehr war er als Triumphator empfangen, überall in Extrazügen eingeholt worden und nicht als einfacher Paſſagier gereiſt. Ein Typus der Reiſenden war ganz verſchwunden, der anſpruchsvolle, geringſchätzig auf die andern herabblickende, hochmütige Elegant. Man ſah vornehme Leute, aber keine Überhebung; nicht nur ein höflicher, faſt ein kameradſchaftlicher Ton herrſchte überall; die verſchiedenen Berufsarten und Stände hatten ſich unter dem allgemeinen Druck näher aneinander geſchloſſen, ſuchten ſich beſſer zu verſtehen. Und ebenſo auffallend war das Fehlen aller Uniformen. In Halle kaufte ſich Torm eine Zeitung, er gedachte, ſich den übrigen Teil der Fahrt damit zu unterhalten. Aber alsbald ſtieß er auf eine Nachricht, die ihm neue Sorgen erweckte. Die Zeitung brachte die erſte Mitteilung über den ‚Fall Stuh‘ bei Frankfurt, wo die Bauern in einem Ort ſich an dem durchreiſenden Inſtruktor vergriffen hatten. Es war hinzugefügt, daß bereits vier der Tumultuanten als Rädelsführer verhaftet ſeien und der Inſtruktor die Überweiſung an den Numengerichtshof verlangt habe. In dieſem Fall fürchte man ſehr ſtrenge Strafen für die Schuldigen. Im Anſchluß hieran behandelte ein Artikel die Frage nach der Gerichtsbarkeit, ſofern in einer Streitfrage Nume in Betracht kämen. In dem Friedensvertrag war feſtgeſetzt, daß Nume überhaupt nur von martiſchen Richtern abgeurteilt werden konnten, aber es war nicht ganz klar, in welchen Fällen Menſchen, die ſich gegen Nume vergingen, vor die martiſchen ſtatt vor die Landesgerichte kämen. Sicher war dies in politiſchen Prozeſſen, aber ob ein Tumult, wie gegen Stuh, zu den politiſchen zu zählen ſei, war fraglich. Es wurde nun darauf hingewieſen, daß der Protektor der Erde, als oberſte Inſtanz in Kompetenzkonflikten, in einem ähnlichen Fall entſchieden hatte, daß es ſich um eine Auflehnung gegen martiſche Anordnungen zur Kulturleitung der Menſchen und ſomit um ein hochverräteriſches Unternehmen handle, das vor das Numengericht gehöre. Es handelte ſich um einen jungen Mann namens Erbelein, der wegen Verſäumnis der Fortbildungsſchule ins pſychophyſiſche Laboratorium geſchickt worden war und ſich hier den Anordnungen nicht gefügt hatte. Aus einem Schrank mit Chemikalien hatte er eine Flaſche mit einem Narkotikum entwendet, ſeinen Beobachter eingeſchläfert und ſich entfernt. Von zwei Beds verfolgt und eingeholt, hatte er dieſelben plötzlich überrumpelt und einen von ihnen nicht unbedenklich verletzt. Dies war als offene Empörung angeſehen und mit der ſchwerſten Strafe belegt worden, mit lebenslänglicher Deportation nach einem Dorf der Beds in einer der ödeſten Wüſtengegenden des Mars. Durch dieſen Präzedenzfall, der in den Hauptſachen ganz mit ſeiner eigenen Verſchuldung übereinſtimmte, fühlte ſich Torm ſchwer betroffen. Das alles und noch mehr hatte er ſich ja auch zuſchulden kommen laſſen. Er hatte ſich dem Spruch des Kriegsgerichts entzogen, Sauerſtoff entwendet, ohne Befugnis ein Luftſchiff benutzt, endlich einen Wächter bei Ausübung ſeines Berufes niedergeſchlagen. Er konnte ſich nun die Frage beantworten, was ihm bevorſtand, wenn er für ſeine Handlungsweiſe zur Verantwortung gezogen wurde. Und nun entdeckte er in demſelben Blatt eine weitere Notiz, die ihn ſtutzen ließ. Es war darin geſagt, daß die Regierung des Polreichs der Nume auf der Erde infolge der allgemeinen Teilnahme, die das Verſchwinden des hochverdienten Forſchers Torm hervorgerufen habe, nochmals in allen Teilen der Erde ſorgfältige Nachforſchungen nach ſeinem Verbleib anſtellen ließe. Es läge die Möglichkeit vor, daß er auf eine noch nicht aufgeklärte Weiſe doch im Mai vorigen Jahres den Pol verlaſſen habe und ſich vielleicht in unzugänglichen Gegenden oder bei wilden Völkerſchaften aufhalte. Es war nicht geſagt, daß er eines Verbrechens wegen verfolgt würde. Aber war das nicht vielleicht bloß eine Vorſichtsmaßregel, ſollte ihm nicht eine Falle geſtellt werden? Und wenn er nun plötzlich auftauchte, würde man dann nicht die Anklage gegen ihn erheben? Die Flucht vor dem Kriegsgericht mochte durch die Amneſtie beim Friedensſchluß von der Anklage ausgeſchieden ſein, die Gewaltätigkeit bei der Flucht in Tibet aber jedenfalls nicht. Wenn dieſe neuen Nachforſchungen jetzt erſt geſchahen, weil vielleicht dieſe ſeine Tat erſt jetzt den Martiern bekannt geworden war? Torm ließ ſein leichtes Gepäck auf dem Bahnhof und trat unſchlüſſig in den leiſe herabrieſelnden Regen hinaus. Zu Fuß verfolgte er den weiten Weg nach Ismas Wohnung, gleichſam als wollte er dem Zufall noch eine Beſtimmung über ſein Schickſal einräumen. Dabei muſterte er die eilend einherſchreitenden Fußgänger, und je näher er dem Oſten der Stadt kam, um ſo unruhiger fühlte er ſein Herz ſchlagen. So oft eine ſchlanke Frauengeſtalt ihm begegnete, immer durchzuckte ihn der Gedanke, ob es nicht Isma ſein könnte, und wenn er die fremden Züge erkannte, wußte er kaum, ob er ſich enttäuſcht oder befreit fühlte. Es war bereits dunkel geworden, als er die Wrangelſtraße erreichte und nach den Hausnummern ſpähte. Jetzt ſtand er vor Ismas Haus. Er mußte ſich entſcheiden. Er ſchämte ſich ſeiner ſelbſt. So kam er nach Hauſe, den die gebildete Welt als den Entdecker des wahren Nordpols gefeiert hatte? Heimlich wie ein Flüchtling, der das Licht des Tages ſcheut, der die Schwelle des Hauſes zu betreten zögert? War es denn ſein Haus? Nein, auch ſie war ja geflüchtet —. Und ſeine Frau? War ſie es denn noch? Nicht mehr nach dem Geſetz des Nu — wenn ſie nicht wollte! Aber ſie wollte doch wohl! Nein, nein, nicht mehr dieſen Zweifel! Aber er! Was brachte er ihr? Den ſonnigen Schein des Ruhmes, darin er vor ſie zu treten hoffte, um mit ihr auf den Höhen des Lebens zu wandeln? Konnte er ſie zurückführen in das verlaſſene Haus, in die friedliche Heimat? Brachte er ihr den Frieden und die Ruhe, und nicht vielmehr neue Sorge und raſtloſe Flucht? Riß er ſie nicht heraus aus einem ſtillen Glück, aus einer ſich begnügenden Tätigkeit, um ſie in unüberſehbares Leid zu ſtürzen? Das alles zog noch einmal, in einen Moment ſich zuſammendrängend, vor ſeinem Bewußtſein vorüber, und ſchon wandte er den Fuß, um wieder in das Dunkel der Straße zurückzutreten. Da öffnete ſich die Tür. Der Portier hatte ihn durch ſein Fenſter vor der Haustür ſtehen ſehen. „Zu wem wünſchen Sie?“ fragte er mißtrauiſch. „Wohnt Frau Torm hier?“ fragte Torm heiſer. „Jawohl, im hinteren Flügel, drei Treppen.“ „Wiſſen Sie vielleicht, ob ſie zu Hauſe iſt?“ „Jawohl, es iſt eben Beſuch nach oben.“ Einen Moment zögerte Torm. Dann ſagte er: „Ich will wiederkommen.“ Die Tür ſchloß ſich hinter ihm. Langſam ſchritt er die Straße hinauf. Beſuch? Wer war es? Gleichviel — ſie mußte allein ſein, wenn er ſie wiederſehen wollte. Beſuch! Und er, der totgeglaubte, nach drei Jahren heimkehrende, der überall geſuchte Gatte, er ließ ſich abſchrecken durch das Wörtchen Beſuch! Das trennte ihn von ihr, der Heißerſehnten. Warum? Er ſchauderte vor ſich ſelbſt. Warum? Weil er nicht ſagen konnte, hier bin ich, dein Hugo, mit dem das Glück wieder einkehrt am Herd! Weil ſie nicht ſagen konnte, hier iſt er, den ihr jubelnd bewillkommt habt, hier iſt mein Gatte! Weil er vor ihr ſtehen mußte als ein Verbrecher, über welchem das Schwert hängt, die lebenslängliche Verbannung. Weil er ſeinen Blick niederſchlagen mußte vor ihr, als ein unbeſonnener Verletzer des Geſetzes! Weil er wieder fort mußte von ihr auf immer, oder ſie mit ſich ziehen ins Elend, wenn ſie ihm folgte in die Wüſten des feindlichen Planeten —. Nein, nein, dann lieber dieſen Schmerz ihr erſparen! Dann lieber ſie in dem Glauben laſſen, daß er verſchollen ſei, unter dem Eis, oder wo auch immer — — Und ſo ſchritt er die Straße hinab und wieder hinauf, und fragte ſich nochmals, welcher Beſuch? Und die Tür öffnete ſich jetzt, und der heraustrat — — es war Ell. Ja, er durfte bei ihr ſein, er, der ihn hinausgelockt in die Gefahren des Pols, er —. Und nun war es ihm, als müſſe er ſich auf ihn ſtürzen —. Doch der ſah ihn nicht, er ſchritt ruhig, aufgerichtet voran, ein glänzender Wagen hielt in der Nähe, er ſtieg hinein. Torm wandte ſich um. Wieder ſuchte er durch den Regen den Weg nach dem Bahnhof. Der Nachtzug führte ihn nach Friedau zurück. Er ſagte Grunthe, daß er erſt noch nähere Aufklärung über die Abſichten der Martier und das Schickſal des nach Tibet gegangenen Schiffes abwarten wolle, ehe er es wage, ſich zu erkennen zu geben. Solange wolle er verſuchen, verborgen zu bleiben. Bereitwillig bot ihm Grunthe das abgelegene ſtille Aſyl der Sternwarte zum Aufenthalt an. Hier weihte er Torm in ſeine ſchon längſt vorbereiteten Beſtrebungen ein, einen allgemeinen Menſchenbund zu gründen, der durch eine freiwillige Aufnahme der von den Martiern gebotenen Kulturmittel ſich von der Fremdherrſchaft der Martier unabhängig zu machen ſuchen ſollte. Von hier aus reichten die Fäden der durchaus nicht geheimgehaltenen Verbindung zu den führenden Geiſtern aller Kulturſtaaten. Hier entwarf Grunthe mit Torm den Aufruf mit dem Motto: ‚Numenheit ohne Nume!‘ Und ſie trafen damit einen Ton, der in der Seele der Völker widerhallte. In Millionen und Abermillionen Köpfen und Herzen waren dieſelben Gedanken, dieſelben Gefühle mächtig, es bedurfte nur der Anregung, um ſie zur lebendigen Bewegung auszulöſen. Das Wort war gefunden und geſprochen. Die Menſchen waren ja einig, weil ſie es ſein mußten; es war nur erforderlich, daß ſie es nun auch freiwillig ſein wollten. Nicht Verbrüderung aus Schwärmerei, ſondern gleiche Ziele aus Vernunft. Zahllos ſtrömten die Zuſtimmungen in den organiſierten Zentren der Vereinigung zuſammen. Es war klar, daß der Menſchenbund bald eine Macht werden mußte, mit der man zu rechnen hatte. Alle politiſchen und wirtſchaftlichen Parteien konnten ſich an der großen Kulturaufgabe beteiligen, die er ſich geſtellt hatte, mit Ausnahme einer extremen Gruppe, deren oligarchiſche Intereſſen vor dem bloßen Gedanken der Gleichberechtigung aller zurückſcheuten. Aber ihr Grollen war unſchädlich, weil ihr Einfluß auf die Regierung gebrochen war und die Verlockung fortfiel, welche ſo viele nach Macht und Karriere ſtrebende Kreiſe der Bevölkerung verleitet hatte, die kulturfremden, kavaliermäßigen Gewohnheiten nachzuahmen. Und ſelbſt Anhänger von Lebensanſchauungen, denen der Gedanke des Menſchenbundes anfänglich höchſt unſympathiſch geweſen war, begannen ſich damit zu befreunden. Der Fabrikbeſitzer Pellinger, der ſich leicht für alles begeiſterte, was einem verſöhnenden Ausgleich dienen konnte, hatte ſich den Beſtrebungen des Bundes eifrig gewidmet und gehörte bald zu den Vertrauensmännern Grunthes. Seine Vermutung, daß der Fremde, der auf der Sternwarte wohnte, niemand anders wie Torm ſei, war ihm bald zur Gewißheit geworden, als er ihm bei Grunthe begegnete. Er verbarg dies Grunthe nicht, und dieſer hielt es für das beſte, ihm gegen Zuſicherung der Verſchwiegenheit zu ſagen, daß Torm allerdings hier ſei, aber aus politiſchen Gründen ſich verſteckt halten müſſe. Herr von Schnabel ſetzte Pellingers Bemühungen, ihn für den Menſchenbund zu gewinnen, zuerſt hartnäckigen Widerſtand entgegen. Mit Leuten, die auf dem Standpunkt eines Ell ſtänden, könne er ſich nicht befreunden. Er liebte es, ſich als einen beſonderen Verteidiger der Ehre des verſchollenen Torm aufzuſpielen, indem er behauptete, daß Frau Torm durch Ell kompromittiert ſei, der ſich der Verantwortung in feiger Weiſe entzogen habe. Und da Torm nicht gegen Ell vorgehen könne, ſo müſſe wenigſtens, ſeiner Anſicht nach, jeder anſtändige Menſch ſich von Beſtrebungen fernhalten, die darauf hinführten, daß niemand mehr für ſeine Ehre mit der eignen Perſon eintreten könne. Die Gerüchte über Frau Torm ſeien noch immer nicht verſtummt, und wenn Torm da wäre, ſo müſſe er, ob es nun verboten ſei oder nicht, durch irgendeine Herausforderung Ruhe ſchaffen. Pellinger lachte ihn aus. Er könne ihn verſichern, daß alle dieſe Gerüchte auf gänzlicher Unkenntnis der Verhältniſſe beruhten. Das ſei ganz gleichgültig, meinte Schnabel, man dürfe eben die Gerüchte nicht dulden. „So?“ ſagte Pellinger. „Und was, meinen Sie, würde dadurch gebeſſert werden, wenn Sie zum Beiſpiel dergleichen behaupteten und Torm Sie forderte? Ich will jetzt einmal gar nicht von dem unentſchuldbaren Frevel ſprechen, der in der kulturwidrigen Einrichtung des Zweikampfes ſelbſt liegt, ſondern die Sache rein praktiſch betrachten. Wird denn dadurch irgend etwas bewieſen? Würde man nicht erſt recht ſagen, es muß doch etwas Wahres dran ſein?“ „Jedenfalls würde man Achtung vor dem Mann bekommen.“ „Meiner Anſicht nach müßte man ihn verachten; denn er hätte eine unſittliche Handlung begangen. Ein Mann wie Torm kann auf die Achtung derer verzichten, die ſie an ſo verwerfliche Bedingungen knüpfen. Und ſo jeder Mann von ſittlichem Ernſt. Der ſchiene mir verachtungswert, der nicht ſeine eigne Würde und das Bewußtſein ſeines Rechts ſo hochſchätzte, daß ſie nicht gekränkt werden können durch das Gerede des Pöbels in Glacéhandſchuhen.“ „Na, na, Sie ſprechen da in einer Weiſe, die — die etwas eigentümlich —“ „Ja, Herr von Schnabel, ich habe mich auch überzeugt, daß wir alle mehr auf unſern eignen Wert und unſer freies Urteil bauen müſſen als auf die ſogenannte Anſicht der Geſellſchaft, die ſich auf Irrtümern aufbaut. Dadurch ſind wir im Begriff, den Wert dieſer Geſellſchaft zu heben. Es müſſen ſich diejenigen zuſammenfinden, die der Unabhängigkeit ihres Urteils ſich freuen. Das allein ſind die Gentlemen. Ich bin überzeugt, auch Sie werden ſich noch bei uns einfinden, wenn Sie ſich die Sache überlegen. Daß Torm ebenſo denkt, darauf kann ich Ihnen mein Wort geben.“ Herr von Schnabel ging einige Tage in verdrießlichen Gedanken umher. Auch Dr. Wagner war dem Menſchenbund beigetreten. Die Zahl derer, die ſeinen Anſichten beiſtimmte, wurde immer kleiner. Er wälzte Pellingers Worte hin und her. Endlich ſuchte er Grunthe auf. Es war ein langes Geſpräch, das ſie führten. Vornehmlich drehte es ſich um die Perſönlichkeit von Ell und die Ziele des Menſchenbundes. Als Herr von Schnabel die Sternwarte verließ, war er Mitglied geworden. Nicht irgendein beſonderes, durchſchlagendes Ereignis hatte ſeine Sinnesänderung bewirkt. Der Sieg des Idealismus übte eine aſſimilierende Kraft der Veredelung aus. 54. Auf der Sternwarte