Aus den Wipfeln des weiten Bergwaldes ragt ein Felsvorſprung und blickt hinab auf das grüne Tal und die ſanften Höhenzüge, die es gegen die Ebene abſchließen. Hier, zwiſchen dem blühenden Heidekraut, hatten La und Se ſich gelagert, während Isma, auf den Aſt einer verkrüppelten Fichte gelehnt, träumeriſch in das Land hinausblickte.
„Dies gefällt mir am beſten von allem, was ich bis jetzt auf der Erde geſehen habe“, ſagte Se, die violetten Blüten der Erika zu einem Kranz zuſammenfügend. „Und zwar darum, weil es ſo ſtill, ganz ſtill iſt, faſt wie auf dem Nu.“
„Und vieles iſt noch ſchöner“, fügte La hinzu. „Daß wir im milden Sonnenſchein hier ſitzen können, über uns das wunderbare Licht des Himmels! Wie leichte Federn ziehen die weißen Wolkenſtreifen dort oben ihre zierlichen Figuren, und wie ſeltſam es ſich da hinten ballt über der dunklen Wand, die der ſinkenden Sonne entgegenſteigt. Ach, ſeht doch, was iſt das, drüben auf der Wieſe am Rande des Waldes? Ein vorſintflutliches Geſchöpf.“
„Es iſt ein Hirſch“, ſagte Isma, „der auf die Wieſe tritt. Sehen Sie, wie er den Kopf hebt und die Luft einzieht, ob alles ſicher iſt. Ach, er verſchwindet wieder, vielleicht hat er uns bemerkt. Übrigens, die Wolken gefallen mir am wenigſten. Es ſieht aus, als ſollten wir ein Gewitter bekommen.“
„Ein Gewitter? Oh, davon haben wir geleſen. Das möchte ich einmal erleben. Ich kann mir keine Vorſtellung davon machen. Aber was blicken Sie denn immer dort hinüber in die Ebene?“ fragte La.
„Sehen Sie dort hinten jenen dunklen Streifen?“ erwiderte Isma. „Links davon erblicken Sie zwei Türme, das iſt das Schloß von Friedau. Und über dem Streifen — es iſt ein bewaldeter Hügelrücken — glänzt ein heller Punkt in der Sonne. Das iſt die Sternwarte Ells — —“
„Wo?“ rief La eifrig, nach ihrem Glas greifend. „Ja, ich ſehe es ganz deutlich. Den Turm und die Plattform des Hauſes. Das möchte ich einmal in der Nähe ſehen. Es iſt ja gar nicht weit.“
„Doch mehr als zwanzig Kilometer.“
„In drei Minuten ſind wir drüben. Hätten Sie nicht Luſt, Ihre Heimat wieder einmal zu beſuchen?“
„Jetzt?“ ſagte Isma. „Was ſollte ich dort? Alles würde mich nur traurig ſtimmen. Nein, auf keinen Fall. Und noch dazu mit dem Luftſchiff, bei welchem die ganze Stadt zuſammenlaufen würde. Oh, Sie wiſſen nicht, wie man in Friedau über mich denkt.“
„Das iſt ſchade. Ich möchte ſo gern —“ La zögerte einen Augenblick und fuhr dann fort: „Ich möchte, offen geſtanden, gern einmal mit Grunthe ſprechen. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, ihn zu beſuchen, nicht wahr, Se?“
„Natürlich“, ſagte Se lächelnd. „Wir wollen einmal ſehen, was er für Augen macht. Und vielleicht weiß er, wo Sal —“
Sie unterbrach ſich auf einen Blick von La.
„Ich aber muß, wie Sie wiſſen“, ſagte Isma, „gegen ſieben Uhr wieder in Berlin ſein, ich habe noch eine Vorleſung heute abend — und jetzt — es iſt ſchon fünf Uhr vorüber.“
„Nun, dann müſſen wir Sie freilich nach Hauſe bringen. Oder noch einfacher, wir können ja beides vereinigen — das Schiff führt Sie nach Berlin und holt uns dann wieder hier ab. Es iſt ſo ſchön hier, und ich ſitze ſehr gern noch ein Stündchen im Freien.“
Isma überlegte. „Aber dann iſt es doch beſſer“, ſagte ſie, „Sie ſuchen einen geſchützteren Ort auf, daß Sie eine Unterkunft finden können, falls das Gewitter heraufkommt. Hier wäre es auch für das Schiff nicht möglich, Sie während des Unwetters aufzunehmen, denn dann iſt alles dicht in Wolken gehüllt. Wollen Sie denn überhaupt mit dieſem auffallenden Schiff bei Grunthe ankommen?“
„Sie haben recht“, ſagte La, „er iſt imſtande und macht ſich vor uns aus dem Staub, wenn wir ihn nicht überraſchen. Sie kennen die Gegend, geben Sie uns einen Rat, wo wir uns am beſten wieder abholen laſſen können.“
„Sobald es dunkel iſt“, antwortete Isma nach einigem Nachſinnen, „findet Sie das Schiff nirgends beſſer als im Garten der Sternwarte ſelbſt. Dort hat ſich Ill, als er Grunthe vom Pol zurückbrachte und dann mit mir —, dort hat das Luftſchiff Ills zwei Tage unbemerkt von den neugierigen Friedauern gelegen.“
„Aber wie kommen wir dahin?“
„Wir fahren jetzt nach einer Stelle im Wald, von wo Sie in wenigen Minuten nach einem bekannten Ausſichtspunkt zu Fuß gelangen können. Von dort fährt die Bahn nach Friedau, jede Viertelſtunde geht ein Wagen. In fünfundvierzig Minuten kommen Sie damit nach der Stadt bis dicht an die Sternwarte. Daß auf der Sternwarte noch abends Fremdenbeſuch eintrifft, iſt ja nichts Ungewöhnliches.“
„Gut, ſo wollen wir es machen. Von halb neun Uhr an ſoll mein Schiff für uns im Garten der Sternwarte bereitliegen. Wenn Sie dem Schiffer bei der Rückfahrt von weitem die Stelle zeigen und die Lokalität ein wenig beſchreiben, findet er ſich zurecht. Er iſt ein ſehr geſchickter Mann. Nun laſſen Sie uns zum Schiff gehen.“
Ein ſchmaler Fußweg zwiſchen dichtem, jungem Fichtengebüſch, auf dem nur eine Perſon hinter der andern ſchreiten konnte, führte die drei Damen nach einer Lichtung, wo die ſchimmernde Luftyacht ‚La‘ ruhte. Kaum hatten ſie dieſe betreten, als ſie ſich in die Lüfte erhob und nach Ismas Weiſung einem der bewaldeten Hügel zuflog, mit denen der Höhenzug nach der Ebene hin abfiel. Hier fand ſich wieder eine Waldwieſe, auf welcher das Schiff ſich bequem niederlaſſen konnte. Isma führte La und Se durch den Wald bis nach einem ſorgfältig gebauten Promenadenweg.
„Wenn Sie nun in dieſer Richtung weitergehen“, ſagte ſie, „ſo ſind Sie in fünf Minuten an dem großen Gaſthaus ‚Zur ſchönen Ausſicht‘, und unmittelbar unter demſelben liegt die Halteſtelle der Bahn. Sie können nicht mehr fehlen. Halten Sie ſich aber nicht auf, denn das Gewitter kommt näher, und auch ich muß mich eilen, damit ich vor ſeinem Ausbruch fortkommen
„Seien Sie unbeſorgt und reiſen Sie glücklich!“ ſagte La. „Wir ſehen uns bald wieder. Sind Sie einmal im Schiff, ſo kann Ihnen kein Wetter etwas anhaben. Sie ſind im Augenblick darüber oder ſo weit, als Sie wollen.“
Nach herzlichem Abſchied ging Isma durch den Wald zurück, während La und Se auf dem bequemen Weg ſanft bergab ſtiegen. Bald gelangten ſie an eine Bank, von welcher ſich ein lieblicher Blick über den Wieſengrund des Tales mit ſeinen Villen und kleinen Teichen und weit in die Ebene hinaus eröffnete. La ließ ſich nieder und ſagte: „Hier wollen wir ſo lange warten, bis wir das Schiff erblicken und ſehen, daß Isma glücklich abgereiſt iſt.“
Längere Zeit ſaßen ſie ſchweigend, während ihre Blicke bald über das Land, bald über den Himmel ſchweiften. Der Sonnenglanz über der Ebene war verſchwunden. Nur die fernen Höhen im Oſten leuchteten noch in gelblichem Licht. Vergebens ſuchte La die Türme von Friedau aus dem Gewirr der dunklen Flecken und Streifen herauszuerkennen. Der Himmel hatte ſich mit einer gleichmäßigen Schicht von Grau überzogen, unter welcher jetzt von Weſten her dunkelbraune Wolkenmaſſen ſich heranſchoben.
„Das Schiff müßte längſt ſichtbar ſein — ich glaube, wir dürfen nicht länger warten“, ſagte Se ängſtlich, indem ſie den drohenden Himmel muſterte.
„Ich glaube auch, wir warten vergebens“, antwortete La. „Sie werden gleich bis über die Wolken geſtiegen ſein, und wir können ſie daher nicht ſehen. Horch, was iſt das?“
Ein dumpfes Rollen wurde vernehmlich, verſtärkte ſich und kehrte, von den Bergen zurückgeworfen, mit erneuter Schärfe wieder.
Se faßte Las Arm. „Komm, komm“, ſagte ſie haſtig.
La fühlte, wie ihr Herz lebhafter ſchlug, ſie zwang ſich, ruhig zu bleiben.
„Wie wunderbar“, ſagte ſie, „das muß der Donner ſein. Laß uns noch lauſchen.“
„Nein, nein, das iſt nichts für mich.“
Ein Rauſchen und Brauſen kam durch den Wald. Plötzlich beugten ſich die Bäume unter der Gewalt eines Windſtoßes, ringsumher wirbelten Tannennadeln und dürre Zweige in einer Wolke von Staub. Die Martierinnen griffen nach ihren Hüten und banden ſie feſter. Sie zogen ihre faſt unſichtbaren Listücher aus dem kleinen Futteral, warfen ſie über den Kopf und hüllten ſich hinein. Lauter warnte der Donner.
Von oben her ertönten eilende Schritte. Ein Herr, den Hut in die Stirn gedrückt, mit einem Wettermantel um die Schultern, kam ſchnell den Weg herab. Er grüßte, ohne die Damen genauer zu beachten. Einige Schritte nachher drehte er ſich noch einmal um. Er wollte ſie zur Eile mahnen, aber jetzt erkannte er, daß er Martierinnen vor ſich habe, und ſetzte ſeinen Weg ohne zu ſprechen fort.
Der Wind hinderte La und Se an der Bewegung. Jetzt hörte er plötzlich auf, und ſie ſchritten ſchnell aus. Der Weg zog ſich in engen Windungen bergab; an der Stelle, an welcher ſie ſich befanden, hatten ſie jetzt das Wetter mit ſeinen finſtern Wolkenmaſſen vor ſich.
„Das ſieht ſchrecklich aus“, ſagte Se.
Sie hatte noch nicht ausgeſprochen, als ſie ſich mit einem leichten Schrei zurückwarf und an Las Arm klammerte, die ebenfalls erſchrocken ſtehenblieb. Ein blendender Blitzſtrahl war drüben jenſeits des Tales niedergefahren. Während ſie noch erſchüttert ſtanden, begannen einige große Tropfen zu fallen, und nun kam der Donner mit knatternden Schlägen, die ſich in ein langes Rollen auflöſten, und ehe noch der Widerhall geendet, zuckte ein neuer Blitz, näher und ſtärker — —
Sie ſprachen nicht mehr, ſie liefen den Weg hinab. Jetzt brach der Regen in mächtigem Guß los, im Augenblick war der Weg mit rieſelnden Bächlein bedeckt.
„Ich kann nicht mehr!“ ſtöhnte Se.
La blieb ſtehen und ſah ſich um. „Da, dort!“ rief ſie.
Der Weg machte wieder eine Windung. Hier ſtand, mit dem Blick ins Tal, ein kleiner Pavillon, nur aus Fichtenſtämmchen kunſtlos aufgezimmert und mit Baumrinde bedeckt; aus den ausgeſparten Fenſtern hatte man dieſelbe Ausſicht wie oben, nur beſchränkter, jetzt aber blickte man auf nichts als ſtrömende Waſſermaſſen. Hier fand man wenigſtens einen notdürftigen Schutz gegen den Regen. Die Freundinnen eilten in die Hütte.
Als ſie eintraten, erhob ſich von der Bank an der einzigen Seite, die gegen den Regen und Wind geſchützt war, der Herr, der vorhin an ihnen vorübergegangen war.
„Oh, ich bitte“, ſagte La, „laſſen Sie ſich nicht ſtören, wir finden ſchon Platz.“
Der Herr verbeugte ſich nur höflich, verließ aber die Hütte. Er ſtellte ſich vor derſelben neben die Tür unter das vorſpringende Dach.
Ein Blitz, dem betäubender Donner im Moment folgte, ließ die Martierinnen zuſammenſchrecken, ſie ſanken erſchöpft auf die hölzerne Bank.
„Das iſt ſchrecklich“, ſagte Se mit bebender Stimme. „ich zittere am ganzen Körper. Ich will nichts mehr wiſſen von dieſer Erde!“
La nahm ihre Hände zwiſchen die ihrigen.
„Zage nicht“, ſagte ſie. „Es iſt leicht, ein freier Nume ſein, wo wir herrſchen über die Natur und mächtig leben wie die Götter. Aber hier, in der Gewalt der ſinnloſen Mächte, die uns fremd ſind und ungewohnt, müſſen wir den Mut des Willens erweiſen. Sieh, dieſer Menſch hat uns ſeinen Platz eingeräumt, uns, die er vielleicht haßt, und er ſteht draußen im Sturm und blickt furchtlos in das tobende Wetter. Was der Menſch kann, muß auch ich können, oder ich bin nicht wert der Erde. Und das will ich ſehen!“
Sie erhob ſich und trat an die Brüſtung des offenen Fenſters, unter welcher der Fels ins Tal abfiel, ſo daß gerade nur noch die Wipfel der hohen Tannen bis herauf reichten. Wind und Regen ſchlugen von der Seite herein, La kümmerte ſich nicht darum. Die Schulter an die Pfoſten des Fenſters gelehnt, ſtand ſie hochaufgerichtet, den Elementen trotzend, in ihren Lisſchleier gehüllt, deſſen Zipfel der Sturm zerzauſte. Ihre großen Augen richteten ſich gegen den Himmel, als wollte ſie den Wetterſtrahl herausfordern. Und wie zürnend über die Verwegenheit der Nume öffnete ſich die Wolke, und die feurigen Schlangen züngelten nach dem Talgrund, und gleichzeitig dröhnte ein Donnerſchlag, der die Luft erzittern machte.
Geblendet und betäubt hatten alle einen Moment die Augen geſchloſſen.
„La, La“, rief dann Se, „was fällt dir ein, was ſoll das heißen?“
La ſtand aufgerichtet wie zuvor an ihrem Platz. Sie ſchüttelte ſtolz das Haupt und ſprach heiterer als vorher, faſt jubelnd:
„Ich kann es, ich kann’s!“
„Wozu das alles!“ rief Se. „Komm her zu mir, du wirſt völlig naß.“
„Ich will es. Dieſer junge Planet tobt wie ein Jüngling in Launen und Übermut, nicht achtend der Geſchöpfe, die er behüten ſoll. Unſer Nu iſt ein Greis, der uns verwöhnt hat in ſeiner ſicheren Ruhe. So verwöhnt, daß wir die Gefahr ſuchen mußten draußen im Weltraum. Auf der Erde iſt die Jugend mit ihrem Wetterunfug, mit ihrer blinden Torheit, mit ihrem ſchwankenden Wechſel von Leid und Glück. Zum Leid ward ſie mir, zum Glück ſoll ſie mir werden!“
Sie ſchwieg, noch einmal vom Rollen des Donners unterbrochen. Aber ſie hatte den Blitz nicht mehr geſehen, das Wetter war über ihrem Haupt hinweggezogen. Se antwortete nicht. Das Geſchick der Freundin ſtand vor ihrer Seele wie eine Frage, deren Antwort mächtiger und immer deutlicher ſich ihr aufdrängte und die ſie ſich dennoch nicht zu geben wagte. Jetzt lauſchte ſie wieder auf den Donner, deſſen Stärke ſich verringert hatte. Sie fühlte ſich freier. Der Nachlaß der elektriſchen Spannung oder die Entfernung der Gefahr, ſie wußte nicht, was es war, aber ſie atmete auf. Ihr Blick richtete ſich nach dem Weg, wo ſie das Knirſchen von Tritten vernahm. Der Fremde entfernte ſich. Er hatte den Hut in die Hand genommen, deutlich ſah ſie ſein Profil, als er jetzt, einen Blick nach den Wolken werfend, um die Ecke des Weges bog. Und wie ein Aufleuchten der Erinnerung durchzuckte es ſie. Das Bild hatte ſie geſehen, oft geſehen, und erſt heute, die große Kreidezeichnung über Ismas Schreibtiſch — nur freilich, älter ſah dieſer Mann aus, abgehärmter und dennoch, es konnte nicht anders ſein ... doch es war ja nicht möglich — —
Sie wollte etwas zu La ſagen. Aber dieſe ſtand ganz in den Anblick der Gegend verſunken. Und nun fing La aufs neue zu ſprechen an, nur mit ihrem eigenen Gedankengang beſchäftigt. Und Se wandte wieder der Freundin allein ihre Aufmerkſamkeit zu.
Wie in einer ſtillen Freude begann La:
„Sieh, der Regen wird ſanfter, drüben über dem Wald wird’s hell. Und dort über dem Land, o welch ein frohes Wunder, in bunten Farben flammt der Bogen über den Himmel, und grollend zieht der Donner unter ihm hinweg.“
Se ſtand auf und trat neben La. Die Schritte des Fremden waren längſt verhallt. Sie ſchlang den Arm um die Freundin und fragte: „Was iſt es mit dir, La? Ich verſtehe dich nicht!“
La blickte ſchweigend in die Ferne, wo die untergehende Sonne und der abziehende Regen in wunderſamer Farbenſchlacht ſich bekämpften. Dann zog ſie Se an ſich und ſagte: „Ich liebe die Erde.“
Se blickte ihr in die Augen. „Es wird wohl nicht die ganze Erde ſein“, ſagte ſie mit ſtillem Lächeln. „Komm, wir wollen uns auf dieſe Bank ſetzen — der Regen rieſelt noch immer im Gebirge —, bis die Waſſer von dem Weg ſich ein wenig verlaufen haben, und du wirſt mir beichten, was du darfſt, oder wenigſtens, was du vorhaſt; denn ich ahne wohl, was du fühlſt, aber das Ganze, Ungeheure, was du zu wollen ſcheinſt, vermag ich nicht zu begreifen.“
„Du vermagſt es wohl nicht zu begreifen“, ſprach La mit kaum hörbarer Stimme, indem ſie Se folgte. „So hab ich auch eine, es iſt die der Vernunft im zeitloſen Willen, daß ich ſein ſoll und daß wir das eine, dasſelbe Ich ſein ſollen — das iſt die oft zu mir geſagt, und wer vermöcht’ es wohl, der es nicht erlebt? Aber nun weiß ich, daß es ſo ſein muß. Glaube nicht, ich hätte vergeſſen, daß ich eine Nume bin. Ich habe gekämpft um meine Freiheit, um meine Würde, und mit bittern Tränen hab ich ſie mir errungen, glaubt’ ich ſie mir errungen mit jenem Abſchiedskuß in Sei. Ein Marsjahr iſt dahingegangen ſeitdem, zweimal hat die Erde ihren Sonnenlauf vollbracht, aber frage nicht, wie ich die Zeit durchlebte! — Ich habe mich aufgerieben in dieſem nutzloſen Kampf. Ich hatte ja nicht geſiegt, ich war geflohen vor mir ſelbſt. Freiheit und Würde hatte ich nicht gewonnen in meiner Seele, nur Weltraum und Sonne, die trennenden Mächte der Planeten, hielten mich in dem leeren Schein, daß der Nu meine Heimat und ich eine Nume ſei. So lebt’ ich, mich ſelbſt betrügend und verzehrend, bis der Morgenſtern wieder leuchtete. Da trieb es mich her. Würde des Numen! Iſt ſie noch Würde, wenn ſie erhalten wird durch den äußeren Zwang? Nein, Se, es wurde mir klar, Würde wie Freiheit wiedergewinnen konnte ich nur, wenn ich ſelbſt mich hingab, um ſie in dieſer Welt des Scheines zu verlieren. Und wie ein Zeichen heiliger Beſtimmung wurden mir die Mittel der Macht, die in meine Hände gegeben war. Verſuchen wollt’ ich, ob ich auf der Erde das ſein kann, was der Geringſten Eine unter den Menſchen ihm hier ſein könnte. Ihm! Se, dies eine Wort verſtehſt du nicht — ihm? Warum ihm? Das iſt das Geheimnis, das unauflösliche, das weder Menſchen noch Nume wiſſen. Ihm, weil ich bin, weil wir ſo wollten, ehe noch Mars und Erde vom uralten Sonnenſchoß ſich trennten. Ein lächerlicher Zufall, daß ihm der Leib gebildet ward in dieſem, mir in jenem Abſtand vom Sonnenball! Die Beſtimmung iſt nur Liebe. Dieſer Beſtimmung folgen iſt Freiheit. Dieſer Beſtimmung genügen iſt Würde. Ich habe die Erde verſucht, ich kann ich gehe jetzt hin, ich hole ihn und rede zu ihm, hier bin ich, und anders kann ich nicht ſein. Als Nume oder als Menſch, wie du mich haben willſt, ich bin La, deine La. Und nun, meine Se, ſchilt nicht, läſtre nicht, es nutzt nichts. Komm mit, laß uns zur Station hinabſteigen, Grunthe ſoll mir ſagen, wo er iſt.“ ihren Mächten trotzen. Und damit du’s weißt, was ich will —
„Ja, wer denn?“
„Wer? Es gibt nur einen Menſchen.“