Torm bewohnte in Berlin zwei bequem eingerichtete Zimmer in einem Hotel garni der Königgrätzer Straße. Nach ſeiner Rückkehr war er überall der Held des Tages geweſen, den man nicht genug feiern konnte und um ſo mehr feierte, als Grunthe ſich ſehr geſchickt von der Öffentlichkeit zurückzuziehen wußte. Seit der Ankunft der Martier in Auſtralien und dem Ausbruch ihres Krieges mit England waren aber die beiden Polarforſcher, deren Reiſe die eigentliche Veranlaſſung war, daß die Martier mit den Staaten der Erde in Verbindung traten, ziemlich in Vergeſſenheit geraten. Das öffentliche Intereſſe hatte ſich jetzt wichtigeren Gegenſtänden zugewendet.
Am 20. März, dem Tag nach der Ankunft Ills am Pol, hatte Torm zwei in Calais aufgegebene Depeſchen erhalten, datiert aus Kla auf dem Mars, vom 2. März. Die erſte enthielt nur die Worte: „Ich komme mit dem nächſten Raumſchiff. Deine Isma.“
Die zweite war von Saltner und beſagte, daß Frau Torm und er ſelbſt die Erlaubnis zur Heimreiſe erhalten hätten, da ſie aber zum Abgang des Regierungsſchiffes nicht mehr zurechtkommen könnten, erſt mit dem nächſten Schiff reiſen und daher vor Mitte April nicht bei ihm eintreffen würden. Auch Ell habe ſich entſchloſſen, ſie zu begleiten. Seitdem hatte Torm keine Nachricht mehr erhalten und konnte auch keine erwarten. Denn kein anderes Raumſchiff als der ‚Glo‘ legte, wie Grunthe erklärte, bei der jetzigen Planetenentfernung den Weg unter fünf Wochen zurück.
Heute ſchrieb man den 12. April. Es war ein Feſttag in Berlin, das in verſchwenderiſchem Schmuck prangte. Die Geſandtſchaft des Mars ſollte vom Kaiſer empfangen werden. Unter Glockengeläut und Kanonendonner drängte ſich eine jubelnde Menge in den Straßen. In goldigem Eigenlicht wie die Morgenröte ſtrahlend, mit nie geſehenen Verzierungen geſchmückt, bewegte ſich ein glänzender Zug kleiner Luftgondeln, in Mannshöhe über dem Boden ſchwebend, durch die Straßen; von den Fenſtern aus überſchütteten die Damen den Zug, trotz der frühen Jahreszeit, mit koſtbaren Blumen. Brauſende Hurrarufe betäubten das empfindliche Ohr der Martier.
Torm hatte ſeinen Platz auf der Tribüne im Luſtgarten nicht benutzt. Ihm waren dieſe Martier verhaßt. Hatten ſie ihm doch den Haupterfolg ſeiner Expedition und nun auch die Freude der Heimkehr ins eigene Haus geraubt. Unruhig ging er in ſeinem Zimmer auf und ab. Es klopfte, und Grunthe trat ein.
„Sie ſind auch nicht draußen bei den Narren, ich dachte es mir“, empfing ihn Torm.
Grunthe runzelte die Stirn und blickte finſter vor ſich hin.
„Es iſt eine Schmach“, ſagte er, „die Menge bejubelt ihre Unterdrücker. Aber das tut ſie immer. Morgen wird ſie ebenſo in Paris, übermorgen in Rom jubeln, und noch viel ärger. Wenn man das ſieht, ſo kann man nur ſagen, dieſe Menſchen verdienen es nicht beſſer, als von den Martiern vernichtet zu werden. Sie werfen ſich ihnen zu Füßen, und ſo werden ſie als Mittel ihrer Zwecke zertreten werden.“
Torm zuckte die Achſeln. „Was ſollen ſie tun? Nihilit iſt kein Spaß.“
„Und ich ſage Ihnen“, entgegnete Grunthe faſt heftig, „kein Martier vermag den Griff des Nihilitapparates zu drehen, keiner einem Menſchen ſeinen Willen aufzuzwingen, wenn ihm der Menſch mit feſtem, ſittlichem Willen gegenübertritt, mit einem Willen, in dem nichts iſt als die reine Richtung auf das Gute. Aber jene Engländer — und wir ſind nicht beſſer — hatten nur das eigene Intereſſe, ihren ſpezifiſch nationalen Vorteil, nicht aber die Würde der Menſchheit im Auge, und ſo ſind ſie Wachs in den Händen der Martier. Sie können mir glauben, denn ich habe jenem Ill getrotzt, vor dem jetzt Kaiſer und Könige ſich neigen. Ich weiß es freilich, daß wir verloren ſind. Ich habe Ill geſehen, wie er mit ſeinen Martiern nur einige Schritte durch den Garten der Sternwarte von Friedau ſchlich, auf Krücken geſtützt und zuſammenbrechend unter der Erdſchwere. Und ich habe ihn heute geſehen, durch den Garten des Kanzlerpalais ſchreitend, aufgerichtet wie ein Fürſt, im ſchimmernden Panzerkleid; unter den Knien ſchützten ihn weit nach den Seiten ausgebogene Schäfte und über dem Haupt, auf kaum ſichtbaren Stäben, von der Schulter geſtützt, der glänzende diabariſche Glockenſchirm gegen die Schwere. So haben ſie es verſtanden, ſich von dem Druck der Erde unabhängig zu machen. Aber dies alles würde ihnen nichts nützen, wenn wir ſelbſt wüßten, was wir wollen.“
Auf der Treppe entſtand Lärm. Man vernahm eine helle Stimme.
„Sakri, laſſens mich los! Ich kenn’ mich ſchon aus.“
„Das iſt Saltner“, rief Torm. Er ſtürzte zur Tür. Sie flog auf.
„Da bin ich halt wieder! Grüß Gott viel tauſendmal!“
Er ſchüttelte beiden die Hände.
„Und meine Frau?“ war Torms erſte Frage.
„Machens ſich keine Sorge!“ ſagte Saltner. „Die Frau Gemahlin wird bald nachkommen, es geht ja jetzt alle paar Tage ein Schiff nach der Erde.“
„So iſt ſie nicht mitgekommen?“ rief Torm erbleichend.
„Sie hat halt nicht gekonnt. Sie iſt ein biſſerl bettlägrig, aber ’s hat weiter nichts auf ſich, nur daß ſie der Doktor nicht gerad wollt’ reiſen laſſen.“
„So hat ſie geſchrieben?“
„Schreiben konnte ſie nicht. Aber grüßen tut ſie gewiß vielmals.“
„So haben Sie ſie gar nicht geſprochen?“
„Das war mir gerad in den Tagen nicht möglich, weil ſie noch zu ſchwach war. Aber der Doktor ſagt, ſie wird bald ſoweit ſein, daß ſie reiſen kann. Sie brauchen ſich wirklich nicht zu ängſtigen.“
Torm ſetzte ſich.
„Und Ell?“ fragte er finſter. „Wo iſt Ell?“
„Er iſt zurückgeblieben, bis die Frau Gemahlin reiſen kann. Er wollte ſie nicht allein laſſen. Es iſt vielleicht unrecht, daß ich allein gereiſt bin und nicht gewartet hab. Aber ſchauen Sie, die Sehnſucht, und dann dacht’ ich, es wär doch beſſer, ich brächte Ihnen ſelbſt die Auskunft, als daß wir bloß ſchreiben ſollten.“
„Es iſt recht, daß Sie kamen“, ſagte Torm, ſich erhebend, „verzeihen Sie, daß ich zuerſt an mich dachte, ich habe Ihnen ja ſoviel und herzlich zu danken. Und jetzt komme ich ſogleich wieder mit einer Bitte. Sie ſollen mir einen Platz auf dem nächſten Raumſchiff erwirken, ich will nach dem Mars!“
Saltner und Grunthe blickten ihn erſtaunt an.
„Das werden Sie doch nicht tun!“ rief Saltner. „Sie würden ſich mit der Frau Gemahlin verfehlen.“
„Das werde ich nicht. Ill iſt hier. Grunthe wird mir die Bitte nicht verweigern, er wird mit ihm ſprechen, uns eine Lichtdepeſche zu gewähren. Wir werden erfahren, ob Isma noch dort iſt, wir werden uns verſtändigen. Und wenn ihre Krankheit noch anhält, ſo werde ich reiſen. Ich werde.“
„Das Reiſen läßt ſich ſchon machen. Ich bin jetzt mit der Geſandtſchaft, das heißt heute im Nachtrab, angekommen, daher weiß ich’s. Von jetzt ab geht alle Wochen ein Luftſchiff von hier nach dem Pol, und von dort an jedem 15. des Monats ein Raumſchiff nach dem Mars, das Menſchen als Paſſagiere mitnimmt. Man will den Planetenverkehr eröffnen. Es koſtet hin inkluſive Verpflegung bloß 500 Thekel — 5.000 Mark wollte ich ſagen.“
Torm ſah ihn verwundert an. „Bloß?“ fragte er.
„Ja, wir haben Geld. Fünftauſend Mark ſind die Währungseinheit.“
Torm ergriff ſeine Hand. „Setzen Sie ſich erſt und erzählen Sie dann.“
Saltner nahm Platz und begann zu ſprechen. Grunthe fragte mitunter dazwiſchen. Torm aber hörte nur halb, ſeine Gedanken waren auf dem Mars. Sie war krank! Und immer wieder kam ihm die Frage, wie konnte Saltner deſſen ſicher ſein? War ſie auch wirklich krank? Und wenn ſie nicht krank war?
„Ich muß reiſen!“ rief er plötzlich.
„Nun, nun“, ſagte Saltner beruhigend. „Im Moment können Sie nichts tun. Ill iſt jetzt gerade im Schloß.“
Torm ſank auf ſeinen Platz zurück.
Erneuter Kanonendonner verkündete, daß ſich der Kaiſer neben dem Präſidenten des Polreichs vor dem jubelnden Volk zeigte.
Grunthe ſtand auf und ſchloß das Fenſter.
Isma lag bleich und angegriffen auf ihrem Sofa. Langſam genas ſie von der ſchweren nervöſen Krankheit, die ſie unter dem Zuſammenwirken der ungewohnten Lebensverhältniſſe und der ſeeliſchen Aufregungen ergriffen hatte.
Hil trat bei ihr ein.
„Wann kann ich reiſen?“ war, wie immer, ihre erſte Frage.
„Nun, nun“, ſagte er, „ſobald wir kräftig genug ſind.“
„Ach, Hil, das ſagen Sie nun ſchon ſeit vierzehn Tagen. Laſſen Sie es mich doch verſuchen!“
„Erſt müſſen wir einmal einen Verſuch machen, wie es Ihnen bekommt, wenn Sie hier in Ihrem Zimmer anfangen, wieder ein wenig mit der Welt zu verkehren. Es wartet da ſchon lange einer, der Sie gern einmal ſprechen und ſehen möchte, aber ich habe bis jetzt nicht erlaubt —“
„Und heute darf er kommen, ja?“ unterbrach ihn Isma lebhaft.
Hil lächelte. „Es iſt ein gutes Zeichen, daß Sie ſelbſt danach verlangen. Aber hübſch ruhig, Frau Isma, und höchſtens ein Viertelſtündchen! So will ich es ihm ſagen laſſen.“
Er verabſchiedete ſich.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis Ell eintrat.
Eine leichte Blutwelle drängte ſich in Ismas Wangen, als ſie ihm langſam die ſchlanke Hand entgegenſtreckte, die er leidenſchaftlich küßte. Lange hielt er die Hand feſt, bis ſie ſie ihm ſanft entzog.
„Sie ſind ſchon lange zurück?“ ſagte ſie endlich verlegen.
„Auf die Nachricht, daß Sie reiſen dürften, kam ich hierher. Ich hätte Sie nicht allein reiſen laſſen, obwohl — doch ſprechen wir von Ihnen. Ich fand Sie erkrankt. Es war unmöglich, Sie wiederzuſehen.“
„Und Sie ſind mir nicht mehr böſe?“
„Isma!“
„Ich habe es eingeſehen, ich war ungerecht gegen Sie. Und ich war doch ſchuld, daß Sie Ihren Poſten auf der Erde verließen —“
„Sie wollten das Beſte. Ich aber habe eine Schuld auf mich geladen — und ich werde ſie büßen müſſen. Jetzt iſt für mich auf der Erde nichts mehr zu tun, aber die Zeit wird wieder kommen. Dann ſoll es nicht an mir fehlen.“
„Und Sie wollen mich begleiten?“
„Wenn Sie reiſen dürfen. Aber —“
„Was haben Sie, Ell? Seien Sie aufrichtig, ich beſchwöre Sie — ſagen Sie mir die Wahrheit! Sie glauben, ich werde nie wieder —“
„Um Gottes willen, Isma, wenn Sie ſo ſprechen, darf ich nicht hierbleiben. Sie dürfen ſich nicht erregen. Sicherlich iſt Ihr Geſundheitszuſtand in kurzer Zeit ſo vorgeſchritten, daß Sie die Reiſe antreten dürfen. Nein, ich dachte nur an Verzögerungen, die möglicherweiſe aus anderen Gründen eintreten könnten, falls ſich der Antritt der Reiſe nicht bald ermöglichen läßt —“
„Verbergen Sie mir nichts. Man ſagt mir ſehr wenig von der Erde. Ich denke, Ill iſt mit ſo großartigem Jubel in Berlin aufgenommen worden. Und mein Mann iſt geſund —“
„Darüber können Sie beruhigt ſein. Ich darf Ihnen noch mehr ſagen, Hil hat es jetzt erlaubt. Sollten Sie aus irgendeinem Grund an der Reiſe verhindert ſein, ſo werden Sie Ihren Mann doch bald wiederſehen. Er iſt an der Nordpolſtation und erwartet dort die Nachricht, ob Sie kommen oder ob er nach dem Mars reiſen ſoll.“
„Nach dem Mars will er kommen! Und das wiſſen Sie? Und ich —?“
„Briefe können noch nicht hier ſein. Es kam nur eine Lichtdepeſche von Ill. Aber Hil wollte Sie mit der Nachricht nicht aufregen — nun ſeien Sie auch vernünftig und zeigen Sie, daß Sie die Probe beſtehen und uns nicht wieder kränker werden.“
„Er will kommen! Aber wozu? Ich möchte doch lieber nach der Erde!“
„Das ſollen Sie ja auch. Nur für den Fall —“
„Was für einen Fall?“
„Wenn zum Beiſpiel die Verhältniſſe auf der Erde in der nächſten Zeit ſehr unruhig werden ſollten —“
„Ich denke, alles iſt jetzt friedlich.“
„Die letzten Nachrichten ſind weniger erfreulich.“
„Erzählen Sie, ſchnell! Unſre Viertelſtunde iſt bald um.“
„Die Mächte ſind in Streit geraten. Was ſoll ich Sie mit den politiſchen Einzelheiten ermüden, die ich ſelbſt nur mangelhaft hier kenne, weil bisher erſt Lichtdepeſchen hergelangt ſind. Es iſt der Streit um die engliſche Erbſchaft. Frankreich und Italien, Deutſchland und Frankreich, Öſterreich und Rußland rechten um ihre Grenzen im Kolonialbeſitz in Afrika, Aſien und der Türkei. Am Mittelmeer gibt es kaum einen Punkt, über den man ſich einigen kann. England iſt ohnmächtig, die Marsſtaaten ſchützen es in einigen Punkten, und gerade dieſe möchten die andern haben. Die Staaten rüſten gegeneinander, ſchon ſind an den Kolonialgrenzen Schüſſe gefallen, man muß darauf gefaßt ſein, daß ein Weltkrieg ausbricht. Dies werden die Martier auf keinen Fall zugeben, und ſo ſteht zu befürchten, daß wir zu neuen Gewaltmaßregeln gegen die Menſchen, diesmal auch gegen Deutſchland, getrieben werden. Deshalb wäre es gut, wenn Sie bald reiſen könnten, ehe vielleicht wieder eine Sperrung eintritt. Auf jeden Fall aber würde Torm hierherkommen dürfen. Das hat Ill ihm zugeſichert.“
Isma ſchüttelte den Kopf. „Was Sie da alles ſagen, verwirrt mich, ängſtigt mich —“ Und nach kurzem Schweigen fuhr ſie fort: „Aber ich will geſund ſein! Ich will gar nicht darüber nachdenken. ich fühle, daß ich Ruhe brauche. Ich danke Ihnen herzlich, Ell, daß Sie gekommen ſind. Nun weiß ich doch wieder, daß ich nicht verlaſſen bin.“
Sie reichte ihm die Hand.
„Leben Sie wohl, Isma. Sie können ganz ruhig ſein. Sie werden bald geſund ſein.“
Er ſah ſie an mit den alten, treuen Augen und ging. Sie lächelte müde und lehnte ſich zurück. Die Lider fielen ihr zu.
„Ich will geſund ſein“, dachte ſie. Aber ſie hörte ſchon nicht mehr, daß Hil bei ihr eintrat und ſie teilnahmsvoll betrachtete.
Eine Woche ſpäter, es war ein herrlicher Maitag, tobte eine aufgeregte Volksmenge in den Straßen der europäiſchen Städte. Überall hörte man Beſchimpfungen der Martier. Wo man vor vier Wochen gejubelt hatte und Hurra geſchrien, ertönte jetzt: „Nieder mit dem Mars!“ Die Geſchäfte mit Marsartikeln, die wie Pilze in die Höhe geſchoſſen waren, ſahen ſich genötigt, ihre Läden zu ſchließen. „Nieder mit den Glockenjungens“, hieß es in Berlin, wo man die Martier ihrer diabariſchen Helme wegen mit dieſem geſchmackvollen Titel beehrte. Die Menge demonſtrierte vor dem Gebäude, das die Marsſtaaten für ihre Botſchaft gemietet hatten. Auf dem flachen Dach ruhten die Luftſchiffe, bereit, in der nächſten Stunde die Hauptſtadt zu verlaſſen.
Aber nicht weniger erregt, vielmehr erfüllt von einem heiligen Zorn, war die Stimmung auf dem Mars. Die Nachricht von einem ungeheuren Blutvergießen der Menſchen untereinander war angelangt. In der Türkei und in Kleinaſien, wo man hauptſächlich nur aus Furcht vor England ſich ſoweit im Zaume gehalten hatte, daß die europäiſchen Fremden ſich ſicher fühlen durften, war jetzt dieſe Schranke gefallen. Der mohammedaniſche Fanatismus flutete über. Auf einen heimlichen Wink der türkiſchen Regierung erhoben ſich die Maſſen. Ein entſetzliches Gemetzel begann gegen die Chriſten. Die Gebäude der Botſchaften wurden erſtürmt, Männer, Kinder und Frauen binnen einer Nacht in gräßlicher Weiſe gemordet. Und furchtbar war die Rache. So weit die Kanonen der fremden Kriegsſchiffe reichten, wurden am andern Tag die blühenden Küſten, Paläſte und Moſcheen Konſtantinopels in Trümmerhaufen verwandelt. Und nicht genug damit. Zwiſchen den europäiſchen Staaten ſelbſt entbrannte die Eiferſucht, wer die Trümmer mit ſeinen Truppen beſetzen ſollte. Der Krieg war ſo gut wie ausgebrochen, ehe er formell erklärt war.
Tiefe Empörung ergriff die Bevölkerung der Marsſtaaten. Der Antibatismus gewann die Oberhand. Das Parlament forderte von der Regierung die ſofortige Unterdrückung der Greuel und die Herſtellung des Friedenszuſtandes auf der Erde. Am 12. Mai beſchloß das Parlament unter Zuſtimmung des Zentralrats folgendes:
„Da die Menſchen nicht fähig ſind, aus eigener Macht unter ſich einen friedlichen Kulturzuſtand zu erhalten, ſieht ſich die Regierung der Marsſtaaten gezwungen, hiermit das Protektorat über die geſamte Erde zu erklären und jede politiſche Aktion der Erdſtaaten untereinander, ohne vorherige Zuſtimmung der Marsſtaaten, zu verbieten. Der Präſident des Polreichs der Nume auf der Erde wird beauftragt und bevollmächtigt, alle Maßregeln ſofort anzuordnen, die er für notwendig erachtet, um dem ausgeſprochenen Willen der Marsſtaaten auf der Erde, und zwar zunächſt in Europa, Geltung zu verſchaffen.“
Es war dieſer Beſchluß der Marsſtaaten und die von Ill hinzugefügte Erklärung, wodurch die Bevölkerung aller ziviliſierten Staaten in ſo außerordentliche Aufregung geraten war. Die Mitteilung an die Regierungen war gleichzeitig in Form einer Bekanntmachung in den europäiſchen Staaten von den Martiern verbreitet worden. Man zerriß jetzt die Blätter, die ſie enthielten, man entfernte die Plakate von den Häuſern. Die Bekanntmachung lautete folgendermaßen:
„Indem ich den vorſtehenden Beſchluß der Marsſtaaten zur allgemeinen Kenntnis bringe, übernehme ich mit dem heutigen Tage in ihrem Namen die Schutzherrſchaft über alle Staaten der Erde und beſtimme wie folgt:
Alle Regierungen und Nationen werden bis auf weiteres in ihren verfaſſungsmäßigen Rechten beſtätigt und ſind in ihren inneren Angelegenheiten frei, mit Ausnahme der unten angegebenen Beſtimmung über das Heerweſen.
Alle internationalen Verträge und Kundgebungen bedürfen zu ihrer Gültigkeit der durch mich zu vollziehenden Beſtätigung der Marsſtaaten.
Alle Kriegsrüſtungen ſind verboten. Die von den europäiſchen Regierungen ausgegebenen Mobiliſierungsbefehle ſind aufzuheben. Die Friedenspräſenzſtärke ihrer Heere wird auf die Hälfte der bisherigen herabgeſetzt. Die Hauptwaffenplätze werden unter Oberaufſicht eines von mir zu ernennenden Beamten geſtellt.
Alle Regierungen werden eingeladen, bevollmächtigte Vertreter zu der Weltfriedenskonferenz zu entſenden, die am 30. Mai unter meinem Vorſitz am Nordpol der Erde wird eröffnet werden.
Von der Bevölkerung der Erde erwarte ich, daß ſie die Bemühungen der Marsſtaaten, ihr die vollen Segnungen des Friedens und der Kultur zu bringen, mit allen Kräften unterſtützen wird.
Gegeben am Nordpol der Erde, den 15. Mai
Ill,
Präſident des Polreichs der Nume.
Bevollmächtigter Protektor der Erde.“
Mit klingendem Spiel und von der Menge mit Hochrufen begrüßt rückten zwei Kompagnien der Garde vor das Gebäude der Botſchaft der Marsſtaaten, um dasſelbe gegen etwaige Übergriffe der aufgeregten Bevölkerung zu ſchützen. Ein Adjutant begab ſich in das Haus, um dem Botſchafter zu melden, daß die Regierung Seiner Majeſtät dem Präſidenten des Polreichs nach dem bereits telegraphiſch übermittelten Proteſt nichts weiter mitzuteilen habe.
Eine Viertelſtunde ſpäter erhoben ſich die Luftſchiffe der Martier und richteten unter dem tobenden Gejohle der Menge ihren Flug nach Norden.