Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 39. Die Martier ſind auf der Erde! Auf der Erde hatte die Nachricht von der Beſetzung des Nordpols durch die Martier und der Exiſtenz eines Luftſchiffes, mit welchem ſie ſiebenhundert Kilometer in der Stunde in der Erdatmoſphäre zurückzulegen vermochten, ein Aufſehen erregt wie kaum ein anderes Ereignis je zuvor. Der Bericht Grunthes und die von ihm vorgelegten Beweiſe ließen keinen Zweifel zu, überdies war das Luftſchiff in Italien, der Schweiz, Frankreich und England geſehen worden, ja, die Ankunft Grunthes und das Verſchwinden Ells und Frau Torms waren auf keine andere Weiſe zu erklären. Die Schriften Ells, welche jetzt herauskamen, gaben eine hinreichende Auskunft über die Möglichkeit techniſcher Leiſtungen, wie ſie von den Martiern vollzogen wurden. Als daher Kapitän Keswick, ſobald er mit der ‚Prevention‘ die erſte Telegraphenſtation berührte, ſeinen Bericht an die engliſche Regierung abgab und Torm nach Friedau telegraphierte, daß er glücklich gerettet ſei, erregten dieſe Nachrichten ſchon nicht mehr die Verwunderung, die man auf der ‚Prevention‘ erwartet hatte. Wohl aber wurde in England die anfänglich für die Martier vorhandene Begeiſterung ſtark abgekühlt und machte einer in der Preſſe ſich äußernden, etwas bramarbaſierenden Entrüſtung Platz, daß man dieſen Herrn vom Mars doch etwas mehr Reſpekt vor der britiſchen Flagge beibringen müſſe. Indeſſen fehlte es nicht an Stimmen, die zur äußerſten Vorſicht rieten und die Gefahren ausmalten, welche den Nationen des Erdballs von einer außerirdiſchen Macht drohten, der ſo ungewöhnliche und unbegreifliche Mittel zur Durchſetzung ihres Willens zu Gebote ſtänden wie den Martiern. Dieſe Sorge, die Bedrohung durch eine unbeſtimmte Gefahr, beherrſchte das Verhalten der Regierungen aller ziviliſierter Staaten. Man wußte weder, was man zu erwarten habe, noch wie man einem etwaigen weiteren Vorgehen der Martier begegnen ſolle. Ein äußerſt lebhafter Depeſchenwechſel fand ſtatt, man erwog den Plan, einen allgemeinen Staatenkongreß zu berufen, und konnte ſich vorläufig nur noch nicht über das vorzulegende Programm und den Ort des Zuſammentritts einigen. Während man ſich auf der einen Seite einer gewiſſen Solidarität der politiſchen Intereſſen aller Staaten gegenüber den Martiern bewußt war, zeigten ſich doch auf der andern Seite ſehr verſchiedene Auffaſſungen über den zu erwartenden kulturellen Einfluß der Martier. Die Preſſe aller Nationen beſchäftigte ſich aufs eifrigſte mit der Mars-Frage, und eine unüberſehbare Menge von Meinungen und abenteuerlichen Hypotheſen erfüllte die Blätter und erhitzte die Gemüter. Die Quelle aller dieſer Erwägungen war das Buch von Ell über die Einrichtungen der Martier und die Erklärungen, welche Grunthe aus ſeinen Erfahrungen am Nordpol dazu geben konnte. Ein Verſtändnis derſelben, wenigſtens im größeren Publikum, war jedoch nicht zu erreichen. Der Sprung von der techniſchen und ſozialen Kultur der Menſchen zu der Entwicklung, welche dieſe bei den Martiern erreicht hatte, war zu groß, als daß man ſich in letztere hätte finden können. Gerade die erſten Mahnungen Grunthes, man möge ſich unter keinen Umſtänden in einen Konflikt mit den Martiern einlaſſen, weil ihre Macht alle menſchlichen Begriffe überſtiege, fanden am wenigſten Gehör; dazu waren ſie ſchon viel zu wiſſenſchaftlich in der Form. Man ſtellte ſich wohl vor, daß ſich die Martier durch wunderbare Erfindungen eine ungeheure Macht über die Natur angeeignet hätten, aber man hatte keinerlei Verſtändnis dafür, wie ihre ethiſche und ſoziale Kultur ſie den Gebrauch dieſer Macht benutzen, mäßigen und einſchränken ließ. Vor allem blieb das eigentliche Weſen ihrer ſtaatlichen Ordnung trotz der Erläuterungen in Ells Buch ein Rätſel. Die individuelle Freiheit war ſo überwiegend, die Entſcheidung des einzelnen in allen Lebensfragen ſo ausſchlaggebend und ſo wenig von ſtaatlichen Geſetzen überwacht, daß vielfach die Anſicht ausgeſprochen wurde, das Gemeinſchaftsleben der Martier ſei durchaus anarchiſtiſch. In der Tat, die Form des Staates war auf dem Mars an kein anderes Geſetz gebunden als an den Willen der Staatsbürger, und ſo gut ein jeder ſeine Staatsangehörigkeit wechſeln konnte, ſo konnte auch die Majorität, ohne in den Verdacht der Staatsumwälzung oder der Staatsfeindſchaft zu kommen, von monarchiſchen zu republikaniſchen Formen und umgekehrt übergehen. Keine Partei nahm das Recht in Anſpruch, die alleinige Vertreterin des Gemeinſchaftswohls zu ſein, ſondern in der gegenſeitigen, aber nur auf ſittlichen Mitteln beruhenden Meſſung der Kräfte ſah man die dauernde Form des ſtaatlichen Lebens. Es gab keinen regierenden Stand, ſo wenig es einen allein wirtſchaftlich oder allein bildend tätigen Stand gab. Vielmehr war zwiſchen dieſen Berufsformen ein ſtetiger Übergang, ſo daß ein jeder, ganz nach ſeinen Fähigkeiten und Kräften, diejenige Betätigungsform erreichen konnte, wozu er am beſten tauglich war. Dies war freilich nur möglich infolge des hohen ethiſchen und wiſſenſchaftlichen Standpunktes der Geſamtbevölkerung, wonach die Bildungsmittel jedem zugänglich waren, aber von jedem nur nach ſeiner Begabung in Anſpruch genommen wurden. Natürlich bedeutete das nicht die Herrſchaft des Dilettantismus, ſondern jede Tätigkeit ſetzte berufsmäßige Schulung voraus, der Eintritt in höhere politiſche Stellen vor allem eine tiefe philoſophiſche Bildung. Aber der Fähige konnte ſie erwerben. Und dies beruhte wieder darauf, daß die Beherrſchung der Natur durch Erkenntnis die unmittelbare Quelle des Reichtums in der Sonnenſtrahlung erſchloſſen hatte. Andere wieder behaupteten, die Staatsform der Martier ſei durchaus kommuniſtiſch. Auch hierfür ſchien manches zu ſprechen. Denn wenn auch, was Ell nicht genügend hervorgehoben hatte, die Verwaltung der großen Betriebe der Strahlungsſammlung, des Verkehrs und ſo weiter tatſächlich in der Hand von Privatgeſellſchaften lag, ſo war doch das Anlagekapital Staatseigentum. Es exiſtierte auch eine ſtaatliche Konzentration der wirtſchaftlichen Tätigkeit, obwohl dieſe der Arbeit des einzelnen völlig freie Hand ließ und keineswegs die Güterproduktion durch Vorſchriften regelte. Aber die Zentralregierung, deren Mitglieder auf eine zwanzigjährige Amtsdauer erwählt wurden, ſetzte unter Einwilligung des Parlaments einen ‚Strahlungsetat‘ feſt, das heißt, es war dadurch für ein Jahr im voraus beſtimmt, welches Maximum von Energie der Sonne entnommen, alſo auch welches Maximum mechaniſcher Arbeit auf dem Planeten geleiſtet werden konnte. Sie ſetzte auch ein beſtimmtes Kapital feſt, das jeder als ein zinsloſes Darlehen in Anſpruch nehmen konnte, falls ſeine eignen Arbeitsmittel durch ungünſtige Verhältniſſe in Verluſt geraten waren. Im übrigen aber war ein jeder auf ſeinen eigenen Fleiß angewieſen. Auf dem Kulturſtandpunkt der Menſchheit erſchienen die Einrichtungen des Mars als Utopien, und mit Recht; denn ſie ſetzten eben Staatsbürger voraus, die in einer hunderttauſendjährigen Entwicklung ſich ſittlich geſchult hatten und theoretiſch an der rechten Stelle alle die Mittel gleichzeitig zu benutzen wußten, deren Gebrauch im Lauf der ſozialen Lebensformen nach irgendeiner Seite erprobt worden war. Ein Teil der Regierungen der Erdſtaaten befürchtete nun, daß das Beiſpiel der Martier die Veranlaſſung zu übereilten Reformen, vielleicht zu gewaltſamen Umwälzungen geben würde. Die agrariſche Bevölkerung geriet in Beſtürzung über die drohende Konkurrenz der Lebensmittelfabrikation ohne Vermittlung der Landwirtſchaft. Auf der anderen Seite begrüßten die Arbeiterſchaft und alle für ſchnellen Kulturfortſchritt enthuſiasmierten Gemüter die Martier als die Erlöſer aus der Not, deren Erſcheinen nun bald bevorſtünde. Durchweg aber war man im unklaren, was geſchehen würde und was geſchehen ſolle. Als im Oktober die Parlamente der meiſten Staaten zuſammentrafen, gab es überall Interpellationen an die Regierungen über die Marsfrage. Und überall lautete die Antwort ausweichend dahin, es fänden Erwägungen ſtatt über einen allgemeinen Staatenkongreß, worüber man indeſſen Näheres noch nicht mitteilen könne. Überall ſprachen dann die Führer der verſchiedenen Parteien die Anſichten über den Mars aus, die ſie vorher in ihren Blättern hatten drucken laſſen. Einige wollten die Martier enthuſiaſtiſch aufnehmen, andere ſie dilatoriſch behandeln, andere ſie überhaupt von der Erde zurückweiſen. Wie man das machen ſolle, wußte freilich niemand zu ſagen. Der Erfolg war jedoch in allen Staaten der gleiche: neue Bewilligungen zur Vermehrung des Heeres und der Flotte. Zum Glück für die Regierungen, die dadurch Zeit zur Beratung gewannen, hörte man nun nichts mehr von den Martiern. Das Luftſchiff ließ ſich nicht wieder ſehen, die Martier ſchienen verſchwunden. Da plötzlich kam im Januar die Nachricht vom Wiedererſcheinen eines Luftſchiffs in Sydney. Am 2. Januar telegraphierte der Gouverneur von Neuſüdwales nach London, daß in Sydney mehrere Luftſchiffe eingetroffen ſeien, beſtimmt, eine außerordentliche Geſandtſchaft der Marsſtaaten nach London zu bringen, falls die engliſche Regierung ſich bereit erkläre, mit derſelben wie mit der bevollmächtigten Geſandtſchaft einer anerkannten Großmacht zu unterhandeln. Die Martier hatten ſofort in Sydney einen berühmten Rechtsanwalt als Agenten engagiert, der die Verhandlungen mit den Behörden führte. Daß ſie vom Mars mehr als 2.000 Kilogramm Gold in Barren mitgebracht und bei der Bank of New South Wales deponiert hatten, war eine ſo vorzügliche Empfehlung, daß ganz Neuſüdwales für ſie eingenommen war. Die diplomatiſchen Verhandlungen waren inzwiſchen nicht weitergekommen. Auf Englands erneute Anregung einigte man ſich jetzt endlich dahin, daß man die Marsſtaaten als politiſche Macht anerkennen wolle, wenn ſie gewiſſe Garantien gäben, daß ſie ſich dem auf der Erde geltenden Völkerrecht unterwärfen. Daraufhin beantwortete die engliſche Regierung die Depeſche der Marsſtaaten im Prinzip bejahend, knüpfte aber verſchiedene Bedingungen an die Bewilligung weiterer diplomatiſcher Verhandlungen. Sie verlangte von den Martiern außer der Anerkennung der völkerrechtlichen Gewohnheiten der ziviliſierten Erdſtaaten, daß genau feſtgeſetzt werde, worüber mit der Geſandtſchaft verhandelt werden ſolle, und daß kein anderer Punkt zur Verhandlung käme, nachdem man die Martier in London zugelaſſen habe. Ihrerſeits verſprach natürlich die Regierung der Geſandtſchaft den völkerrechtlichen Schutz auf der Erde. Der Bevollmächtigte der Marsſtaaten, Kal, ging hierauf ohne weiteres ein und ſtellte folgende Forderungen zur Verhandlung in einer Depeſche vom 22. Januar: 1) Formelle Entſchuldigung der engliſchen Regierung wegen des Angriffs, den die Mannſchaft des Kanonenboots auf die beiden Martier und der Kapitän auf das Luftſchiff unternommen hatten. 2) Beſtrafung des Kapitäns Keswick und des Leutnants Prim. 3) Entſchädigung für die beiden Martier von je hunderttauſend Pfund. 4) Anerkennung der Hoheitsrechte der Marsſtaaten auf die Polargebiete der Erde jenſeits des 87. Grades nördlicher und ſüdlicher Breite. 5) Anerkennung der Gleichberechtigung der Martier mit allen andern Nationen in bezug auf Niederlaſſung, Verkehr, Handel und Erwerb. Gleichzeitig depeſchierte Kal an die Regierungen aller größeren Staaten den Wunſch der Marsſtaaten, über die beiden letzten Punkte in Verhandlung zu treten. Die Antworten ließen auf ſich warten. Die Regierungen der Erde verhandelten zunächſt untereinander, da ſie in ihren vorangegangenen Verabredungen übereingekommen waren, gemeinſam vorzugehen, falls die Martier mit allgemeinen Fragen des internationalen Verkehrs an ſie herantreten ſollten. Die Vereinigten Staaten, Frankreich, Italien und Japan traten dafür ein, den Martiern entgegenzukommen, Deutſchland, Öſterreich-Ungarn und andere zögerten noch, Rußland verhielt ſich ablehnend. Die engliſche Regierung war zuerſt geneigt, Verhandlungen einzuleiten. Aber ſobald die Forderungen der Martier in der Bevölkerung bekannt geworden waren, erhob ſich ein allgemeiner Entrüſtungsſturm. Das Nationalgefühl forderte ungeſtüm die Ablehnung des Anſinnens der Martier, das britiſche Selbſtbewußtſein laſſe nicht zu, daß man mit einem Haufen Abenteurer in Verhandlungen über Entſchuldigungen und Entſchädigungen trete. Es kam zu einer bewegten Parlamentsſitzung, in welcher das friedlich geſtimmte Miniſterium geſtürzt wurde. Ein Toryminiſterium, zu entſchiedenem Vorgehen geneigt, trat an die Stelle und erklärte ſofort, daß es jede weitere Unterhandlung mit den Marsſtaaten zurückweiſe. Die ablehnende Note, welche nach Sydney zur Mitteilung an den Geſandten der Marsſtaaten geſchickt wurde, war in ſehr kühlem und herablaſſendem Ton gehalten. Die übrigen Staaten hatten jetzt, nachdem England eigenmächtig vorgegangen war, keine Veranlaſſung, ſich gegenſeitig zu binden, und erklärten nunmehr ſämtlich im Prinzip ſich zu Unterhandlungen bereit, indem ſie ſich jedoch völlige Freiheit ihrer weiteren Entſchließungen vorbehielten. Sobald die Martier in Sydney aus den Zeitungen, die ſie aufs ſorgfältigſte verfolgten, entnommen hatten, daß ſie in England vermutlich auf kein Entgegenkommen rechnen durften, ſandte Kal nach dem Mars die Lichtdepeſche, derzufolge die verabredeten Verſtärkungen abzuſenden ſeien. Ein Luftſchiff vermittelte täglich den Verkehr zwiſchen Sydney und dem Südpol, von deſſen Außenſtation die Lichtdepeſchen abgingen. Aber auch ſchon vorher hatte ſich eine anſehnliche Macht am Südpol angeſammelt. Es waren drei neue Raumſchiffe angelangt, nachdem die früheren, um ihnen Platz zu machen, zurückgegangen waren, und hatten neue Luftſchiffe und Mannſchaften gelandet. Gegenwärtig befanden ſich bereits vierundzwanzig Luftſchiffe am Südpol, ſämtlich mit Nihilitpanzern, Repulſitgeſchützen und Telelyten ausgerüſtet, eine furchtbare Macht, deren militäriſchen Oberbefehl ein energiſcher Martier aus dem Norden namens Dolf führte. Es ließ ſich berechnen, daß binnen vier Wochen die Streitmacht der Martier auf 48 Fahrzeuge angewachſen ſein würde. Mit dem letzten der Raumſchiffe, deſſen Ankunft im März zu erwarten war, wollte Ill ſelbſt eintreffen, um die Leitung der Erdangelegenheiten zu übernehmen. Inzwiſchen hatte man Kal eine Anzahl anderer bedeutender Männer zur Seite geſtellt, die als Geſandte an die Regierungen der Großmächte gehen ſollten. Als die Note der großbritanniſchen Regierung Kal übermittelt war, telegraphierte ſie dieſer ſofort nach dem Mars. Die Antwort traf noch denſelben Tag ein. Sie beſagte nur, daß Kal genau nach den Inſtruktionen verfahren ſolle, welche für den Fall einer ablehnenden Haltung Englands feſtgeſetzt ſeien. Am 15. März ſei das Hauptquartier nach dem Nordpol zu verlegen, woſelbſt im Laufe des März nach und nach noch vierundzwanzig Raumſchiffe mit durchſchnittlich je ſechs Luftſchiffen eintreffen würden. Damit würde die Macht der Martier auf der Erde auf 144 große und eine Anzahl kleinerer Luftſchiffe mit 3.456 Mann gebracht ſein, eine Flotte, die den Martiern genügend ſchien, den Kampf im Notfall mit der geſamten Erde aufzunehmen. Die Note der engliſchen Regierung war vom 18. Februar datiert. Am zwanzigſten erfolgte die Antwort Kals. Sie beſagte, daß die Regierung der Marsſtaaten hiermit an die großbritanniſche Regierung das Ultimatum richte, bis zum 1. März ſämtliche geſtellte Forderungen zuzugeſtehen, widrigenfalls ſich die Marsſtaaten als im Kriegszuſtand mit England betrachten würden. Dieſe Erklärung wurde gleichzeitig allen andern Regierungen mitgeteilt. Am 23. Februar drängte ſich in Berlin auf der Wilhelmſtraße, Unter den Linden und vor dem königlichen Schloß eine ungeheure Menſchenmenge. Es hatte ſich das Gerücht verbreitet, eine Geſandtſchaft der Martier ſei eingetroffen, ſie befinde ſich im Palais des Reichskanzlers und werde vom Kaiſer empfangen werden. Die Schauluſt der Menge ſollte jedoch nicht befriedigt werden, dagegen wurde der geſamten Bevölkerung eine andere Überraſchung zuteil durch eine Nachricht, welche der Reichsanzeiger in einer Extraausgabe brachte. Es wurde darin mitgeteilt, daß ſich allerdings in der Nacht eine Geſandtſchaft der Martier in Berlin befunden, die Stadt aber bereits am Morgen verlaſſen habe. Die Beziehungen zur Regierung der Marsſtaaten ſeien äußerſt freundliche, und man hoffe, daß auch ein Einvernehmen mit England hergeſtellt werden würde. Bald darauf teilte der Telegraph aus allen Hauptſtädten ähn- liche Nachrichten mit. In aller Stille nämlich hatten die Martier mit den Mächten einzeln verhandelt, und in der Nacht vom 22. zum 23. Februar waren gleichzeitig in Washington, Paris, Berlin, Wien, Rom und Petersburg Geſandtſchaften der Martier heimlich eingetroffen, um durch mündlichen Verkehr mit den leitenden Staatsmännern die Lage zur Klärung zu bringen. In Berlin hatte ein Luftſchiff mehrere Stunden im Garten des Reichskanzlerpalais gelegen, und der martiſche Geſandte hatte ſich mit dem Reichskanzler beſprochen. Aber weder aus Deutſchland noch aus irgendeinem andern Staat konnte man erfahren, was der Gegenſtand und das Reſultat dieſer Unterredungen geweſen ſei. Man vermutete, daß es ſich um Erklärungen der Martier über ihre Abſichten und um die Vermittlung der Mächte zwiſchen den Marsſtaaten und Großbritannien handle. Man bezweifelte nicht, daß die Martier friedliche Verſicherungen gemacht hätten, aber man ſetzte kein Vertrauen darauf, daß die Vermittlungsvorſchläge der Mächte bei England günſtige Aufnahme finden würden. Sie waren wohl auch hauptſächlich in der Abſicht zugeſagt, die Geſchäftswelt einigermaßen zu beruhigen; denn auf die erſte Nachricht vom Ultimatum der Martier hatten die Börſen aller Länder mit einem gewaltigen Sturz aller engliſchen Werte geantwortet, und die dadurch eingeriſſene Panik dauerte fort. Die Nachrichten aus England aber wurden nicht günſtiger. Die Stimmung war kriegeriſch. Nur wenige Blätter wagten einem Nachgeben gegen die Martier das Wort zu reden, und ſie wurden tumultuariſch überſchrien. Krieg gegen den Mars war die Loſung geworden. Krampfhaft rüſtete man in Heer und Flotte, obwohl man nicht wußte, in welcher Form man einen Angriff zu gewärtigen habe. Fieberhafte Tätigkeit herrſchte in den Arſenalen und Werkſtätten, wo man hauptſächlich damit beſchäftigt war, die Konſtruktion der Geſchütze ſo umzuändern, daß ſie eine größere Elevation geſtatteten. Denn man erwartete, den Kampf mit einem Gegner führen zu müſſen, der ſich in der Luft befand. Man tröſtete ſich mit der Sicherheit, daß die Martier jedenfalls nicht imſtande ſeien, außerhalb ihrer Luftſchiffe irgend etwas auszurichten, weil ihre Körper unter dem Einfluß der Erdſchwere zu Kraftleiſtungen, ja zur einfachen Bewegung untauglich ſeien. Man hoffte daher, wenn man ſich nur die Luftſchiffe vom Halſe halten konnte, nichts Ernſtliches zu befürchten zu haben und den auf der Erde fremden Gegner bald zu ermüden. 40. Ismas Leiden