Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 37. Die Wüſte Gol Saltner hatte Se nicht wiedergeſehen, ſeitdem er mit Frus die Reiſe nach Kla angetreten hatte. Aber er hatte öfter mit ihr telephoniſch geſprochen — wenn ſie ihn anrief, und auch dies war in der letzten Zeit ſeltener geſchehen. Solange er mit La zuſammen war, verblaßte der Eindruck, den ſie auf ihn gemacht hatte, und La ſprach mit ihm nach ihrer Gewohnheit faſt niemals über Se. Das letzte, was er von Se gehört hatte, war ihre erneute Einberufung zum Dienſt in der chemiſch-techniſchen Abteilung des Arbeitsheeres. Nicht nur die Männer, ſondern auch die Frauen bildeten ſich auf dem Mars für einen beſonderen Beruf aus, doch beſtand zwiſchen der Art dieſer Ausbildung und des Betriebes der Berufsarten zwiſchen beiden Geſchlechtern ein weſentlicher Unterſchied. Nichts lag den Martiern ferner als der Gedanke einer ſchablonenhaften Gleichmacherei; Gleichheit gab es für ſie nur im Sinne der gleichen Freiheit der Beſtimmung als Perſönlichkeit, aber die tatſächlichen Verhältniſſe geſtalteten ſich durchaus verſchieden nach dieſer Selbſtbeſtimmung. Die Frauen erwählten daher Berufsarten, die ihren Eigentümlichkeiten entſprachen und ihnen insbeſondere eine gewiſſe Freiheit in der Wahl der Arbeitsſtunden geſtatteten. Se hatte einen wiſſenſchaftlichen und praktiſchen Kurſus in der Chemie durchgemacht. Da die Herſtellung aller Nahrungsmittel auf dem Mars chemiſche Studien vorausſetzte, war dies unter den Martierinnen einer der verbreitetſten Berufszweige. In dieſer Eigenſchaft war Se auch, als ſie ihre einjährige Arbeitspflicht abzuleiſten hatte, in die chemiſche Arbeitsabteilung eingetreten und auf ihren Antrag der Erdſtation zugeteilt worden. Sie war nicht, wie La, in Begleitung ihrer Eltern, ſondern in ihrer eigenen Dienſtleiſtung nach der Erde gegangen. Auf Grund dieſer beſonderen Anſtrengung konnte ſie nach der Rückkehr auf zwei Monate beurlaubt werden. Dieſer Urlaub war nun vorüber, und ſie hatte noch einige Monate ihrer Dienſtzeit zu abſolvieren. Sie war jetzt aber von der Abteilung für Lebensmittel in die artilleriſtiſche Abteilung verſetzt worden und bei den neuen Verſuchen beſchäftigt, zu denen der Konflikt mit den Engländern die Martier veranlaßt hatte. Saltner hatte davon nur ſoviel gehört, daß man entdeckt hatte, wie das Repulſit in eine neue Verbindung mit ganz wunderbaren Eigenſchaften umgewandelt werden konnte, die man jedoch, wenigſtens ihm gegenüber, bisher als Geheimnis behandelte. Se hatte damit zu tun, ſie wohnte daher jetzt ſeit einer Woche ebenfalls am Rand der Wüſte Gol, zwar nicht in Mari, aber dicht an der Grenze, im Bezirk Hed. Als Saltner durch das Schütteln ſeines Kopfkiſſens erwachte, deſſen Rüttel-Wecker er auf eine Stunde vor ſeiner Ankunft — nach ſeiner gewohnten Rechnung ſieben Uhr morgens — geſtellt hatte, zog er den Fenſtervorhang beiſeite und ſah zu ſeiner Verwunderung, daß der Tag noch nicht angebrochen war. Er hatte nicht berückſichtigt, daß er nach Weſten fuhr und daher an ſeinem Reiſeziel die Ortszeit um etwa vier Stunden zurück ſei. Er würde etwa um Sonnenaufgang in Sei ankommen. Dennoch machte er Toilette, benutzte den Frühſtücksautomaten und begann, ſich aus dem Reiſehandbuch über den Staat Mari zu unterrichten. Er erkannte daraus, daß Sei unmittelbar am Abhang der Wüſte Gol läge und die Station ebenfalls, aber ungefähr hundert Kilometer ſüdlicher. Die Radbahn zog ſich in einer Strecke von dreihundert Kilometern direkt am Oſtabhang der Wüſte Gol hin, ſo daß er dieſe zur Rechten hatte. Um nach Sei zu gelangen, wo die Radbahn nicht anhielt, mußte er von der Station aus die letzten hundert Kilometer auf der Stufenbahn zurückfahren. Da ihm die Wege und die Lage der Wohnung Las nicht genau bekannt waren, mußte er eine Stunde auf den Weg von der Station bis zum Haus rechnen. Es blieben ihm alſo noch ungefähr ſechs Stunden zur freien Verfügung, da er nicht eher bei La eintreffen wollte, als zu der Zeit, die ſie zur telephoniſchen Unterhaltung beſtimmt hatte. Er nahm an, daß ſie dieſe Zeit gewählt habe, weil ſie dann ſicher in ihrem neuen Wohnort angekommen ſei. Das Fenſter ſeines Coupés, welches der Tür gegenüberlag, ſah nach Oſten. Noch konnte er keinen Schimmer der Dämmerung erkennen, die freilich auf dem Mars nur kurz und ſchwach war. Dennoch lag über der Gegend ein rötliches Licht, das er ſich nicht erklären konnte. Die Monde des Mars gaben keinen derartigen Schein. Wo die Reihe der Häuſer, unter denen der Zug fortraſte, unterbrochen war, und das war in dieſer Gegend mehrfach der Fall, ſah er, daß das rötliche Licht von Weſten her auf die hier weniger dicht belaubten Rieſenbäume einfiel. Um nach der Seite zu ſehen, auf welcher die Wüſte Gol lag, mußte Saltner die Tür ſeines Coupés öffnen. Sie führte auf den ſchmalen Wandelgang, der ſich durch den Wagen hinzog. Hier konnten die Inſaſſen der Coupés ſich ergehen. Hier ſah man durch die großen Fenſter, als der Zug eine Häuſerlücke paſſierte, die Felſenmauern der Wüſte dunkel aufragen, über ihnen aber lag eine roſig glänzende Lichtſchicht. Die Nebel über der Wüſte, in ihrer Höhe von mehreren tauſend Metern, waren bereits von der Morgenſonne beleuchtet. Der Beamte, welcher den Radwagen begleitete, durchſchritt den Wandelgang und ſagte zu jedem der wenigen ſich hier aufhaltenden Paſſagiere leiſe: „Bitte einzuſteigen.“ Der Zug näherte ſich der Station, und während des Haltens auf dieſer mußte ſich jeder in ſeinem Coupé befinden, er verlor ſonſt das Recht der Weiterbeförderung. Denn ſobald der Wagen hielt, klappte die ganze Seitenwand herab und die einzelnen Coupés wurden mit großer Gewandtheit ſortiert, um je nachdem auf der Station zu bleiben oder auf die kreuzenden Linien übergeführt zu werden. Bald verriet das erneute leiſe Summen an ſeiner Tür Saltner, daß ſein Beſtimmungsort, die Station Mari, erreicht war. Er packte ſeine Sachen zuſammen und trat aus dem Coupé ins Freie. Er fand die Luft ſo kalt, daß er ſeinen Pelz umhing. Es waren nur wenige Coupés auf der Station zurückgeblieben, und ihre Inſaſſen waren noch nicht zum Vorſchein gekommen; ſie ſchienen es vorzuziehen, ihren Schlaf nicht vorzeitig zu unterbrechen. Während Saltner noch unſchlüſſig ſtand, was er jetzt beginnen ſolle, trat jedoch aus einem der Coupés ein Fahrgaſt, der, nachdem er einen Blick auf den Himmel geworfen hatte, dem Ausgang der Station zuſchritt wie jemand, der genau mit der Örtlichkeit vertraut iſt. Er trug das dunkle Arbeitskleid eines Bergmanns und ſchien keine Zeit zu verlieren zu haben. Saltner gedachte ihn anzureden und folgte vorläufig ſeinen Schritten. Der Bergmann überſchritt die hinter der Station vorüberführende Stufenbahn auf einer Brücke und trat dann in den Eingang eines Hauſes. Da Saltner hier zögerte und der Martier bemerkte, daß ihm Saltner gefolgt war, wandte er ſich nach ihm um und ſagte: „Wenn Sie noch zum Sonnenaufgang hinaufwollen, müſſen Sie ſich beeilen, der Wagen geht gleich ab.“ „Ich bin ganz fremd hier“, erwiderte Saltner. „Wenn Sie erlauben, ſchließe ich mich Ihnen an.“ Der Bergmann machte eine höfliche Bewegung und ging voran. Sie gelangten an einen gondelartig gebauten Wagen, welcher die Aufſchrift trug: ‚Abariſche Bahn nach der Terraſſe‘. Saltner ſtieg mit dem Martier ein, ein Schaffner nahm ihnen eine kleine Fahrgebühr ab. Der Wagen, der nur ſchwach beſetzt war, begann ſehr bald ſich zu bewegen. Er glitt erſt mit ſchwacher Steigung aufwärts, dann, als die faſt ſenkrecht abfallende Felswand der Wüſte erreicht war, ſehr ſteil empor, indem er ſich durch ſeine Schwereloſigkeit erhob. Ein Drahtſeil, an dem er hinglitt, ſchrieb ihm die Bahn vor. Vorſpringende Felswände verhinderten den Umblick. Die ganze Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Die Einrichtung war, wie Saltner erfuhr, noch nicht lange in Betrieb. Als Saltner den Wagen verließ, fand er ſich auf einer kahlen Felsſtufe, die ſich, ſo weit er ſehen konnte, in nördlicher wie ſüdlicher Richtung einige hundert Schritt breit hinzog. Sie war mit zahlreichen Baulichkeiten bedeckt, die meiſt elektriſche Schmelzöfen enthielten. In der ganzen Längserſtreckung der Terraſſe lief ein Bahngeleis hin. Sie war eine Stufe am öſtlichen Abfall der Wüſte Gol. Nach Weſten hin erhob ſich das Gebirge noch weiter und trug das Hochplateau der Wüſte, die ſich in einer Erſtreckung von etwa 600 Kilometer von Norden nach Süden und 1.000 Kilometer nach Weſten hin ausdehnte. Über derſelben glänzten, in ihren oberen Schichten hell beleuchtet, große Wolkenmaſſen, die ſich in der Nacht gebildet hatten, jetzt aber ſchon unter den Strahlen der Sonne zu ſchwinden begannen. Als ſich Saltner dem Tal zuwendete, bot ſich ihm ein herrlicher Anblick. Sein Auge ſchweifte weithin über die Landſchaft, die vom Widerſchein der erleuchteten Nebel ſchwach erhellt war. Nur im Südoſten erhob ſich ein heller rötlicher Schimmer, das baldige Nahen der Sonne anzeigend. Zwiſchen dem grünlichen Grau der Baumkronen, auf die er hinabblickte, zogen ſich, noch künſtlich erleuchtet, die geradlinigen Streifen breiter Straßen hin. Am dunkeln, klaren Himmel ſtanden die Sterne, einer aber von ihnen, gerade im Oſten, ſtrahlte mit beſonders hellem Licht, ein glänzender Morgenſtern. Saltner konnte ſich von ſeinem Anblick nicht losreißen. Ein tiefes Heimweh ergriff ihn. Zum erſtenmal ſeit ſeiner Landung auf dem Mars ſah er die Erde wieder. Die Stimme des Bergmanns, der ſich zu ihm geſellte, weckte ihn aus ſeiner Träumerei. „Nicht wahr“, ſagte dieſer, „das iſt ſchön. Da unten ſieht man das nicht vor lauter Bäumen, oder man muß erſt zwiſchen die Maſchinen auf die Dächer ſteigen. Jetzt iſt die Ba am hellſten, Sie haben ſie wohl noch nie ſo deutlich geſehen? Die letzten Monate hat ſie zu nahe an der Sonne geſtanden.“ „Ich habe ſie ſchon ganz in der Nähe geſehen“, ſagte Saltner, „denn ich bin ſchon dort geweſen.“ „So, ſo“, erwiderte der Bergmann lebhaft, „da ſind Sie alſo ein Raumſchiffer. Das freut mich, daß ich einmal einen treffe, ich habe nämlich noch keinen geſehen. Muß ein ſeltſames Handwerk ſein! Sie kamen mir gleich ſo fremdartig vor, einen ſolchen Mantel ſah ich noch nie.“ „Der iſt von dem Fell der Tiere, wie ſie auf der Erde leben.“ Der Bergmann befühlte neugierig das Pelzwerk. „Da ſagen Sie mir doch“, begann er wieder, „iſt es denn wahr, was die Zeitungen jetzt ſo viel ſchreiben, daß es dort auch Nume gibt? Ich meine, ſo wie wir, mit Vernunft?“ „Etwas Vernunft mögen ſie ſchon haben.“ Der Bergmann ſchüttelte den Kopf. „Viel wird es wohl nicht ſein“, ſagte er. „Warum wären ſie ſonſt nicht ſchon zu uns gekommen? Wir glauben nämlich hier nicht recht daran, daß dort viel zu holen iſt, wir meinen, die Regierung nimmt nur jetzt den Mund recht voll, weil nächſtes Jahr Wahlen zum Zentralrat ſind. Da heißt es, wenn wir auf die Erde gehen, da können wir die Sonne ſozuſagen mit Händen greifen, da bekommen wir ſoviel Geld, daß jeder den doppelten Staatszuſchuß erhält.“ Saltner zuckte plötzlich zuſammen und wandte ſich ab. Ohne daß die Dämmerung ſich merklich verſtärkt hätte, hatte unvermittelt ein blendender Sonnenſtrahl ſeine Augen getroffen. Das aufgehende Geſtirn beſchien die Terraſſe, und bald verbreitete ſich ſein Licht auch über die tieferliegenden Lande. Der Bergmann verabſchiedete ſich, er müſſe nun an die Arbeit. Saltner begleitete ihn noch ein Stück. So ſtark wirkte die Sonnenſtrahlung, daß ſchon jetzt Saltner ſeinen Pelz nicht ertragen konnte. Er ließ ihn auf der Station zurück. Die Nebel von den Höhen hatten ſich verzogen. Saltner wandelte die Luſt an, die felſigen Abhänge hinaufzuklimmen. Das Steigen in der geringen Schwere des Mars ſchien ihm ein Kinderſpiel. Zunächſt aber ging er mit dem Bergmann bis an den Eingang des Stollens, in welchem dieſer zu tun hatte. Überall ſah man auf der Terraſſe dieſe Öffnungen, die zu den Mineralſchätzen des Berges führten. Im Geſpräch erfuhr Saltner, daß der Bergmann auf einige Zeit unten im Lande geweſen war, um ſeinen Sohn zu beſuchen, der auf der Schule ſtudierte, und daß man ſich hier in der Tat wieder ganz andere Vorſtellungen von der Erde machte als im politiſchen Zentrum des Planeten. Man glaubte, daß man nur nach der Erde zu gehen brauche, um alsbald mit unermeßlichen Schätzen zurückzukehren. Die Jugend hatte ſich daher maſſenhaft gemeldet, um nach der Erde mitgenommen zu werden. Der Bergmann verhielt ſich dagegen durchaus ſkeptiſch und hatte ſeine Reiſe hauptſächlich unternommen, um ſeinen Sohn von der beabſichtigten Erdfahrt zurückzuhalten. Er ſah jetzt, daß er ſich die Mühe hätte ſparen können, denn die Regierung hatte alle dieſe Meldungen rundweg abgeſchlagen. Eine andere Maßregel aber hatte die Erdkommiſſion getroffen, von der Saltner nur durch dieſe zufällige Unterhaltung erfuhr. Die Marsſtaaten beſaßen zwar ein ſtehendes Arbeitsheer, aber keine Soldaten, da Kriege und kriegeriſche Übungen bei ihnen als eine längſt veraltete Barbarei galten. Sie hatten nur eine Art Polizeitruppe zur Aufrechterhaltung der Ordnung in beſonderen Fällen. Es entſtand nun die Verlegenheit, woher die Leute zu nehmen ſeien, welche das techniſche Perſonal unterſtützen ſollten, falls es zu einem wirklichen Krieg mit den Menſchen, zu einer längeren militäriſchen Aktion auf der Erde kommen ſollte. Dazu gehörte eine Gewöhnung an große körperliche Strapazen, eine Abhärtung, wie ſie die Martier im allgemeinen nicht beſaßen. Man hatte deswegen an die kühnen und rauhen Bewohner der Wüſten, an die Beds gedacht. Man wollte dieſelben anwerben und für den Dienſt auf der Erde ausbilden. Die Aufforderung an ſie war ergangen. Dieſe Nachricht erfüllte Saltner mit Beſorgnis. Von dieſen Leuten war zu befürchten, daß ſie als Sieger ein weniger zartes Gewiſſen haben würden als die eigentlichen Träger der Kultur, die hochgebildeten Nume. Er ſah ſich dadurch nur in ſeiner Abſicht beſtärkt, ſeine Landsleute vor der Größe der drohenden Gefahr zu warnen. Der Bergmann war an ſeinem Ziel. Er empfahl Saltner, wenn er das Plateau der Wüſte ſelbſt beſuchen wolle, bis zur nächſten Station der Terraſſenbahn zu fahren und die von dort nach oben führende Bergbahn zu benutzen. Auf keinen Fall ſolle er ſich vom Rand der Wüſte entfernen, da auf derſelben nichts zu finden ſei als die großen Strahlungsnetze und in einigen ſchwer zugänglichen Schluchten die ärmlichen Wohnſitze der Beds. Saltner befolgte den Rat inſofern, als er die Terraſſenbahn benutzte und mit dieſer ein weites Stück nach Süden fuhr. Unterwegs brachte er nämlich in Erfahrung, daß er hier eine Station ‚Kaſt‘ erreichen könne, welche direkt über Sei lag, ſo daß er von da aus abwärts nur noch eine Viertelſtunde bis zu Las Wohnort hatte. Auf dieſe Weiſe ſtand ihm genügend Zeit zur Verfügung, um das Plateau zu erſteigen. Allerdings führte von hier keine Bahn hinauf, aber es lag ihm viel mehr daran, durch eine Fußwanderung die ſeltſame Gebirgsbildung kennenzulernen. In einer ſteil herab ziehenden engen Schlucht klomm er raſch aufwärts. Einige unten beſchäftigte Leute riefen ihm etwas nach, das er nicht verſtand, es ſchien ihm eine Warnung zu ſein, nicht mit ſo großer Geſchwindigkeit aufwärts zu ſpringen; aber dieſe Martier konnten ja nicht wiſſen, daß er auf Erden gewohnt war, ein dreimal ſo großes Gewicht auf noch ganz andere Höhen zu ſchleppen. Die Wände der Schlucht verdeckten ihm zwar die Ausſicht nach der Seite und, da die Schlucht nicht gerade verlief, auch nach oben und unten, aber ſie ſchützten ihn dafür vor den Strahlen der Sonne. Und er ſah bald, daß er ohnedies nicht weit gekommen wäre. Denn wo die Sonne das Geſtein traf, glühte es ſo, daß man es mit der bloßen Hand kaum berühren konnte. Im Schatten aber war die Luft kühl. Etwa dreiviertel Stunden mochte er ſo geſtiegen ſein, als die Wände der Schlucht ſich verflachten; er näherte ſich dem Rand des Plateaus. Mitunter war es ihm, als höre er in der Ferne ein Geräuſch wie Donner, er ſchob es auf Sprengungen in den Bergwerken. Jetzt hörte der Schatten auf. Zwiſchen Felstrümmern mußte er ſich emporarbeiten. Der Schweiß rann ihm von der Stirn, er empfand heftigen Durſt, und noch immer wollte ſich die ebene Hochfläche nicht zeigen. Da endlich erkannte er einen Gegenſtand, der wohl nur das Dach eines Gebäudes ſein konnte. Er eilte darauf zu, und plötzlich blickte er auf eine weite Ebene, nur hier und da von einzelnen Felsriegeln unterbrochen. Eben wollte er, aus den Felstrümmern des Abſturzes herausſteigend, den Rand des Plateaus betreten, als er ſich durch einen Draht von weißer Farbe gehemmt ſah, der an dieſem Rand ſich hinzog. Er achtete nicht darauf, ſondern überſtieg ihn. Die Sonne, gegen die kein Schirm ihn ſchützte, brannte ſo furchtbar, daß er jeden Augenblick umzuſinken fürchtete und nur daran dachte, ein ſchattenſpendendes Dach zu gewinnen. Er ſah jetzt das Haus dicht vor ſich, und einige eilende Sprünge brachten ihn in den Schatten eines Pfeilers. Nachdem er ſich hier einen Augenblick erholt, blickte er ſich erſtaunt um. Wenn das ein Haus war, ſo war es ein ſehr ſeltſames. Wie eine Brücke ruhte es ſchwebend auf zwei ſchmalen Pfeilern. Es hatte die Geſtalt eines Bootes, auf das man ein zweites mit dem Kiel nach oben geſetzt hatte. Dazwiſchen war ein etwa meterhoher Zwiſchenraum, nach welchem eine Leiter hinaufführte. Saltner überlegte. „Das Ding ſieht beinahe aus“, ſagte er bei ſich, „wie das Luftſchiff am Nordpol, das ich freilich nur ſehr von weitem geſehen habe. Ob das hier vielleicht ſo eine Art Trockenplatz für friſchen Anſtrich iſt? Ich möchte mir das Ding einmal von innen betrachten.“ Da er ringsum niemand bemerkte und ihm der ſchmale Schatten des Pfeilers keinerlei Bequemlichkeit bot, beſchloß er die Leiter hinaufzuſteigen und ſich in dem ſeltſamen Bau umzuſehen. Er fand jetzt, daß das, was er für einen leeren Zwiſchenraum gehalten hatte, von einer durchſichtigen Subſtanz verſchloſſen ſei, die jedoch eine Öffnung am Ende der Leiter freiließ. Er ſtieg hinein. Niemand befand ſich hier. In der Mitte war ein freier Raum mit Sitzen und Hängematten. Ringsum, unten, oben und beſonders an den Enden des länglichen Baus, waren Verſchläge mit unbekannten Apparaten. Drähte liefen von dort nach unten und durch die Pfeiler jedenfalls nach dem Erdboden, wo ſie unterirdiſch weitergeleitet werden mochten. Saltner hütete ſich wohlweislich, irgend etwas zu berühren. Es wurde ihm einigermaßen unheimlich. Aber er fühlte ſich ſo matt, daß er jedenfalls erſt friſche Kräfte ſammeln mußte, ehe er den Rückweg antreten konnte. Vorſichtig zog er an einer der Hängematten, und da ſich nichts in dem Raum rührte, legte er ſich hinein. „Ich bin doch neugierig, was das für eine Medizin ſein wird“, dachte er. „Jetzt nur nicht die Zeit verſchlafen, bloß einen Augenblick ruhen.“ Aber erſchöpft ſchloß er die Augen. 38. Gefährlicher Ruheplatz