Die einſtrömende Menge verteilte ſich in den weiten Räumlichkeiten des Erdmuſeums, ſo daß Isma und Ell zwar nirgends allein, aber doch nicht gerade beengt waren. Isma wollte gern ſehen, was an der Erde die Aufmerkſamkeit der Martier beſonders feſſele, und wandte ſich daher ſolchen Gängen und Sälen zu, in denen ſich die Hauptmaſſe der Beſucher zuſammendrängte; Ell folgte ihr und muſterte wie ſie nicht weniger die Beſchauer als die Gegenſtände. Ein rieſiger Saal enthielt in hiſtoriſcher Darſtellung eine vollſtändige Entwicklung der Raumſchiffahrt. Ell hätte ſich gern hier näher in die Einzelheiten vertieft, aber Isma intereſſierte ſich wenig dafür und drängte weiter. Ein Wandelpanorama, das eine Reiſe nach der Erde darſtellte, ließen ſie beiſeite liegen und hielten ſich nur kurze Zeit bei der Darſtellung des Luftexports von der Erde auf. Die Maſchinen, die den Menſchen auf der Polinſel nicht zugänglich gemacht worden waren, arbeiteten hier vor ihren Augen in gefälligen Modellen. Sie ſahen, wie die Luft in ſtarke Ballons gepumpt und im leeren Raum zum Erſtarren gebracht wurde. Die gefrorenen Luftmaſſen hatten das Ausſehen von bläulichen Eiskugeln und die Dichtigkeit des Stahls.
Sehr dürftig war die Sammlung der pflanzlichen und tieriſchen Produkte der Erde, da ſie nur aus den polaren Regionen ſtammte. Was der ‚Glo‘ mitgebracht hatte, war noch nicht dem Muſeum übergeben worden. Dagegen hatte man ſchon die Nachrichten, Gegenſtände und Abbildungen verwertet, die Jo im ‚Meteor‘ von der Tormſchen Expedition mitgebracht hatte. Hier drängten ſich die Zuſchauer dicht zuſammen, und Isma und Ell waren gezwungen, ihrem langſamen Zug zu folgen. Es berührte ſie ganz ſeltſam, als ſie hier Grunthe und Saltner in verſchiedenen lebensgroßen Aufnahmen vor ſich ſahen und auf dem Tiſch eine Reihe von Ausrüſtungsſtücken, Kleidern und Kleinigkeiten ausgebreitet bemerkten, die Grunthe den Martiern überlaſſen hatte. Isma mußte an ſich halten, um ſich nicht einzumiſchen, als ſie die Bemerkungen der Martier und die Scherze vernahm, die ſie über die Menſchen und ihre Induſtrie machten.
Plötzlich faßte ſie Ells Arm und drückte ihn, daß es ſchmerzte.
„Was gibt es?“ fragte er.
„O ſehen Sie!“
Eine Gruppe von Herren und Damen muſterten eine Photographie.
„Eine weibliche Bat!“ ſagten ſie. „Sie iſt hübſch“, meinten die einen.
„Viel zu mager“, die andern.
Es war Ismas Bild. Die Photographie hatte ſich unter Torms Effekten gefunden und war mit andern Kleinigkeiten hierhergekommen.
Die neben Isma ſtehende Dame, die ſie eben zu mager gefunden hatte, warf zufällig einen Blick auf ihr Geſicht. Sie ſtutzte und ſtieß ihre Nachbarin an. Ell ſah, daß man auf ſeine Begleiterin aufmerkſam wurde. Die Umſtehenden wurden ſtill.
„Kommen Sie“, ſagte er haſtig zu Isma. „Man erkennt Sie.“
Er zog ſie fort, beide drängten ſich durch das Gewühl. Sie wandten ſich nach einer Stelle, wo das Gedränge geringer war, und glaubten plötzlich auf dem Dach der Polinſel zu ſtehen. Das Panorama des Nordpols breitete ſich in naturgetreuer Nachahmung vor ihnen aus. Dicht zu ihren Füßen ſchien das Meer zu branden. Das Jagdboot der Martier lag zur Abfahrt bereit — zwei Eskimos löſten das Seil, das es am Ufer hielt. Im Boot ſaßen Martier mit ihren Kugelhelmen. Und dort — auf der andern Seite —, da ſtanden Grunthe und Saltner, wie ſie leibten und lebten. Grunthe, mit zuſammengezogenen Lippen, ſchrieb eifrig in ſein Notizbuch, Saltner ſah lächelnd einer verhüllten Geſtalt nach, die auf zwei Krücken dahinſchlich und die Wirkung der Erdſchwere auf die Martier veranſchaulichen ſollte.
„Da ſind unſre Freunde!“ rief Ell, wirklich überraſcht. Es waren meiſterhaft nachgebildete Figuren.
Isma ſtand lange ſtill. Die Plattform begann ſich mit andern Beſuchern zu füllen. „Wir wollen lieber gehen“, ſagte ſie. „Hier unten ſcheint es leer zu ſein, vielleicht kommen wir dort an den Ausgang.“
Gegenüber dem Haupteingang führte von dem nachgeahmten Teil des Inſeldaches eine ſchmale Treppe abwärts. Ell blickte hinunter. „Es ſcheint niemand da zu ſein“, ſagte er.
Sie ſtiegen hinab und befanden ſich in einem Gemach, das einem der Gaſtzimmer auf der Inſel nachgebildet war. Keiner von ihnen hatte beachtet, daß über der Tür die Inſchrift ‚Vorſicht‘ ſtand und vor derſelben eine Anzahl Stöcke zum Gebrauch aufgeſtellt waren.
„Oh, hier iſt es angenehm“, rief Isma, indem ſie ſich auf einen der an der Wand ſtehenden Lehnſtühle ſetzte. „Hier wollen wir uns ein wenig ausruhen.“ Sie bemerkte, daß irgendeine Veränderung mit ihr vorging, die ihr wohltat, wußte jedoch nicht, was der Grund ſei.
Ell wollte ſeinen Seſſel in ihre Nähe heben, mußte aber dazu eine ungewohnte Kraft aufwenden. „Sind dieſe Seſſel ſchwer!“ ſagte er. Im ſelben Augenblick fiel ihm die Urſache ein.
„Hier herrſcht ja Erdſchwere“, rief er überraſcht. „Das iſt alſo auch eine Demonſtration, und darum iſt es ſo leer hier.“
„Das iſt herrlich!“ ſagte Isma vergnügt.
Ein Martier trat in die Tür, knickte zuſammen und zog ſich ſogleich zurück. Isma lachte laut. Sie ſprang auf, drehte ſich vor Vergnügen im Kreis und rief:
„Kommt nur herein, meine Herren Nume, hier iſt die Erde, hier zeigt, ob ihr tanzen könnt!“ Sie ſchlüpfte hierhin und dahin, rückte an den Stühlen und nahm ihren Hut ab. „Ich bin wie zu Hauſe!“ ſagte ſie. „Jetzt ſieht man erſt, daß die angebliche Leichtigkeit dieſer Federhaube eigentlich Schwindel iſt. Sehen Sie nur, wie eilig ſie es hat, hinabzufallen!“
Ell ſah ihr ſchweigend zu. Er ſchüttelte leicht den Kopf. „Ein Kind der Erde“, dachte er bei ſich. „Sie würde hier oben niemals heimiſch werden.“
Isma war vor eine Tür getreten. „Ob es dahinten auch noch ſchwer iſt?“ fragte ſie.
Ell zog den Vorhang zurück. Es zeigte ſich ein Balkon, von dem aus man ins Freie unter die Wipfel der Bäume blickte. Die Geſtalt eines Mannes lehnte am Geländer. Er drehte der Tür den Rücken zu und ſah, mit der Hand die Augen ſchützend, auf die Straße hinab.
Ell und Isma blickten ſich an. Dann lachte Isma auf.
„Da haben ſie ja den Saltner noch einmal hingeſtellt“, rief ſie. „Und wie natürlich! Man möchte meinen, er müßte ſich umdrehen und ‚Grüß Gott‘ ſagen.“
Die Geſtalt ſchnellte herum.
„Grüß Gott!“ rief Saltners Stimme. Er ſprang auf Ell und Isma zu und ſchüttelte ihnen die Hände.
„Das iſt geſcheit“, rief er, „daß man ſchon einmal Menſchen trifft. Das iſt eine Freud! Aber um alles in der Weit, wie kommen denn Sie alleweil hierher? Ich bin ja gerad auf dem Weg zu Ihnen. Haben’s denn meine Depeſche nicht erhalten?“
„Wir ſind ſeit heute früh von Hauſe fort.“
„Ja, da wird ſie halt dort liegen. Schauens, ich hab Ihnen heut früh telegraphiert, als wir von Frus Wohnort weggereiſt ſind, um Sie zu beſuchen. Unterwegs wollten ſie mir den Kram hier zeigen, aber wie ich hier in das ſchöne ſchwere Zimmer gekommen bin, hab ich geſagt, nun laſſens mich aus, jetzt bleib ich hier, bis Sie ſich alles angeſchaut haben, und dann holens mich wieder ab. Denn das hatt’ ich ſatt, daß mir die Herren Nume alle nachſchauten und die Kinder mir nachliefen und meine gute Joppe anfaßten.“
„Aber wie konnten Sie auch in Ihrem Reiſekoſtüm von der Erde ſich hier ſehen laſſen?“
„Wiſſen Sie, ich bin halt ein Menſch, und ſo bleib ich einer. Ich werd mich doch nicht in eine neue Haut ſtecken, wo ich nicht einmal eine richtige Weſtentaſch’ für meinen Zahnſtocher hab? Und ſo gut wie Ihnen, Gnädige, würd mir’s Marsröckel auch nicht ſtehn.“
Isma ſchüttelte ihm nochmals die Hand. „Sie ſind der alte geblieben, Herr Saltner! Nun ſetzen Sie ſich mit her, und laſſen Sie ſich erſt einmal ordentlich von mir ausfragen!“
Saltner ſchilderte in ſeiner anſchaulichen und draſtiſchen Weiſe auf Ismas Fragen die Einzelheiten der Expedition, über die Grunthe nur in ſeiner knappen Formulierung berichtet hatte, und ließ ſich von Isma die Ereigniſſe aus Deutſchland und ihre eigenen Erlebniſſe ſeit der Ankunft Grunthes in Friedau erzählen. Über die Reiſe Ills nach dem Pol, den Kampf der Schiffe und die Fahrt nach dem Mars hatte er bis jetzt nur die Darſtellungen kennengelernt, welche die kurzen Depeſchen gaben, und die Gerüchte und Betrachtungen, welche die Zeitungen daran knüpften. Letztere gründeten ſich auf die mündlichen Mitteilungen der von der Erde zurückgekehrten Martier. Der offizielle Bericht ſollte erſt erſcheinen, nachdem er vom Zentralrat dem Hauſe der Deputierten vorgelegt worden. Dies mußte inzwiſchen geſchehen ſein, denn heute ſollte die betreffende Sitzung ſtattfinden. Es war zu vermuten, daß die Beratungen darüber ſich noch einige Tage hinziehen würden. Dann erſt, nach Anhörung der Deputiertenverſammlung, konnte der Zentralrat einen definitiven Beſchluß faſſen über die der Erde gegenüber zu treffenden Maßnahmen. Da hierbei alle auf der Erde tätig geweſenen höheren Beamten als Sachverſtändige eventuell gebraucht wurden, mußte Fru ſeinen Urlaub, auf den er ſonſt nach der Rückkehr von der Erde Anſpruch hatte, unterbrechen, um ſich in Kla aufzuhalten. Saltner, der als Gaſt der Marsſtaaten ſelbſt die Rechte eines Numen erhalten hatte, war auf ſeinen eigenen Wunſch unter die ſpezielle Fürſorge Frus geſtellt worden und wollte nun auch in Kla in ſeiner Obhut bleiben. Der weiten Entfernung wegen, welche den gewöhnlichen Wohnort Frus von Kla trennte, mußte der Transport der Wohnungen ſchon am Tag beginnen, und Fru war mit Frau und Tochter und ſeinem Gaſt Saltner vorangereiſt. Sie wollten ſich das Erdmuſeum anſehen, und hier hatte Saltner ſeine Freunde von der Erde getroffen.
Ill, von den Verhandlungen im Zentralrat völlig in Anſpruch genommen, hatte ſich zu Hauſe über die zu erwartenden Maßnahmen nicht geäußert und auch aus Schonung für Isma von den letzten Ereigniſſen nicht geſprochen. Ell war ganz in der Begeiſterung für die wiedergefundene Heimat des Vaters aufgegangen. So erfuhr er ſowohl wie Isma zuerſt von Saltner, daß, wenigſtens in den ſüdlichen Teilen des Mars, aus denen Saltner kam und wo auch die Mehrzahl der auf der Erde geweſenen Martier herſtammte, die anfängliche Begeiſterung für die Erdbewohner ſich ſtark abzukühlen begonnen hatte.
Der Umſchwung war durch das Verhalten der Engländer gegen das Luftſchiff herbeigeführt worden, und ſobald die Zeitungen Berichte über die Behandlung gebracht hatten, die den beiden gefangenen Martiern zuteil geworden war, begann in einigen Staaten, deren Bewohner ſich durch lebhaftes Temperament auszeichneten, eine gereizte Stimmung Platz zu greifen. Man verlangte ein entſchiedenes Vorgehen gegen das Barbarentum der Erdbewohner, und nur der Hinweis der ruhigeren Elemente darauf, daß man keinerlei Urteile abzugeben berechtigt ſei, bevor nicht der amtliche Bericht vorliege, hielt die menſchenfeindliche Bewegung in mäßigen Grenzen. Fru beſorgte jedoch, wie Saltner mitteilte, daß die öffentliche Meinung nach dem Bekanntwerden des Berichts ſtark genug ſein würde, um auf die Entſchließungen des Zentralrats einen dem guten Verhältnis zur Erde ungünſtigen Einfluß auszuüben.
Isma fühlte ſich beängſtigt. Sie fürchtete, wenn es zu Feindſeligkeiten der Martier gegen die Erde käme, daß ſich ihrer Rückkehr Schwierigkeiten in den Weg legen könnten, daß vielleicht die erneute Aufſuchung Torms im Frühjahr durch Maßregeln vereitelt werden würde, die den Martiern wichtiger erſchienen. Ell ſuchte ſie zu beruhigen. Er ſah die Sachlage in viel günſtigerem Licht. Ill werde ſeinen Bericht jedenfalls ſo mild wie möglich geſtalten. Aus der ungerechtfertigten Handlungsweiſe eines einzelnen Kapitäns könne man unmöglich ein Zerwürfnis zwiſchen den Planeten herleiten. Momentane Stimmungen des Publikums hätten auf dem Mars niemals einen dauernden politiſchen Einfluß, da ein jeder der Belehrung des Beſſeren zugänglich ſei.
„Aber wer weiß“, ſagte Isma, „wie man auf der Erde denken mag!“
„Wir hätten uns nicht der Gefahr ausſetzen ſollen, ſie verlaſſen zu müſſen“, ſagte Ell etwas verſtimmt.
Isma wandte ſich ſchmerzlich berührt ab, und Ell fuhr ſogleich fort:
„Aber an dem feindlichen Zuſammenſtoß der Schiffe hätten wir ja doch nichts geändert, auch wenn wir zu Hauſe geblieben wären. Ich wollte Ihnen keinen Vorwurf machen, Frau Torm, ich meine nur, wir dürfen uns jetzt keinen trübſinnigen Grübeleien hingeben. Da wir nun einmal hier ſind —“
„Da laſſen wir ruhig die Nume weiterſorgen, das will ich auch meinen“, ſagte Saltner. „Es ſind wirklich ganz prächtige Leute dabei, und wir Menſchen müſſen halt ein biſſel zuſammenhalten. Hier unſer Doktor Ell, der wird ſich ja wohl auch noch zu uns rechnen. Oder —“
„Wo bleiben Sie, Sal?“ fragte eine tiefe Frauenſtimme zur Tür herein. „Kommen Sie gefälligſt heraus, wir haben auf der Erde Schwere genug genoſſen. Es iſt übrigens irgend etwas Beſonderes zu ſehen, wo wir hingehen müſſen.“
„Das iſt La“, rief Saltner, eilig aufſpringend. „Oh, kommen Sie mit, ich mache Sie gleich alle bekannt.“ Und ſich zu den Angekommenen wendend, rief er: „Da bringe ich Ihnen neue Menſchen! Nun bin ich doch nicht mehr das einzige Wundertier.“
Fru und die Seinigen begrüßten Ell und Isma ſehr freundlich. Isma fühlte ſich trotzdem etwas verlegen; bei aller taktvollen Zurückhaltung der Martier wußte ſie doch, daß ſie von ihnen, die zum erſten Mal ein weibliches Weſen von der Erde ſahen, einer lebhaften Prüfung unterworfen wurde. Aber Las Herzlichkeit half ihr ſogleich über dieſen Zuſtand fort. Sie gab Isma nach Menſchenart die Hand und redete ſie deutſch an.
„Ich weiß“, ſagte ſie, „welch bedauerliche Zufälle Sie zu uns führten, uns aber müſſen wir es zum Glück anrechnen, eine Schweſter von der Erde in Ihnen begrüßen zu dürfen. Unſer Freund Saltner hat ſchon viel von Ihnen erzählt. Und Sie ſind es ja geweſen, der die Martier die erſte Gabe europäiſcher Arbeit verdanken — den Flaſchenkorb nämlich, den Grunthe den unſrigen beinahe auf den Kopf geworfen hat. Ohne den Flaſchenkorb hätten wir —“, ſie wandte ſich zu Ell, „Ihren prächtigen Leitfaden nicht gefunden, und ich könnte wahrſcheinlich jetzt nicht in Ihrer Sprache mit Ihnen reden.“
Sie zog dabei die Reproduktion des Büchleins aus ihrem Reiſetäſchchen und zeigte ſie Ell, mit dem ſie jetzt martiſch weiterſprach.
Sie fragte ihn, welchen Eindruck das Denkmal auf ihn gemacht habe, das die Marsſtaaten ſeinem Vater in der Ruhmesgalerie der Raumſchiffer errichtet hatten. Aber dorthin war Ell noch gar nicht gekommen. Er wollte ſogleich dieſen Beſuch nachholen, die andern aber wünſchten einer ſoeben neu eröffneten Schauſtellung beizuwohnen, nach der dichte Scharen von Beſuchern hinſtrömten. Die Richtungsweiſer, denen ſie folgten, beſagten nur ‚Neues von der Erde‘, ohne nähere Angabe. Auch Isma war daher ſehr geſpannt, dieſes Neue kennenzulernen, Ell ließ ſich jedoch von ſeinem Vorhaben nicht abhalten. Er trennte ſich am Eingang der Galerie von den übrigen, und man verabredete nur, ſich in einer halben Stunde in der Leſehalle des Muſeums zu treffen.
Die Beſucher drängten nach dem Theater des Muſeums, worin von Zeit zu Zeit Vorträge über die Erde oder die Raumſchiffahrt gehalten wurden. Dieſe wurden durch bewegliche Lichtbilder illuſtriert, die mit aller Kraft martiſcher Malerei und Technik ſo plaſtiſch wirkten, daß ſie vollkommen den Eindruck der Wirklichkeit hervorriefen. Als Frus mit ihrer Begleitung ankamen, war das Theater, obwohl es Raum für zwanzigtauſend Perſonen bot, ſchon überfüllt. Da jedoch Fru bei der Einrichtung des Erdmuſeums tätigen Anteil genommen hatte, wußte er ſeine Geſellſchaft einen von den weniger ortsbekannten Beſuchern meiſt überſehenen Gang zu führen, der auf eine Reihe noch freier Plätze auslief. Sie befanden ſich in ziemlich verſteckter Lage zwiſchen den architektoniſchen Verzierungen über einem der Eingänge. Sehr bald ertönte ein Signal, das den Beginn der Vorſtellung bezeichnete, und die Rieſenhalle verdunkelte ſich. Auf der Bühne, das heißt auf einer Kreisfläche von etwa dreißig Metern Durchmeſſer zeigte ſich eine vorzüglich dargeſtellte Gegend aus dem Polargebiet der Erde, ein Teil des Kennedy-Kanals, mit felſigen Ufern und Gletſcherabſtürzen, wie er aus der Vogelperſpektive des Luftboots in einigen hundert Meter Höhe erſchien. Die Polardämmerung lag über der Landſchaft, die von einem ſtrahlenden Nordlicht erhellt wurde. Nun erfolgten die Lichteffekte des Sonnenaufgangs, und es erſchien das kleine Luftboot der Martier. Im Vordergrund erkannte man den Cairn, an welchem die Engländer bauten, man ſah, wie ſie denſelben verließen, in den Abgrund ſtürzten, von den Martiern herausgeholt und am Fuße des Steinmannes niedergelegt wurden. Die ganze Szene, von den Zuſchauern mit lebhaftem Beifall begleitet, wurde durch die künſtlich verſtärkte Stimme eines gewandten Redners erklärt.
Es erſchienen nun, vom Standpunkt der am Cairn befindlichen Martier aus nicht ſichtbar, die engliſchen Seeſoldaten; fratzenhafte Geſtalten, wahre Teufel, in unmöglicher Kleidung, führten ſie, ihre Gewehre ſchwingend, einen wilden Kriegstanz auf, der durchaus der Phantaſie des martiſchen Wirklichkeitsdichters entſtammte. Isma und Saltner war es peinlich, den Eindruck zu beobachten, den dieſe Szene auf das Publikum ausübte. Es nahm ſie in vollem Glauben auf und wollte ſich über die abenteuerlichen Wilden totlachen.
Saltner ſchüttelte den Kopf. „Ich bin kein Freund der Englishmen“, ſagte er, „aber ſo ſehen ſie doch nicht aus, und ſo benehmen ſie ſich auch nicht. Man bringt ja den Martiern ganz falſche Begriffe von den Menſchen bei.“
„Unſeren gefangenen Landsleuten, denen ſo übel mitgeſpielt wurde, ſind ſie jedenfalls ſo erſchienen“, ſagte La. „Sie haben ihre Schilderungen offenbar unter dem Eindruck der erlittenen Mißhandlungen gemacht.“
„Ich bedauere trotzdem“, bemerkte Fru unwillig, „daß man hier dieſe Aufführung veranſtaltet, es iſt unſrer nicht würdig. Aber ſeit jenem Zwiſchenfall iſt leider von einem Teil der Preſſe die Anſicht verbreitet worden, daß die Menſchen nicht als vernünftige Weſen zu betrachten und als gleichberechtigt zu behandeln ſeien. Das iſt nicht gut.“
Die Szene änderte jetzt ihren Charakter aus dem Komiſchen in das Schauerliche. Die Engländer ſtürzten unter wildem Geheul, das akuſtiſch wiedergegeben wurde, auf die beiden Martier zu und überfielen ſie. Die Martier ſcheuchten ſie majeſtätiſch zurück, und es entwickelte ſich zunächſt eine Art Diskuſſion, die durch das menſchliche Kauderwelſch, welches Engliſch vorſtellen ſollte, einen Augenblick ins Komiſche umzuſchlagen ſchien, aber ſofort die Entrüſtung der Zuſchauer wachrief, als eine neue Schar von Wilden den Martiern in den Rücken fiel und ſie hinterrücks niederriß. Dann wurden den unglücklichen Opfern die Arme zuſammengeſchnürt und ſie an langen Stricken fortgeſchleppt.
Bei dieſem Anblick brach im Theater ein unheimlicher Lärm aus. Wie ein Wutſchrei ging es durch die Maſſe der Zuſchauer. Die Feſſelung, die Beraubung der perſönlichen Bewegungsfreiheit, war die größte Schmach, die einem Numen angetan werden konnte. Die Geſamtheit der Martier fühlte ſich dadurch beleidigt. Und ſeltſam, während man die Menſchen eben als unvernünftige Weſen belacht hatte, betrachtete man ſie doch jetzt als verantwortlich für ihre Handlungen. Die Darſtellung hatte offenbar die Tendenz, die Menſchen als böſe zu zeigen, indem das Folgende ihre Intelligenz zu verdeutlichen beſtimmt war. Das engliſche Kriegsſchiff dampfte herbei. Es ſchien ganz im Vordergrund zu liegen, und in einem kaum verfolgbaren Wechſel des Bildes befand man ſich plötzlich an Bord desſelben. Die vorzügliche Einrichtung, die muſterhafte Ordnung, die Waffen und Maſchinen bewieſen die hohe techniſche Kultur der Menſchen; dagegen ſtach die rohe Behandlung der Gefangenen häßlich ab und empörte die Zuſchauer nur um ſo heftiger. Mit Jubel wurde daher das Erſcheinen des großen Luftſchiffes begrüßt und der Kampf zwiſchen den Martiern und Menſchen mit Enthuſiasmus verfolgt. Die erhabene Friedensliebe der Nume ſchien verſchwunden, in dieſer gereizten Verſammlung wenigſtens kam ſie nicht zum Ausdruck. Und als in einem äſthetiſch wunderbar gelungenen Schlußtableau auf der Eisſcholle am Felſenufer Ill ſelbſt erſchien und den Gefangenen die Feſſeln löſte, artete die Vorſtellung zu einer eindrucksvollen patriotiſchen Kundgebung aus. Die Rufe „Sila Nu“ und „Sila Ill“ brauſten durch das Haus.
Isma lehnte ſich ängſtlich zurück. Sie fürchtete jeden Augenblick, ſich ſelbſt oder wenigſtens Ell auf der Bühne erſcheinen zu ſehen; aber mit dieſen den Martiern befreundeten Menſchen wußte die tendenziöſe Dichtung nichts anzufangen, ſie waren einfach fortgelaſſen. Saltner war wütend. „So was dürfte die Polizei gar nicht erlauben“, ſagte er, „bei uns würde man das gleich verboten haben.“
„Was wollen Sie“, ſagte La, „dies iſt eine Privatveranſtaltung. Sie können das Theater mieten und morgen eine Verherrlichung der Erde aufführen.“
Sie ſah ihn lächelnd an, und er ſchwieg.
„Es muß auch etwas geſchehen“, ſagte Fru, „um der Verbreitung dieſer Menſchenhetze entgegenzuwirken. Laſſen Sie uns gehen.“