Über dem Südpol des Mars, um den Halbmeſſer des Planeten von ſeiner Oberfläche entfernt, alſo in einer Höhe von 3.390 Kilometern, ſchwebt die ausgedehnte Außenſtation für die Raumſchiffahrt.
Ungleich gewaltiger iſt die Anlage als die am Nordpol der Erde, denn über ſiebzig Raumſchiffe vermögen gleichzeitig hier Platz zu finden. Das abariſche Feld, das die Außenſtation in der Richtung der Achſe mit dem Pol des Planeten verbindet, befördert ſtündlich einen geräumigen Flugwagen.
Heute waren die aufſteigenden Wagen bis auf den letzten Platz beſetzt. Nicht nur die Bevölkerung der nächſten Umgebung drängte ſich zu den Flugwagen, ſelbſt aus den entlegeneren Gegenden waren Neugierige auf den ſchnellen Bahnwagen herbeigeeilt, um der Rückkehr des Regierungsſchiffes von der Erde beizuwohnen. Denn heute wurde der ‚Glo‘ erwartet. Die Lichtdepeſche hatte gemeldet, daß der Repräſentant Ill auf der Erde den Sohn ſeines verunglückten Bruders, des verſchollenen Raumfahrers All, aufgefunden habe und zurückbringe. Man durfte auf merkwürdige Neuigkeiten von der Erde rechnen. Auch das Raumſchiff ‚Meteor‘, Kapitän Oß, welches bereits vor dem ‚Glo‘ die Erde verlaſſen hatte, wurde erwartet. Es ſollte den erſten Menſchen von der Erde auf den Mars bringen. Man erzählte die wunderbarſten Geſchichten von ſeiner furchtbaren Stärke. Zehn Nume ſeien notwendig, um ihn in Schranken zu halten.
„Iſt es denn wahr“, fragte eine beſorgte Mutter, ihr Töchterchen ängſtlich an ſich ziehend, „daß die Menſchen kleine Kinder freſſen?“
Ihre Nachbarin im Flugwagen antwortete: „Ich weiß es nicht im allgemeinen, aber der, den wir jetzt erwarten, frißt keine Kinder. Ich weiß es ganz genau, denn ich erwarte meine Schweſter Se, die ihn kennt; wir haben mit dem ‚Kometen‘, Kapitän Jo, Briefe von ihr bekommen, und ſie ſchreibt, daß er ein ganz netter, beinahe ziviliſierter Mann ſei. Sie ſehen, ich habe ja auch meinen kleinen Waſt und ſogar meine Ern mitgebracht. Haltet euch feſt, Kinder, wir ſind gleich da!“
Die weiten Galerien des Ringes der Außenſtation waren ſeit Stunden dicht mit Zuſchauern beſetzt, die ſich vor den Projektionsfernrohren drängten und bald die Ausſicht auf den Mars bewunderten, bald den geſtirnten Himmel durchmuſterten. Mit beſonderer Vorliebe wurde die Erde aufgeſucht, doch da ſie faſt in derſelben Richtung wie die Sonne ſtand, konnte ſie nicht gut beobachtet werden.
Der ‚Glo‘ war bereits nahe herangekommen, ſein roter Glanz ließ ihn im Fernrohr nicht verkennen. Man konnte die Landung in zwei bis drei Stunden erwarten. Aber auch der ‚Meteor‘ war ſchon ſignaliſiert. In acht bis zehn Stunden mochte er eintreffen.
Die Reiſe des ‚Glo‘ war ſo beſchleunigt worden, wie man es nie bei einem Raumſchiff gewagt hatte. Die allgemeine Aufregung, die in allen Marsſtaaten aufgrund der neuen Depeſchen von der Erde entſtanden war, machte wichtige politiſche Erwägungen und die Anweſenheit Ills im Zentralrat notwendig. Ill hatte außerdem das perſönliche Intereſſe, Isma, der er ſehr zugetan war, die Beſchwerden der Reiſe möglichſt abzukürzen. So war, durch die Stellung der Planeten begünſtigt, das Außerordentliche gelungen; die Reiſe von der Erde zum Mars, alſo der Sonnenanziehung entgegen, war in acht Tagen zurückgelegt worden. Man hatte den ‚Meteor‘, welcher ſieben Tage früher von der Erde abgegangen war, überholt. Freilich durfte er ſich nicht die Repulſitverſchwendung geſtatten wie das im Auftrag des Zentralrats fliegende Eilraumſchiff.
Mit rührender Sorgfalt hatte Ill, den Ratſchlägen Ells folgend, Isma den Aufenthalt im Raumſchiff behaglich zu machen geſucht. Die Raumkrankheit, eine Folge der zeitweiligen Aufhebung der Gravitation, pflegte ſelbſt erprobten Raumſchiffern nicht ganz fernzubleiben. Auch Isma hatte unter ihr zu leiden. Aber die Beſchwerden, die ihr durch die geringe Schwere innerhalb des Raumſchiffes drohten, waren ihr durch eine ſinnreiche Konſtruktion ihres Schlafraumes ſehr erleichtert worden. Derſelbe ſtellte zwar nicht viel mehr als einen durch geeignete Ventile ausreichend gelüfteten Kaſten vor, aber es war darin künſtlich Schwere und Luftdruck der Erde erzeugt. Und ſo konnte Isma nicht nur während des Schlafes ganz nach ihrer Gewohnheit ruhen, ſondern auch im Laufe des Tages ſich von Zeit zu Zeit zur Erholung dahin zurückziehen. Sie fühlte ſich daher vollkommen wohl, als der ‚Glo‘ ſich bereits dem Mars näherte.
Wie oft auch ihre Gedanken ſehnſüchtig nach der Erde zurückeilten und ſich um das Schickſal ihres Mannes mit Bangen bewegten, ſo war doch die Fülle der neuen Eindrücke gewaltig genug, um ſie aufs lebhafteſte zu beſchäftigen und zu zerſtreuen. Die Notwendigkeit, nun ein halbes Erdenjahr auf dem Mars zuzubringen, ließ ſie die Muße der Reiſe benutzen, mit Ells Hilfe in die Sprache der Martier einzudringen, während ſich Ill gleichzeitig das Deutſche aneignete. Auch an weiblicher Geſellſchaft während der Überfahrt fehlte es Isma nicht, da gegen zehn Frauen verſchiedenen Lebensalters mit dem ‚Glo‘ von der Erde zurückkehrten.
Längſt war die ſchmale Sichel der Erde als ein lichter Stern unter die übrigen zurückgeſunken, und die Verkleinerung des Sonnenballs infolge der größeren Entfernung von ihm ließ ſich, wenn man die Strahlung durch ein dunkles Glas abblendete, ſichtlich bemerken. Immer mächtiger trat das Ziel der Reiſe, der Mars, als hell leuchtende Scheibe hervor. Jetzt hatte man ſich über die Marsbahn erhoben, um, in unmittelbarer Nähe des Planeten, ſich in der Richtung der Achſe auf ſeinen Südpol hinabſinken zu laſſen. Nur noch etwa 13.000 Kilometer trennten das Raumſchiff von der Außenſtation. Aber um dieſe Strecke zu durchfliegen, die man bei der vollen Fahrtgeſchwindigkeit fern vom Planeten in zwei bis drei Minuten zurücklegte, bedurfte man jetzt ebenſo vieler Stunden. Es galt, die Geſchwindigkeit zuletzt durch Repulſitſchüſſe ſo zu vermindern, daß man gerade auf dem Ring der Außenſtation zur Ruhe kam. Die Schwierigkeit der Landung erforderte die volle Aufmerkſamkeit des Kapitäns Fei.
Als bevorzugte Gäſte des Zentralrats konnten ſich Isma und Ell bei Ill auf einer kleinen reſervierten Tribüne dicht neben der Kommandobrücke aufhalten. Isma mit bangem Herzen, Ell in freudiger Aufregung, die nur durch die Teilnahme am Geſchick der Freundin gedämpft war, hefteten ihre Blicke erwartungsvoll auf die neue Welt, die ſich zu ihren Füßen auftat.
Es war Sommer am Südpol des Mars, und ſo zeigten ſich, hier von der Achſe aus geſehen, etwa zwei Drittel von der Scheibe des Planeten beleuchtet, während ein Drittel in tiefem Dunkel lag. Auf dem erhellten Teil vermochte man jetzt die Südhalbkugel bis gegen den zehnten Grad ſüdlicher Marsbreite zu überblicken. Dieſer Horizont verengte ſich mehr und mehr beim Herabſinken des Raumſchiffes, während infolge der größeren Annäherung das Bild des Planeten an Ausdehnung zunahm und die Einzelheiten immer deutlicher hervortraten. Infolge der dünnen, durchſichtigen, wolkenloſen Atmoſphäre lag die Geſtaltung der Oberfläche bis an den Rand der ſichtbaren Fläche klar vor Augen. in der Nähe des Poles und nach der Schattengrenze hin dehnten ſich weite Gebiete von grauer, ins Blaugrüne ſpielender Färbung, das Mare auſtrale der Aſtronomen der Erde. Der Pol ſelbſt war eisfrei, aber weſtlich von ihm lagen zwiſchen den dunklen Landesteilen noch langgeſtreckte Schneeflächen bis zum 80. Breitengrad hinab. Zwei ausgedehnte große Flecken, die weiter nördlich zwiſchen dem 60. und 70. Breitengrad hellrot im Sonnenſchein glänzten, bezeichnete Ill als die Wüſten Gol und Sek; ſie werden auf der Erde die beiden Inſeln Thyle genannt. Im übrigen Teil der ſichtbaren Scheibe herrſchte dieſe hellrote Farbe vor, doch an mehreren Stellen von breiten und ausgedehnten grauen Gebieten unterbrochen. Alle dieſe dunkeln Stellen waren untereinander durch dunkle Streifen verbunden, die ſich geradlinig durch die hellen Gebiete hindurchzogen. Die hellen Teile ſind teils ſandige, teils felſige Hochplateaus, trockene und faſt vegetationsloſe Gegenden, in denen ſich nur ſpärliche Anſiedlungen zur Gewinnung der Mineralſchätze des Bodens befinden. Dicht bevölkert dagegen ſind die dunklen Teile, deren Erdreich von Feuchtigkeit durchdrungen und mit einem üppigen Pflanzenwuchs bedeckt iſt.
Ein ſeltſames Farbenſpiel entwickelte ſich an der Schattengrenze, an welcher die Sonne für die Marsbewohner im Aufgehen und die Nacht zu entſchwinden im Begriff war. Während der Nacht bedeckte ſich die Oberfläche des Planeten infolge der ſtarken Abkühlung weithin mit einer Nebelſchicht. Wo dieſe dichter war, dauerte es einige Zeit, ehe ſie von den Strahlen der Sonne aufgeſogen wurde, und hier erſchienen glänzende Lichter durch den Reflex der Strahlen auf den Nebeln. Einzelne der Hochplateaus erhoben ſich ſo weit, daß ſie mit Schnee oder Reif bedeckt waren, der aber bald in den Strahlen der Sonne verſchwand.
Ill wies nach einer Stelle nahe am nördlichen Rand des Vegetationsgebiets, ſchon an der Grenze des Horizonts, wo der graue Grund eine Mannigfaltigkeit von teils helleren, teils dunkleren Konturen aufwies und wohin durch die benachbarten roten Wüſten eine beſonders große Anzahl dunkler Streifen zuſammenliefen.
„Dort liegt Kla“, ſagte er, „der Sitz des Zentralrats, und dort werden wir zunächſt wohnen. Nur wenn der Sommer noch weiter fortgeſchritten iſt, rücken wir weiter nach dem Südpol vor.“
„Es wird mir leicht werden“, bemerkte Isma mit einem wehmütigen Lächeln, „denn ich werde nicht viel Gepäck haben.“
„Daran wird es Ihnen nicht fehlen, ich werde es mir nicht nehmen laſſen, Ihnen eine vollſtändig eingerichtete Wohnung zur Verfügung zu ſtellen. Sie werden ſich dann wohl bequemen, unſere Tracht anzunehmen, denn es wird Ihnen nicht angenehm ſein, aufzufallen. Übrigens müſſen Sie wiſſen, daß ein Umzug von einem Ort zum andern kein Einpacken und Umräumen erfordert. Wir ziehen mit unſerm ganzen Haus. Sie beſtellen nur beim nächſten Transportbüro, wann und wohin Sie befördert ſein wollen, legen ſich ruhig ſchlafen und ſind am andern Morgen an Ort und Stelle.“
„Es wird nämlich meiſtens in der Nacht gezogen“, erklärte Ell weiter. „Die Häuſer ſtehen auf Rollſchlitten und werden auf unſern Gleitbahnen befördert. Größere Laſten laſſen ſich vorteilhafter in der Nacht fortbringen, am Tag würden wir bei der herrſchenden Trockenheit ſtärkeren Waſſerverbrauch haben.“
„Hat denn jede Familie ihr eigenes Haus?“
„In den wohlhabenden Staaten gewiß, und wo man es ſich geſtatten kann, ſogar jede einzelne Perſon. Die Häuſer ſind nicht ſehr groß, es werden aber diejenigen einer Familie zu einer zuſammenhängenden Gruppe verbunden. Sie werden es bald ſehen, denn wir nähern uns dem Ziel. Blicken Sie gerade unter uns. Der glänzende Punkt — es iſt ſchon eine kleine Scheibe — iſt der Ring der Außenſtation. Von dort bringt uns der Fallwagen nach Polſtadt, wo wir zunächſt übernachten.“
„Das Letztere“, bemerkte Ill, „iſt noch nicht gewiß. Vielleicht müſſen wir unſre Reiſe ſogleich fortſetzen. Doch gehen unſre Wagen ſo ruhig und ſind ſo bequem eingerichtet, daß Sie keinerlei Anſtrengung zu fürchten haben.“
An der unteren Wölbung des Raumſchiffs flammte das Zeichen der Marsſtaaten auf. Der ‚Glo‘ hatte ſich bis dicht über die Station geſenkt, deren Raumſchiffe wie eine Stadt aus rieſigen Kuppeldomen im Sonnenſchein ſtrahlten. Alle dieſe Schiffe ließen jetzt ihre Symbole und Flaggenzeichen an ihren Wölbungen zur Begrüßung aufleuchten. Faſt unmerklich langſam glitt das Schiff auf ſeinen Platz nieder. Kein Laut unterbrach die Stille, durch die Leere des Weltraums pflanzte ſich kein Schall fort. Aber hinter den durchſichtigen Wänden der Galerien ſah man eine gedrängte Menge, die dem nahenden Schiff mit Schleiern ihr Willkommen zuwinkte.
Der aufnehmende Zylinder ſenkte ſich in die Empfangshalle, der ‚Glo‘ ruhte an ſeinem Ziel; der Stationsbeamte betrat durch die Eingangsluke das Schiff. Ill mit ſeinen Gäſten zog ſich zunächſt in das Innere des Schiffes zurück. Nach Erfüllung der erforderlichen Förmlichkeiten wurde das Verlaſſen des Schiffes geſtattet. Zunächſt ſtrömten die von der Erde abgelöſten Martier heraus und wurden von ihren Verwandten und Freunden jubelnd bewillkommnet. Erſt nachdem dieſes rege Gewühl ſich einigermaßen gelegt hatte, nahte ſich eine Deputation von Mitgliedern des Zentralrats und andern offiziellen Perſönlichkeiten und betrat das Innere des Raumſchiffs. Hier erfolgte die Begrüßung und formelle Vorſtellung von Ell und Isma, indem Ill in Kürze die notwendigſten Erklärungen gab. Ein erſter telephotiſcher Bericht war bereits von der Erde aus vorangegangen.
Obgleich dieſer Empfang im Innern des Schiffes ziemlich lange währte, hatten die Zuſchauer es ſich doch nicht nehmen laſſen, in der Empfangshalle zu warten. Abſperrungen gab es nicht. Es verſtand ſich von ſelbſt, daß die Martier den Ausgang des Schiffes und den Weg nach der Abfahrtshalle des Fallwagens im abariſchen Feld freiließen.
Endlich erſchien die Empfangsdeputation wieder und ſchritt den Weg nach dem Fallwagen voran. Hinter ihr kam Ill, der Isma führte, während Ell an ſeiner linken Seite ging.
Isma hatte den Schleier dicht vor ihr Geſicht gezogen, ſie wagte nicht, ſich umzuſchauen. Ill und Ell dankten nach martiſcher Sitte für die Willkommrufe, die ihnen entgegenſchallten. Erſt als Isma bereits auf der Treppe des Fallwagens ſtand, ſchob ſie ihren Schleier zurück und warf einen Blick auf das bunte Bild der bewegten Menge. Ein enthuſiaſtiſcher junger Mann, der ſich bis dicht an die Treppe gedrängt hatte, warf ihr einen Gegenſtand zu, den ſie nicht kannte; doch ahnte ſie wohl, daß dies eine Huldigung ſein ſollte. Es war allerdings nicht, wie ſie vermutete, ein Blumenſtrauß, ſondern ein buntes Spielzeug, wie man ſie kleinen Kindern ſchenkte. Hier auf der Außenſtation, um den Marsdurchmeſſer vom Mittelpunkt des Planeten entfernt, herrſchte nur der vierte Teil der Marsſchwere, alſo nur ein Zwölftel der Erdſchwere. Der Gegenſtand, etwas höher als Ismas Kopf geworfen, ſchwebte daher ſo langſam herab, daß ſie ihn bequem mit der Hand ergreifen konnte. Sie tat es und verneigte ſich in ihrer natürlichen Anmut gegen die Anweſenden, für welche die Fremdartigkeit ihres Grußes einen beſondern Reiz hatte.
„Sila Ba!“ — „Es lebe die Erde!“ rief der Jüngling, und die Verſammlung ſtimmte in den Ruf ein. „Sila Ill, Sila Ell, Sila Ba!“
In der Tür des Wagens wandte ſich Isma nochmals zurück. Sie faßte Mut und rief: „Sila Nu!“ Sie erſchrak über ihre eigene Stimme. Denn ſelbſt die Hochrufe der Martier klangen tief und halblaut, ſie aber hatte ihre helle Menſchenſtimme nicht gedämpft, und ſo hob ſich ihr Gruß deutlich in dem allgemeinen Geräuſch ab. Die Martier waren entzückt.
Der Verkehr auf weite Strecken und mit großer Geſchwindigkeit wurde auf dem Mars durch zwei Arten von Bahnen vermittelt, Gleitbahnen und Radbahnen. Die Kraftquelle war die Sonnenſtrahlung ſelbſt; ſie wurde auf den glühenden, trockenen Hochplateaus in ausgedehnten Strahlungsflächen geſammelt und den Motoren in Form von Elektrizität zugeleitet. Bei den Gleitbahnen befand ſich zwiſchen der Schienenbahn und der Laſt, die auf Schlittenkufen mit eingelaſſenen Kugeln ruhte, eine dünne Waſſerſchicht, wodurch die Reibung ſo vermindert wurde, daß man rieſige Maſſen mit großer Geſchwindigkeit transportieren konnte. Noch viel raſcher indeſſen fand der Perſonenverkehr auf den Radbahnen ſtatt. Die zwiſchen drei Schienen laufenden Einzelwagen legten in der Stunde 400 Kilometer zurück. Der Verkehr durch Luftſchiffe hatte ſich bis jetzt nicht als vorteilhaft bewährt, doch beabſichtigte man nunmehr nach den neuen Entdeckungen, zu denen die Fahrten nach der Erde geführt hatten, den Bau neuer Luftſchiffe mit Repulſitmotoren in Angriff zu nehmen. Ill hatte beim Empfang erfahren, daß er die Reiſe ſogleich fortſetzen ſolle. Er beſtieg daher mit ſeinen Gäſten den von der Regierung geſtellten Zug, um ohne Aufenthalt nach Kla zu gelangen. Trotzdem war hierzu eine zwölfſtündige Fahrt erforderlich.
Jene Bahnen wurden aber nur dann benutzt, wenn es ſich darum handelte, große Strecken in kürzeſter Zeit zurückzulegen. Das Hauptverkehrsmittel war ſtets der Radſchlitten, ein leichter, teils auf Kufen, teils auf Rädern ruhender Wagen für ein oder zwei Perſonen, den ein unter dem Sitz befindlicher kleiner Motor bewegte. Ferner kamen dazu die Stufenbahnen, die in regelmäßigen Abſtänden von etwa zehn Kilometern alle bewohnten Gegenden mit ihrem dichten Netz überſpannten. Dieſe Stufenbahn war das Ideal einer Straße, in ihr war jene Phantaſie des Märchendichters realiſiert, daß ſtatt des Reiſenden die Wege ſelbſt ſich bewegten. Die Breite der eigentlichen Fahrſtraße betrug etwa 30 Meter, und ebenſo breit waren die parallellaufenden Zugangsſtraßen. Dieſe beſtanden aus zwanzig eng nebeneinander befindlichen Streifen von anderthalb Meter Breite, von denen der äußere ſich mit einer Geſchwindigkeit von drei Metern in der Sekunde fortſchob. Jeder folgende, nach innen zu, hatte eine um drei Meter größere Geſchwindigkeit, ſo daß die Bahn in der Mitte, die eigentliche Fahrſtraße, ſich mit einer Geſchwindigkeit von 60 Metern in der Sekunde bewegte. Jeder Punkt derſelben legte alſo in der Stunde über 200 Kilometer zurück. Die Streifen ſelbſt erhielten ihre Bewegung durch Walzen, über welche ſie in der Art von Transmiſſionſriemen gezogen waren. Man konnte die Stufenbahn ſowohl zu Fuß als auf dem eigenen Radſchlitten benutzen. An jeder Stelle konnte ſie betreten und verlaſſen werden. Die Geſchwindigkeit des erſten Streifens von drei Metern konnte man auf dem Mars, wo wegen der geringeren Schwere das Springen eine jedermann geläufige Sache war, leicht erreichen, noch bequemer mit Hilfe des Radſchlittens. Man ſprang oder fuhr alſo einfach auf dieſen Streifen, und da jeder folgende Streifen zum vorhergehenden dieſelbe relative Geſchwindigkeit beſaß, ſo gewann man, von Streifen zu Streifen ſchräg vorwärts gehend oder fahrend, die Geſchwindigkeit der Hauptſtraße. Dieſe benutzte man, ebenfalls fahrend oder gehend, ſoweit man wollte, um alsdann in derſelben Weiſe ſie wieder zu verlaſſen. Die linke Seite war zum Aufſtieg, die rechte zum Abſtieg beſtimmt. Über die Stufenbahn führten alle hundert Meter leichte Brücken.
Über den Bahnen erhoben ſich, die ganze Breite in kühnen Bogen überſpannend, die Rieſengebäude des gewerblichen und Geſchäftsverkehrs. Dieſe ſtiegen bis zur Höhe von hundert Meter an. Das leichte, feſte Baumaterial geſtattete bei der geringen Marsſchwere dieſe gewaltigen Wölbungen und Säulenmaſſen. Gleich Paläſten und Domen, in zierlichen Formen und lichten Farben, ſtiegen die Gebäude wie ſpielend in die klare Luft, überall auf ihren Dächern die Sonnenſtrahlen ſammelnd, um ihre Kraft zu verwerten. So zogen dieſe Hallen ohne Unterbrechung durch das Land, es in große Abſchnitte von durchſchnittlich hundert Quadratkilometer Fläche zerlegend. Eigentliche Städte oder Dörfer gab es hier nicht, die Orte gingen ineinander über, und nur als Verwaltungsbezirke ſchieden ſich die Gebäude in zuſammengehörige Gruppen. Dieſe Bauten überbrückten auch die Kanäle und die Bahnen, die ſich meiſt in derſelben Richtung mit ihnen hinzogen.
Entfernte man ſich aber von dieſen Induſtrieſtraßen nur um einige hundert Schritte, ſo befand man ſich in einer vollſtändig anderen Gegend. Gewaltige Rieſenbäume, deren Gipfel zum Teil ſogar die hundert Meter hohen Gebäude noch überragten, verdeckten mit ihren Zweigen die Nähe der Bauwerke. Es waren teils den Platanen, teils den Fichten gleichende Pflanzen, mit denen ſich kein irdiſcher Baum, ſelbſt nicht die berühmten Rieſen des Yoſemite-Tales, vergleichen konnte. Erſt in einer Höhe von etwa vierzig Metern begann der Aſtanſatz, und von hier aus bildete das Laubdach eine natürliche Wölbung, auf den geradlinig aufſteigenden Pfeilern der Stämme ruhend. Kein direkter Sonnenſtrahl vermochte den Boden zu treffen, aber ein mildes, bläulich-grünes Licht ſchimmerte von den Blättern hernieder und verteilte ſich gleichmäßig im Raum. Dieſe lebendigen Kuppeln erſetzten den Martiern den Schutz einer dichteren Atmoſphäre, ſie milderten den Gegenſatz der Einſtrahlung am Tag und der Ausſtrahlung in der Nacht und ſchützten den Boden vor Verdunſtung. Der geſamte Raum der von den Induſtrieſtraßen begrenzten Bezirke war eine ſolche entzückende Waldlandſchaft, die übrigens nach der Mitte der Bezirke zu auch zuweilen von Lichtungen unterbrochen wurde und eine reiche Abwechslung des Pflanzenwuchſes darbot.
Auf beiden Seiten der Induſtrieſtraßen, in einem Streifen von etwa tauſend Metern Breite, erſtreckten ſich die Privatwohnungen der Martier. Unter dem Rieſendach der Bäume dehnte ſich ein reizendes Gewirr von Garten- und Parkanlagen aus, Blumenbeete und kleine Teiche wechſelten mit Gebüſch und Baumgruppen, deren Höhe das auf der Erde gewohnte Maß nicht überſtieg. Mitten in dieſen Gärten, die bald aufs anmutigſte gepflegt, bald als einfache Raſenplätze ſich darſtellten, ſtanden die Häuſer der Martier, kleine einſtöckige Gebäude, manchmal zu Gruppen zuſammengeſchloſſen, im allgemeinen aber villenartig durchs Gelände zerſtreut. Sie reihten ſich, vom Blaugrün der Sträucher und bunten Blumenbosketts umgeben, unregelmäßig zu beiden Seiten der Wege, auf deren feſtem Moosteppich ſich, für das Auge wenig bemerkbar, die Geleiſe der Gleitbahn hinzogen. Sämtliche Martier in den kulturell entwickelten Teilen des Planeten hielten ſich in ſolchen ländlichen Wohnſitzen auf, ſofern ſie nicht gerade geſchäftlich oder dienſtlich in den Induſtrieräumen zu tun hatten. Es kamen hier auf einen Quadratkilometer ungefähr tauſend Einwohner, ſo daß ein ſolches Straßenviertel von zehn Kilometern Länge und Breite in dem Streifen, der es umfaßte, gegen vierzigtauſend Einwohner zählte. Hatte man dieſe Zone von Wohnſtätten durchſchritten und drang man auf einer der ſchmalen, ſauber angelegten Straßen weiter in das Innere des Bezirks vor, ſo nahm die Landſchaft wieder einen neuen Charakter an. Die Gärten hörten auf, an ihre Stelle trat die Wildnis des Waldes. Tiefe Stille herrſchte ringsum, nur unterbrochen durch das leichte Summen kleiner Vogelarten oder das Zwitſchern der ſingenden Blüten, die ſich auf ihren ſchwanken Stengeln wiegten. Zahlreiche Waſſeradern verzweigten ſich unter den breiten Blättern einer Sumpfpflanze und ſammelten ſich zu einem ſtillen See, deſſen dunkle Fläche ſeine Ufer widerſpiegelte. Und alles dies war überragt und geſchützt von dem ſanft leuchtenden Blätterdach der Rieſenbäume, das ſich wie ein grünes Himmelszelt über die niedere Waldlandſchaft hindehnte. Man war entrückt in die Einſamkeit ungeſtörter Natur, und nichts verriet, daß man auf dem eilenden Radſchlitten in wenigen Minuten auf die Weltſtraße gelangen konnte, wo Millionen geſchäftiger Bewohner, die Kräfte der Sonne und des Planeten ausnutzend, arbeiteten. Es war ein Geſetz, daß in jedem Bezirk drei Fünftel des Flächenraums im Innern als Naturpark von jeder Ausbeutung und Bewohnung geſchützt blieb, was jedoch eine geregelte Forſtkultur darin nicht ausſchloß. Je nach der areographiſchen Breite wechſelte natürlich die Art der vorherrſchenden Pflanzen. Ihr Wuchs wurde üppiger in der Nähe des Äquators, ſpärlicher nach den Polen zu. Doch gab es in den Niederungen nirgends eine eigentliche Waldgrenze, da nach den Polen hin die Feuchtigkeit das Klima milderte.
Einen ſtarken Gegenſatz zu dem reichen Kulturleben und der Lebensfülle der Niederungen boten die felſigen Hochplateaus, auf denen es an einigen Stellen ſogar beträchtliche Gebirge gab. Im allgemeinen erhoben ſie ſich jedoch nicht bedeutend über die Tiefebenen. Auch durch jene Wüſten zogen ſich, uralten Kulturwegen folgend, die Induſtrieſtraßen hin, nur daß ſie hier nicht ein dichtes Netz bildeten, ſondern parallel verliefen und dadurch Streifen von dreißig bis dreihundert Kilometern Breite darſtellten, die mit Bewohnern beſetzt waren. Denn jeder ſolcher Streifen war von einem Kanal begleitet, der das Waſſer von den Polen über den ganzen Planeten verbreitete. Nicht immer reichte die Waſſermenge aus, alle dieſe Kanäle zu füllen, ſo daß die Breite des Vegetationsſtreifens je nach der Stärke der Bewäſſerung wechſelte. Es ſchien dann, von der Erde aus geſehen, als ob die dunklen Streifen, welche die Wüſtengebiete auf die Länge von Tauſenden von Kilometern durchſetzen, ſich ſeitlich verſchoben, verengten, verbreiterten oder auch verdoppelten. Sobald der Waſſerzufluß hier aufhörte, verloren die ſchützenden Bäume ihr Laub und der Boden verdorrte, wenige Tage aber genügten auch wieder, dem Pflanzenwuchs ſeine Friſche zurückzugeben.
Die Bevölkerung dieſer Weltſtraßen ſtand unter ungünſtigeren Lebensbedingungen als die der immer feuchten Niederungen, aber ſie war doch ungleich beſſer geſtellt als die Bewohner der Wüſten. Hier hauſten in der Kultur zurückgebliebene Gruppen der Bevölkerung des Planeten, die zum Teil ſogar noch Ackerbau trieben, wo geringe Einſenkungen infolge der nächtlichen Niederſchläge den Anbau von Früchten geſtatteten, zum größeren Teil aber im Bergbau und in den Strahlungs-Sammelſtätten tätig waren. Denn jene Wüſtengegenden, einſt leer und unbewohnt, waren in der gegenwärtigen Kulturperiode des Planeten das Hauptreſervoir und die Hauptquelle für die Energie geworden. Aus den Kalkfelſen, dem ausgetrockneten Ton- und Lehmboden und den darunter befindlichen, von Erzgängen reich durchſetzten Schichten zog die Bevölkerung des ganzen Planeten ihre Nahrung und ihre Macht. Aber die klimatiſchen Verhältniſſe geſtatteten nicht, die Verarbeitung an Ort und Stelle vorzunehmen. Die Geſteinsmaſſen wurden an den Rändern der Verkehrsſtreifen gebrochen, wodurch dieſe ſich allmählich verbreiterten. Die Sonnenſtrahlung wurde auf der ganzen Hochfläche geſammelt und in der Form von Elektrizität über den Planeten verteilt. Die Bergleute an den Rändern der Kulturſtreifen gelangten dabei zu Wohlſtand, vermiſchten ſich ſtetig mit der Bevölkerung der Niederungen und rekrutierten ſich immer aufs neue aus dem Stand der Beds, den Wüſtenbewohnern, die für die Beſorgung der Sammelwerke unentbehrlich waren. Dieſe abgehärteten Wüſtenſöhne durchzogen im Sonnenbrand die weiten Hochflächen, um im Dienſt der großen Strahlenſammelkompagnien die Stromleitungen bei Sonnenaufgang in Tätigkeit zu ſetzen und bei Sonnenuntergang wieder abzuſtellen. Sie erhielten einen reichlichen Lohn, der ihnen wohl geſtattet hätte, nach einer Reihe von Jahren ihren beſchwerlichen Beruf aufzugeben, aber ſie liebten ihre Hochflächen, wie ihre Väter ſie geliebt hatten, wo in der Nacht der Himmel mit Millionen Sternen leuchtete, wo wallende Nebel der Morgenſonne vorauszogen und dann das Glutgeſtirn den Boden unter den Füßen brennen ließ. Sie liebten die Wüſte und ſchüttelten die Köpfe, ſobald einer der Ihren in die Schächte am Wüſtenrand hinabſtieg. Sie betrachteten die Bewohner der Täler nur als die Lieferanten ihrer Bedürfniſſe und fühlten ſich als die eigentlichen Spender der Kraft des Planeten; aber ſie wußten auch, daß ſie trotz ihrer Sonne und Sterne verhungern müßten, wenn nicht die klugen Männer der Tiefe ihnen Steine in Brot verwandelten.
Steine in Brot! Eiweißſtoffe und Kohlenhydrate aus Fels und Boden, aus Luft und Waſſer ohne Vermittlung der Pflanzenzelle! — Das war die Kunſt und Wiſſenſchaft geweſen, wodurch die Martier ſich von dem niedrigen Kulturſtandpunkt des Ackerbaues emanzipiert und ſich zu unmittelbaren Söhnen der Sonne gemacht hatten. Die Pflanze diente dem äſthetiſchen Genuß und dem Schutz der Feuchtigkeit im Erdreich, aber man war nicht auf ihre Erträge angewieſen. Zahlloſe Kräfte wurden frei für geiſtige Arbeit und ethiſche Kultur, das ſtolze Bewußtſein der Numenheit hob die Martier über die Natur und machte ſie zu Herren des Sonnenſyſtems.