Kurd Laßwitz: Auf zwei Planeten 26. Der Kampf mit dem Luftſchiff Am Horizont zeigte ſich eine Rauchwolke, die ſich vergrößerte. Das Dampfſchiff, nach Süden ſteuernd, und das nach Norden fliegende Luftſchiff, das ſeine Geſchwindigkeit ſogleich ſteigerte und die Flügel verkürzte, näherten ſich raſch. Bald konnte man die Formen des Schiffes durch das Glas unterſcheiden. Der Wimpel am Großtopp ließ es als Kriegsſchiff erkennen. Jetzt hatte man auch an Bord der ‚Prevention‘ das Luftſchiff geſehen. Dieſes ſenkte ſich bis auf hundert Meter über die Oberfläche des Meeres und ſchoß direkt auf das Kanonenboot zu. Dort ſtieg eine weiße Dampfwolke in die Höhe, und ein Kanonenſchuß donnerte über die Flut. Man konnte jetzt die Flagge erkennen. „Es iſt ein Engländer“, ſagte Ell. „Er fordert uns auf, unſere Flagge zu zeigen.“ Eine Flagge führte zwar das Luftſchiff nicht, man hatte aber dieſen Fall vorgeſehen und, um keine beſonderen Verwicklungen hervorzurufen, eine Flagge improviſiert, die dem Banner der vereinigten Marsſtaaten nachgebildet war. Sie beſtand einfach in einem ſchwarzen Tuch von dreieckiger Geſtalt, das in der Mitte einen großen orangenfarbigen Kreis trug. Die Flagge wurde jetzt gehißt, das Luftſchiff ſetzte aber ſeinen Lauf fort. Ill wollte denſelben erſt in unmittelbarer Nähe des Schiffes anhalten. Vorſichtshalber ſtieg er jedoch ſchnell in größere Höhe. Ell beobachtete mit dem Glas die Vorgänge an Deck des Schiffes. „Die gefangenen Martier ſind jedenfalls unter Deck“, ſagte er. „Das Schiff iſt klar zum Gefecht — ich glaube, man will auf uns ſchießen. Willſt du nicht lieber anhalten?“ „Wie iſt das Schiff bewaffnet?“ fragte Ill. „Es iſt, ſoviel ich davon verſtehe, ein ſogenannter Torpedo- Rammkreuzer. Den Rammſteven und die Torpedos haben wir freilich nicht zu fürchten, aber das 25-Zentimeter-Geſchütz auf dem Deck iſt eine furchtbare Waffe. Es ſchleudert mit einer Geſchwindigkeit von über 600 Metern Granaten, die vielleicht den dritten Teil des Gewichts unſeres ganzen Schiffes haben. Ein einziger Schuß zerſchmettert uns in Atome.“ „Wenn er uns trifft. Aber wie du ſiehſt, ſind wir bereits wieder auf achthundert Meter geſtiegen und dem Schiff ſo nahe, daß ſie dem Geſchütz nicht die genügende Erhebung geben können.“ Ein gewaltiger Knall unterbrach ihn. Kapitän Keswick hatte ſein Rieſengeſchütz ſprechen laſſen. Aber das Geſchoß flog, bedeutend tiefer als das Luftſchiff, unter ihm hin, ohne Schaden zu tun. „Die Sache iſt nicht ſo gefährlich“, ſagte Ill, „ſelbſt wenn wir in der Schußlinie wären, könnten wir den Schuß aufnehmen — da wir dreimal ſo viel Maſſe haben als das Geſchoß, würde es uns nur eine Geſchwindigkeit von höchſtens zweihundert Metern geben, und das iſt für uns das Gewöhnliche.“ Ell ſah ihn erſtaunt an. „Ich meine, wenn wir den Stoß auffangen.“ „Aber wir werden doch zerſchmettert.“ „Keine Sorge! Wir müſſen nur aufpaſſen. Jetzt aber wollen wir verhandeln.“ „Wollen Sie ſich nicht lieber in die Kajüte begeben?“ Dieſe Frage richtete Ill an Isma, die den Vorgängen mit Herzklopfen gefolgt war. „Dieſe Herren ſehen mir gerade ſo aus, als wollten ſie uns mit ihren Flintenſchüſſen begrüßen.“ „O laſſen Sie mich hier“, bat Isma. „Könnte nicht vielleicht — mein Mann — auf dem Schiff ſein?“ „Das werden wir alles erfahren. Ell ſoll durch das Sprachrohr die Verhandlung als Dolmetſcher führen.“ Wirklich beſchoß man das Luftſchiff jetzt aus den Gewehren. Es ſchwebte aber bereits ſo hoch und ſo nahe ſenkrecht über dem engliſchen Kanonenboot, daß die Kugeln ihm keinen Schaden tun konnten, obwohl ſich die Engländer zum Zielen auf den Rücken legten. Jetzt fiel eines der abgeſchoſſenen Langbleie auf das Verdeck des Schiffes ſelbſt zurück und durchſchlug ſeine Planken. Das Feuer mußte eingeſtellt werden, da die Kugeln die Schützen ſelbſt zu treffen drohten. Die Martier entfalteten nunmehr eine große, weiße Fahne als Zeichen der Freundſchaft und des Friedens. Alsdann ſenkte ſich das Luftſchiff, immer mit gleicher Geſchwindigkeit ſenkrecht über dem Kriegsſchiff bleibend, zu dieſem herab, erſt ſchnell, dann langſamer, bis es ſich in einer Höhe von etwa fünfzig Metern über den Spitzen der Maſten hielt. Die Beſatzung des Schiffes beſtand aus tapferen Männern. Aber bei dieſem Anblick pochte allen das Herz in der Bruſt. Wenn die Fremden Verräter waren? Wenn ſie jetzt eine Dynamitbombe herabfallen ließen jeder ſagte ſich, daß das Schiff dann verloren war. Und ſie waren wehrlos. Aber hätte das Luftſchiff feindlich vorgehen wollen, ſo hätte es dies ſicherer aus der früheren Höhe tun können. Der Kapitän ſtand mit finſteren Blicken auf der Kommandobrücke. Jetzt zuckte er zuſammen. Aus der Höhe kam ein Anruf in engliſcher Sprache. „Wer ſeid Ihr?“ fragte er durch das Sprachrohr entgegen. Ell verſuchte eine Erklärung zu geben. Das Luftſchiff habe keine feindlichen Abſichten. Es gehöre demſelben Staat an wie die beiden Gefangenen, die ſich auf dem engliſchen Schiff befänden. Sie ſeien Bewohner des Planeten Mars, die auf dem Nordpol der Erde eine Kolonie angelegt hätten. Die beiden würden zu Unrecht gefangengehalten, ſie hätten ſich an den Engländern nicht vergriffen, vielmehr die in den Abgrund geſtürzten heraufbefördert. Das Luftſchiff wolle nichts als die beiden Gefangenen zurückhaben. Man möge ſie in der Nähe ans Land ſetzen, wo das Luftſchiff ſie abholen werde. Außerdem wolle man wiſſen, ob das Schiff Nachricht von der deutſchen Nordpolexpedition Torm habe. Kapitän Keswick erwiderte, von der Tormſchen Expedition habe er bis jetzt keinerlei Spuren gefunden. Was die andere Frage beträfe, ſo verböte es ihm ſeine Ehre, mit dem Luftſchiff zu verhandeln, ſo lange es ſich über ſeinem eigenen Schiff in bedrohender Stellung befände. Der Kommandant möge zu ihm an Bord kommen; er garantiere ihm unbehinderte Rückkehr. Es trat eine Pauſe ein. Auf beiden Schiffen wurde Kriegsrat gehalten. Ill wollte ohne weiteres dem Wunſch des Kapitäns nachgeben und ihn beſuchen, aber Ell riet ihm dringend davon ab. „Trauſt du ihm nicht?“ fragte Ill. „Das nicht“, ſagte Ell, „ſein Wort wird er halten. Aber nach den Anſchauungen der Menſchen würden wir damit anerkennen, daß wir uns den Beſtimmungen des engliſchen Kriegsſchiffs unterordnen. Der Hochmut der Engländer würde dadurch nur wachſen und die Verhandlungen erſchweren. Wir nehmen für uns ſelbſt den Charakter eines Kriegsſchiffs in Anſpruch.“ „Es mag ſein, doch liegt kein Grund vor, unſre Stellung über dem Schiff beizuhalten, wenn ſie den Kapitän beunruhigt. Ich habe mich nur hierhergelegt, um überhaupt zu Wort zu kommen. Wir können ja auch jeden Augenblick hierher zurückkehren, wenn wir wollen; nur nützt es uns wenig. Mit einer Vernichtung des Schiffes zu drohen, geht nicht an, da ich ſie doch nicht ausführen würde und auch die Leute ſich ſagen dürften, daß wir das Schiff nicht in Grund bohren werden, ſo lange unſere Kameraden ſich darauf befinden.“ Ell rief nun durch das Sprachrohr hinab, daß ſich das Luftſchiff in einiger Entfernung niederlaſſen werde. Auf demſelben befinde ſich einer der höchſten Beamten des Mars, der nicht daran denke, ſich zuerſt dem Kapitän vorzuſtellen. Der Kapitän möge daher entweder zu ihm an Bord kommen oder eine Stelle am Ufer zur Zuſammenkunft beſtimmen. Im übrigen genüge es, wenn der Kapitän die beiden Martier ans Land ſende. Das Luftſchiff werde ſich dann ſogleich entfernen, ſobald es die beiden aufgenommen hätte. Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ Ill das Luftſchiff nach dem Land zu lenken. Der Engländer hatte inzwiſchen ſeinen Lauf angehalten und lag jetzt ſtill. Ihm gegenüber, etwas über einen Kilometer entfernt, in geringer Höhe über dem Ufer, ſchwebte das Luftſchiff der Martier in vollkommener Ruhe. Flügel und Steuer waren eingezogen. Der Hinterteil des Fahrzeugs war gegen das Kriegsſchiff gewendet und zeigte die Öffnung eines bis dahin nicht ſichtbar geweſenen Rohres. Kapitän Keswick hatte ſeinen Zweck erreicht, Zeit zu gewinnen und das unheimliche Fahrzeug über ſeinem Kopf zu entfernen. Er fühlte ſich wieder ſehr erhaben. Er dachte nun erſt recht nicht daran, die Gefangenen auszuliefern. Verhielt es ſich wirklich ſo, daß ſie Marsbewohner waren — und eine beſſere Erklärung angeſichts des Luftſchiffes wußte keiner ſeiner Offiziere —, ſo wollte er ſich den Triumph nicht nehmen laſſen, dieſe ſeltſamen Geſchöpfe nach London zu bringen. Daß man auf dem Mars auch engliſch verſtand und ſich nach der deutſchen Nordpolexpedition erkundigte, war ſchließlich nicht wunderbarer als die Exiſtenz des Luftſchiffes überhaupt. Die Zumutung, einem engliſchen Kriegsſchiff Bedingungen zu ſtellen, hielt Kapitän Keswick für eine Frechheit. Seiner Anſicht nach hatte das fremde Schiff einfach zu gehorchen. Er ſignaliſierte daher jetzt, das Schiff möge ſofort die Flagge ſtreichen und ſich ergeben. Da er ſich aber allerdings ſelbſt ſagte, daß man drüben die Signale nicht verſtehen würde, ſo ſchickte er einen Offizier in der Jolle ſoweit vor, bis er durchs Sprachrohr mit dem Luftſchiff reden konnte, und ließ durch ihn ſeinen Befehl ausrichten. Das Luftſchiff ſolle landen und die Beſatzung ſich von demſelben ohne Waffen auf tauſend Schritt zurückziehen. Geſchähe das nicht, bis das Boot wieder an Bord ſei, ſo würde er Gewalt anwenden. Ill ließ antworten, es würde ihm ſehr leid tun, wenn er ſeinerſeits Gewalt anwenden müßte, um ſeine Genoſſen wieder zu erhalten. Bei der geringſten Feindſeligkeit ſeitens der Engländer würde er ſich jedoch gezwungen ſehen, ihr Schiff kampfunfähig zu machen. Sollte einem der Martier Leides geſchehen, ſo hafteten Kapitän, Offiziere und Mannſchaft mit ihrem Leben. Der Offizier brachte dieſe Antwort zurück. „Wir werden mit den Leuten deutlicher reden“, ſagte Keswick. Leutnant Prim hätte ſich gern aus Vergnügen die Hände gerieben, aber ſie waren immer noch ſteif. Er konnte nicht einmal ſeinen Feldſtecher halten. Das Luftſchiff lag vollkommen ruhig, es konnte gar kein beſſeres Ziel für das 25-Zentimeter-Geſchütz geben, es war nicht zu verfehlen. Ell beobachtete, daß das Boot kaum beim Schiff angekommen war, als man das Geſchütz richtete. „Wir ſind verloren“, rief er Ill zu. Dieſer hatte ſchon ſeine Vorkehrungen getroffen. Er ſah ſcharf auf die Mündung des Geſchützes. „Halte dich feſt und befürchte nichts“, ſagte er zu Ell gewendet. Seine Hand lag am Griff des Repulſitapparates. Von dem Moment, in welchem der Schuß an Bord des Kriegsſchiffs gelöſt wurde, bis zu demjenigen, in welchem das Geſchoß das Luftſchiff treffen konnte, mußten faſt zwei Sekunden vergehen. Das genügte ihm. Jetzt blitzte drüben der Schuß auf. Das vernichtende Geſchoß war entſandt. Ell fühlte, wie ſich ihm die Kehle zuſammenſchnürte, aber er vertraute auf die Kraft der Nume. Isma hatte ſich auf ſeine Bitte ſchon vorher zurückgezogen und war ſich der unmittelbaren Gefahr glücklicherweiſe nicht bewußt. Ill hatte gleichzeitig den Griff des Repulſitgeſchützes gedreht. Das Luftſchiff erhielt einen Stoß und ſauſte durch die Luft. Hinter ihm, etwa in der Mitte zwiſchen dem engliſchen Schiff und dem martiſchen, gab es einen ohrenbetäubenden Krach. Die Granate zerſprang in der Luft, als ſei ſie an eine feſte, unſichtbare Mauer geſtoßen. Die Bruchſtücke flogen nicht weiter, ſie fielen direkt nach unten und ließen das Meer unter ſich aufſchäumen. Im Moment aber ſpannte das Luftſchiff ſeine Flügel aus, in engem Kreis kehrte es zurück, binnen zehn Sekunden war es wieder bei der ‚Prevention‘ angelangt, hinter dem Kanonenboot ſank es bis zur halben Höhe ſeiner Maſten. Ein zweiter Repulſitſchuß knickte die eiſernen Maſten wie Strohhalme, die mit einer ſcharfen Senſe abgeſchnitten werden. Zugleich aber wurden ſie wie von einem Sturmwind fortgetragen, der ſie über das Schiff hinwegfegte und gegen hundert Meter weiter ins Meer fallen ließ. Auf dem Verdeck ſelbſt wurde nichts direkt von dem Schuß betroffen; nur die entſtehende gewaltige Luftwelle warf die geſamte Mannſchaft über den Haufen und ſetzte das ganze Schiff in ſchwankende Bewegung. Ehe ſich die Engländer wieder auf ihre Füße gefunden hatten, war das Luftſchiff, in kurzer Wendung aufſteigend, umgekehrt und ruhte in etwa tauſend Meter Höhe ſenkrecht über dem Kanonenboot. Ill hatte nur die Wirkung ſeiner Waffen zeigen wollen. Der im Repulſitgeſchütz ſich entſpannende Äther entwich mit einer Geſchwindigkeit, welche der des Lichtes vergleichbar war, und riß die Luft und alles, was in ſeinem Weg lag, mit ſich fort, obgleich ſeine Maſſe nur wenige Gramm betrug. Er breitete ſich kegelförmig aus und mußte daher das ihm entgegen fliegende Sprenggeſchoß auffangen und zur Ruhe bringen. Ill wollte jetzt das Luftſchiff wieder ſich herabſenken laſſen, um neue Verhandlungen zu beginnen, aber die zur Wut gereizten Feinde beſchoſſen es aus ihren Gewehren ohne Rückſicht auf die Gefahr, von ihren eigenen Kugeln getroffen zu werden. Wie ſollte er nun, ohne Menſchenleben zu vernichten und das Schiff ſelbſt unbrauchbar zu machen, die Herausgabe der Gefangenen erzwingen? Ill hätte durch den Telelyten das Geſchütz demontieren oder das Schiff leck machen können. Der Telelyt iſt ein Apparat, durch welchen chemiſche Wirkung in jeder beliebigen Form erzeugt werden kann, ſoweit nur die direkte Beſtrahlung des Gegenſtandes vom Apparat aus möglich iſt. Wenn man zum Beiſpiel glühenden Sauerſtoff durch den Telelyten treten ließ, ſo wurde die chemiſche Energie durch Strahlung fortgepflanzt und kam auf dem beſtrahlten Körper, etwa dem Gußſtahl des Geſchützes, wieder als chemiſche Energie zum Vorſchein, ſo daß der Stahl einfach verbrannt wurde. Ill hätte auch ſein Repulſitgebläſe auf das Schiff richten und dieſes an beliebiger Stelle auf den Strand treiben können. Aber er wollte ſich nicht dazu entſchließen. Das Geſchütz konnte ihm nicht ſchaden, wenn er ſich über dem Schiff hielt, und auch ſonſt nicht, wenn er die Abgabe des Schuſſes rechtzeitig bemerkte. Und das Schiff ſelbſt wollte er nicht untauglich zur Fortſetzung der Reiſe machen. Er verſuchte daher nochmals zu verhandeln und ließ zu dieſem Zweck wieder die weiße Fahne aufziehen, obwohl Ell meinte, daß dieſes Entgegenkommen falſch verſtanden werden würde. „Was wollen die Schufte?“ rief der Kapitän wütend, ließ aber das Feuer einſtellen. Das Luftſchiff ſenkte ſich. Als es ſo nahe gekommen war, daß man ſich durchs Sprachrohr verſtändigen konnte, fragte Ell, ob man jetzt bereit ſei zu kapitulieren. „Mit euch Freibeutern gibt es keine Verhandlungen“, ſchrie Keswick zurück. „Ehe ich meine Flagge ſtreiche, ſprenge ich das ganze Schiff ſamt euren ſauberen Brüdern in die Luft.“ „Wir verlangen nicht, daß ihr die Flagge ſtreicht“, lautete die Antwort. „Es genügt, wenn ihr die Gefangenen ans Land ſetzt. Aber unſere Geduld iſt jetzt zu Ende. Stößt das Boot mit unſeren Landsleuten nicht binnen zehn Minuten vom Schiffe ab, ſo macht euch auf das Schlimmſte gefaßt. Bis jetzt haben wir euch nur eine Probe gegeben.“ „Der Teufel ſoll euch holen. Feuer auf die Hunde!“ ſchrie Keswick wütend. Aber ſchon hatte ſich das Luftſchiff fortgeſchnellt. Nach wenigen Sekunden war es bereits wieder über einen Kilometer vom Schiff entfernt, das jetzt mit voller Dampfkraft nach Süden ſtrebte. Da Ill keine Zeit dadurch verlieren wollte, daß ſich die Entfernung des Schiffes von der Küſte vergrößerte, beſchloß er zunächſt, den Dampfer aufzuhalten. Er erhob ſich ſo hoch, daß er nicht beſchoſſen werden konnte, und richtete dann einen Repulſitſtrom gegen die Meeresoberfläche in einiger Entfernung vor dem Schiff. Das Meer kochte auf, als hätte man einen Berg hineingeſtürzt. Ein haushoher Wogenwall wälzte ſich von der getroffenen Stelle im Kreiſe nach außen und zwang das engliſche Schiff, ſeinen Kurs zu ändern. Alsbald erregte das Luftſchiff durch einen zweiten Repulſitſchuß an geeigneter Stelle einen neuen Wirbel, und ſo zwangen die Martier ihren Gegner, ſich dahin zu wenden, wohin ſie ihn haben wollten. Bald aber war die ganze Umgebung wie von einem Sturm aufgewühlt, und die ‚Prevention‘ hatte die größte Mühe, ſich in dem tollen Wogengang zu halten. Von einem Gebrauch des Geſchützes konnte beim Schwanken des Schiffes jetzt nicht die Rede ſein. Inzwiſchen waren die zehn Minuten Friſt längſt abgelaufen. Ill ließ dem Schiff noch Zeit, um einen Felſenvorſprung herum in ruhigeres Waſſer zu gelangen. Hier erwartete er den Engländer. Der Kapitän ſah nun wohl ein, daß er dem Luftſchiff nicht entkommen könne. Aber er war immer noch zu hartnäckig, um nachzugeben. Das Luftſchiff lag wieder vollſtändig ruhig und ließ das Kanonenboot herankommen, während die Vorgänge auf demſelben aufs genaueſte beobachtet wurden. Ill konnte mit ſeinem Sprachrohr ſich bis auf tauſend Meter verſtändlich machen. Er rief nochmals hinüber, wenn man jetzt nicht gehorche, werde er auf das Schiff ſelbſt ſchießen. Der Dampfer machte eine Wendung und ſtoppte. Die Martier glaubten, es geſchehe, um ein Boot auszuſetzen; aber das Manöver hatte nur den Zweck, zum Schuß zu kommen. Ehe die Martier es erwarten konnten, blitzte der Schuß auf. Die Entfernung war zu kurz, um den Gegenſchuß der Martier genau abzumeſſen. Er erfolgte ſofort, aber er war zu heftig. Mit raſender Geſchwindigkeit ſchleuderte der Rückſtoß das Luftſchiff fort. Die Inſaſſen wurden von ihren Plätzen geworfen. Isma ſtieß einen Schrei aus und klammerte ſich ſchreckensbleich an die Wand. Zum Glück hatte ſie keinen Schaden genommen. Das Luftſchiff gehorchte wieder dem Steuer, die Bewegung wurde gemäßigt, es kehrte in weitem Bogen zurück und lagerte ſich in einer Entfernung von etwa acht Kilometern vom Kriegsſchiff auf der Spitze eines Hügels, von wo aus man mit dem Fernglas die Vorgänge auf dem Schiff gut beobachten konnte. Hier ſah es ſchlimm aus. Unter dem Gegenſtoß des Repulſits war das Sprenggeſchoß explodiert, aber die Trümmer waren nicht in das Meer gefallen, ſondern, weil die Wirkung zu ſtark geweſen war, auf das Schiff zurück. Ein Teil der Mannſchaft und der Kapitän ſelbſt waren verwundet. Der Verſchluß des Geſchützes war abgeſchlagen. Dichter Qualm drang aus einem der zertrümmerten Schornſteine. Ill nahm das Glas vom Auge. Ein finſterer Ernſt lagerte über ſeinen Zügen. „Es iſt ſchrecklich“, ſagte er. „Ich habe das Meinige getan, um Blutvergießen zu vermeiden. Auch das jetzige Unglück iſt gegen meine Abſicht geſchehen, wir hatten bei der Plötzlichkeit des Überfalls nicht länger Zeit, unſern Schuß abzuwägen. Die Menſchen ſind wahnſinnig.“ Er ſann lange nach. „Ich erwäge“, ſagte er dann, „ob ich es gegen unſere Genoſſen verantworten kann, wenn ich jetzt nachgebe und das Schiff entlaſſe. Aber ich bin ja nicht einmal ſicher, ob man ihr Leben ſchonen wird, nachdem dieſes Blut gefloſſen iſt. Das alſo iſt unſer erſtes Zuſammentreffen mit den Menſchen, das iſt die Verbrüderung der Planeten! Ich hatte es mir anders gedacht. Ich höre, die Menſchen haben unſern Planeten nach dem Gott des Krieges genannt; wir wollten den Frieden bringen, aber es ſcheint, daß die Berührung mit dieſem wilden Geſchlecht uns in die Barbarei zurückwirft. Gott gebe, daß dieſe Begegnung kein Vorzeichen iſt. Indeſſen — wir können nicht mehr zurück. Wir wollen aus dem einen Fall noch keine Schlüſſe ziehen.“ Er wandte ſich zu Isma und ſagte ihr bedauernde Worte, daß ihre Reiſe mit ſo ſchrecklichen Ereigniſſen begönne. Ell wollte eben ſeine Äußerungen überſetzen, als der wachthabende Martier meldete: „Das Schiff ſetzt ein Boot aus.“ Es war ſo, man ſah, daß die beiden Martier in das Boot hinabgelaſſen wurden. Dieſes ruderte dem Land zu. In einer kleinen Bucht, deren Ufer mit Eisſchollen bedeckt waren, landeten die Engländer. Sie warfen die Gefangenen rückſichtslos auf eine Scholle, feuerten ihre Gewehre in die Luft ab, um ein Signal zu geben, und kehrten dann ſchleunigſt zurück an Bord ihres Schiffes. Sofort befahl Ill, daß das Luftſchiff aufſteigen ſolle, um die Genoſſen abzuholen. Der Weg war nicht weit, doch lag die kleine Bucht auf der anderen Seite des Kriegsſchiffs, das man in einem Bogen umgehen mußte, um ſich nicht etwaigem Gewehrfeuer auszuſetzen. Dann ſenkte ſich das Schiff mit eingezogenen Flügeln nahe am felſigen Abhang hinab. Hierbei ſtreifte es einmal bis dicht an einen Felſen und legte ſich ſtärker nach der Seite, als beabſichtigt war. Der Ingenieur machte ein bedenkliches Geſicht. Es kam bei dieſen langſamen Bewegungen auf und nieder auf die äußerſte Präziſion in der Funktion des diabariſchen Apparats an, und es ſchien ihm, als ob das Schiff auf der linken Seite nicht mit derſelben Geſchwindigkeit ſeine Schwere ändere wie auf der rechten. Man war jetzt auf der breiten Eisſcholle angelangt. Die gefangenen, nunmehr befreiten Martier befanden ſich in üblem Zuſtand. Sie waren zwar nicht gefeſſelt, aber der Druck der Erdſchwere, dem ſie ſeit achtzehn Stunden — denn es war inzwiſchen Mittag geworden — ausgeſetzt waren, die beim Kampf und zuletzt beim Transport erlittenen Mißhandlungen und der Mangel an für ſie genießbarer Nahrung hatten ſie körperlich ſchwer mitgenommen. Sie atmeten beglückt auf, als im Innern des Luftſchiffes ihre Leiden gemildert wurden. Ill wandte ſich betrübt ab, als er erfuhr, welche Behandlung ihnen zuteil geworden war. Die Strafe der Engländer war hart, dachte er, aber verdient. Und doch, im Grunde waren ſie unſchuldig an ihrem Irrtum. Und nun vorwärts zum Pol! In anderthalb Stunden konnte er erreicht ſein. Das Luftſchiff erhob ſich langſam, und wieder bemerkte der Steuermann die Ungleichmäßigkeit der Diabarie auf den beiden Seiten des Schiffes. Er machte Ill darauf aufmerkſam, doch konnte man die Urſache nicht ſogleich auffinden. Inzwiſchen war die Höhe des Felsufers überſtiegen. Die Flügel wurden nun ausgebreitet, und vom Reaktionsapparat getrieben glitt das Schiff auf ſchiefer Ebene weiter aufwärts und nordwärts. Plötzlich vernahm man einige ſcharfe Schläge gegen die Flügel des Schiffes. „Höher!“ rief Ill. „Höher und ſchneller!“ Mit dem Schiff und den geretteten Gefährten beſchäftigt, hatte man kaum noch auf den Engländer geachtet. Auch war man ſo weit von ihm entfernt, daß die Martier außer Schußweite zu ſein glaubten. Die Engländer aber hatten, als ſie ſahen, daß das Luftſchiff ſich entfernte, ihm auf gut Glück noch einige Schüſſe aus ihren weittragenden Gewehren nachgeſendet, und einige Kugeln hatten es erreicht. „Höher“, lautete der Befehl. Aber als der diabariſche Apparat dementſprechend geſtellt wurde, legte ſich das Schiff auf die Seite. Infolge der Flügelſtellung beſchrieb es ſofort eine Spirale nach rückwärts und kam dadurch nochmals in den Bereich der feindlichen Geſchoſſe. Man mußte die Diabarie der rechten Seite wieder vermindern, da die linke nicht folgte. Das Schiff ſchwebte zwar, aber man konnte es nur langſam und in engen Grenzen heben und ſenken. Der Repulſitapparat war dagegen in Ordnung und trieb das Schiff vorwärts. Es entfernte ſich nun vom Schauplatz des Kampfes nach Norden, in verhältnismäßig geringer Höhe über der Erde. Ein Gebirge, das noch zu überwinden war, konnte nur durch das Vorwärtstreiben mit ſchräggeſtellten Flügeln genommen werden. Infolgedeſſen nahm die Fahrt bis zum Pol die vierfache Zeit wie gewöhnlich in Anſpruch. Endlich kam die Polinſel Ara zu Geſicht, und das Schiff ſenkte ſich vorſichtig auf das Dach derſelben. Aufs äußerſte ermüdet entſtiegen die Martier dem Fahrzeug, von den Bewohnern der Inſel freudig bewillkommt. Isma wurde der Obhut der Gemahlin Ras übergeben und von ihr aufs freundlichſte aufgenommen. Ehe ſie die Treppe in die Wohnung hinabſtieg, warf ſie noch einen forſchenden Blick auf die Umgebung und ſuchte in Gedanken die Stelle zu finden, wo der Fallſchirm des Ballons herabgeſtürzt war. Dann reichte ſie Ell die Hand. Sie wollte zu ihm ſprechen, aber ſie fand keine Worte. Nur ihr Blick dankte ihm. „Auf Wiederſehen!“ * * * Bereits vierundzwanzig Stunden hatte Isma auf der Polinſel zugebracht, ohne daß die in Ausſicht genommenen Entdeckungsfahrten nach ihrem Mann angetreten wurden. So ſehr ſie ſich danach ſehnte, hatte ſie doch keine Zeit, ungeduldig zu werden, denn die Fülle der neuen Umgebung beſchäftigte ſie ausreichend. Die Gegenwart Ells gab ihr die erforderliche Zuverſicht in den neuen Verhältniſſen. Saltner mit Se, La und Fru waren bereits nach dem Mars abgegangen, aber unter den noch anweſenden Martiern befanden ſich noch mehrere, mit denen ſie ſich deutſch unterhalten konnte, ſo vor allem der Vorſteher Ra, deſſen Frau und der Arzt Hil. Von ihnen erhielt ſie nicht nur Nachricht über die Verhältniſſe des Mars, ſondern auch Einzelheiten über die Schickſale der Gefährten ihres Mannes, die ihr Gemüt lebhaft bewegten. Man begab ſich eben zu der üblichen Plauderſtunde ins Empfangszimmer, wo Isma und Ell jetzt die Plätze einzunehmen pflegten, die für Grunthe und Saltner eingerichtet waren, als Ell mit bekümmertem Antlitz eintrat. Isma ſah ihn erſchrocken an. „Was iſt geſchehen?“ rief ſie. „Faſſen Sie ſich, liebſte Freundin.“ „Hugo iſt —?“ „Nein, nein — wir wiſſen nichts — aber wir können ihn nicht ſuchen.“ „Warum nicht?“ „Das Luftſchiff iſt unbrauchbar geworden.“ „Um Gottes willen!“ „Der diabariſche Apparat hat durch den übermäßigen Luftdruck bei unſerm zweiten Verteidigungsſchuß auf das Kanonenboot einen Fehler erhalten. Außerdem iſt eine verirrte Gewehrkugel in denſelben eingedrungen und hat den Differential-Regulator verletzt. Bei der Unterſuchung ſtellte ſich heraus, daß die Reparatur hier nicht möglich iſt. Der auseinandergenommene Apparat läßt ſich nur in der Werkſtätte auf dem Mars mit den dortigen Mitteln wieder einſetzen. Leider iſt auch das kleine Luftboot für weitere Fahrten nicht mehr zu verwenden. Wir müſſen die Nachſuchungen aufgeben.“ Isma ſaß ſtarr. „Mein armer Mann!“ ſagte ſie tonlos. „Geben Sie ſich um ſeinetwillen nicht ſo großer Sorge hin“, ſuchte Ell ſie zu tröſten. „Er wird ſicherlich glücklich heimkehren. Vielleicht früher als wir“, ſetzte er zögernd hinzu. Isma ſah ihn an. Dann ſchlug ſie die Hände vor das Geſicht und ließ ſie endlich langſam herabſinken. „Wir können nicht — zurück —?“ „Es iſt unmöglich — in dieſem Jahr.“ „Und ich — ich glaubte — in acht Tagen — — o ich Törin! Was hab ich getan! O wäre ich nicht ſo eigenſinnig geweſen.“ „Es iſt der Fall, vor dem Ill uns warnte.“ Isma weinte ſtill. Ell ſaß ratlos neben ihr. „Was nun?“ fragte ſie endlich. „Es bleibt uns nichts übrig, als mit Ill und Ra nach dem Mars zu gehen. Im erſten Frühjahr kehren wir mit neuen Luftſchiffen zurück. Bis dahin hilft uns nichts als Faſſung.“ „Nach dem Mars!“ flüſterte Isma wie geiſtesabweſend. Dann ſtand ſie auf. Sie trat vor Ell. Ihren Schmerz bezwingend, reichte ſie ihm beide Hände. „Vertrauen Sie mir!“ ſagte er. Sie ſahen ſich in die Augen. „Ich werde tun, was Sie verlangen“, erwiderte Isma. „Ich habe das Geſchick herausgefordert. Ich muß es tragen.“ „Ob auf dem Mars oder auf der Erde — wir können dieſelben bleiben.“ 27. Auf dem Mars