Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 50. Viertes Buch. 1866. // 5. Abſchnitt „Von einer Anhöhe aus bot ſich den bewaffneten Augen der Stabsoffiziere heute wieder manch abwechſelungsreiches Schauſpiel. Da war zum Beiſpiel der Einſturz einer Brücke, während über dieſelbe ein Train von Wagen ſich bewegte. Waren in den letzteren Verwundete? — ich weiß es nicht — das konnte ich nicht erkennen. — Ich ſah nur, daß Alles — Wagen, Pferde und Menſchen — in die an jener Stelle tiefen und reißenden Fluten ſank und dort verſchwand. Das Ereignis war ein {günſtiges} — ſintemalen der Wagentrain den „Schwarzen“ gehörte. Ich denke mir nämlich in der eben geſpielten Partie „uns“ als die weißen Figuren. Die Brücke war nicht zufällig eingeſtürzt; die Weißen hatten, wiſſend, daß der Gegner darüber kommen ſollte, die Pfeiler abgeſägt — ein feiner Zug alſo. Ein zweiter Anblick hingegen, den man von derſelben Anhöhe aus beobachten konnte, bedeutete einen Schnitzer der Weißen: Unſer Regiment Khevenhüller wird in einen Sumpf dirigiert, wo es nicht herauskann und bis auf Wenige niedergeſchoſſen wird. Die Getroffenen fallen hin in den Sumpf … Hier verſinken, erſticken müſſen — in Mund und Naſe und Augen Schlamm — nicht einmal ſchreien können! … Nun ja, zugeſtanden: es war ein Fehler desjenigen, der die Leute dorthin kommandiert hatte; aber — „irren iſt menſchlich“ und der Verluſt iſt kein großer — ſtellt ungefähr einen geſchlagenen Bauer vor; ein nächſter genialer Zug mit Turm oder Königin, und Alles iſt wieder gut gemacht. Der Schlamm bleibt zwar in Mund und Augen der Gefallenen, aber das iſt ja nebenſächlich — das Tadelnswerte dabei iſt der taktiſche Fehler; der muß durch eine ſpätere glückliche Kombination ausgemerzt werden, und dem betreffenden Führer können dann immerhin noch ſchöne Orden und Beförderungen blühen. Daß neulich unſer 18. Jägerbataillon während eines Nachtkampfes durch mehrere Stunden auf unſer Regiment König von Preußen ſchoß, und man erſt bei Tagesanbruch den Irrtum bemerkte; daß ein Teil des Regiments Gyulai in einen Teich geführt wurde: das ſind auch ſo kleine Verſehen, wie ſie eben in der Hitze der Partei auch dem beſten Spieler paſſieren können.“ * * * „Es iſt beſchloſſen; wenn ich aus dieſem Feldzug zurückkehre, ſo verlaſſe ich den Dienſt. Alles Andere hintangeſetzt — wenn man einmal eine Sache mit einem ſolchen Abſcheu zu erfaſſen gelernt hat, wie der Krieg mir nunmehr einflößt, ſo wäre es unausgeſetzte Lüge, im Dienſt dieſer Sache zu verharren. Ehedem bin ich, wie Du weißt, auch ſchon mit Widerwillen und mit verdammendem Urteil in die Schlacht gezogen, aber erſt jetzt hat ſich dieſer Widerwille ſo geſteigert, dieſe Verurteilung ſo verſchärft, daß alle Gründe, welche mich früher beſtimmten bei meinem Berufe auszuharren, aufgehört haben, zu wirken. Die Geſinnungen, welche aus dem Jugendunterricht, vielleicht auch teilweiſe angeerbt — in meinem Innern noch zu Gunſten des Soldatentums ſprachen, ſind mir jetzt, während der zuletzt erlebten Greuel ganz verloren gegangen. Ich weiß nicht, ſind es die mit Dir gemeinſchaftlich gemachten Lektüren, aus welchen hervorging, daß meine Kriegsverachtung nicht vereinzelt iſt, ſondern von den beſten Geiſtern der Zeit geteilt wird; ſind es die mit Dir geführten Geſpräche, in welchen ich mich durch Ausſprache meiner Anſichten und durch Deine Zuſtimmung in denſelben geſtärkt habe; — kurz, mein früheres dumpfes, halbunterdrücktes Gefühl hat ſich in eine klare Überzeugung verwandelt — eine Überzeugung, die es mir fortan {unmöglich} macht, dem Kriegsgott zu fröhnen. Das iſt ſo eine Wandlung, wie ſie bei vielen Leuten in Glaubenſachen eintritt. Zuerſt ſind ſie etwas zweifleriſch und gleichgültig, ſie können aber noch mit einer gewiſſen Ehrfurcht den Tempelhandlungen beiwohnen. Wenn aber einmal aller Myſtizismus abgeſtreift iſt, wenn ſie zu der Einſicht gelangen, daß die Ceremonie, der ſie da beiwohnen, auf Thorheit — auch mitunter grauſame Thorheit, wie bei den religiöſen Opferſchlachtungen — beruht, dann wollen ſie nicht mehr neben den anderen Bethörten knieen, nicht mehr ſich und die Welt betrügen, indem ſie den nunmehr entgötterten Tempel betreten. So iſt es mir mit dem grauſamen Marsdienſt ergangen. Das geheimnisvolle, überirdiſche, Andachtsſchauer-erweckende, welches das Erſcheinen dieſer Gottheit auf die Menſchen hervorzubringen pflegt, welches auch in früherer Zeit noch meinen Sinn umdunkelte, das iſt mir jetzt vollſtändig abhanden gekommen. Die Armeebefehl-Liturgie und die rituellen Heldenphraſen erſcheinen mir nicht mehr als inſpirierter Urtext; der gewaltige Orgelton der Kanonen, der Weihrauchdampf des Pulvers vermag nicht mehr mich zu verzücken: ganz glaubens- und ehrfurchtslos wohne ich der fürchterlichen Kultushandlung bei und kann dabei nichts Anderes mehr ſehen, als die Qualen des Opfers, nichts hören, als deſſen jammervollen Todesſchrei. Und daher kommt es, daß dieſe Blätter, die ich mit meinen Kriegseindrücken fülle, nichts Anderes enthalten, als ſchmerzlich geſchauten Schmerz.“ 51. Viertes Buch. 1866. // 6. Abſchnitt