Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 41. Drittes Buch. 1864. // 15. Abſchnitt Dieſer Brief meiner Tante brachte mir erſt wieder ins Gedächtnis, daß es eine „politiſche Lage“ gebe. Die ganze Zeit über hatte ich mich nicht um derlei gekümmert. Vor und nach meiner Krankheit hatte ich zwar, wie immer, viel geleſen: Tag- und Wochenblätter, Revüen und Bücher, aber die Leitartikel der Zeitungen waren unbeachtet geblieben; ſeitdem ich nicht mehr die bange Frage aufſtellte: „Krieg oder nicht Krieg“, beſaß der inner- und außerpolitiſche Klatſch kein Intereſſe für mich. Erſt anläßlich der Nachſchrift des oben angeführten Briefes fiel mir ein, das Vernachläſſigte einzuholen und mich nach den gegenwärtigen Verhältniſſen zu erkundigen. „Was will denn Tante Marie mit dieſem ‚bedrohlich‘ ſagen, Du minder arroganter Preuße?“ frug ich meinen Mann, ihm den Brief zu leſen gebend. „Gibt es denn überhaupt jetzt eine politiſche Lage?“ „Die gibt es — gerade ſo wie irgend ein Wetter — leider immer. Und dabei ebenſo veränderlich und trügeriſch —“ „Nun, ſo erzähle mir … Spricht man etwa noch immer von den verwickelten Elbherzogtümern? Sind die nicht abgemacht?“ „Mehr als je ſpricht man davon. Nicht im geringſten abgemacht. Die Schleswig-Holſteiner haben jetzt große Luſt, die Preußen — die ‚arroganten‘, denn das ſind wir, dem neueſten Schlagwort gemäß — wieder ganz los zu werden. ‚Eher däniſch als preußiſch‘, wiederholen ſie eine ihnen von den Mittelſtaaten gegebene Loſung. Und weißt Du, wie das abgedroſchene ‚Meerumſchlungen‘-Lied jetzt zur Abwechſelung geſungen wird: „Schleswig-Holſtein ſtammverwandt // Schmeißt die Preußen aus dem Land.“ „Und was iſt’s mit dem Auguſtenburger? Den haben ſie doch? O ſag’ mir nicht, Friedrich, daß ſie ihn nicht haben … Wegen dieſes einzig berechtigten Thronerben, nach welchem die armen dänengedrückten Lande ſich ſo geſehnt, mußte der ganze Krieg, der mich Dich — {Dich!} — hätte koſten können, geführt werden! Laß mir alſo wenigſtens den Troſt, daß der nötige Auguſtenburg in ſeine Rechte eingeſetzt worden und über die ungeteilten Herzogtümer regiert. Auf dieſem ‚ungeteilt‘ beſtehe ich: das iſt ein altes hiſtoriſches Recht, das jenem ſeit mehreren hundert Jahren verbürgt iſt und deſſen Begründung ich mir mühſam genug erforſcht habe.“ „Schlecht ſteht’s um Deine hiſtoriſchen Rechtsanſprüche, meine arme Martha“, lachte Friedrich. „Vom Auguſtenburger iſt — außer in ſeinen eigenen Proteſten und Manifeſten — gar nicht mehr die Rede!“ Von nun an fing ich wieder an, mich um die politiſchen Verwicklungen zu bekümmern und erfuhr folgendes: Feſtgeſetzt und anerkannt war — trotz des beim wiener Frieden gezeichneten Protokolls — eigentlich noch gar nichts. Die ſchleswig-holſteiniſche Frage war ſeither in allerlei Stadien gebracht worden, „ſchwebte“ aber mehr als je. Der Auguſtenburger und der Oldenburger hatten ſich beeilt — nach der von ſeiten des Glücksburgers erfolgten Abtretung —, beim Bundestag zu reklamieren. Und Lauenburg verlangte ſtürmiſch, dem Königreich Preußen einverleibt zu werden. Niemand wußte, was die Verbündeten nun eigentlich mit den eroberten Provinzen anfangen würden. Von dieſen beiden Mächten ſelber mutete jede der anderen zu, daß jede die andere übervorteilen wolle. „Was will nur dieſes Preußen?“ Das iſt nunmehr die von Öſterreich, von den Mittelſtaaten und den Herzogtümern ſtets aufgeworfene, Böſes ahnende Frage. Napoleon Ⅲ. rät Preußen, es ſolle die Herzogtümer — bis auf das däniſch redende Nordſchleswig annektieren. Aber daran denkt Preußen vorläufig nicht. Am 22. Februar 1865 formuliert es endlich ſeine Anſprüche dahin: Preußiſche Truppen bleiben in den Landen; die letzteren haben ihre Wehrkraft zu Waſſer und zu Land mit Ausnahme eines Bundeskontingents Preußen zur Verfügung zu ſtellen. Der Kieler Hafen wird in Beſitz genommen: Poſt und Telegraphen ſollen preußiſch werden und die Herzogtümer müſſen ſich dem Zollverein anſchließen. Über dieſe Forderungen ärgert ſich — ich weiß nicht warum — unſer Miniſter Mensdorf-Ponilly. Und noch mehr — ich weiß ſchon gar nicht warum — vermutlich aus Neid, dieſem Grundzug in Behandlung der „äußeren Angelegenheiten“ — ärgern ſich die Mittelſtaaten. Dieſelben verlangen ungeſtüm, der Auguſtenburger möge eiligſt, ſofort, in die Verwaltung der Herzogtümer eingeſetzt werden. Öſterreich hat aber auch etwas zu ſagen und ſagt — indem es den Auguſtenburger als Luft behandelt — daß es den Beſitz des Kieler Hafens gern zugeſtehe, aber gegen die Rekrutierung und Matroſenpreſſe ſich verwahre. So wird unabläſſig fortgeſtritten. Preußen erklärt, daß ſeine Forderungen nur im Intereſſe Deutſchlands gemacht werden, daß es Annektierung gar nicht verlange — Auguſtenburg möge, unter Gewährung der geſtellten Forderungen, ſein Erbrecht antreten; wenn aber dieſe notwendigen und billigen Anſprüche nicht befriedigt werden, dann — mit drohend erhobener Stimme — dann werde es vielleicht gezwungen ſein, mehr zu fordern. — Gegen dieſe drohenden erheben ſich ſofort höhniſche, hämiſche, hetzende Stimmen. In den Mittelſtaaten und in Öſterreich wird die öffentliche Meinung gegen Preußen und namentlich gegen Bismarck immer mehr verbittert. Am 27. Juni tragen die Mittelſtaaten darauf an, von den Großmächten Auskunft zu verlangen, aber (Auskunftgeben iſt auch nicht diplomatiſcher Brauch, nur alles ſchön geheim) die Großmächte unterhandeln unter ſich. König Wilhelm reiſt nach Gaſtein, Kaiſer Franz Joſeph nach Iſchl. Graf Blome fliegt zwiſchen beiden hin und her und man einigt ſich über verſchiedene Punkte: die Beſatzung ſoll halb öſterreichiſch und halb preußiſch werden. Lauenburg wird — wie es ja ſelber wünſchte — Preußen einverleibt. Dafür erhält Öſterreich eine Entſchädigung von zweieinhalb Millionen Thaler. Dieſes letztere Ergebnis iſt durchaus nicht im ſtande, mir patriotiſche Freude einzuflößen. Was ſoll den ſechsunddreißig Millionen Öſterreichern — ſelbſt wenn ſie unter ihnen verteilt würde, was nicht geſchieht — dieſe unbedeutende Summe nützen? Würde ſie die Hunderttauſende erſetzen, die zum Beiſpiel ich bei Schmitt & Söhne durch den Krieg verloren? Oder gar die Verluſte derjenigen, die ihre gefallenen Lieben beweinen? … Was mich freut, iſt ein am 14. Auguſt zu Gaſtein unterzeichneter Vertrag. — „Vertrag“, das Wort klingt ſo friedensverheißend. Erſt ſpäter habe ich die Erfahrung gemacht, daß die internationalen Verträge ſehr oft dazu da ſind, um durch gelegentliche Verletzungen dasjenige herbeizuſchaffen, was man einen „[casus belli]“ nennt. Da braucht denn nur einer den anderen des „Vertragsbruches“ anzuklagen und ſofort ſpringen — mit allem Anſchein der Verteidigung verbriefter Rechte — die Schwerter aus der Scheide. Mir jedoch gewährte der Gaſteiner Vertrag Beruhigung. Der Streit ſchien beigelegt, General Gablenz — der ſchöne Gablenz, für welchen wir Frauen alle leiſe ſchwärmten — ward Statthalter in Holſtein; — Manteuffel in Schleswig. Auf meine im Jahre 1460 erhaltene Lieblingszuſicherung, daß die Lande ewig zuſammen bleiben, „ungeteilt“, mußte ich jetzt doch endgültig verzichten. Und was meinen Auguſtenburger betraf, für deſſen Rechte ich mich ſo mühſam erwärmt hatte, ſo geſchah, daß der Prinz einmal ins Land kam und ſich von ſeinen Getreuen anjubeln ließ, worauf ihm Manteuffel bedeutete, daß, wenn er noch einmal ſich unterſtände, ohne Erlaubnis in die Gegend zu kommen, er ihn unweigerlich verhaften laſſen müßte. Wer {das} keinen guten Witz der Muſe Klio findet, der hat kein Verſtändnis für die „Fliegenden Blätter“ der Geſchichte. 42. Drittes Buch. 1864. // 16. Abſchnitt