Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 38. Drittes Buch. 1864. // 12. Abſchnitt Der Herbſt war gekommen. Am 30. Oktober wurde zu Wien der Friede unterzeichnet und ſomit war der Zeitpunkt da, wo mein Lieblingswunſch — Friedrichs Quittierung — erfüllt werden ſollte. Aber der Menſch denkt und die Umſtände lenken. Es traf ein Ereignis ein — ein ſchwerer Schlag für mich — das unſere ſo froh gehegten Pläne ſcheitern machte. Einfach dies: das Haus Schmitt & Söhne brach zuſammen und mein geſamtes Privatvermögen war hin. Auch eine Folge des Krieges, dieſes Falliſſement. Nicht nur die Mauern, auf welche ſie gezielt ſind, ſchießen die Kartätſchen und Bomben zuſammen —: durch dieſe Erſchütterung fallen auch in weitem Umkreis Bankhäuſer und Kreditgebäude in Trümmer … Ich war darum nicht — wie ſo manche andere — an den Bettelſtab gebracht; denn mein Vater würde es mir an nichts fehlen laſſen. Aber mit dem Quittierungsplane war es jetzt vorbei. Wir waren keine unabhängigen Leute mehr; jetzt war Friedrichs Gehalt unſere einzige ſelbſtändige Hilfsquelle. Wenn mir mein Vater auch eine genügende Zulage gewähren würde — unter ſolchen Umſtänden war es ausgeſchloſſen, daß Friedrich den Dienſt verlaſſe. Ich ſelber konnte es ihm nicht zumuten: welche Rolle hätte er da meinem Vater gegenüber geſpielt? Es war nichts zu machen — wir mußten uns fügen. „Beſtimmung“ hätte Tante Marie geſagt. Von der Kränkung, die ich über dieſen bedeutenden pekuniären Verluſt empfand — es handelte ſich um mehrere Hunderttauſend — weiß ich nicht viel zu berichten. Es finden ſich nämlich in meinem Tagebuch keine weitläufigen Eintragungen darüber, und auch mein Gedächtnis — das ſeither ſo viel tiefer ſchmerzende Eindrücke aufgenommen hat — weiſt von dieſen Vorfällen keine ſehr lebhaften Spuren mehr auf. Ich weiß nur, daß mir hauptſächlich um das ſchöne Luftſchloß leid war, welches wir uns da gebaut hatten: Quittierung, Gutsankauf, unabhängige, von der ſogenannten „Welt“ abgeſchiedene Exiſtenz; im übrigen traf mich der Verluſt nicht gar ſo ſchwer. Denn, wie geſagt: mein Vater würde mir bei ſeinen Lebzeiten nichts abgehen laſſen und hernach mir ein genügendes Erbe hinterlaſſen; auch meinem Sohn Rudolf ſtand in Zukunft ſicherer Reichtum bevor. Eins tröſtete mich: es war ja nicht der mindeſte Krieg in Sicht; man konnte gut auf zehn bis zwanzig Friedensjahre hoffen. — Bis dahin! … Schleswig-Holſtein und Lauenburg waren im Vertrag vom 30. Oktober endgültig an Preußen und Öſterreich zu freier Verfügung abgetreten. Dieſe beiden, nunmehr die beſten Freunde, würden ſich dieſes Erfolges freuen, die hieraus erwachſenden Vorteile brüderlich teilen und keinen Grund finden zu ſtreiten. Nirgends — am ganzen politiſchen Horizont — der berüchtigte „ſchwarze Punkt“. Die Scharte der in Italien erlittenen Niederlage war durch den in Schleswig-Holſtein geholten Waffenruhm genügend ausgewetzt, es lag alſo auch für den militäriſchen Ehrgeiz keine Veranlaſſung mehr vor, neue Feldzüge heraufzubeſchwören. In dieſer Hinſicht alſo war ich beruhigt. Daß der Krieg vor ſo kurzer Zeit {geweſen}, faßte ich als Bürgſchaft auf, daß derſelbe ſich nicht ſo bald wiederholen würde. Auf Regen folgt Sonnenſchein und im Sonnenſchein vergißt man den Regen. Auch nach Erdbeben und Vulkanausbrüchen bauen die Menſchen auf der Schuttſtätte wieder neue Wohnungen auf und denken nicht an die Gefahr, daß die überſtandene Kataſtrophe ſich wiederhole. Ein Hauptbeſtandteil unſerer Lebensenergie ſcheint in der Vergeßlichkeit zu liegen. Wir nahmen Winterquartier in Wien. Friedrich hatte nunmehr Beſchäftigung im Kriegsminiſterium, eine Thätigkeit, die er dem Kaſernendienſt jedenfalls vorzog. Dieſes Jahr waren meine Schweſtern mit Tante Marie den Faſching über nach {Prag} gezogen. Daß Konrads Regiment gegenwärtig in der böhmiſchen Hauptſtadt lag, war doch nur eine Zufälligkeit? Oder ſollte dieſer Umſtand einigermaßen auf die Wahl des Winteraufenthaltes Einfluß gehabt haben? Als ich letztere Vermutung meiner Schweſter Lilli gegenüber fallen ließ, errötete ſie tief und antwortete achſelzuckend: „Du weißt doch, daß ich ihn nicht mag.“ Mein Vater bezog ſeine alte Wohnung in der Herrengaſſe. Er trug uns an, wir möchten uns bei ihm niederlaſſen, da er genügend Raum dazu hätte; wir zogen es aber vor, allein zu leben, und mieteten am Franz-Joſeph-Quai ein kleines Mezzanin. Meines Mannes Gehalt und das mir von meinem Vater ausgeſtellte Monatsgeld genügten für unſeren beſcheidenen Haushalt reichlich. Auf abonnierte Logen, Hofbälle — überhaupt auf „in die Welt gehen“ mußte freilich verzichtet werden. Aber wie leicht verzichteten wir da! Es war uns ſogar angenehm, daß meine pekuniären Verluſte dieſes Zurückziehen rechtfertigten — denn wir liebten die Zurückgezogenheit. Einem kleinen Kreiſe von Verwandten und Freunden blieb unſer Haus immerhin offen. Beſonders meine Jugendfreundin Lori Griesbach beſuchte uns oft, öfter beinahe als mir lieb war. Ihre Geſpräche, die mir ſchon früher ſtark oberflächlich erſchienen waren, fand ich jetzt gar ermüdend ſchal, und ihr Intereſſenhorizont, deſſen Enge ich immer erkannt hatte, machte mir den Eindruck, jetzt noch zuſammengeſchrumpfter zu ſein. Aber hübſch war ſie und lebhaft und kokett. Ich begriff, daß ſie in der Geſellſchaft ſo manchen den Kopf verdrehte — und es hieß, daß ſie ſich nicht ungern den Hof machen ließ. Was mir nicht ganz angenehm war, war die Wahrnehmung, daß ihr Friedrich ſehr wohl gefiel, und daß ſie manche Blickpfeile auf ihn abſchoß, welche offenbar die Beſtimmung hatten, in ſeinem Herzen ſitzen zu bleiben. Loris Mann, eine Zierde des Jockeyclubs, des Rennplatzes und der Theatercouliſſen, war bekanntermaßen ſo wenig treu, daß eine kleine Rachenahme ihrerſeits nicht allzuſtreng zu verdammen geweſen wäre; aber daß Friedrich als Revanchemittel dienen ſollte — dagegen hätte ich doch einiges einzuwenden gehabt … Eiferſüchtig — ich? … Ich wurde rot, als ich mich bei dieſer Erregung ertappte. Ich war ja ſeines Herzens ſo ſicher … Keine, keine auf der Welt konnte er ſo lieben wie mich. Nun ja: lieben — aber eine kleine Verliebtſeinsflamme — die hätte immerhin neben der mir geweihten, ſanften Glut aufflackern können … Lori verhehlte mir gar nicht, wie ſehr ſie an Friedrich Gefallen fand: „Hörſt Du, Martha — Du biſt wirklich zu beneiden um dieſen charmanten Mann.“ Oder: „Bewache ihn nur ordentlich, Deinen Friedrich, denn dem ſetzen gewiß alle Frauenzimmer nach.“ „Ich bin ſeiner Treue ſicher,“ antwortete ich darauf. „Laß Dich nicht auslachen — als ob „treu“ und „Ehemann“ nebeneinander genannt werden könnten, das gibt’s nicht. Du weißt, wie zum Beiſpiel mein Mann —“ „Mein Gott, vielleicht biſt Du da auch falſch berichtet. Dann ſind ja nicht alle gleich —“ „Alle, alle — glaube mir. Ich kenne keinen von unſeren Herren, der nicht … Unter denen, die mir den Hof machen, ſind mehrere verheiratet — was wollen die nun? Offenbar nicht mich und nicht ſich in ehelicher Treue üben.“ „Sie wiſſen vermutlich, daß Du ſie nicht erhören wirſt … Und gehört Friedrich auch zu dieſer Phalanx?“ fragte ich lachend. „Das werde ich Dir doch nicht ſagen, Gänſchen. Es iſt ohnehin ſehr ſchön von mir, Dich aufmerkſam zu machen, wie gut er mir gefällt. Jetzt heißt es nur, ein wachſames Auge öffnen.“ „Ich habe es ſchon weit offen, dieſes Auge Lori, und dasſelbe hat bereits mit Mißbehagen verſchiedene Koketterie-Angriffe Deinerſeits wahrgenommen.“ „Da haben wir’s! So werde ich mich in Zukunft beſſer verſtellen müſſen“ … Wir lachten beide; dennoch fühlte ich, daß — ſo wie hinter meiner ſcherzhaft vorgebrachten Eiferſucht eine wirkliche Regung dieſer Leidenſchaft ſich verbarg — ſo auch unter ihrer vermeintlich neckenden Rede ein Kern von Wahrheit lag. Loris Mann hatte den Schleswig-Holſteiner Feldzug nicht mitgemacht und das verdroß ihn ſehr. Auch Lori ärgerte ſich ob dieſes „Pechs“. „So ein ſchöner, ſiegreicher Krieg!“ klagte ſie. „Jetzt wäre Griesbach gewiß um eine Stufe im Rang vorgerückt. Nun, das Tröſtliche iſt, daß bei einer nächſten Campagne —“ „Was fällt Dir ein?“ unterbrach ich. „Dazu iſt nicht die mindeſte Ausſicht. Oder weißt Du einen Anlaß? Wofür ſollte denn jetzt ein Krieg geführt werden?“ „Wofür? Darum kümmere ich mich wahrlich nicht. Die Kriege kommen und ſind da. Alle fünf oder ſechs Jahre bricht immer wieder etwas aus — das iſt ſo der Gang der Geſchichte.“ „Es müſſen aber doch Gründe vorliegen?“ „Vielleicht … doch wer kennt ſie? Ich gewiß nicht, und mein Mann auch nicht. „Warum ſchlägt man ſich denn eigentlich dort droben,“ fragte ich ihn während des letzten Krieges. „Das weiß ich nicht — iſt mir auch ganz egal,“ antwortete er achſelzuckend. Ärgerlich iſt nur, daß ich nicht mit dabei bin,“ fügte er hinzu. O, Griesbach iſt ein echter Soldat. — Das ‚warum‘ und das ‚wozu‘ der Kriege, das geht den Soldaten nichts an. Das machen die Diplomaten untereinander ab. Ich habe mir nie den Kopf zerbrochen über alle die politiſchen Streitigkeiten. Uns Frauen geht es ſchon gar nichts an — wir würden doch nichts davon verſtehen. Iſt das Gewitter einmal losgebrochen, ſo heißt es beten —“ „Daß es beim Nachbar einſchlage und nicht bei uns, das iſt freilich das einfachſte.“ 39. Drittes Buch. 1864. // 13. Abſchnitt