Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 37. Drittes Buch. 1864. // 11. Abſchnitt Während der Mahlzeiten, an dem oberen Ende der Tafel, wo mein Vater und ſeine alten Freunde den Ton angaben und wo auch ich und Friedrich ſaßen — die Jugend war am anderen Ende und unterhielt ſich untereinander — wurde zumeiſt „politiſiert;“ das war ſo der alten Herren Lieblingsgeſprächsſtoff. Die ſchwebenden Friedensverhandlungen boten genügenden Anlaß zu dieſer Weisheitsentfaltung; denn daß politiſche Erörterungen die gediegenſte und ernſter Männer würdigſte Unterhaltung ſei, das ſteht bei den meiſten Leuten feſt. Aus Galanterie und in freundlicher Rückſicht auf meine weibliche Verſtandesſchwäche, ſagte wohl mitunter einer der Generäle: „Dieſe Dinge können unſere junge Baronin Martha kaum intereſſieren — wir ſollten darüber nur ſprechen, wenn wir unter uns ſind, nicht wahr, ſchönes Frauchen?“ Aber dagegen verwahrte ich mich und bat ernſtlich, das Geſpräch fortzuſetzen. Ich nahm an den Vorgängen in der militäriſchen und diplomatiſchen Welt wirklichen und geſpannten Anteil. Nicht vom ſelben Standpunkt, wie dieſe Herren; doch war mir daran gelegen, die „däniſche Frage“, deren Urſprung und Verlauf ich anläßlich des Krieges ſo aufmerkſam ſtudiert hatte, bis zu ihrem endgültigen Abſchluß zu verfolgen. Jetzt, nach dieſen Kämpfen und Siegen, hätte es wohl entſchieden ſein ſollen, was mit den fraglichen Herzogtümern zu geſchehen habe — aber immer noch ſchwebten die Fragen und die Zweifel. Der Auguſtenburger — der famoſe Auguſtenburger, wegen deſſen altbegründeten Rechten der ganze Streit entbrannt war — war er denn jetzt eingeſetzt? Durchaus nicht. Sogar ein ganz neuer Prätendent erſchien auf dem Plan. Mit Glücksburg und Gottorp und wie alle die Linien und Nebenlinien hießen, deren Namen ich mir mühſam angeeignet hatte, war’s noch nicht genug. Jetzt trat Rußland auf und ſchob dem Auguſtenburger einen — {Oldenburger} vor. Das Reſultat des Krieges aber war bisher, daß weder einem Glücks-, noch Auguſten-, noch Olden-, noch ſonſt einem -burger die Herzogtümer gehören ſollten, ſondern den verbündeten Siegern. Folgendes, ſo erfuhr ich, waren die Artikel der eben im Gang befindlichen Friedensunterhandlungen: 1) „Dänemark tritt die Herzogtümer an Öſterreich und Preußen ab.“ Damit war ich zufrieden. Die Verbündeten würden ſich nun natürlich beeilen, das nicht für ſich, ſondern für einen anderen eroberte Land dieſem anderen zu übergeben. 2) „Die Grenze wird genau reguliert.“ Das wäre auch ganz hübſch; wenn nur dieſe Regulierungen ein bischen mehr Verharrungskraft hätten; aber es iſt ja erbärmlich, welche ewige Verſchiebungen ſolche blaue und grüne Striche auf den Landkarten unaufhörlich zu erleiden haben. 3) „Die Staatsſchulden werden nach dem Maß der Bevölkerung verteilt.“ Das verſtand ich nicht. Bis zu volkswirtſchaftlichen und finanziellen Fragen hatte ich mich in meinen Studien nicht aufgeſchwungen; ich nahm an der Politik nur ſofern Anteil, als ſie auf Krieg und Frieden Bezug hatte, denn dies war mir — als Menſch und Gattin — Herzensfrage. 4) „Die Kriegskoſten tragen die Herzogtümer.“ Das war mir wieder einigermaßen klar. Das Land war verwüſtet worden, die Saaten zertreten, deſſen Söhne getötet: einiger Erſatz gebührte ihm doch — nun denn: es durfte die Kriegskoſten tragen. „Und was gibt es heute Neues mit Schleswig-Holſtein?“ fragte ich ſelber, wenn das Geſpräch noch nicht auf das politiſche Gebiet gelenkt worden war. „Das neueſte iſt,“ berichtete am 13. Auguſt mein Vater, „daß Herr von Beuſt an den Bundestag die Frage geſtellt hat, mit welchem Rechte die Verbündeten ſich die Herzogtümer von einem Könige {abtreten} ließen, den der Bund gar nicht als rechtmäßigen Beſitzer anerkannt hatte.“ „Das iſt eigentlich ein ganz vernünftiger Einwand,“ bemerkte ich; „denn es hieß ja doch, der Protokoll-Prinz ſei nicht der legitime Herr der deutſchen Lande, und nun laßt Ihr Euch feierlich von Chriſtian Ⅸ. —“ „Das verſtehſt Du nicht, Kind“ — unterbrach mein Vater. „Eine Frechheit, eine Chicane iſt es von dieſem Herrn von Beuſt, weiter nichts. Die Herzogtümer gehören ohnehin ſchon uns, da wir ſie erobert haben.“ „Aber doch nicht für Euch erobert? — es hieß: für den Auguſtenburger.“ „Das verſtehſt Du wieder nicht. Die Gründe, welche vor Ausbruch eines Krieges von den Kabinetten als Veranlaſſung desſelben angegeben werden, die treten in den Hintergrund, ſobald die Schlachten einmal geſchlagen worden. Da bringen die Siege und Niederlagen ganz neue Kombinationen hervor; dann vermindern und vermehren und bilden ſich die Reiche in vorher ungeahnten Verhältniſſen.“ „Alſo ſind die Gründe eigentlich keine Gründe, ſondern Vorwände geweſen?“ fragte ich. „Vorwände? nein“ — kam einer der Generäle meinem Vater zu Hilfe. — „Anläſſe vielmehr, Anſtöße zu den Ereigniſſen, welche ſich dann ſelbſtändig nach Maßſtab der Erfolge geſtalten.“ „Hätte ich zu ſprechen,“ ſagte mein Vater, „ſo würde ich nach Düppel und Alſen wahrlich zu keinen Friedensverhandlungen mich hergegeben haben — ganz Dänemark hätte man erobern können.“ „Und was damit?“ „Dem deutſchen Bunde einverleiben.“ „Du biſt doch ſonſt nur ſpezifiſch öſterreichiſcher Patriot, lieber Vater — was liegt Dir an der Vergrößerung Deutſchlands?“ „Haſt Du vergeſſen, daß die Habsburger deutſche Kaiſer waren und es wieder werden können?“ „Das würde Dich freuen?“ „Welchen Öſterreicher ſollte dies nicht mit Freude und Stolz erfüllen?“ „Wie aber“, meinte Friedrich, „wenn die andere deutſche Großmacht gleiche Träume nährte?“ Mein Vater lachte laut auf: „Die Krone des heiligen römiſch-deutſchen Reiches auf dem Haupte eines proteſtantiſchen Königleins? Biſt Du bei Troſt?“ „Wenn jetzt nur nicht“, bemerkte Dr. Breſſer, „zwiſchen den beiden Mächten über das Objekt, für welches ſie vereint gefochten haben, ein Streit entſteht. Die Elbprovinzen erobern — das war eine Kleinigkeit — aber was nun damit anfangen? Das kann noch zu allerlei Verwickelungen Anlaß geben. Jeder Krieg — was immer deſſen Ausgang ſei — enthält unweigerlich den Keim eines folgenden Krieges in ſich. Ganz natürlich: ein Gewaltakt verletzt immer irgend ein Recht. Dieſes erhebt über kurz oder lang ſeine Anſprüche und der neue Konflikt bricht aus — wird dann von neuem durch unrechtsſchwangere Gewalt zum Austrag gebracht — und ſo ins Unendliche.“ Einige Tage ſpäter gab es wieder eine Neuigkeit. König Wilhelm von Preußen ſtattete unſerem Kaiſer in Schönbrunn einen Beſuch ab. Äußerſt herzlicher Empfang, Umarmung. Aufgehißte preußiſche Adler. Von allen Militärkapellen vorgetragene preußiſche Volkshymne. Jubelnde Hochrufe. Mir waren dieſe Berichte wohlthuend, denn durch ſie wurde die ſchlimme Prophezeiung Doktor Breſſers zu Schanden gemacht, daß die beiden Mächte über das gemeinſchaftlich befreite Ländchen miteinander in Streit geraten würden. Dieſer beruhigten Zuverſicht gaben auch allenthalben die Zeitungen Ausdruck. Mein Vater freute ſich gleichfalls über die freundſchaftlichen Kundgebungen in Schönbrunn. Aber nicht vom friedlichen, ſondern vom kriegeriſchen Standpunkte aus. „Ich bin froh,“ ſagte er, „daß wir nun einen neuen Alliierten haben. Mit Preußen im Bunde werden wir — ebenſo leicht, wie wir die Elbherzogtümer erobert haben — uns die Lombardei zurückholen können.“ „Das wird Napoleon Ⅲ. nicht zugeben, und mit dem wird ſich der Preuße auch nicht brouillieren wollen“, meinte einer der Generäle. „Es iſt ohnehin ein ſchlechtes Zeichen, daß Benedetti, Öſterreichs ärgſter Feind, jetzt Geſandter in Berlin iſt.“ „Aber ſagt mir doch, Ihr Herren“, rief ich, die Hände faltend, warum ſchließen denn nicht die ſämtlichen geſitteten Mächte Europas einen Bund? das wäre doch das einfachſte.“ … Die Herren zuckten die Achſeln, lächelten überlegen und gaben mir keine Antwort. Ich hatte offenbar wieder eine jener Dummheiten ausgeſprochen, wie ſie „die Damen“ zu ſagen pflegen, wenn ſie ſich in das ihnen unzugängliche Gebiet der höheren Politik wagen. 38. Drittes Buch. 1864. // 12. Abſchnitt