Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 36. Drittes Buch. 1864. // 10. Abſchnitt Es war mir gelungen, Friedrich zu dem Entſchluſſe zu bewegen, den Dienſt zu verlaſſen. Der Umſtand, daß er — nach ſeiner Verheiratung — noch über ein Jahr gedient und mit Auszeichnung einen Feldzug mitgemacht, ſchützte ihn vor dem, meinem Vater in der Brautzeit aufgeſtiegenen Verdacht, daß die ganze Heirat nur den Zweck hatte, ſeine Laufbahn aufgeben zu können. Jetzt, wenn der Friede, deſſen Präliminarien im Gange waren, geſchloſſen ſein würde, und da vorausſichtlich lange Jahre des Friedens bevorſtanden — jetzt hatte ein Austritt aus dem Militärverband nichts Ehrverletzendes an ſich. Zwar wiederſtrebte es noch einigermaßen Friedrichs Stolz, auf Stellung und Einkommen zu verzichten, um, wie er ſagte, „nichts zu thun, nichts zu ſein und nichts zu haben“; aber ſeine Liebe zu mir war doch ein mächtigeres Gefühl, als ſein Stolz, und er konnte meinen Bitten nicht widerſtehen. Ich erklärte, ein zweites Mal könne ich die Seelenangſt nicht durchmachen, die mir die letzte Trennung verurſacht — und er mochte wohl ſelber ſolchen Schmerz nicht wieder auf uns Beide herabbeſchwören. Das Zartgefühl, welches vor ſeiner Verheiratung mit mir ihn vor der Idee zurückſchrecken ließ, von dem Vermögen der reichen Frau zu leben, das war jetzt nicht mehr im Spiele, denn wir waren ſo ſehr {eins} geworden, daß zwiſchen „mein“ und „dein“ kein fühlbarer Unterſchied mehr waltete, und verſtanden einander ſo gut, daß er eine Mißbeurteilung ſeines Charakters von meiner Seite nicht mehr befürchten durfte. Der letzte Feldzug hatte zudem ſeine Abneigung gegen die Mordpflichten des Krieges noch ſo ſehr vergrößert und das rückhaltloſe Ausſprechen dieſer Abneigung hatte dieſelbe ſo gefeſtigt, daß ihm das Quittieren nicht nur als eine unſerem häuslichen Glücke gemachte Konzeſſion, ſondern zugleich als eine Bethätigung ſeiner Geſinnung, als einen Überzeugungstribut erſcheinen ließ, und ſo verſprach er mir, im kommenden Herbſte — bis dahin mußten die Friedensverhandlungen doch beendet ſein — ſeinen Abſchied zu nehmen. Wir planten, mit meinem, gegenwärtig im Bankhauſe Schmitt & Söhne liegenden Vermögen ein Gut zu kaufen, an deſſen Bewirtſchaftung Friedrich Beſchäftigung finden würde. Damit ſollte der erſte Teil ſeiner Sorge „nichts zu thun, nichts zu ſein und nichts zu haben“, ſchon beſeitigt werden. Für das Sein und Haben würde auch Abhilfe geſchaffen: „Sein: k._k. Oberſt a._D. und ein glücklicher Menſch — iſt das nicht genug?“ fragte ich. Und haben: Du haſt uns — mich und Rudi und — — die Kommenden … iſt das nicht auch genug?“ Er ſchloß mich lachend in die Arme. Meinem Vater und den Anderen wollten wir von unſeren Plänen vorläufig noch nichts mitteilen. Jedenfalls würden jene Einwände erheben, Ratſchläge erteilen, Rügen ausſprechen — und das war jetzt noch überflüſſig. Später würden wir uns über derlei hinauszuſetzen wiſſen; denn wenn ſich zwei alles in allem ſind, prallt jede fremde Meinung wirkungslos von ihnen ab. Dieſe gewonnene Sicherheit für die Zukunft erhöhte noch den Genuß der Gegenwart, welche ſich ohnehin von der Folie der durchgemachten ſchweren Vergangenheit ſo vorteilhaft abhob … ich kann es nur wiederholen: es war eine ſchöne Zeit. Mein Sohn Rudolf, nunmehr ein ſiebenjähriger kleiner Mann, fing jetzt an leſen und ſchreiben zu lernen, und ſeine Lehrerin — war ich. Ich hätte keiner „Bonne“ die Freude gegönnt — was ihr übrigens vermutlich gar keine geweſen wäre — dieſe kleine Seele langſam ſich entfalten zu ſehen und derſelben die erſten Überraſchungen des Wiſſens beizubringen. Oftmals war der Kleine unſer Begleiter auf unſeren Spaziergängen und wir wurden nicht müde, die Fragen, welche ſeine erwachende Wißbegier an uns ſtellte, zu beantworten. Zu beantworten ſo gut und ſo weit wir konnten. Auf Lügen ließen wir uns nicht ein. Wir ſcheuten uns nicht, ſolche Fragen, auf die wir keinen Beſcheid wußten — auf die kein Menſch Beſcheid weiß — mit einem aufrichtigen „das weiß man nicht, Rudi“ zu beantworten. Anfänglich geſchah es, daß Rudolf, mit ſolcher Antwort nicht zufrieden, ſeine Frage nochmals bei Tante Marie, bei ſeinem Großvater oder bei — der Kinderfrau vorbrachte, und da wurden ihm ſtets unzweifelhafte Aufſchlüſſe zu teil. Triumphierend kam er dann zu uns: „Ihr wißt nicht, wie alt der Mond iſt? Ich weiß es jetzt: ſechs tauſend Jahre — merkt euch das.“ Friedrich und ich wechſelten einen ſtummen Blick. Ein ganzes Buch voll pädagogiſcher Klagen und Bedenken lag in dieſem Blick und dieſem Schweigen. Beſonders unliebſam war mir die Soldatenſpielerei, welche ſowohl mein Vater wie mein Bruder mit dem Kleinen trieben. Die Begriffe von „Feind“ und von „Dreinhauen“ wurden ihm beigebracht, ich weiß gar nicht wie. Eines Tages kamen wir dazu, Friedrich und ich, wie Rudolf mit einer Reitgerte unbarmherzig auf zwei wimmernde junge Hunde einhieb. „Das iſt ein falſcher Italiener,“ ſagte er, auf das eine der armen Tierchen ausholend, „und das“ — auf das andere — „ein frecher Däne“. Friedrich riß dem Nationenzüchter die Gerte aus der Hand: „Und das iſt ein herzloſer Öſterreicher,“ ſagte er, indem er ein paar tüchtige Schläge auf Rudolfs Schultern fallen ließ. Italiener und Däne liefen vergnügt davon, und das Wimmern wurde jetzt von unſerem kleinen Landsmann beſorgt. „Biſt Du mir böſe, Martha, daß ich Deinen Sohn geſchlagen? Ich bin ſonſt wahrlich nicht für die Prügelſtrafe eingenommen, aber Grauſamkeit gegen Tiere kann mich entrüſten —“ „Du haſt recht gethan,“ unterbrach ich. „Alſo nur gegen Menſchen … darf man … grauſam ſein?“ fragte der Kleine mitten in ſeinem Schluchzen. „Auch nicht — noch weniger —“ „Du haſt doch ſelber auf Italiener und Dänen gehaut?“ „Das waren Feinde —“ „Die alſo darf man haſſen?“ „Und heute oder morgen“ — wandte ſich Friedrich leiſe an mich — „wird ihm der Pfarrer ſagen, daß man ſeine Feinde lieben ſolle — o Logik!“ Dann laut zu Rudolf: „Nicht, weil wir ſie haſſen, dürfen wir unſere Feinde ſchlagen, ſondern weil ſie uns ſchlagen wollen.“ „Und warum wollen ſie uns ſchlagen?“ „Weil wir {ſie} — nein, nein,“ unterbrach er ſich, „aus dieſem Cirkel find’ ich keinen Ausweg. Geh ſpielen, Rudi — wir verzeihen Dir — aber thu’s nicht wieder.“ Vetter Konrad machte, wie mir ſchien, einige Fortſchritte in Lillis Gnade. Es geht doch nichts über Ausdauer. Ich hätte dieſe Verbindung ſehr gern geſehen, und beobachtete mit Vergnügen, wie die Blicke meiner Schweſter froh aufleuchteten, wenn von weitem der Hufſchlag von Konrads Pferde ſich vernehmen ließ, und wie ſie ſeufzte, wenn er wieder davonritt. Er machte ihr nicht mehr den Hof, das heißt er ſprach nichts von ſeiner Liebe, brachte ſeine Werbung nicht von neuem vor — dennoch war ſein Benehmen eine regelrechte Belagerung. „Wie es verſchiedene Arten gibt, eine Feſtung zu nehmen,“ ſo erklärte er mir eines Tages, — durch Sturm, — durch Hunger — ſo gibt es auch mehrfache Mittel, ein Frauenherz zur Kapitulation zu bringen. Darunter eins der wirkſamſten: die Gewohnheit — die Rührung … Es muß ſie doch rühren, daß ich ſo beharrlich liebe, dabei ſo beharrlich ſchweige und immer wiederkomme. Wenn ich ausbliebe, riſſe das eine gewaltige Lücke in ihre Exiſtenz; und wenn ich noch eine Zeit lang ſo fortfahre, ſo wird ſie ohne mich es gar nicht mehr aushalten.“ „Und wieviel mal ſieben Jahre gedenkſt Du ſo um Deine Erkorene zu dienen?“ „Das habe ich nicht berechnet … ſo lange, bis ſie mich nimmt.“ „Ich bewundere Dich. Gibt es denn gar keine anderen Mädchen auf der Welt?“ „Für mich nicht. Ich habe mir die Lilli in den Kopf geſetzt. Sie hat ein gewiſſes Etwas um die Mundwinkel, im Gang, in der Art zu ſprechen, das mir keine Andere erſetzen kann … Du, Martha, biſt zum Beiſpiel zehnmal hübſcher und hundertmal geſcheiter —“ „Danke —“ „Aber ich wollte Dich nicht zur Frau.“ „Danke.“ „Eben weil Du zu geſcheit biſt — Du würdeſt mich ſo gewiß von oben herab anſehen. Mein Kreuzchen am Kragen, mein Säbel, die Sporen imponieren Dir nicht. Lilli hat doch Reſpekt vor einem ſtreitbaren Mann — ich weiß, ſie betet das Militär an, während Du —“ „Ich habe doch zweimal Militärs geheiratet,“ erwiderte ich lächelnd. 37. Drittes Buch. 1864. // 11. Abſchnitt