Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 33. Drittes Buch. 1864. // 7. Abſchnitt Zum Glück befanden ſich in dem Briefpacket noch Nachrichten jüngeren Datums, als das eben angeführte Schreiben … Nach der in letzterem vorhergeſagten großen Schlacht hatte Friedrich berichten können: „Der Tag iſt unſer. Ich bin unverſehrt geblieben. Das ſind zwei gute Nachrichten — die erſte namentlich für Deinen Vater, die zweite für Dich. Daß für unzählige andere derſelbe Tag unzähligen Jammer gebracht hat, vermag ich nicht zu überſehen.“ In einem andern Brief erzählte Friedrich, daß er mit ſeinem Vetter Gottfried zuſammengetroffen: „Stelle Dir vor, welche Überraſchung: Wen ſehe ich an der Spitze eines Detachements an mir vorüber reiten? Tante Korneliens einzigen Sohn. Muß die Arme jetzt doch zittern … Der Junge ſelber iſt ganz begeiſtert und kampfesfroh. Ich ſah es ſeiner ſtolzen, leuchtenden Miene und er hat es mir auch beſtätigt. Am ſelben Abend waren wir zuſammen im Lager und ich ließ ihn in mein Zelt rufen. „Das iſt ja herrlich,“ rief er entzückt, „daß wir für dieſelbe Sache kämpfen, Vetter — und nebeneinander! Hab’ ich nicht Glück, daß gleich im erſten Jahre meiner Lieutnantsſchaft Krieg ausgebrochen? Ich werde mir ein Verdienſtkreuz holen.“ — „Und die Tante — wie hat ſie Dein Ausrücken aufgenommen?“ — „Wie das nun ſchon ’mal der Mütter Brauch: mit Thränen — die ſie übrigens zu verbergen ſuchte, um meine Luſt nicht zu dämpfen — mit Segenswünſchen, mit Kummer und mit Stolz.“ — „Und wie war’s Dir ſelber zu Mute, als Du zum erſtenmale ins Gemenge kamſt?“ — „O wonnig erhebend!“ — „Du brauchſt nicht zu lügen, mein Junge. Nicht der Stabsoffizier fragt nach Deinen pflichtſchuldigen Lieutenantsgefühlen, ſondern der Menſch und Freund.“ — „Ich kann nur wiederholen: wonnig und erhebend. Schauerlich — ja … aber: ſo großartig! Und das Bewußtſein, daß ich die höchſte Mannespflicht erfülle mit Gott für König und Vaterland! Und dann: daß ich den Tod, dieſes ſonſt ſo gefürchtete und gemiedene Geſpenſt, hier ſo nahe um mich herum walten ſehen, — ſeine Senſe auch über mir erhoben — das verſetzt mich in eine eigene, über die Gewöhnlichkeit ſo erhabene, epiſche Stimmung … Die Muſe der Geſchichte fühle ich uns zu Häupten ſchweben und unſerem Schwert die Siegeskraft verleihen. Ein edler Zorn durchglüht mich gegen den frechen Feind, der das Recht der deutſchen Lande niedertreten wollte, und es iſt mir ein Hochgefühl, dieſen Haß befriedigen zu dürfen … das iſt ein eigen, geheimnisvolles Ding, dieſes Umbringendürfen — nein, Umbringen {müſſen} — ohne ein Mörder zu ſein und mit unerſchrockener Preisgebung des eigenen Lebens“ … So faſelte der Knabe weiter. Ich ließ ihn reden. Habe ich doch Ähnliches empfunden, als mich die erſte Schlacht umtoſte. „Epiſch“ ja, da hat er das richtige Wort getroffen. Die Heldengedichte und Heldengeſchichten, mittelſt deren uns die Schule zu Kriegern aufzieht, die ſind es, welche dann durch den Donner der Geſchütze, durch das Blitzen der blanken Waffen und durch das Feldgeſchrei der Kämpfer in unſerem Hirn zum Vibrieren gebracht werden. Und die Außergewöhnlichkeit, die unverſtändliche Außergeſetzlichkeit, in der man plötzlich ſich befindet, die macht, als wäre man in eine andere Welt verſetzt … es iſt wie ein Ausblick von dem banalen Erdendaſein mit ſeiner friedlichen, bürgerlichen Ruhe, in ein titaniſches Gewühl von Höllengeiſtern … Aber mir war dieſer Taumel bald verflogen und nur mühſam kann ich mich in die Empfindungen zurückdenken, wie ſie mir der junge Teſſow geſchildert. Ich habe es zu früh erkannt, daß der Schlachteneifer nichts Übermenſchliches, ſondern — Untermenſchliches iſt; keine myſtiſche Offenbarung aus dem Reiche Luzifers, ſondern eine Reminiscenz aus dem Reiche der Tierheit — ein Wiedererwachen der Beſtialität. Nur wer ſich bis zur wilden Mord{luſt} berauſchen kann, wer — wie ich das bei Manchen unter uns geſehen — mit weit ausgeholtem Hiebe den Schädel eines entwaffneten Feindes ſpaltet; wer zum Berſerker — tiefer noch — zum blutdurſtigen Tiger herabgeſunken, der hat für Augenblicke „des Kampfes Wolluſt“ genoſſen. Ich nie — mein Weib — glaube es mir, ich nie. Gottfried iſt entzückt, daß wir Öſterreicher für dieſelbe „gerechte Sache“ (was weiß denn er? Als ob nicht {jede} Sache im Armeebefehl als die „gerechte“ hingeſtellt würde) wie die Preußen eingetreten ſind. „Ja, wir Deutſche ſind doch alle ein einig Volk von Brüdern.“ — „Das hat ſich ſchon im dreißigjährigen Krieg — und auch im ſiebenjährigen Krieg gezeigt,“ ſchaltete ich halblaut ein. Gottfried überhörte mich und fuhr fort: „Füreinander, miteinander beſiegen wir jeden Feind.“ — „Wie dann, mein Junge, wenn heute oder morgen die Preußen mit den Öſterreichern kämpfen und wir zwei als Feinde {gegen} einander geſtellt werden?“ — „Nicht denkbar. Jetzt, nachdem unſer beider Blut für eine Sache gefloſſen, jetzt kann doch nie mehr …“ — „Nie mehr? Ich warne Dich vor den Ausdrücken „nie“ und „ewig“ in politiſchen Dingen. Was die Eintagsfliegen im Reiche der Lebeweſen, das ſind die Völkerfeindſchaften und Freundſchaften im Reiche der geſchichtlichen Erſcheinungen.“ Ich ſchreibe das alles nieder, Martha, nicht weil ich glaube, daß es Dich — arme Kranke — intereſſieren könne; noch, weil ich Dir gegenüber Betrachtungen anſtellen will: aber ich habe eine Idee, daß ich bleiben werde und da will ich nicht, daß meine Gefühle unausgeſprochen mit mir ins Grab verſinken. Mein Brief kann — auch noch von anderen als Dir — gefunden und geleſen werden. Es ſoll nicht ewig verſchwiegen und vertuſcht bleiben, was ſich im Geiſte unbefangen denkender und menſchlich fühlender Soldaten regt. „Ich hab’s gewagt“, war Ulrich von Huttens Wahlſpruch. „Ich hab’s geſagt —: mit dieſer Gewiſſensberuhigung will ich aus dem Leben geſchieden ſein.“ Die jüngſte der vorhandenen Nachrichten war vor fünf Tagen abgeſendet worden und vor zwei Tagen angekommen. Was kann in fünf Tagen — fünf Kriegstagen — nicht alles geſchehen ſein? Sorge und Bangen ergriff mich. Warum war geſtern, warum heute kein Zeichen angelangt? O dieſe Sehnſucht nach einem Briefe — lieber noch Telegramme —: ich glaube kein von Fieberdurſt Gequälter kann ſo nach Waſſer lechzen, wie ich damals nach einer Nachricht lechzte. Ich war gerettet; ihm ſollte die große Freude werden, mich lebend zu finden, wenn — — immer dieſes „wenn“ — dieſes jede Zukunftshoffnung in der Knoſpe erſtickende „wenn“! Mein Vater mußte wieder abreiſen. Nunmehr konnte er mich beruhigt verlaſſen — die Gefahr war vorüber und er hatte ſchon dringend in Grumitz zu thun. Ich ſollte, ſobald ich hierzu die nötigen Kräfte zurückerlangt, ihm dorthin mit meinem kleinen Rudolf folgen. Der Aufenthalt in der friſchen Landluft würde mich erſt vollſtändig herſtellen können, und auch dem Kleinen förderlich ſein. Tante Marie blieb zurück; ſie wollte mich weiter pflegen und dann mit mir zugleich nach Grumitz fahren, wohin uns Roſa und Lilli ſchon vorangegangen waren. Ich ließ ſie reden und für mich Pläne machen. Im Stillen nahm ich mir vor — ſobald ich nur halbwegs dazu fähig ein würde — nach Schleswig-Holſtein abzureiſen. Wo Friedrichs Regiment in dieſem Augenblicke ſich befand, wußten wir nicht. Es war unmöglich, ihm eine Depeſche zukommen zu laſſen, und am liebſten hätte ich jede Stunde telegraphiert, um zu fragen: „Lebſt Du?“ „Du mußt Dich nicht ſo aufregen,“ predigte mein Vater, als er von mir Abſchied nahm, „ſonſt bekommſt Du gar noch einen Rückfall. Zwei Tage ohne Nachricht: was iſt das? Doch wahrlich kein Grund zur Beſorgnis. Im Felde findet man nicht überall Briefkaſten und Telegraphenſtationen — abgeſehen davon, daß man während des Marſches und des Schlagens gar nicht im ſtande iſt, zu ſchreiben. Die Feldpoſt funktioniert nicht immer regelmäßig; da kann man leicht vierzehn Tage nachrichtslos bleiben, ohne daß dies Schlimmes bedeutet. Zu meiner Zeit habe ich oft noch länger nicht nach Hauſe geſchrieben und man war darum nicht beſorgt um mich.“ „Wie weißt Du das, Papa? Ich bin überzeugt, die Deinen haben für Dich ebenſo gezittert, wie ich für Friedrich zittere. Nicht wahr, Tante?“ „Wir waren gottvertrauender als Du,“ antwortete dieſe; „wir wußten, daß, wenn die gütige Vorſehung es ſo lenken wollte, daß — ob wir nun Nachrichten erhielten oder keine — Dein Vater zu uns zurückkehren würde.“ „Und wäre ich nicht zurückgekehrt, alle Kuckuck, ſo waret ihr auch vaterlandsliebend genug, um einzuſehen, daß eine ſo geringe Sache, wie eines einzelnen Soldaten Leben in der großen Sache, für die er es gelaſſen hat, gänzlich verſchwindet. Du, meine Tochter, biſt lange nicht patriotiſch genug geſinnt. Aber ich will jetzt mit Dir nicht zanken … Die Hauptſache iſt, daß Du wieder geſund wirſt, und Dich für Deinen Rudi erhältſt, um einen tüchtigen Mann und Vaterlandsverteidiger aus ihm heranzubilden. 34. Drittes Buch. 1864. // 8. Abſchnitt