Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 30. Drittes Buch. 1864. // 4. Abſchnitt Vom Kriegsſchauplatze her kamen gute Nachrichten. Die Verbündeten ſiegten Schlag auf Schlag. Nach den erſten Gefechten ſchon mußten die Dänen das ganze Danewerk räumen; Schleswig und Jütland bis Limfjord wurde von den Unſeren beſetzt und der Feind behauptete ſich nur noch in den Düppeler Schanzen und auf Alſen. Das wußte ich alles ſo genau, weil auf den Tiſchen wieder die ſtecknadelbeſpickten Landkarten auflagen, auf welchen die Bewegungen und Stellungen der Truppen, je nach den einlaufenden Berichten, markiert wurden. „Wenn wir jetzt auch noch die Düppeler Schanzen nehmen, oder wenn wir gar Alſen erobern,“ ſagten die Olmützer Bürger (denn niemand ſpricht ſo gern von den kriegeriſchen Thaten per „wir“ als diejenigen, welche niemals dabei waren), „dann ſind wir fertig … Jetzt zeigen doch wieder unſere Öſterreicher, was ſie können. Auch die braven Preußen ſchlagen ſich prächtig — die beiden miteinander ſind natürlich unüberwindlich. Das Ende wird ſein, daß ganz Dänemark erobert und dem deutſchen Bunde zugeteilt wird — ein glorreicher, glückbringender Krieg!“ Auch ich wünſchte jetzt nichts ſehnlicher, als die Erſtürmung von Düppel — je früher, je lieber — denn dieſe Aktion würde doch entſcheidend ſein und der Schlägerei ein Ende machen. Hoffentlich ein Ende machen, ehe Friedrichs Regiment Marſchbefehl erhielt. O dieſes Damoklesſchwert … Jeden Tag beim Erwachen fürchtete ich mich, daß die Nachricht gebracht werde: „Wir marſchieren ab!“ Friedrich war gefaßt darauf. Er wünſchte es nicht, aber er ſah es kommen. „Gewöhne Dich an den Gedanken, Kind,“ ſagte er mir. „Gegen die unerbittliche Notwendigkeit hilft kein Sträuben. Ich glaube nicht, ſelbſt wenn Düppel fällt, daß der Krieg darum zu Ende ſein wird. Die ausgeſandte Doppelarmee iſt viel zu klein, um den Dänen eine Entſcheidung aufzuzwingen; wir werden noch bedeutenden Nachſchub ſchicken müſſen — und da wird auch mein Regiment nicht verſchont bleiben.“ Schon dauerte dieſer Feldzug über zwei Monate, und noch kein Reſultat. Wenn ſich die grauſe Partie doch in einem Kampfe entſcheiden wollte, wie bei dem Duell. Aber nein: iſt eine Schlacht verloren, ſo wird eine zweite geliefert; muß eine Poſition aufgegeben werden, ſo wird eine andere behauptet, und ſo fort bis zur Vernichtung des einen oder des anderen Heeres, oder zur Erſchöpfung beider … Am 14. April endlich wurden die Düppeler Schanzen erſtürmt. Die Nachricht ward mit einem Jubel aufgenommen, als wäre hinter dieſen Schanzen das nunmehr eroberte Paradies gelegen. Man umarmte ſich auf den Straßen: „Sie wiſſen ſchon? Düppel! … O unſer tapferes Heer … Eine unerhörte Großthat! … Jetzt danket alle Gott.“ Und in ſämtlichen Kirchen Abſingung des Tedeums; unter den Militärkapellmeiſtern emſiges Komponieren von „Düppelerſchanzenmarſch“, „Sturm von Düppel-Galopp“ und ſo weiter. Die Kameraden meines Mannes und deren Frauen hatten zwar einen Tropfen Bitterkeit in ihrem Freudenbecher; nicht dabei geweſen zu ſein … bei einem ſolchen Triumph fehlen zu müſſen — ſolches „Pech“! Mir verurſachte dieſer Sieg eine große Freude; denn gleich darauf trat in London eine Friedenskonferenz zuſammen und vermittelte einen Waffenſtillſtand. Welches freie Aufatmen dieſes Wort „Waffenſtillſtand“ doch gewährt! … Wie müßte die Welt erſt aufatmen — dachte ich damals zum erſtenmal — wenn es allenthalben hieße: {die Waffen nieder} — auf immer nieder! Ich trug das Wort in die roten Hefte ein. Daneben aber ſchrieb ich verzagt, zwiſchen Klammern: „Utopia“. Daß der Londoner Kongreß dem ſchleswig-holſteinſchen Kriege ein Ende machen würde, daran zweifelte ich gar nicht. Die Verbündeten hatten geſiegt, die Düppeler Schanzen waren genommen — dieſe Schanzen hatten in letzter Zeit eine ſo große Rolle geſpielt, daß mir deren Einnahme als endgültig entſcheidend erſchien — wie wollte Dänemark jetzt noch weiter ſich behaupten? Die Verhandlungen zogen ſich unglaublich lange hin. Dies wäre mir eine Qual geweſen, wenn ich nicht von allem Anfang an die Überzeugung gehabt hätte, daß das Ergebnis ein befriedigendes ſein müſſe. Wenn die Vertreter mächtiger Staaten, dabei vernünftige wohlmeinende Leute, ſich zuſammenthun, um ein ſo wünſchenswertes Ziel zu erreichen, wie Friedensſchließung, wie könnte das mißlingen? Deſto entſetzlicher war meine Enttäuſchung, als nach zwei Monate lang geführten Debatten die Nachricht eintraf, daß der Kongreß unverrichteter Dinge wieder auseinandergehe. Und zwei Tage ſpäter kam für Friedrich — der Marſchbefehl! Zur Vorbereitung und zum Abſchied hatte er vierundzwanzig Stunden Zeit. Und ich war auf dem Punkte, niederzukommen. In der toddräuenden, ſchweren Stunde, wo eines Weibes einziger Troſt darin beſteht, den geliebten Mann neben ſich zu haben, würde ich allein bleiben müſſen — allein mit dem über alles bangen Bewußtſein, daß der geliebte Mann in den Krieg gegangen — wiſſend, daß es ihm ebenſo ſchmerzlich ſein mußte, in ſolcher Stunde ſeine arme Frau zu verlaſſen, als es mir ſchmerzlich ſein würde, ihn zu miſſen … Es war am Morgen des 20. Juni. Alle Einzelheiten dieſes denkwürdigen Tages ſind mir eingeprägt geblieben. Draußen herrſchte drückende Hitze und um dieſe auszuſchließen, waren die Rollvorhänge in meinem Zimmer herabgelaſſen. In leichte und loſe Gewänder gehüllt, lag ich ermattet auf der Chaiſelongue. Ich hatte die Nacht ziemlich ſchlaflos verbracht, und jetzt hatte mir ein traumhafter Halbſchlummer die Augen geſchloſſen. Neben mir, auf einem Tiſchchen, ſtand eine Vaſe mit ſtark duftenden Roſen. Durch das offene Fenſter drang der Ton entfernter Trompetenübungen herein. Das alles wirkte einſchläfernd, dennoch hatte mich das Bewußtſein nicht ganz verlaſſen. Nur die eine Hälfte davon — die Sorgenhälfte — war mir geſchwunden. Die Kriegsgefahr und die mir bevorſtehende Gefahr hatte ich vergeſſen: ich wußte nur, daß ich lebte, daß die Roſen — nach dem Rhythmus des Reveille-Signals — betäubend ſüße Düfte hauchten; daß mein geliebter Mann jede Minute hereinkommen konnte und, wenn er mich ſchlafen ſähe, nur ganz leiſe träte, um mich nicht zu wecken. Und richtig: im nächſten Augenblick öffnete ſich die mir gegenüberliegende Thüre. Ohne die Lider zu heben — nur durch eine linienbreite Spalte unter den Wimpern — konnte ich ſehen, daß es der Erwartete war. Ich machte keinen Verſuch, mich aus meinem Halbſchlummer herauszureißen — dadurch hätte ich möglicherweiſe das ganze Bild verſcheuchen können, denn vielleicht war die Erſcheinung an der Thür nur ein fortgeſetzter Traum, und vielleicht träumte ich nur, daß ich die Lider linienbreit geöffnet … Jetzt ſchloß ich dieſelben ganz und gab mir Mühe weiter zu träumen, daß der Teuere näher kommt — ſich herabbeugt und mir die Stirne küßt … So geſchah es auch. Dann kniete er neben mein Lager nieder und blieb eine Weile regungslos. Noch immer dufteten die Roſen und trarate das ferne Hornſignal … „Martha, ſchläfſt Du,“ hörte ich ihn leiſe fragen. Da ſchlug ich die Augen auf. „Um Gotteswillen, was iſt’s?“ rief ich, zu Tode erſchreckt — denn das Antlitz des an meiner Seite knienden Gatten war von ſo tiefer Trauer übergoſſen, daß ich mit einemmal erriet, es ſei ein Unglück hereingebrochen. Statt zu antworten, legte er ſein Haupt an meine Bruſt. Ich wußte alles: Er muß fort … Ich hatte den Arm um ſeinen Hals geſchlungen und ſo blieben wir beide eine Zeit lang ſtumm. „Wann?“ fragte ich endlich. „Morgen früh —“ „O mein Gott — mein Gott!!“ „Faſſe Dich, meine arme Martha —“ „Nein, nein, laß mich jammern … Mein Unglück iſt zu groß — und ich weiß — ich ſeh’ Dir’s an: das Deine auch. So viel Schmerz, wie ich vorhin in Deinen Zügen geleſen, habe ich noch in keines Menſchen Angeſicht geſehen.“ „Ja, mein Weib — ich {bin} unglücklich. Dich jetzt laſſen zu müſſen, in einer ſolchen Zeit —“ „Friedrich, Friedrich, wir ſehen uns nimmer — ich werde ſterben …“ 31. Drittes Buch. 1864. // 5. Abſchnitt