Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 25. Zweites Buch. Friedenszeit. // 15. Abſchnitt Von unſerer Reiſe zurückgekehrt, rückten wir nach einer kleinen mähriſchen Stadt — der Feſtung Olmütz — ein, wo Friedrichs Regiment in Garniſon lag. Von geſelligem Verkehr war in dem Neſte keine Rede, und ſo lebten wir beide in völliger Zurückgezogenheit. Außer den Stunden, die wir dem Dienſt widmeten — er als Oberſtlieutenant bei ſeinen Dragonern, ich als Mutter bei meinem Rudolf — widmeten wir uns gegenſeitig nur einander. Mit den Damen des Regiments waren die nötigen Ceremonienbeſuche und Gegenbeſuche ausgetauſcht worden, aber auf näheren Umgang ließ ich mich nicht ein; es gelüſtete mich nicht im geringſten darnach, bei Nachmittag-Kaffeegeſellſchaften Dienſtbotengeſchichten und Stadtklatſch zu hören, und ebenſo fern hielt ſich Friedrich den Spielpartien des Oberſten und den Trinkgelagen der Offiziere. Da hatten wir Beſſeres zu thun. Die Welt, in der wir uns bewegten — wenn wir des Abends zuſammen beim brodelnden Theekeſſel ſaßen — die war von der Welt der Olmützer Geſelligkeitskreiſe ſternenweit entfernt, „Sternenweit“ mitunter im buchſtäblichen Sinne — denn einige unſerer liebſten geiſtigen Ausflüge waren nach dem Firmament gerichtet. Wir laſen nämlich miteinander wiſſenſchaftliche Werke und unterrichteten uns über die Wunder des Weltalls. Da durchſtreiften wir die Tiefen des Erdballs und die Höhen der Himmelsräume; da drangen wir in die Geheimniſſe der mikroſkopiſch unendlichen Kleinheiten und der teleſkopiſch unendlichen Fernen, und je größer die Welt vor unſeren Blicken ſich entfaltete, in deſto winzigere Dimenſionen ſchrumpfte der Olmützer Intereſſenkreis ein. Unſere Lektüre beſchränkte ſich nicht auf Naturkunde allein, ſondern umfaßte noch viele andere Zweige der Forſchung und des Gedankens. So nahm ich unter anderem zum drittenmal meinen geliebten Buckle vor, um Friedrich mit dieſem Autor bekannt zu machen, den er dann ebenſoſehr bewunderte, wie ich; dabei vernachläſſigten wir auch die Dichter und Romanſchriftſteller nicht, und ſo geſtalteten ſich unſere gemeinſchaftlichen Leſeabende zu wahren Feſten des Geiſtes — während unſere übrige Exiſtenz eigentlich ein ununterbrochenes Feſt des Herzens war. Täglich gewannen wir uns lieber; was die Leidenſchaft an Feuer einbüßte, das gewann die Zuneigung an Innigkeit, die Achtung an Feſtigkeit. Das Verhältnis zwiſchen Friedrich und Rudolf war der Gegenſtand meines Entzückens. Die beiden waren die beſten Kameraden der Welt, und ſie miteinander ſpielen zu ſehen, war köſtlich. Friedrich war dabei von den zweien beinah der kindiſchere. Natürlich miſchte ich mich ſofort auch in die Partie, und was da für Dummheiten getrieben und geredet wurden, das mögen uns die Weiſen und Gelehrten verzeihen, deren Werke wir laſen — wenn Rudolf zu Bett gebracht war. Zwar behauptete Friedrich, daß er von Hauſe aus kein beſonderer Kinderfreund ſei; aber einmal war der Kleine ſeiner Martha Sohn, und zweitens war er wirklich lieb und herzig und ſchmiegte ſich ſeinem Stiefvater gar ſo zärtlich an. Wir machten häufig Pläne für die Zukunft des Knaben. Soldat? … Nein. Dazu würde er nicht taugen, denn in {unſerem} Erziehungsplan würde die Drillung zur Kriegsruhmliebe keinen Platz finden. Diplomat! Vielleicht. Am wahrſcheinlichſten aber Landwirt. Als künftiger Erbe des Dotzkyſchen Majorats, welches ihm von dem nunmehr ſechsundſechzigjährigen Onkel Arnos einſt zufallen mußte, würde es ihm Berufs genug ſein, ſeine Beſitzungen rationell zu verwalten. Dann ſollte er ſeine kleine Braut Beatrix heimführen und ein glücklicher Menſch werden. Wir waren ſelber ſo glücklich, daß wir gern für die ganze Mitwelt, und für die künftigen Geſchlechter obendrein, Schätze von Lebensfreude hätten geſichert ſehen wollen … Dennoch verſchloß ſich unſere Einſicht dem Elend nicht, unter welchem der größte Teil der Menſchheit ſeufzt und wohl noch durch manche Generation wird ſeufzen müſſen: Armut, Unwiſſenheit, Unfreiheit — ſo vielen Gefahren und Übeln ausgeſetzt — unter dieſen Übeln das fürchterlichſte: der Krieg. „Ach, wenn man beitragen könnte, es abzuwälzen!“ Dieſer ſeufzende Wunſch entrang ſich oft unſeren Herzen, aber die Betrachtung der herrſchenden Zuſtände und Anſichten ſtellte ſolchen Wünſchen ein entmutigendes „Unmöglich“ entgegen. Leider — der ſchöne Traum, daß es allen „wohlergehe, und alle lange leben mögen auf Erden“, läßt ſich nicht erfüllen — wenigſtens nicht in der Gegenwart. Aber die peſſimiſtiſche Lehre, daß das Leben ein Übel ſei, daß es allen beſſer wäre, ſie wären nie geboren — die war uns durch unſer eigenes Daſein gründlich widerlegt. Zu Weihnachten unternahmen wir einen Abſtecher nach Wien, um die Feſttage im Kreiſe meiner Familie zuzubringen. Mein Vater war nunmehr mit Friedrich völlig ausgeſöhnt. Die Thatſache, daß dieſer den Militärdienſt nicht verlaſſen, hatte die anfänglichen Zweifel und Verdächtigungen verſcheucht. Daß ich eine „ſchlechte Partie“ gemacht, das blieb freilich ſowohl meines Vaters als auch Tante Mariens Überzeugung; anderſeits mußten ſie aber auch die Thatſache anerkennen, daß mich mein Mann ſehr glücklich machte, und das rechneten ſie ihm doch zu gute. Roſa und Lilli that es leid, daß ſie im kommenden Faſching nicht unter {meiner}, ſondern unter der weit ſtrengeren Aufſicht der Tante in „die Welt“ gehen ſollten. Konrad Althaus war nach wie vor ein eifriger Beſucher des Hauſes, und es wollte mir ſcheinen, als hätte er in der Gnade Lillis einige Fortſchritte gemacht. Der heilige Abend fiel ſehr heiter aus. Es ward ein großer Chriſtbaum angezündet, und von einem zum andern wurden allerlei Geſchenke getauſcht. Der König des Feſtes und der Meiſtbeſchenkte war natürlich mein Sohn Rudolf; aber auch alle übrigen wurden bedacht. So erhielt Friedrich von mir einen Gegenſtand, bei deſſen Anblick er einen Freudenſchrei nicht unterdrücken konnte. Es war ein ſilberner Briefbeſchwerer in Geſtalt eines Storches. Derſelbe hielt einen Zettel im Schnabel, auf welchem von meiner Schrift die Worte ſtanden: Im Sommer 1864 bringe ich etwas. Friedrich umarmte mich ſtürmiſch. Wären die andern nicht dabei geweſen, er hätte ſicherlich einen Rundtanz mit mir aufgeführt. 26. Zweites Buch. Friedenszeit. // 16. Abſchnitt