Im September desſelben Jahres fand unſere Trauung ſtatt.
Mein Bräutigam hatte ſich für die Hochzeitsreiſe einen zweimonatlichen Urlaub erwirkt. Unſere erſte Etappe war Berlin. Ich hatte den Wunſch geäußert, einen Kranz auf das Grab von Friedrichs Mutter niederzulegen und unſere Reiſe mit dieſem Pilgergang zu eröffnen.
In der preußiſchen Hauptſtadt hielten wir uns acht Tage auf. Friedrich machte mich mit ſeinen dort lebenden Verwandten bekannt, und alle erſchienen mir als die liebenswürdigſten Leute von der Welt. Freilich — wenn man eben die roſafarbenen Brillen trägt, durch die man während der Honigwochen die Außenwelt zu betrachten pflegt, da findet man alles lieb und ſchön. Zudem wird neuvermählten Paaren allſeitig mit heiterer und freundlicher Zuvorkommenheit begegnet: alles hält ſich für verpflichtet, auf ihre ohnedies ſo blühenden Pfade immer neue Roſen zu ſtreuen.
Was mir an den Norddeutſchen beſonders wohlgefiel, war die Sprache. Nicht nur, weil dieſelbe den Accent meines Mannes aufwies — eine ſeiner Eigentümlichkeiten, in welche ich mich zuerſt verliebt hatte — ſondern weil ſie mir, im Vergleich zu der in Öſterreich üblichen Redeweiſe, ein höheres Bildungsniveau zu bekunden ſchien; oder vielmehr, nicht nur ſchien, ſondern in der That bekundete. Grammatikaliſche Verſtöße, wie ſolche die Umgangsſprache der beſſeren wiener Kreiſe verunſtalten, kommen in der guten berliner Geſellſchaft nicht vor. Die preußiſche Verwechſelung des Dativ und Accuſativ: „Gieb mich einen Federhut“ bleibt auf die unteren Klaſſen beſchränkt, während die in Wien üblichen Kaſus-Fehler: „Ohne Dir“ — „Mit die Kinder“ häufig genug in den erſten Salons gehört werden. „Gemütlich mögen wir immerhin unſere Sprache nennen und ſie von den Ausländern auch ſo befunden werden laſſen — eine Inferiorität ſtellt ſie jedenfalls vor. Wenn man Menſchenwert nach der Bildungsſtufe mißt — und welchen richtigeren Maßſtab gäb’ es wohl, als dieſen? — ſo iſt der Norddeutſche um ein Stückchen mehr Menſch, als der Süddeutſche — ein Ausſpruch, der im Munde eines Preußen ſehr „arrogant“ klänge, und aus der Feder einer Öſterreicherin ſehr „unpatriotiſch“ erſcheinen mag; — aber wie ſelten gibt es eine ausgeſprochene Wahrheit, die nicht irgendwo oder irgendwen verletzte …
Unſer erſter Beſuch in Berlin — nachdem wir auf dem Friedhofe geweſen — galt der Schweſter der Verſtorbenen. Aus der Liebenswürdigkeit und geiſtigen Bedeutung dieſer Frau konnte ich ſchließen, wie liebenswürdig und bedeutend Friedrichs Mutter geweſen ſein mußte, wenn ſie Frau Kornelie von Teſſow glich. Dieſe war die Witwe eines preußiſchen Generals und beſaß einen einzigen Sohn, welcher damals eben Lieutenant geworden war.
Einem ſchöneren Jüngling wie dieſem Gottfried von Teſſow bin ich in meinem ganzen Leben nicht begegnet. Rührend anzuſehen war es, wie Mutter und Sohn an einander hingen; auch darin ſchien Frau Kornelie Ähnlichkeit mit ihrer verſtorbenen Schweſter gehabt zu haben. Wenn ich den Stolz ſah, den ſie augenſcheinlich in Gottfried ſetzte und die Zärtlichkeit, womit er ſeine Mutter behandelte, ſo freute ich mich ſchon in Gedanken auf die Zeit, wo mein Sohn Rudolf erwachſen ſein würde. Nur eines konnte ich nicht begreifen, und ich äußerte dies auch zu meinem Manne:
„Wie kann eine Mutter ihr einziges Kind, ihr Kleinod, einen ſo gefährlichen Beruf ergreifen laſſen, wie den militäriſchen?“
„Es gibt einfach Gedanken, liebes Herz,“ antwortete mir Friedrich, „die niemand denkt, naheliegende Erwägungen, die niemand anſtellt. Ein ſolcher Gedanke iſt die Gefährlichkeit des Soldatenberufes. Den läßt man nicht aufkommen: es liegt — ſo meint man — eine Art Unanſtändigkeit und Feigheit darin, dieſe Erwägung vorzuſtellen. Es wird als ſo ſelbſtverſtändlich und unvermeidlich angenommen, daß dieſe Gefahr beſtanden werden müſſe und eigentlich faſt immer glücklich beſtanden werde (die Prozente der Gefallenen verteilen ſich auf die anderen), daß man an die Todeschance gar nicht denkt. Sie iſt zwar da — aber das iſt ſie ja für jeden Geborenen, und keiner denkt an den Tod. In dem Verjagen läſtiger Begriffe vermag der Geiſt Großes zu leiſten. Und ſchließlich: was kann ein preußiſcher Edelmann wohl für eine angenehmere und angeſehenere Stellung haben als die eines preußiſchen Kavallerieoffiziers?“
Tante Kornelia ſchien auch an mir Gefallen zu finden.
„Ach,“ ſeufzte ſie einmal —, „daß meine arme Schweſter die Freude nicht erleben ſollte, ſolch eine Schwiegertochter zu beſitzen und ihren Friedrich ſo glücklich zu ſehen, wie er es jetzt an Deiner Seite iſt. Es war immer ihr ſehnlichſter Wunſch, ihn verheiratet zu ſehen. Aber er ſtellte ſo hohe Anforderungen an die Ehe —“
„Es ſcheint nicht, Tantchen, da er mit mir vorlieb genommen …“
„‚A trap for a compliment‘ nennen das die Engländer. — Ich wollte, mein Gottfried könnte auch einſt ſolchen Treffer machen. Ich bin jetzt ſchon ungeduldig, Großmutterfreuden zu erleben. Doch da werde ich wohl noch lange warten können: mein Sohn iſt erſt einundzwanzig Jahre alt.“
„Er mag viele Mädchenköpfe verdrehen,“ ſagte ich, „viele Herzen brechen —“
„Das ſieht ihm nicht gleich: einen braveren rechtſchaffeneren Jungen giebt’s nicht. Er wird einmal eine Frau ſehr glücklich machen —“
„So wie Friedrich die ſeine —“
„Noch kannſt Du das nicht wiſſen, liebes Herz; darüber müſſen wir nach zehn Jahren wieder reden. In den erſten Wochen ſind faſt alle Ehen glücklich. Damit will ich jedoch keinen Zweifel an meinem Neffen, noch an Dir ausgedrückt haben — ich glaube ſelber, daß Euer Glück ein dauerhaftes ſein wird.“
Von Berlin aus begaben wir uns nach den deutſchen Bädern. Meine kurze Reiſe nach Italien mit Arno — von der ich übrigens nur eine ganz traumhafte Erinnerung hatte — abgerechnet, war ich von Hauſe nie weggekommen. Dieſes Kennenlernen neuer Orte, neuer Menſchen und neuen Lebens verſetzte mich in gehobenſte Stimmung. Die Welt ſchien mir plötzlich ſo ſchön und noch einmal ſo intereſſant geworden. Wäre mein kleiner Rudolf nicht geweſen, den ich zurückgelaſſen hatte, ich würde Friedrich vorgeſchlagen haben: „Laß uns Jahrelang ſo herumreiſen, wie jetzt. Beſuchen wir ganz Europa und hernach die übrigen Weltteile; genießen wir dieſe Wanderexiſtenz, dieſes ungebundene Umherſtreifen; ſammeln wir die Reichtümer neuer Eindrücke und Erfahrungen! Überall, wohin wir kommen — und ſeien uns Land und Leute noch ſo fremd — bringen wir ja durch unſer Beiſammenſein ein genügendes Stück Heimſtätte mit.“ Was hätte mir Friedrich auf ſolchen Vorſchlag geantwortet? Wahrſcheinlich, daß man es ſich nicht zum Beruf machen kann, bis an ſein Lebensende „hochzeitzureiſen,“ daß ſein Urlaub nur zwei Monate dauert und dergleichen vernünftige Sachen mehr.
Wir beſuchten Baden-Baden, Homburg und Wiesbaden. Überall dasſelbe fröhliche, elegante Treiben — überall ſo viele intereſſante Menſchen aus aller Herren Ländern. Im Umgang mit dieſen Fremden wurde ich erſt gewahr, daß Friedrich die franzöſiſche und engliſche Sprache vollkommen beherrſchte; dies ließ ihn in meiner Bewunderung noch um einen Grad ſteigen. Immer wieder entdeckte ich neue Eigenſchaften an ihm: Sanftmut, Heiterkeit, lebhafteſte Empfänglichkeit für alles Schöne. Eine Rheinfahrt ſetzte ihn in Entzücken, und im Theater oder Konzertſaal, wenn die Künſtler Hervorragendes leiſteten, leuchtete ihm der Genuß aus den Augen. Dadurch erſchien mir der Rhein mit ſeinen Burgen doppelt romantiſch, darum bewunderte ich die Vorträge berühmter Virtuoſen doppelt.
Dieſe zwei Monate vergingen leider viel zu ſchnell. Friedrich kam um Verlängerung ſeines Urlaubs ein, wurde aber abſchlägig beſchieden. Das war mir ſeit unſerer Verheiratung der erſte Moment des Ärgers, als dieſes offizielle Papier anlangte, welches im trockenen Stile unſere Heimkehr befahl.
„Und das nennen die Menſchen Freiheit!“ rief ich, das beleidigende Dokument auf den Tiſch ſchleudernd.
Tilling lächelte. „O, ich bilde mir nicht im mindeſten ein, frei zu ſein, meine Herrin,“ erwiderte er.
„Wenn ich Deine Herrin wäre, könnte ich Dir befehlen, dem Militärdienſt Valet zu ſagen und nur noch meinem Dienſte zu leben.“
„Über dieſe Frage waren wir ja einig geworden —“
„Freilich: ich habe mich fügen müſſen, doch das beweiſt, daß Du nicht mein Sklave biſt — und das iſt mir im Grund recht, mein lieber, ſtolzer Mann!“