Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 23. Zweites Buch. Friedenszeit. // 13. Abſchnitt Vom Prater aus fuhr ich geradeswegs zu meinem Vater. Die Mitteilung, die ich ihm zu machen hatte, würde zu unangenehmen Erörterungen Anlaß geben, das ſah ich voraus. Doch ich wollte dieſe unausbleibliche Unannehmlichkeit ſobald als möglich überſtanden haben, und ihr lieber noch unter dem erſten Eindruck meines eben erworbenen Glückes die Stirne bieten. Mein Vater, der ein Spätaufſteher war, ſaß noch bei ſeinem Frühſtück über den Morgenblättern, als ich in ſein Arbeitszimmer eindrang. Tante Marie war gleichfalls anweſend und gleichfalls mit Zeitungleſen beſchäftigt. Bei meinem etwas ungeſtümen Eintritt blickte mein Vater überraſcht von ſeiner „Preſſe“ auf, und Tante Marie legte ihr „Fremdenblatt“ aus der Hand. „Martha? So früh? Und im Reitkleid — was bedeutet das?“ Ich umarmte die beiden und ſagte dann, mich in einen Lehnſeſſel werfend: Das bedeutet, daß ich von einem Ritt im Prater komme, wo etwas vorgefallen iſt, das ich euch ohne Aufſchub mitteilen wollte. Ich nahm mir daher nicht einmal die Zeit, nach hauſe zu fahren und Toilette zu wechſeln —“ „Alſo gar ſo wichtig und eilig?“ fragte mein Vater, indem er ſich eine Cigarre anſteckte. „Erzähle, wir ſind geſpannt.“ Sollte ich weiter ausholen? Sollte ich Einleitungen und Vorbereitungen machen? Nein: lieber kopfüber mich hineinſtürzen, wie man vom Springbrett ſich ins Waſſer ſchwingt —: „Ich habe mich verlobt —“ Tante Marie ſchlug die Hände über dem Kopf zuſammen und mein Vater runzelte die Stirn: „Ich will doch nicht hoffen —“ begann er. Aber ich ließ ihn nicht ausreden: „Verlobt mit einem Manne, den ich von Herzen liebe und hochachte, von dem ich glaube, daß er mich vollſtändig glücklich machen kann — mit Baron Friedrich von Tilling.“ Mein Vater ſprang auf: „Da haben wir’s! Nach allem, was ich Dir geſtern geſagt —“ Tante Marie ſchüttelte den Kopf: „Ich hätte lieber einen anderen Namen gehört,“ ſagte ſie. „Erſtens iſt Baron Tilling keine Partie, er ſoll gar nichts haben; zweitens ſcheinen mir ſeine Grundſätze und Anſichten …“ „Seine Grundſätze und Anſichten ſtimmen mit den meinen überein, und eine ſogenannte ‚Partie‘ zu ſuchen — darauf bin ich nicht angewieſen … Vater — mein Herzensvater, ſchau’ nicht ſo bitter drein — verdirb mir das hohe Glück nicht, welches ich zu dieſer Stunde empfinde — mein guter, geliebter alter Papa!“ „Aber Kind,“ antwortete er in etwas beſänftigtem Tone, denn ein wenig Zärtlichkeit pflegte ihn gleich zu entwaffnen: „es iſt ja eben Dein Glück, was ich im Auge habe. Ich könnte mit keinem Soldaten glücklich werden, der nicht mit Leib und Seele Soldat iſt.“ „Du brauchſt ja Tilling nicht zu heiraten,“ bemerkte Tante Marie ganz zutreffend. „Das Soldatentum iſt das geringſte,“ fügte ſie hinzu; „aber ich könnte mit einem Manne nicht glücklich werden, der von dem Gott der Bibel in ſo wenig ehrerbietigem Tone redet, wie neulich —“ „Erlaube mir, Dich aufmerkſam zu machen, liebſte Tante, daß auch Du Friedrich Tilling nicht zu heiraten brauchſt.“ „Des Menſchen Wille iſt ſein Himmelreich,“ ſagte mein Vater mit einem Seufzer, indem er ſich wieder niederſetzte. „Natürlich wird Tilling quittieren?“ „Darüber haben wir noch nicht geſprochen. Lieber wäre es mir freilich — aber ich fürchte, er wird es nicht thun.“ „Wenn ich denke, daß Du einem Fürſten einen Korb gegeben haſt,“ ſeufzte Tante Marie, „und jetzt ſtatt Dich zu erheben, wirſt Du auf der geſellſchaftlichen Leiter hinabſteigen!“ „Wie unfreundlich Ihr beide ſeid — und Ihr behauptet doch, mich lieb zu haben. Da komme ich zu euch — das erſte Mal ſeit des armen Arno Tode — mit der Nachricht, daß ich mich vollkommen glücklich fühle, und anſtatt Euch deſſen zu freuen, ſucht Ihr allerlei Vergällungsgründe hervor — und was für welche: Militarismus, Jehovah, ſoziale Leiter!“ Nach einem halben Stündchen war es mir doch gelungen, die alten Leute einigermaßen umzuſtimmen. Ich hatte mir — nach der Tags zuvor gehaltenen Rede zu ſchließen — den Widerſtand meines Vaters viel heftiger gedacht. Vermutlich würde er auch, falls meinerſeits bloße Abſicht und Neigung vorgelegen hätte, energiſch verſucht haben, Abſicht und Neigung zu erſticken; aber dem „[fait accompli]“ gegenüber ſah er wohl ein, daß Widerſtand nichts mehr nützen konnte. Oder war es doch der Einfluß des überſtrömenden Glücksgefühls, welches in meinen Augen leuchten und in meiner Stimme leben mochte, das ſeinen Verdruß verſcheuchte, und woran er unwillkürlich freudigen Anteil nehmen mußte? — kurz, als ich zum Gehen aufſtand und ihm adieu ſagte, drückte er einen herzhaften Kuß auf meine Wange und verſprach, noch am ſelben Abend zu mir zu kommen, um daſelbſt ſeinen künftigen Schwiegerſohn als ſolchen zu begrüßen. Wie noch weiter jener Tag und der darauf folgende Abend verlief — ſchade, daß die roten Hefte es nicht verzeichnet haben. Die Einzelheiten ſind nach ſo langer Zeit meinem Gedächtnis entſchwunden — ich weiß nur noch, daß es herrliche Stunden waren. Zum Thee hatte ich den ganzen Familienkreis um mich verſammelt und ich ſtellte den Meinen Friedrich von Tilling als meinen Verlobten vor. Roſa und Lilli waren entzückt; Konrad Althaus rief: „Bravo, Martha! — und Du, Lilli, nimm Dir ein Beiſpiel daran!“ Mein Vater hatte ſeine frühere Antipathie entweder überwunden, oder es gelang ihm, dieſelbe mir zu liebe zu verbergen; und Tante Marie war weich und gerührt: „Die Ehen werden im Himmel geſchloſſen,“ ſagte ſie, „und jedem geſchieht nach ſeiner Beſtimmung. Mit Gottes Segen werdet ihr glücklich werden und den will ich unermüdlich auf euch herabflehen.“ Auch mein Sohn Rudolf wurde dem künftigen „neuen Papa“ vorgeſtellt, und es war mir ein eigenes Wohl- und Weihegefühl, als der geliebte Mann mein geliebtes Kind in ſeine Arme hob, es innig küßte und ſagte: „Aus Dir, kleiner Burſch’, werden wir einen ganzen Mann machen.“ Im Laufe des Abends brachte mein Vater ſeine Idee in Betreff des Quittierens zur Sprache: „Sie werden jetzt vermutlich Ihre Karrière aufgeben, Tilling? Da Sie ohnehin kein Freund des Krieges ſind —“ Friedrich warf mit überraſchter Miene den Kopf zurück: „Meine Karrière aufgeben? Ich habe ja keine andere …. Und man braucht doch kein Freund vom Kriege zu ſein, um den Militärdienſt zu leiſten, ebenſo wenig wie man —“ „Ja, ja,“ unterbrach mein Vater, „das ſagten Sie ſchon neulich: ebenſo wenig wie ein Feuerwehrmann ein Liebhaber von Feuersbrünſten zu ſein braucht —“ „Ich könnte noch mehr Beiſpiele anführen: ebenſowenig wie ein Arzt den Krebs und den Typhus lieben, oder ein Richter ein beſonderer Verehrer von Einbruchsdiebſtählen ſein muß. Aber meine Laufbahn aufgeben? Was hätte ich für eine Veranlaſſung dazu?“ „Veranlaſſung wäre,“ ſagte Tante Marie, „Ihrer Frau das Garniſonleben zu erſparen — und die Angſt zu erſparen, falls ein Krieg ausbricht …. Obgleich dieſe Angſt ein Unſinn iſt; denn wenn es einem beſtimmt iſt, alt zu werden, ſo lebt er lange, trotz aller Gefahren.“ „Die genannten Gründe wären freilich gewichtig. Meiner künftigen Gefährtin die Unannehmlichkeiten des Lebens ſo viel als möglich fernzuhalten, wird ja mein eifrigſtes Beſtreben ſein; aber die Unannehmlichkeit, einen Mann zu haben, der berufs- und beſchäftigungslos wäre, müßte doch noch größer ſein, als diejenige des Garniſonlebens. Und die Gefahr, daß mein Rücktritt von irgend jemand als Faulheit oder Feigheit ausgelegt werden könnte, wäre doch noch ſchlimmer, als die Gefahren eines Feldzuges. Mir iſt der Gedanke wirklich keinen Augenblick gekommen … Hoffentlich auch Ihnen nicht, Martha?“ (Vor Leuten hatten wir das „Du“ wieder eingeſtellt.) „Und wenn ich es als Bedingung ſtellte?“ „Das werden Sie nicht. Denn ſonſt müßte ich auf das höchſte Glück verzichten. Sie ſind reich — ich beſitze nichts als meine militäriſche Charge, als die Ausſicht auf künftige höhere Rangſtufen — und dieſen Beſitz gebe ich nicht her. Es wäre gegen alle Würde, gegen meine Begriffe von Ehre —“ „Brav, mein Sohn … jetzt bin ich ausgeſöhnt. Es wäre Sünd’ und Schand’ um Ihre Laufbahn. Sie haben gar nicht mehr weit zum Oberſten und bringen es ſicher zum General — können ſchließlich Feſtungskommandant, Gouverneur oder Kriegsminiſter werden. Das giebt auch der Frau eine angenehme Stellung.“ Ich ſchwieg ſtill. Um die Ausſicht, Frau Kommandantin zu werden, war es mir gar nicht zu thun. Am liebſten wäre es mir geweſen, mit dem Manne meiner Wahl das Leben in ländlicher Zurückgezogenheit zu verbringen; dennoch waren mir ſeine eben geäußerten Entſchlüſſe lieb. Denn ſie bewahrten ihn vor dem Makel des Verdachtes, welchen mein Vater gegen ihn gehegt, und der ihn ſicherlich auch in den Augen der Welt getroffen hätte. „Ja, ganz ausgeſöhnt“ — fuhr mein Vater fort. „Denn aufrichtig: ich glaubte, es ſei Ihnen hauptſächlich darum zu thun …. nun, nun — Sie brauchen nicht ſo wütend zu ſchauen — ich meine: {nebenbei} darum zu thun, ſich ins Privatleben zurückzuziehen, und da hätten Sie ſehr unrecht gethan. Auch meiner Martha gegenüber — die iſt nun ſchon einmal ein Soldatenkind, eine Soldatenwitwe — und ich glaube kaum, daß ſie einen in Civilkleidern auf die Dauer lieb haben könnte.“ Jetzt mußte Tilling lächeln. Er warf mir einen Blick zu, welcher deutlich ſagte: Ich kenne Dich beſſer, und antwortete laut: „Das glaube ich auch: ſie hat ſich eigentlich nur in meine Uniform verliebt.“ 24. Zweites Buch. Friedenszeit. // 14. Abſchnitt