Drei Wochen waren vergangen
Konrad Althaus hatte um meine Schweſter Lilli angehalten und einen Korb bekommen. Er nahm jedoch die Sache nicht tragiſch und blieb wie zuvor ein eifriger Beſucher unſeres Hauſes und umſchwärmte uns in den Salons der Geſellſchaft.
Ich drückte ihm einmal meine Verwunderung über ſeine unerſchütterte Vaſallentreue aus:
„Es freut mich ſehr,“ ſagte ich, „daß Du nicht zürnſt; aber es beweiſt mir, daß Dein Gefühl für Lilli doch kein ſo heftiges war, wie Du vorgibſt, denn verſchmähte Liebe pflegt boshaft und nachträgeriſch zu ſein.“
„Du irrſt, verehrteſte Frau Couſine — ich habe die Lilli raſend gern. Zuerſt glaubte ich, mein Herz gehöre Dir; Du haſt Dich aber ſo zurückhaltend kalt erwieſen, daß ich noch rechtzeitig die keimende Leidenſchaft erſtickte; dann hab’ ich mich eine Zeit lang für Roſa intereſſiert; ſchließlich aber hat ſich meine Neigung bei Lilli fixiert — und dieſer Neigung werde ich jetzt treu bleiben — bis an mein Lebensende.“
„Sieht Dir ganz ähnlich.“
„Lilli oder keine!“
„Da ſie Dich aber nicht will, mein armer Konrad?“
„Glaubſt Du, ich wäre der erſte, der einen Korb bekommen, der ſich bei der Selben einen zweiten und dritten geholt und beim vierten Antrag angenommen wurde? — ſchon um der Zudringlichkeit ein Ende zu machen? … Lilli hat ſich nicht verliebt in mich, eine nicht ganz erklärliche — aber immerhin eine Thatſache. Daß ſie unter ſo bewandten Umſtänden der für ſo viele Mädchen unwiderſtehlichen Verlockung, Frau zu werden, widerſtanden hat, und auf einen, vom weltlichen Standpunkt annehmbaren Antrag nicht eingegangen iſt, das gefällt mir eigentlich ſehr gut von ihr, und ich bin noch verliebter als zuvor. Nach und nach wird meine Anhänglichkeit ſie rühren und Gegenliebe erwecken; dann ſollſt Du noch meine Schwägerin werden, liebſte Martha. Hoffentlich wirſt Du mir nicht entgegenwirken?“
„Ich? — o nein, im Gegenteil; mir gefällt Dein Verharrungsſyſtem. So ſollte immer um uns geworben werden — mit Zeit- und Zärtlichkeitsaufwand — was die Engländer to woe and to win nennen. Aber minnen und gewinnen: dazu geben ſich unſere jungen Herren wahrlich nicht die Mühe. Sie wollen ihr Glück nicht erſt erringen, ſondern es mühelos pflücken, wie eine Blume am Wegesrand!“
Tilling war ſeit vierzehn Tagen nach Wien zurückgekehrt — ſo hatte ich erfahren — doch kam er nicht zu mir. In den Salons konnte ich natürlich nicht erwarten, ihm zu begegnen, da ihn ſeine Trauer von allem geſellſchaftlichen Umgang fern hielt. Doch hatte ich gehofft, daß er zu mir kommen oder wenigſtens mir ſchreiben würde; es verging aber ein Tag um den andern, ohne mir den erwarteten Beſuch oder Brief zu bringen.
„Ich begreife nicht, was Du haſt, Martha,“ ſo ſprach mich eines Morgens Tante Marie an; „Du biſt ſeit einiger Zeit ſo verſtimmt, ſo zerſtreut, ſo, ich weiß nicht wie … Du haſt ſehr, ſehr unrecht, daß Du keinem Deiner Bewerber Gehör ſchenkſt. Dieſes Alleinſein — das habe ich zu allem Anfang geſagt — taugt nicht für Dich. Die Folge davon iſt dieſer Spleen, der Dich jetzt auszeichnet. — Haſt Du ſchon Deine öſterliche Andacht verrichtet? Das würde Dir auch gut thun.“
„Ich denke, beides: heiraten und beichten, ſollte aus Liebe zur Sache gethan werden und nicht als Spleenkur. — Von meinen Bewerbern gefällt mir keiner, und was das Beichten betrifft —“
„So iſt es höchſte Zeit: morgen iſt Gründonnerſtag … Haſt Du Billets zur Fußwaſchung?“
„Ja — Papa hat mir welche verſchafft — aber ich weiß wirklich nicht, ob ich gehen werde.“
„O das mußt Du — es gibt nichts Schöneres und Erhebenderes, als dieſe Ceremonie … der Triumph der chriſtlichen Demut: Kaiſer und Kaiſerin auf dem Boden rutſchend, um die Füße armer Pfründner und Pfründnerinnen zu waſchen — ſymboliſiert das nicht ſo recht, wie klein und nichtig die irdiſche Majeſtät vor der göttlichen iſt?“
„Um durch Niederknieen Demut ſinnbildlich darzuſtellen, muß man ſich eben ſehr erhaben fühlen. Es drückt aus: was Gott Sohn im Verhältnis zu den Apoſteln, das bin ich, Kaiſer, zu Pfründnern. Mir kommt dieſes Grundmotiv der Ceremonie nicht gerade demütig vor.“
„Du haſt ſo kurioſe Anſichten, Martha. In den drei Jahren, die Du in ländlicher Einſamkeit und mit Leſen ſchlechter Bücher zugebracht, haſt, ſind Deine Ideen ſo verſchroben geworden.“
„Schlechte Bücher?“
„Ja, ſchlecht — ich halte das Wort aufrecht. Neulich, als ich in meiner Unſchuld zum Erzbiſchof von einem Buch ſprach, das ich auf Deinem Tiſch geſehen und das ich dem Titel nach für ein Andachtsbuch hielt: „Das Leben Jeſu“ von einem gewiſſen Strauß — da ſchlug er die Hände über dem Kopf zuſammen und rief: „Barmherziger Himmel, wie kommen Sie zu ſo einem ruchloſen Werk?“ Ich wurde ganz feuerrot und verſicherte, daß ich das Buch nicht ſelber geleſen, ſondern nur bei einer Verwandten geſehen. „Dann fordern Sie dieſe Verwandte bei ihrer Seligkeit auf, dieſe Schrift ins Feuer zu werfen.“ Das thue ich hiermit, Martha. Wirſt Du dies Buch verbrennen?“
„Wären wir um zwei- oder dreihundert Jahre jünger, ſo könnten wir zuſehen, wie nicht nur das Werk, ſondern auch der Autor in Flammen aufginge. Das wäre wirkſamer — momentan wirkſamer — auch nicht für lang’ …“
„Du antworteſt mir nicht. Wirſt Du das Buch verbrennen?“
„Nein.“
„So kurzweg ‚nein‘?“
„Wozu lange Reden? Wir verſtehen einander in dieſer Richtung doch nicht, mein liebſtes Tantchen. Laß Dir lieber erzählen, was geſtern der kleine Rudolf …“
Und damit war das Geſpräch glücklich auf ein anderes, ſehr ergiebiges Thema gelenkt, wo es zu keiner Meinungsverſchiedenheit zwiſchen uns kam; denn über die Thatſache, daß Rudolf Dotzky das herzigſte, originellſte, für ſein Alter vorgeſchrittenſte Kind der Welt iſt — darüber waren wir beide einig.
Am folgenden Tag entſchloß ich mich doch, der Fußwaſchung beizuwohnen. Etwas nach zehn Uhr, ſchwarz gekleidet, wie es ſich für die Karwoche ziemt, begaben wir uns, meine Schweſter Roſa und ich, in den großen Ceremonienſaal der Burg. Daſelbſt waren auf einer Eſtrade Plätze für die Mitglieder der Ariſtokratie und des diplomatiſchen Korps vorbehalten. Man war da alſo wieder unter ſich und teilte rechts und links Grüße aus. Auch die Galerie war dicht gefüllt: gleichfalls Bevorzugte, welche Eintrittskarten erlangt hatten — aber doch etwas „gemiſcht“, nicht zur „Crème“ gehörig, wie wir da unten, auf unſerer Eſtrade. Kurz, die alte Kaſtenabſonderung und -bevorrechtung — anläßlich dieſer Feier der ſymboliſierten Demut.
Ich weiß nicht, ob den anderen irgendwie religiös-weihevoll zu Mute war; aber ich erwartete das Kommende mit ganz derſelben Empfindung, mit welcher man im Theater einem angekündigten Spektakelſtück entgegenſieht. Ebenſo geſpannt, wie man da — nachdem die Grüße von Loge zu Loge getauſcht, den aufzurollenden Vorhang anſieht, ſchaute ich nach der Richtung, wo die Chöre und Soliſten des bevorſtehenden Schaugedränges erſcheinen ſollten. Die Dekoration war ſchon aufgeſtellt — nämlich die lange Tafel, an welcher die zwölf Greiſe und zwölf Greiſinnen Platz zu nehmen hatten.
Ich war doch froh, gekommen zu ſein; denn ich fühlte mich geſpannt, was immerhin eine angenehme Empfindung iſt, und eine Empfindung, welche momentan von kummervollen Gedanken befreit. Mein ſteter Kummer war der: „Warum läßt ſich Tilling nicht ſehen?“ Jetzt hatte mich dieſe fixe Idee verlaſſen; was ich zu ſehen erwartete und wünſchte, waren die kaiſerlichen und die pfründneriſchen Mitwirkenden der angeſetzten Feier. Und gerade in dieſem Augenblicke, wo ich ſeiner nicht dachte, fielen meine Augen auf Tilling. Soeben nach beendeter Meſſe, waren die Hofwürdenträger in den Saal getreten, gefolgt von der Generalität und dem Offizierkorps; ich ließ meinen Blick gleichgültig über alle dieſe uniformierten Geſtalten ſchweifen — dieſelben waren ja nicht die Träger der Hauptrollen, ſondern nur zum Ausfüllen der Bühne beſtimmt — da plötzlich erkannte ich Tilling, der gerade unſerer Tribüne gegenüber Aufſtellung genommen hatte. Es durchzuckte mich wie ein elektriſcher Schlag. Er ſah nicht in unſere Richtung. Seine Miene trug die Spur des in den letzten Wochen durchgemachten Leides: es lag ein tieftrauriger Ausdruck in ſeinen Zügen. Wie gern hätte ich durch einen ſtummen, innigen Händedruck mein Mitgefühl ihm ausgedrückt! Ich ließ meinen Blick hartnäckig auf ihn geheftet, hoffend, daß dies durch eine magnetiſche Gewalt ihn zwingen würde, auch zu mir aufzuſchauen — aber vergebens.
„Sie kommen ſie kommen!“ rief Roſa, mich anſtoßend. „So ſieh doch hin. … Wie ſchön! Wie ein Gemälde!“
Es waren die Greiſe und Greiſinnen, angethan in altdeutſche Tracht, welche jetzt hereingeleitet wurden. Die jüngſte von den Frauen — ſo hatten die Zeitungen berichtet — war achtundachtzig, der jüngſte von den Männern fünfundachtzig Jahre alt. Runzlig, zahnlos, gebückt; — ich konnte Roſas „Ach wie ſchön“ wahrlich nicht beſtätigt finden. Was ihr gefiel war jedenfalls die Verkleidung. Dieſe ſtimmte eigentlich auch vortrefflich zu der ganzen, von mittelalterlichem Geiſt durchwehten Ceremonie. Die Anachronismen hier waren wir, in unſeren modernen Kleidern und mit unſeren modernen Begriffen — wir paßten nicht in dies Gemälde.
Nachdem die vierundzwanzig Alten ihre Sitze an der Tafel eingenommen hatten, trat eine Anzahl goldgeſtickter und ordengeſchmückter, zumeiſt ältlicher Herren in den Saal: — die Geheimen Räte und Kammerherren; viele bekannte Geſichter — auch Miniſter „Allerdings“ befand ſich darunter. Zuletzt folgten die Geiſtlichen, welche bei der feierlichen Handlung fungieren ſollten. Jetzt alſo war der Einmarſch der Statiſten vorüber und die Erwartung des Publikums auf das höchſte geſpannt.
Meine Augen waren jedoch nicht ſo ſtarr, wie diejenigen der übrigen Zuſchauer, nach jener Richtung geheftet, wo der Hof erſcheinen ſollte, ſondern kehrten immer zu Tilling zurück. Dieſer hatte mich nunmehr geſehen und erkannt. Er grüßte.
Wieder legte ſich Roſas Hand auf meinen Arm:
„Martha — iſt Dir unwohl? Du biſt plötzlich blaß und rot geworden — ſchau’! … jetzt! jetzt!!“
In der That: der Kapell- — will ſagen der Oberceremonienmeiſter hob ſeinen Stab und gab das Zeichen, daß das Kaiſerpaar nahe. Dies verſprach nun allerdings einen lohnenden Anblick, denn abgeſehen davon, daß es das höchſte war — war es ſicherlich eins der ſchönſten Paare im Lande. Mit Kaiſer und Kaiſerin zugleich waren auch mehrere Erzherzoge und Erzherzoginnen hereingekommen und jetzt konnte die Feier beginnen. Truchſeſſen und Edelknaben trugen die gefüllten Schüſſeln herbei, und der Monarch und die Monarchin ſtellten dieſelben vor die ſitzenden Alten hin. Das war wieder mehr Gemälde als je. Das Geräte und die Speiſen und die Art der Pagen, dieſelben zu tragen, erinnerte an verſchiedene berühmte Bilder von Feſtgelagen im Renaiſſanceſtil.
Kaum aber waren die Gerichte aufgeſtellt, ſo wurde die Tafel wieder abgeräumt, eine Arbeit, welche — gleichfalls als Zeichen der Demut — die Erzherzoge verrichteten. Hiernach ward die Tafel hinausgetragen, die eigentliche Effektſcene des Stückes (was die Franzoſen „le clou de la pièce“ nennen) — die Fußwaſchung — begann. Freilich nur eine Scheinwaſchung, wie das Mahl nur ein Scheinmahl geweſen. Auf dem Boden knieend, ſtreifte der Kaiſer mit einem Tuch über die Füße der Greiſe hinweg, nachdem der ihm aſſiſtierende Prieſter aus einer Kanne ſcheinbar Waſſer darüber gegoſſen, und ſo rutſchte er vom erſten bis zum zwölften Pfründner, während die Kaiſerin — die man ſonſt nur ſo majeſtätiſch hochaufgerichtet zu ſehen bekommt — in derſelben demütigen Stellung, in welcher ſie ihre gewohnte Anmut übrigens nicht verließ, die gleiche Prozedur an den zwölf Pfründnerinnen vornahm. Die begleitende Muſik, oder, wenn man will, den erklärenden Chor, bildete das gleichzeitig vom Hofburgpfarrer vorgeleſene Evangelium des Tages.
Gern hätte ich auf einige Augenblicke mitempfinden mögen, was in dem Geiſte dieſer Alten vorging, während ſie ſo daſaßen, in der ſeltſamen Tracht, von einer glänzenden Menge angegafft, den Landesvater, die Landesmutter — Ihre Majeſtäten — zu ihren Füßen … Wahrſcheinlich wäre es gar keine klare Empfindung geweſen, die ich da nachgefühlt hätte, wenn mir der gewünſchte momentane Bewußtſeinstauſch gewährt worden wäre, ſondern ein verwirrter, geblendeter Halbtraum, ein zugleich frohes und peinliches, verlegenes und feierliches Gefühl, ein vollſtändiges Stillſtehen der Gedanken in den ohnehin unwiſſenden und altersſchwachen armen Köpfen. Das einzige Wirkliche und Faßbare an der Sache mochte den guten Alten nur die Ausſicht auf das rotſeidene Beutelchen mit den dreißig Silberſtücken ſein, welches jedem von Allerhöchſter Hand umgehängt wird und auf den Korb voll Speiſen, welchen man ihnen auf die Heimfahrt mitgibt.
Die ganze Ceremonie war ſchnell zu Ende und gleich darauf leerte ſich der Saal. Zuerſt zog ſich der Hof zurück; hierauf entfernten ſich alle anderen Mitbeteiligten, und zugleich auch das Publikum von Eſtrade und Galerie.
„Schön war’s, ſchön war’s!“ flüſterte Roſa mit einem tiefen Atemzug.
Ich antwortete nichts. Eigentlich hatte ich keine Urſache, die Verwirrung und Gedankenarmut der Feſtgreiſe zu bemitleiden, war mir doch ſelber das Verſtändnis der eben ſtattgehabten Feier ein ziemlich verſchwommenes, und hatte ich nur noch den einen Gedanken im Sinn: „Wird er uns am Ausgang erwarten?“
Doch wir gelangten nicht ſo ſchnell zum Ausgang, als ich gewollt hätte. Zuerſt hieß es noch, mit faſt ſämtlichen Eſtradezuſchauern, welche gleichzeitig mit uns ihre Plätze verließen, Hände ſchütteln und ein paar Phraſen tauſchen. Man blieb da im Stiegenhauſe in einer großen Gruppe ſtehen und es gab einen förmlichen Morgenraout. „Grüß’ Dich, Tini.“ — „Bonjour, Martha.“ — „Ah, Sie auch da, Gräfin?“ — „Biſt Du für den Oſterſonntag ſchon vergeben?“ — „Guten Tag, Durchlaucht, vergeſſen Sie nicht, daß wir Sie Montag Abend zu einer kleinen Tanzerei erwarten.“ — „Warſt Du geſtern bei den Dominikanern in der Predigt?“ — „Nein, ich war im Sacré-cœur, wo meine Töchter eine Retraite machen.“ — „Die nächſte Probe zu unſerer Wohlthätigkeitsvorſtellung iſt Dienſtag um zwölf Uhr, lieber Baron, ſeien Sie ja pünktlich.“ — „Die Kaiſerin hat wieder ſuperb ausgeſehen.“ — „Haſt Du bemerkt, Lori, wie der Erzherzog Ludwig Viktor immer zu der Götter-Fanny herüberſchielte?“ — „Madame, j’ai l’honneur de vous présenter mes hommages.“ — „Ah, c’est vous, marquis … charmée.“ — „I wish you good morning, Lord Chesterfield.“ — „Oh, how are you? Awfully fine woman, your Empress.“ — „Haben Sie ſchon eine Loge geſichert für die Vorſtellung der Adelina Patti? Ein ganz wunderbarer aufgehender Stern …“ — „Die Nachricht von der Verlobung des Ferdi Drontheim mit der Bankierstochter ſoll ſich alſo doch beſtätigen — es iſt ein Skandal!“
Und ſo ſchwirrte es hin und her. Ein unbefangener Horcher hätte dieſen Geſprächen wohl kaum angemerkt, daß ſie der Nachſtimmung einer eben verrichteten Demutsandacht entſprangen.
Endlich traten wir vor das Thor hinaus, wo unſere Wagen warteten und eine Menge Volk verſammelt war. Dieſe Leute wollten wenigſtens diejenigen ſehen, welche ſo glücklich waren, den Allerhöchſten Hof geſehen zu haben: ſie konnten dann ihrerſeits als diejenigen, welche die Geſehenhabenden geſehen hatten, wieder minder Bevorzugten ſich ſehen laſſen.
Kaum waren wir hinausgetreten, ſo ſtand Tilling vor mir. Er verneigte ſich.
„Ich muß Ihnen noch danken, Gräfin Dotzky, für den herrlichen Kranz.“
Ich reichte ihm die Hand — aber konnte kein Wort ſprechen.
Unſer Wagen war vorgefahren; wir mußten einſteigen und Roſa drängte mich vorwärts; Tilling führte die Hand an die Mütze und wollte zurücktreten. Da machte ich eine heftige Anſtrengung und ſagte mit einer Stimme, die mir ſelber ganz fremd klang:
„Sonntag zwiſchen zwei und drei, werde ich zu Hauſe ſein.“
Er verneigte ſich ſtumm und wir ſtiegen ein.
„Du mußt Dich erkältet haben, Martha,“ bemerkte meine Schweſter, als wir davonfuhren; „Deine Aufforderung klang furchtbar heiſer. Und warum haſt Du mir dieſen ſchwermütigen Stabsoffizier nicht vorgeſtellt? Ich habe noch ſelten ein weniger aufheiterndes Geſicht geſehen.“