Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! // Eine Lebensgeſchichte 12. Zweites Buch. Friedenszeit. // 2. Abſchnitt Martha Gräfin Dotzky, eine reiche, junge Witwe. Unter dieſem vielverſprechenden Namen ſtand ich auf dem Perſonenverzeichnis der „große-Welt“-Komödie. Und ich muß ſagen, die Rolle ſagte mir zu. Es iſt kein geringes Vergnügen, von allen Seiten Huldigungen zu empfangen, von der ganzen Geſellſchaft gefeiert, verwöhnt, mit Auszeichnungen überſchüttet zu werden. Es iſt kein geringer Genuß, nach beinahe vierjähriger Weltabgeſchiedenheit plötzlich in einen Strudel von allerlei Vergnügungen zu gelangen; intereſſante, bedeutende Menſchen kennen zu lernen, an faſt jedem Tage ein glänzendes Feſt mitzumachen — und dabei ſich ſelber als den Mittelpunkt allgemeiner Aufmerkſamkeit zu fühlen. Wir drei Schweſtern hatten den Spitznamen „die Göttinnen vom Berge Ida“ bekommen und die Erisäpfel laſſen ſich nicht zählen, welche die verſchiedenen jungen Pariſſe unter uns verteilten; ich natürlich — in meiner oben erwähnten Theaterzettelwürde „reiche, junge Witwe“ war gewöhnlich die Bevorzugte. Es galt übrigens in meiner Familie — und auch ein klein wenig in meinem eigenen Bewußtſein — als ausgemachte Sache, daß ich mich wieder vermählen würde. Tante Marie pflegte in ihren Homilien nicht mehr auf den Verklärten anzuſpielen, der „dort oben meiner harrte“, denn wenn ich in den kurzen Erdenjahren, die mich vom Grabe trennten, mir einen zweiten Gatten angeeignet — eine von Tante Marie ſelber gewünſchte Eventualität — ſo war dadurch die Gemütlichkeit des himmliſchen Wiederſehens mit dem erſten ſtark beeinträchtigt. Alle um mich herum ſchienen Arnos Exiſtenz vergeſſen zu haben — nur ich nicht. Obwohl die Zeit meinen Schmerz um ihn geheilt hatte — ſein Bild hatte ſie nicht verlöſcht. Man kann aufhören um ſeine Toten zu trauern — die Trauer hängt auch nicht vom Willen ab — aber vergeſſen ſoll man ſie nicht. Ich betrachtete dieſes von meiner Umgebung geübte Todſchweigen eines Verſtorbenen als eine zweite nachträgliche Tödtung und vermied es, den Armen auch noch {totzudenken}. Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, täglich zum kleinen Rudolf von ſeinem Vater zu ſprechen, und in ſeinem Abendgebet mußte das Kind ſtets ſagen: „Gott, laß mich gut und brav ſein, meinem geliebten Vater Arno zu Liebe!“ Meine Schweſtern und ich „amüſierten“ uns köſtlich — ich gewiß nicht minder als ſie. Es war ja ſozuſagen auch {mein} Debut in der Welt. Das erſte Mal war ich als Braut und Neuvermählte eingeführt worden; da hatten ſich ſelbſtverſtändlich alle Kurmacher von mir fern gehalten, und was iſt des „Welt“-Lebens höchſter Reiz, wenn nicht die Kurmacher? Aber ſonderbar! ſo ſehr es mir behagte, von einer Schar von Anbetern umgeben zu ſein, keiner von ihnen machte einen tieferen Eindruck auf mich. Es lag eine Schranke zwiſchen ihnen und mir, die ſchier unüberſteiglich war. Und dieſe Schranke hatte ſich durch die drei Jahre meines einſamen Studierens und Denkens aufgerichtet. Alle dieſe glänzenden jungen Herren, deren Lebensintereſſen in Sport, Spiel, Ballet, Hofklatſch und, wenn es hoch ging, in Berufsehrgeiz (die meiſten waren Militärs) gipfelten, die hatten von den Dingen, die ich in meinen Büchern von ferne erſchaut und an denen mein Geiſt ſich gelabt, auch nicht die entfernteſte Idee. Jene Sprache, von der ich freilich auch nur Anfangsgründe kennen gelernt, von der ich aber wußte, daß in ihr durch die Männer der Wiſſenſchaft die höchſten Fragen beraten und einſt gelöſt werden; jene Sprache war ihnen nicht nur „ſpaniſch“, ſondern — patagoniſch. Unter dieſer Kategorie junger Leute würde ich mir keinen Gatten wählen — das ſtand feſt. Überhaupt hatte ich keine Eile, meine Freiheit, die mir ſo wohl gefiel, wieder aufzugeben. Ich wußte meine ſeinwollenden Freier ſo in Entfernung zu halten, daß keiner einen Antrag wagte und daß auch niemand in der Geſellſchaft das kompromittierende Wort von mir ſagen konnte: „Sie läßt ſich den Hof machen.“ Mein Sohn Rudolf ſollte einſt auf ſeine Mutter ſtolz ſein dürfen — keinen Hauch des Verdachtes auf dem blanken Spiegel ihres guten Rufes vorfinden. Wenn jedoch der Fall einträte, daß mein Herz von neuem in Liebe erglühte — es konnte nur für einen Würdigen ſein — dann war ich ja geneigt, das Anrecht, welches meine Jugend noch auf irdiſches Glück beſaß, geltend zu machen und eine zweite Ehe einzugehen. Unterdeſſen — von Liebe und Glück abgeſehen — war ich recht guter Dinge. Der Tanz, das Theater, der Putz: an alledem fand ich ein lebhaftes Vergnügen. Dabei vernachläſſigte ich weder meinen kleinen Rudolf noch meine eigene Ausbildung. Nicht, daß ich mich in gründliche Fachſtudien vertiefte; aber über die Bewegung der Geiſter erhielt ich mich ſtets auf dem Laufenden, indem ich mir die hervorragendſten neuen Erſcheinungen der Weltlitteratur anſchaffte und regelmäßig ſämtliche Artikel, auch die wiſſenſchaftlichen, der „[Revue des deux Mondes]“ und ähnlicher Zeitſchriften aufmerkſam las. Dieſe Beſchäftigung hatte freilich zur Folge, daß die vorerwähnte Schranke, welche mein Seelenleben von der mich umgebenden Junge-Herrenwelt abſchloß, immer höher wurde — aber das war ſchon recht ſo. Gern hätte ich in meinen Salon einige Perſönlichkeiten aus der Litteraten- und Gelehrtenwelt zugezogen, allein dies war in der Mitte, in der ich mich bewegte, nicht recht thunlich. Bürgerliche Elemente werden der öſterreichiſchen ſogenannten „Societät“ nicht beigemiſcht. Namentlich damals; ſeither hat ſich dieſer ausſchließliche Geiſt etwas geändert und es iſt Mode geworden, einzelnen Vertretern der Kunſt und Wiſſenſchaft ſeine Salons zu öffnen. Zu der Zeit, von der ich ſpreche, war dies jedoch nicht der Fall; was nicht hoffähig war — das heißt was nicht ſechzehn Ahnen aufzuweiſen hatte — war von vornherein ausgeſchloſſen. Unſere gewohnte Geſellſchaft wäre ganz unangenehm überraſcht geweſen, bei mir unadelige Leute anzutreffen, und hätte nicht den rechten Ton gefunden, mit ſolchen zu verkehren. Und dieſe ſelber hätten meinen mit „Komteſſeln“ und Sportsmen, mit alten Generälen und allen Stiftsdamen gefüllten Salon ſchon gar unerträglich langweilig gefunden. Welchen Anteil konnten Männer von Geiſt und Wiſſen, Schriftſteller und Künſtler, an den ewig gleichen Erörterungen nehmen: bei wem geſtern getanzt worden und bei wem morgen getanzt wird — ob bei Schwarzenberg bei Pallavicini oder bei Hof — welche Paſſionen Baronin Pacher einflößt, welche Partie Komteß Palffy ausgeſchlagen, wieviel Herrſchaften Fürſt Croy beſitzt, was die junge Almaſy für eine „Geborene“ ſei, ob eine Feſtetics oder eine Wenkheim, und ob {die} Wenkheim, deren Mutter eine Khevenhüller geweſen u._ſ._w. u._ſ._w. Das war nämlich ſo der Stoff der meiſten um mich herum geführten Unterhaltungen. Auch die geiſtvollen und unterrichteten Leute, von welchen doch gar manche in unſeren Kreiſen ſich fanden — Staatsmänner und dergleichen — glaubten ſich verpflichtet, wenn ſie mit uns — tanzender Jugend — verkehrten, denſelben frivolen und inhaltsloſen Ton anzuſchlagen. Wie gerne hätte ich oft nach einem Diner mich in die Ecke begeben, wo ein paar unſerer vielgereiſten Diplomaten, beredten Reichsräten, oder ſonſtige bedeutende Männer über bedeutende Fragen ihre Meinung austauſchten — aber das war nicht thunlich; ich mußte ſchon bei den anderen jungen Frauen bleiben und die Toiletten beſprechen, die wir für den nächſten großen Ball vorbereiteten. Und hätte ich mich auch in jene Gruppe eingedrängt, ſogleich würden die eben geführten Geſpräche über Nationalökonomie, über Byrons Poeſie, über Theorien von Strauß und Renan verſtummt ſein und es würde geheißen haben: „Ach, Gräfin Dotzky! … geſtern auf dem Damen-Pique-nique haben Sie bezaubernd ausgeſehen … und Sie gehen doch morgen zum Empfang bei der ruſſiſchen Botſchaft?“ 13. Zweites Buch. Friedenszeit. // 3. Abſchnitt