Kurd Laßwitz: Sternentau. Die Pflanze vom Neptunsmond 13. Die Elfen kommen In tiefem Dunkel lag der Platz unter der Buche am Rieſengrab. Nur hin und wieder ſchimmerte ein Leuchtkäferchen durch die Büſche. Kein Lufthauch regte ſich im Walde. Durch den Efeu ging ein leiſes Zittern. Von den Wurzeln her kam es, durch den Erdleib ſprach es: „Was iſt dir, Ebah?“ fragte die Buche. „Ich ſorge mich um meine Kinder, die nicht ſprechen dürfen. Und ich ſorge mich um Harda, die wieder mit demſelben fremden Menſchen hier war. In manchem Augenblicke kommt es mir vor, als könnte ich zu ihr ſprechen, aber das verging bald, und als ſie hier ſaß, vernahm ſie mich nicht. Der Fremde wird ihr doch kein Leides tun?“ „Närrchen, ſie waren ja freundlich miteinander, ſoviel merkte man.“ „Es wurde oft im Walde erzählt von Menſchen, die lieb zu einander waren unter den Bäumen und auf dem Mooſe, daß ſie nachher trauernd einhergingen, wenn ſie allein kamen.“ „Was wiſſen wir Genaueres von Menſchenluſt und Leid? Viel merkwürdiger iſt es, daß die fremde Pflanze drüben bei deinem Sprößling ſich ſoviel herausnimmt, und hier ſpricht ſie nicht und rührt ſich nicht, ſoviel man ſie auch fragt.“ „Und doch, Schattende, ſeit der Abend kam, ſcheint es mir, als verändere ſich die neue Pflanze, als hätte mein kleiner Schützling einen Wunſch, nur vermag ſie ihn noch nicht deutlich zu machen. Sie ſchmiegt ſich ſo eng an mich an.“ „So wird ſie wohl jetzt unſere Sprache erlernen. Warte nur ab. Es gibt nichts Fertiges. Was da iſt, das muß vorher werden. Auch des Menſchen ſchnelles Handeln braucht Weile; und ſelbſt der Gott gewinnt Wirklichkeit nur in der Zeit. Zeit iſt der Pflanze größter Reichtum, und ihr Vorzug vor allem Lebendigen iſt die Geduld.“ „Aber widerſpricht ſich das nicht, Leben und Geduld?“ fragte der Efeu. „Denn Leben heißt Wünſchen. Ich wünſche zu blühen, ich wünſche, daß Harda glücklich werde im Segen der Dauerſeele, und wenn ich nicht wünſchte, was hieße dann leben? Wünſchen aber heißt, keine Geduld haben.“ „O Ebah,“ ſprach die Buche tadelnd, „was redeſt du? Wünſchen ohne Geduld heißt leben in Unluſt und Qual, Wünſchen aber in Geduld heißt dauernde Freude im Denken ans Kommende, heißt Hoffnung. Und was wir ſo hegen im Innerſten und träumend erwarten, das iſt viel ſchöner, als was wirklich aufſteigt zum Geſchehen. Denn Phantaſie kann gebieten, Wirklichkeit muß gehorchen. Geduld iſt Herrin, Tat iſt Knecht.“ Während der weiſen Betrachtung der Buche fühlte Ebah wieder den leiſen Druck der Ranken des Sternentaus. Und aufmerkend wurde ſie zwiſchen ihren Blättern einiger ſchwach ſchimmernder Stellen gewahr. Das war nicht das grünliche Licht des Leuchtwurms, nein, es glomm bläulich, und jetzt ward's immer deutlicher. Die Kapſeln des Sternentaus ſind's, die da ſchimmern, hellblau, dunkelblau, hier und dort, wie ſie zerſtreut wachſen zwiſchen dem ausgedehnten Laubkleide des Efeus. „Was iſt das?“ ſagte der Waldmeiſter leiſe zum Sauerklee. „Siehſt du nicht, was ſich der Efeu wieder herausnimmt?“ „Laß mich, ich will ſchlafen. Was geht's mich an?“ „Ich glaube, Ebah iſt die Blühluſt ſchlecht bekommen. Statt nach oben ſchlägt ſie nach unten aus.“ „Still,“ riefen die jungen Buchenbüſche. „Das iſt kein gewöhnliches Blühen, das iſt etwas ganz Seltſames. Das kommt ja von der fremden Pflanze.“ Die ſehr jungen Fichten, die ſich am Felſen angeſiedelt hatten, wurden aufmerkſam; ſie benachrichtigten ihre hohen Verwandten am Abhang. „Die fremde Pflanze macht ſich bemerklich?“ fragte die gekrümmte Fichte mißtrauiſch. „Ich habe ſchon lange meine Bedenken. Warum verſteckt ſie der Efeu unter ſeinen Blättern? Und warum kriecht er ſo um die Buche herum?“ „Das iſt eben das Schmeicheln hier und das Protegieren dort,“ ſagte eine ſchlanke, ſtarke Fichte. „Das ruiniert den Wald. Dieſes Buchenprotzentum hat abgewirtſchaftet.“ „Es wäre Zeit für uns, die Leitung im Wald zu übernehmen,“ rief eine dritte. „Sehr richtig,“ bemerkte eine Kiefer. „Die Laubhölzer haben ſich nicht bewährt. Da gibt's keine Ausdauer. Im Winter iſt's kahl zum jammern.“ Und eine alte, vom Sturm gekrümmte Kiefer, die oben auf dem Felſen hinkroch, fügte hinzu: „Dieſer bedecktſamige Blütenindividualiſmus muß zur Selbſtüberhebung führen. Jeder will etwas Beſonderes ſein.“ Aus den ſchlanken geraden Fichten murrte es dagegen: „Wärſt du nur nicht dort hinaufgeſtiegen! Wir müſſen zuſammenhalten. Siehe unſre ſoziale Gleichmäßigkeit! Es leben die Coniferen!“ „Nicht zu laut, nicht zu laut!“ warnte die alte Fichte. „Ich bin überzeugt, die Buchen wittern ſchon, daß ihre unhaltbare Stellung bedroht iſt, und ſie bereiten irgend etwas Heimliches vor, um den Wald, vielleicht gewaltſam, zu beherrſchen. Was ſollte ſonſt dieſe fremde Pflanze bedeuten? Wenn es überhaupt eine Pflanze iſt! Dieſes Glimmen im Dunkeln erinnert an tieriſche Gewohnheiten.“ „Seien wir nicht ungerecht,“ beruhigte eine alte Lärche. „Auch die Laubhölzer haben ihre Verdienſte. Jedenfalls dürfen gerade wir nicht gegen das Prinzip des freien Wettbewerbs auftreten. Aber wir könnten ja einmal die Buche interpellieren, was ſie eigentlich —“ „Ruhig, ruhig!“ rief die Fichte. „Nur keine Übereilung! Sie ſind verbunden, es von ſelbſt mitzuteilen, wenn ſie etwas von allgemeiner Bedeutung vorhaben. Das iſt Waldrecht. Aber auf dem Poſten wollen wir ſein.“ „Hört ihr nicht? Sagte die Buche nicht etwas?“ fragte die Lärche. Alle lauſchten. „Nein, nein,“ flüſterte ein kleiner Buchenfarn. „Aber der Efeu iſt aufgeregt. Er ſpricht mit jemand, jedoch man kann es nicht verſtehen. Er ſpricht direkt, alſo wohl mit der Buche.“ „Seht da, ſeht! Da iſt doch ein weißlicher Lichtſchimmer unter dem Efeu?“ Die bläulichen Sterne verblichen. An ihrer Stelle breitete ſich ein bleicher, phosphoreszierender Glanz aus und drang hier und da durch das dichte Laub des Efeus. Ebah zitterte. „O ſieh, ſieh!“ flüſterte ſie zur Buche. „Die fremde Pflanze! Aus den Bechern drängen ſich die Fäden wie leuchtende Geſpinſte hervor. Was ſoll das werden?“ „Ich weiß es nicht, Ebah,“ antwortete die Buche. „Es wächſt etwas Neues aus der fremden Pflanze. Das hat der Wald nicht geſehen.“ „Das iſt jedenfalls das Seltſame, was die neue Pflanze ſchon drüben bei Hedo getan hat, und was mir Hedo nicht ſagen durfte. Was wird geſchehen? O höre! Höre! Hörſt du nichts, Schattende?“ Ebah rief es ängſtlich. „Ich höre nichts.“ „Aber ich! Zu mir ſpricht es, die neue Pflanze ſpricht! Ich klammre mich feſter an dich. So — jetzt mußt du es mithören. Nicht wahr?“ „Ich höre, aber noch kann ich nichts verſtehen.“ „Jetzt wird es deutlicher, ja, ſie ſpricht.“ „Bio, Bio,“ klang es zaghaft vom Sternentau. Ebah empfand es fremdartig, wie ein Probieren ungewohnter Sprache. Und nun wieder: „Bio wird — ich werde —“ „Wer biſt du?“ fragte Ebah ſanft. „Ich bin Bio —“ „Bio? So heißeſt du?“ „Bio — ich heiße Bio — ich wachſe —“ „Und warum ſpracheſt du nie bisher?“ „Ich nicht vermochte, ich lernte — nun ich wachſe, ich ſpreche.“ „Warum leuchteſt du?“ „Ich wachſe zum Weſen, aus mir wächſt mein Weſen.“ „Noch verſtehe ich dich nicht. Du heißeſt Bio. Iſt das dein Eigenname, wie ich Ebah heiße, oder iſt das der Name deiner Gattung, wie ich Efeu bin? Wie heißt Euere Pflanzengattung? Und wo kommſt du her?“ „Du fragſt viel, Ebah. Noch bin ich Euere Sprache nicht geübt — doch bald werde ich alles ſagen können. Höre! Ich bin mein wachſendes Weſen, bin die Pflanze, Bio. Aber aus mir wachſe ich ſelbſt noch einmal als freies Weſen. Das freie Weſen kann im Dunkeln leuchten —“ die Sprache wurde ſicherer und geläufiger — „wenn es herausgewachſen iſt, verwelken meine Fruchtbecher, aber ich bleibe bei dir, und dann werde ich zu dir ſprechen dürfen von mir, der Pflanze Bio und von meinem freien Weſen.“ „Und dein freies Weſen, was wird aus ihm?“ „Du wirſt es erfahren. Es ſchwebt frei durch die Luft, wohin es will, und es kann leuchten oder unſichtbar ſein wie die Luft, je wie es will.“ „So iſt es eine fliegende Pflanze? Aber wo wurzelt es?“ „Es bedarf keiner Wurzel, es iſt keine Pflanze wie ihr oder ich. Unſere freien Weſen ſind — wir nennen ſie „Idonen“. Ich weiß nicht, ob es das bei euch gibt. Aber ich habe die beweglichen Weſen geſehen, die ihr Menſchen nennt. An ſie erinnert ein wenig der Idonen Geſtalt, nur ſind die Idonen viel kleiner und feiner und ſchweben unſichtbar umher, ſichtbar nur für ihresgleichen. Wie nennt ihr ſolche Weſen?“ „Die ſind uns nicht bekannt. Menſchen oder Tiere wachſen bei uns nicht aus den Pflanzen. Sie können nicht zu uns ſprechen, und wir nicht zu ihnen. Aber ich weiß jetzt, daß Menſchen klug und mächtig ſind.“ „Das ſind die Idonen auch, und wohl noch viel mehr. Und ſie können mit den Pflanzen ſprechen und wir mit ihnen. Wenn meine — doch jetzt — oh — laß mich jetzt ſchweigen — ich wachſe, wachſe —“ Bio zitterte an den Efeu geſchmiegt, der Efeu klammerte ſich an die Buche. Ein Lichtwölkchen war aus dem Becher des Sternentaus hervorgequollen und löſte ſich jetzt ab. Hier und da, nach und nach, wie viel reife Fruchtbecher am Sternentau ſich geöffnet hatten, ſo viel ſchwach ſchimmernde Idonen wurden ſichtbar. Sie ſtreiften ihre Geſpinſte ab und hüllten ſich frei hinein. Durch die Zwiſchenräume der Efeublätter ſchlüpften ſie hindurch, hinaus unter die Buche, dort ſchwebten ſie auf dem freien Platze. Einige faßten einander an und ſchwangen ſich in leichtem Reigen. Sie führten eine lebhafte Unterhaltung, doch konnte ſie Ebah nicht verſtehen, denn ſie ſprachen nicht die Sprache der Erdenpflanzen. Wohl aber verſtand ſie der Sternentau, nur teilte er ſich jetzt Ebah nicht mit. Andere Idonen kamen noch dazu, die an anderen Stellen und ſchon in den vorangehenden Tagen frei geworden waren. Alle verſammelten ſich unter der Buche, wo der erſte Sternentau auf Erden, die Stammutter des Geſchlechtes ſich angeſiedelt hatte. Mit dem Sternentau unterhielten ſie ſich lange, ohne daß Ebah etwas verſtehen konnte. Dann tanzten ſie wieder ihren Reigen wie die Blumenelfen des Märchens und berieten ſich. Schließlich zerſtreuten ſie ſich und verſchwanden nach verſchiedenen Richtungen zwiſchen den Bäumen. Ein Schauer ging durch den Wald. Was war das? War der Gott erwacht? Aus der Pflanze geboren ward der Gott? Kam er zu erlöſen von der Herrſchaft der Menſchen? Kam er zu vereinen die Lebendigen der Erde? Der Wald ſchwieg, gebannt zwiſchen Furcht und Andacht. Vom Sternentau her klang es jetzt wieder ganz leiſe: „Ebah!“ „Was willſt du, Bio?“ fragte der Efeu. „Jetzt bin ich eine Pflanze auf der Erde, wie ihr, nur fremd. Schütze mich, Ebah, und bitte auch die Buche darum. Denn ohne dich kann ich nicht gedeihen. Aber jetzt kann ich zu dir ſprechen.“ „Warum ließet ihr Hedo nicht zu mir reden? Warum ſprach der Sternentau nicht dort?“ „Jetzt wird auch er ſprechen. Unter uns konnten wir ja ſchon immer ſprechen, ohne daß ihr es vernahmt oder verſtandet. Aber die Pflanzen hier in meiner Nähe ſollten nicht eher von den Idonen erfahren, bis ich, die Stammutter, zu euch reden konnte; und das vermochte ich erſt, wenn mein Weſen frei wurde. Auch mit den Idonen kann ich reden, wenn ſie nicht gar zu weit entfernt ſind. Selbſt was ihr untereinander ſagtet, konnte ich ihnen mitteilen, denn das verſtand ich ſchon lange; nur vermochte ich nicht, auch mich ſelbſt verſtändlich zu machen, bevor meine Becher ſich ganz öffneten. So kennen wir ſchon vieles von dem Leben der Pflanze.“ „Und wohin ſind jetzt die Idonen gegangen?“ „Sie ſuchen einander und ziehen dann hinaus in dies unbekannte Land, es zu erforſchen. Sie wollen erkunden, was die Tiere und die Menſchen tun. Und wenn ſie wiederkommen, werdet auch ihr viel Neues erfahren können, ſo weit ihr es verſteht.“ „Aber wo wohnen ſie? Wie ernähren ſie ſich?“ „Wohnungen werden ſie ſich bauen, wo ſie es für geeignet finden. Im allgemeinen leben ſie einſam oder zu zweien, nur hin und wieder vereinen ſie ſich zur Beratung. Und Nahrung brauchen ſie nicht mehr, als die Luft ihnen bietet und das Waſſer und weniges vielleicht vom Boden. Denn genährt haben ſie ſich als Pflanze. Das iſt die Zeit ihres Wachſens, da nehmen ſie auf, was ſie brauchen. Als freie Weſen haben ſie anderes zu tun. Doch laß mich jetzt ruhen, ich bin ermüdet.“ „Was tun ſie?“ fragte Ebah hartnäckig. „Wie ſoll ich dir das kund tun? Jetzt als Pflanze vermag ich nur zu ſagen, was der Pflanzen Wiſſen und Rede iſt. Die Idonen aber ſind der Teil von uns, der Wiſſen und Macht hat. Ihre Gedanken ſind die Welt.“ „Wie iſt das möglich? Woher kommt ihr?“ „Ich verſtehe nicht, es auszudrücken, auch weiß ich es ſelbſt nicht recht. Die Welt, von der wir ſtammen, ſah anders aus als die neue. Wohl fern, fern von hier iſt unſere Heimat.“ Der Sternentau verſank in Schweigen. Der Wald ſchlief. 14. Auf dem Neptunsmond