Bei der Lona in der Gumpendorferſtraße herrſchte geradezu Panikſtimmung. Acht junge Damen, eine ſchöner als die andere, waren ſchon verſammelt und immer wieder mußte die dicke Wirtſchafterin, Frau Kathi Schoberlechner, die Wohnungstür öffnen und ein Fräulein hereinlaſſen. Im Salon roch es außerordentlich kräftig nach Houbigant, Ambre, Coty, Rouge und Zigaretten, und es leuchtete und funkelte von hellblonden, rotblonden, ſchwefelgelben und ſchwarzen Haaren, Diamanten und Perlen. Alle waren in Spitzen und Seide gekleidet, nur die Lona trug einen duftigen Schlafrock, der vorn offen war, ſo daß ihr der ſchneeweiße Buſen faſt entquoll, und ihre nackten Füße ſteckten in roten Pantöffelchen.
Die ſchwarze Yvonne weinte zum Herzzerbrechen, die rote Margit aber ſchlug auf den Tiſch und ſchrie erboſt:
„Mir müſſen demonſchtrieren! Wann i' ſo an Nationalpülcher derwiſch, kratz' i eahm die ſcheangleten Augen aus!“
„A ſo a Gemeinheit! Was ſoll'n mir denn machen, wann ſ' die Juden hinausſchmeißen?“
Yvonne weinte noch heftiger. „Und grad jetzt, wo mir der Fredi Pollak a neuches Automobil beſtellt hat.“
„Mir gibt der Reizes, mit dem was ich ſeit zwei Wochen geh', fünfhundert Fetzen im Monat! Möcht' wiſſen, ob die Herren Chriſten auch ſo ſplendid ſein wer'n?“
„Ihr wißt ja eh, ich hab' den Zwitterbauch aus Mähriſch-Oſtrau, der mich ganz aushält und nur amal im Monat auf a Wochen nach Wien kummt!“
Eine üppige Juno mit gelben Haaren ſchlug die ſtarken, aber ſchönen Beine übereinander, daß man die blauſeidenen Strumpfhalter ſah, leerte ein Gläschen Cointreau und ſagte mit klingender Altſtimme:
„Kinder, am meiſten Erfahrung habe wohl ich im Leben! Und ich kann nur ſagen, wenn die Juden verſchwunden ſind, müſſen wir alle verhungern oder uns um Stellen als Kloſettfrauen in Kaffeehäuſern umſehen. Geld laſſen tun nur die Juden, die anderen wollen alle viel Liebe und wenig Speſen! Zehn Jahre bin ich mit dem Baron Stummerl vom Auswärtigen Amt gegangen, und in dieſen zehn Jahren hat er mir ein goldenes Armband, einen Pelzkragen und tauſend Gulden geſchenkt. Ein Glück, daß ich dabei noch den Herſchmann von der Anglobank gehabt habe, ſonſt hätte ich am Ende noch arbeiten müſſen. Seither flieg' ich nur auf die Israeliten!“
Claire ſpielte nervös mit dem goldenen, diamantbeſetzten Kreuz, das ſie an einer Platinkette trug. „Was wohl der Karl ſagen wird, wenn ich vom Doktor Baruch nichts mehr bekomm'!“
Neue Klagen erhoben ſich, Wehrufe wurden laut. Daran hatte man im Drange der Geſchehniſſe noch gar nicht gedacht! Was ſollte mit den Freunden werden, die man liebte und aushielt, wenn die Freunde, die zahlten, nicht mehr waren?
Da führte die Frau Kathi einen dieſer Freunde herein. Pepi war das Ideal eines feſchen Kerls. Tiptop vom ſtaubgrauen Samthut über die geſtrickte Krawatte hinweg bis zu den gelben Halbſchuhen, über denen man ſanft getönte, blaue Seidenſtrümpfe ſah.
Schluchzend warf ſich die reizende ſchwarze Yvonne in die Arme ihres Herzensfreundes. Alle begrüßten ihn ſtürmiſch, ein Hagel von Rufen und Fragen ergoß ſich über ihn. Pepi ließ ſich ruhig in einen Fauteuil fallen, zog Yvonne auf ſeine Knie, zwickte die neben ihm ſitzende Lona in die nackten Waden und ſagte, nachdem er ſich eine Zigarette hatte in den Mund ſtecken laſſen:
„Kinder, da kann man halt nichts machen, als auch auswandern!“
„Ja, woher wirſt an' Auslandspaß kriegen und wer laßt dich denn hinein?“, entgegnete die kluge goldblonde Carola.
„Sehr einfach“, lachte Pepi. „Morgen geh' ich aufs Rathaus, werde konfeſſionslos, übermorgen geh' ich zur israelitiſchen Kultusgemeinde, erkläre mich ſolidariſch mit dem mißhandelten Judentum und werde Israelit. Hoffentlich ohne Operation. Dann heiraten wir, bekommen unſer Ablöſegeld vom Staat und können nach den Beſtimmungen des Völkerbundes uns anderswo anſiedeln. Wir gehen nach Paris oder nach Brüſſel oder ſonſt wohin, wo was los iſt.“
Yvonne lachte unter Tränen. „Geh', was ſoll ich denn in Paris als verheiratete Frau machen?“
„Tſchapperl! Braucht ja niemand zu erfahren, daß wir verheiratet ſind! Nimmſt dir eine Wohnung, ſuchſt einen Freund, der dich ordentlich aushält und ich bin ſo wie jetzt fürs Herz da!“
In den nächſten Tagen wußten die liberalen Blätter zu berichten, daß hunderte von wackeren chriſtlichen Jünglingen, empört über das den Juden angetane Unrecht, demonſtrativ ihren Uebertritt zum Judentum beſchloſſen hätten, um das Schickſal dieſes ſchwer geprüften Volkes zu teilen.