Hugo Bettauer: Die Stadt ohne Juden // Ein Roman von übermorgen 3. Abſchnitt Geſpräch in einer Fenſterniſche des Kaffee Wögerer, gegenüber der Börſe, zwiſchen Herrn Strauß, Inhaber eines Bankhauſes, und ſeinem Neffen, dem Mediziner Siegfried Steiner. Solche und ähnliche Geſpräche fanden aber an allen Tiſchen ſtatt, es wurde an dieſem Tage nicht lärmend, ſondern faſt lautlos mit Zuhilfenahme der Hände geredet. Der Neffe ſchüttelte dem Onkel die Hand. „Lieber Onkel, ich danke dir dafür, daß du mich mit nach London nehmen wirſt. Das iſt ein großer Troſt für mich, denn unter uns geſagt — Zion — ne, iſt nichts für mich! Nur Juden, nicht auszudenken!“ Der Onkel lächelte behaglich. „Zion kann mir geſtohlen werden. In London werde ich mich mit meinem alten Freunde Moe Seegward, der dort eine Wechſelſtube in beſter Lage hat, aſſociieren.“ Siegfried Steiner beugte ſich vor und flüſterte: „Aber ſag' mir eines, Onkel, du haſt doch ſicher nicht der Steuerbehörde dein wirkliches Vermögen und Einkommen angegeben. Wie wirſt du nun dein Geld herüberkriegen, da doch ſeit geſtern Briefzenſur eingeführt iſt?“ Der Onkel ließ die Zigarrenaſche auf ſeine Weſte fallen. „Chammer! Wozu hat man chriſtliche Freunde? Ich war heute ſchon bei dem Fabrikanten Schuſter, habe ihm, unter uns geſagt, zwanzig Millionen in Effekten und Bargeld gebracht und dafür von ihm eine Anweiſung auf eine Londoner Bank bekommen. Natürlich tut es der Ganef nicht umſonſt, ſondern er verdient eine koſchere Million dabei.“ Der Neffe nickt befriedigt und an dreißig anderen Tiſchen endigten verſchiedene Geſpräche ebenfalls mit einem zufriedenen Nicken. Ein alter Hebräer mit Kaftan und Lockerln kam herein und ſagte von Tiſch zu Tiſch ſein Sprüchlein auf: „Ein Almoſen für einen alten Juden, der beim Pogrom in Lemberg um Hab und Gut gekommen iſt.“ Von einem Tiſch wurde er angerufen: „Na, Alter, wohin werden Sie auswandern?“ Der Jude wackelte mit dem Kopf. „Herrleben, wenn ich aus dem brennenden Ghetto von Lemberg nach Wien gekommen bin, wer' ich auch aus Wien wieder irgendwohin kommen. Ob ich ſchnorr' in Wien oder in Berlin oder Paris, iſt gleichgültig. Nur wer' ich dann nichts erzählen mehr vom Pogrom, ſondern davon, daß man hat mich alten Juden ausgewieſen. Aber ſagen Sie, Herrleben, glauben Sie, man ſoll noch kaufen vor Torſchluß Juliſüd oder is beſſer Siemens?“ 4. Abſchnitt