Als der Nationalrat, Gemeinderat, Armenrat und Gewerberat Antonius Schneuzel am nächſten Vormittag — es war ein Sonntag — infolge der endloſen Siegesfeier arg verkatert am häuslichen Frühſtückstiſch erſchien, fand er eine recht unbehagliche Stimmung vor. Seine Gattin hatte eine nadelſpitze Naſe, was auf Sturm deutete, ſeine Tochter, Frau Corroni, ſaß mit verquollenen Augen da, ihr Gatte, der Prokuriſt Alois Corroni, lächelte den Schwiegervater impertinent und verächtlich an, und die beiden Enkelkinder Lintſchi und Hansl ſtießen ein furchtbares Geheul aus, als Herr Schneuzel ſeine kleinen Aeuglein verwirrt und ängſtlich um den Tiſch kreiſen ließ.
„Ja, was is denn da los?“
Frau Schneuzel ſtemmte die Arme in die Seite.
„Was los is, du Fallot, du? Gar nichts is los, als daß du alter Tepp geholfen haſt, deine Tochter und die Enkelkinder aus dem Land zu treiben!“
„Ja, wieſo denn?“ ſtammelte Herr Schneuzel, aber ſchon dämmerte ihm grauenhafte Wahrheit. Richtig, er hatte im Laufe der Jahrzehnte total vergeſſen, daß ſein Schwiegerſohn, Herr Alois Corroni, in früheſter Jugend Sami Cohn geheißen und erſt ſtehend und aufrecht die Taufe empfangen. Alſo mußte er ja hinaus und mit ihm die beiden Kinder, die Judenſtämmlinge waren!
„So eine Gemeinheit,“ ſchluchzte Frau Corroni in ihr Taſchentuch hinein, „was ſoll ich jetzt mit den Kindern anfangen? Nach Zion auswandern vielleicht, du Rabenvater, du?“
„Jawohl, es iſt ein ſtarkes Stückchen,“ erklärte nun Herr Corroni mit ſcharfer Betonung jedes Wortes, „einen Mann wie ich, der behaupten darf, mindeſtens ein ebenſo guter Chriſt zu ſein als tauſend andere, die den ganzen Tag im Wirtshaus herumſitzen, einen Mann wie ich, deſſen Kinder im chriſtlichen Glauben groß geworden ſind, aus dem Lande zu jagen wie einen tollen Hund!“
Herr Schneuzel wollte eine Erwiderung machen und murmelte etwas von großer, heiliger Sache, Prinzipien, die auf Einzelfälle keine Rückſicht nehmen können. Aber ſchon ſaß die Hand der Gattin in ſeinen ſpärlichen Haaren und ließ nicht locker, bevor ſie ſich mit einem ganzen Büſchel des immer rarer werdenden Gewächſes zurückziehen konnte.
„Viecher ſeids Ihr alle zuſammen! Geſtohlen könnts Ihr mir werden mit eurem Chriſtentum! Hat der Loisl unſer Annerl nicht immer gut behandelt? Hat ſie nicht einen Biſampelz von ihm bekommen, läßt er die Kinder nicht aufwachſen wie die Prinzen? Dem lieben Gott ſollſt du danken, daß ſie einen Juden bekommen hat und nicht einen Kerl, wie dich, einen Saufbruder und Skandalmacher!“
„I geh' net nach Zion“, heulte Lintſcherl, während Hans die Gelegenheit benützte, von Großvaters Teller weg den Sonntagsgugelhupf zu grapſen.
Im Moment höchſter Aufregung kam die Köchin Pepi herein, räumte reſolut den Tiſch ab und erklärte ſeelenruhig:
„I geh'! I heirat' mein' Iſidor, der was Kommis im Konſumverein is, und wann er auswandern muß, wander' i mit ihm aus! Von mir aus können ſich die Herrn Nationenräte mitſamt dem Kränzler alle zuſammen aufhängen.“
Nachdem ſich die Aufregung gelegt, erörterte Herr Corroni ſachlich die Situation.
„Ich denke natürlich gar nicht daran, nach Paläſtina auszuwandern, ſchon deshalb nicht, weil man mich als getauften Juden gar nicht hineinließe. Nein, ich habe einen Bruder in Hamburg, den Onkel Eduard, wie Ihr wißt, und wenn er auch eben meiner Taufe halber bös mit mir iſt, ſo wird er mich jetzt nicht im Stich laſſen — Juden haben ja, gottlob, Familienſinn“ — dieſe Worte begleitete ein ſtechender Blick gegen Schneuzel — „und ich werde eben dort für mich und meine Familie eine neue Zukunft aufbauen. Es ſei denn, daß Annerl lieber bei euch bleiben will“.
Worauf Frau Anna, müde und verblüht, wie man es nach fünfzehnjähriger Ehe zu ſein pflegt, roſige Wangen bekam, ihre Arme zärtlich um den Hals des Alois Corroni, rekte Sami Cohn, ſchlang, ihn küßte wie eine Braut ihren Bräutigam und wirklich wie ein junges Mädchen ausſah. Und ſchließlich mußte ſich Herr Schneuzel völlig verſtört und verzweifelt verpflichten, dem Schwiegerſohn ſo gewiſſermaßen als Fundament für die neue Zukunft eine Million mit nach Hamburg zu geben.
Nachmittags ging der National-, Gemeinde- und Armenrat Schneuzel allein zum Heurigen nach Sievering, fing dort mit einer Geſellſchaft, die noch immer „Hinaus mit den Juden!“ ſchrie, Streit an, zerbrach ſeine Flaſche an dem Schädel des einen Schreiers und wurde furchtbar verprügelt.